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Demokratie in Europa: Zur Rolle der Parlamente PDF

396 Pages·1995·11.333 MB·German
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Zeitschrift für Parlamentsfragen Sonderband Demokratie in Europa: Zur Rolle der Parlamente Zeitschrift für Parlaments fragen Sonderband zum 25jährigen Bestehen Demokratie in Europa: Zur Rolle der Parlamente Herausgegeben für die Redaktion von Winfried Steffani und Uwe Thaysen unter Mitarbeit von Kristin Bergmann Westdeu tscher Verlag ZEITSCHRIFT FÜR PARLAMENTSFRAGEN (Zitierweise: ZParl) Herausgegeben von der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen, Beauftragter des Vorstandes: Prof. Dr. Winfried Steffani, Universität Hamburg; DVParl-Geschäftsführung: Min.-Rat. Gunter Gabrysch, Bundeshaus, D-53113 Bonn, Tel.: (02 28) 16 24 42. Redaktion: Prof. Dr. Uwe Thaysen, zugleich Chefredakteur (Universität Lüneburg); Prof. Dr. Franz Nuscheler (Universität - Gesamthochschule - Duisburg); Prof. Dr. Jörg-Detlef Kühne (Universität Hannover); Dr. Suzanne S. Schüttemeyer (Universität Lüneburg). Anschrift der Redaktion: Prof. Dr. Uwe Thaysen, Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg, Allende-Platz I, D-20146 Hamburg, Telefon (040) 41233552. Koordination für Österreich: Dr. Heinz Fischer und Prof. Dr. Anton Pelinka. Koordination für die Niederlande: Willem Breedveld und Prof. Dr. M. P. C. M. van Schendelen. Koordination für die Schweiz: Prof. Dr. Gerhard Schmid und Annemarie Huber-Hotz, lic es sc.ec et soc. Gezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder. Die Verfasser sind verantwortlich für die Richtigkeit der in ihren Beiträgen mitgeteilten Tatbestände. Für nicht erbetene Manuskripte und Rezensionsexemplare kann keine Gewähr übernommen werden. Bezugsbedingungen 1995: Die .Zeitschrift für Parlamentsfragen" erscheint vierteljährlich. Das Einzelheft kostet DM 17,-/öS 133,-/sFr 17,-, das Jahresabonnement DM 48,-/ÖS 375,jsFr 48,-, jeweils zuzüglich Versandkosten. Jahresabonnement für Studenten gegen Studienbescheinigung DM 34,-/öS 265,-/sFr 34, zuzüglich Versandkosten. Der Bezugspreis und die Versandkosten unterliegen der Preisbindung. Die Bezugsgebühren enthalten die gültige Mehrwertsteuer. Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich erfolgen. Verlag: Westdeutscher Verlag GmbH, Postfach 5829, D-65048 Wiesbaden, Telefon: Vertrieb (0611) 534-389, Anzeigen (0611) 534-388. Telefax (0611) 534-430. Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 1. Januar 1994. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen. Übersetzungen. Mikroverfilmun gen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISSN 0340-1758 Alle Rechte vorbehalten © 1995 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt ins besondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem Papier Sonderband: ISBN 978-3-531-12689-0 ISBN 978-3-322-93517-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-93517-5 Inhalt Uwe Thaysen: Demokratie in Europa nach der Zeitenwende 1989/90. Editorial zum Sonderband aus Anlaß des 25jährigen Bestehens der Zeitschrift für Parlamentsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1 Europa und Maastricht Winfried SteJfani: Das Demokratie-Dilemma der Europäischen Union. Die Rolle der Parlamente nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Thomas Christiansen: Gemeinsinn und europäische Integration. Strategien zur Optimierung von Demokratie- und Integrationsziel 50 Woljgang Luthardt: Die Referenda zum Vertrag von Maastricht. Politikmanagement und Legitimation im europäischen Integrationsprozeß . . . . . . . 65 Klaus Pöhle: Öffnen oder Abschotten? Zur Internationalisierung des Personals der EU-Parlamente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2 Nationale Parlamente in der Europäischen Union Thomas Saalftld: Die zentrale Rolle des Parlaments in London. Entwicklungstendenzen von Thatcher bis Major (1979 - 1994) 95 Christian Rath: Die »unionswärtige Gewalt" des Deutschen Bundestages. Zur verfassungsrechtlichen Legitimation des gemeinschaftlichen Rechtssetzungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Uwe Jun: Die zweite »Cohabitation" in Frankreich (seit April 1993). Terraingewinne der Parteien und des Parlamentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Gerald Paschen: Regierungsmehrheit und Opposition in Spanien. Der Prozeß demokratischer Konsolidierung (1977 - 1993) ................... 162 Peter weber: Italiens demokratische Erneuerung. Anpassungsprobleme einer »schwierigen" Demokratie (1989 - 1994) 178 Jörg Seißelberg: Berlusconis Forza Italia. Wahlerfolg einer Persönlichkeitspartei (1994) 204 Peter Zervakis: Das griechische Parlament. Kontinuität und Wandel seit 1974 . . . . 232 Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl) Sonderband 1/95 © Wesrdeurscher Verlag 6 Inhalt 3 Nationale Parlamente in Europa DetleJJ ahn: Die Wahl zum norwegischen Storting 1993. Ein deutliches Ja zu einem Nein ........................................ 265 AnIOn Pelinka: Eine"V erwestlichung" Österreichs? Zum Wandel des politischen Systems durch den EU-Beitritt 278 Silvano Möckli: Direkte Demokratie in der Schweiz. Ein Mittel zur Behebung von Funktionsmängeln der repräsentativen Demokratie? 289 Axel Reetz: Wahlen im Baltikum seit 1990. Parlamente in den Paradoxien der Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Jerzy Matkow: Parlamentswahlen in Polen (1993). Beginn postkommunistischer Entmythologisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Sdndor Kurtdn: Wahlen in Ungarn. Fakten und Folgen seit Mai 1994 340 4 Vergleichende Parlamentsforschung \\'terner]. Patzelt: Vergleichende Parlamentarismusforschung als Schlüssel zum Systemvergleich. Vorschläge zu einer Theorie- und Forschungsdebatte .......... 355 Jürgen Plöhn: Parlamentsvergleich auf sub nationaler Ebene. Zur Theorie und Methode am Beispiel der Untersuchungsverfahren in den deutschen Landesparlamenten .......................................... 386 Autorenverzeichnis ................................................... 404 Demokratie in Europa nach der Zeitenwende 1989/90 Editorial zum Sonderband aus Anlaß des 25jährigen Bestehens der Zeitschrift für Parlamentsftagen Uwe Thaysen Wäre es nur rational - soll hier heißen: nach Selbstverständlichkeiten "pluralistischen" Geschichtsverständnisses - zugegangen, so hätte der Zusammenbruch des Kommunismus im "östlichen" Europa bereits 1989/90 sowohl optimistisch als auch skeptisch stimmen müssen. Tatsächlich war er eine grandiose Bestätigung der Pluralismustheorie, auf welcher die "westlichen" Regierungssysteme basieren. Diese Theorie kennt keine Finalität der Ge schichte. Deshalb wäre vom Beginn her zugleich Zweifel angemessen gewesen gegenüber jeglicher Erwartung linearer Weiterenrwicklung zum demokratisch Besseren. Umsichtigere Pluralismustheoretiker haben die Ereignisse seit 1985, die Zeitenwende 1989/90 einge schlossen, auch insoweit nicht als "schwarzen Freitag der Sozialwissenschaften" (Klaus von Beyme) erleben müssen, als sie sich an der prognostischen Determinierung der (osteuropäi schen) Geschichte konsequenterweise gar nicht erst beteiligt hatten. Eben weil Geschichte offen ist, ist sie so vielfältig, lohnt sich ihr Studium - Region für Region, Einzelfall für Einzelfall. Dementsprechend wird mit diesem Sonderband der Zeit schrift für Parlamentsftagen vornehmlich Rückschau gehalten. Analysiert wird die Entwick lung der europäischen Regierungssysteme - im wesentlichen seit dem Ende der Post-~r-, dem Anfang der Post-~ll-Periode (1989/90). Im Zentrum unserer Ausgabe zum 25jährigen Bestehen dieses Periodikums stehen - wie von uns nicht anders zu erwarten - Europas Parlamente und die jeweils letzten Wahlen, die deren Legitimität begründen. I Parlamente, Institutionen überhaupt, sollen, so wird uns heute von manchem Transforma tions- beziehungsweise Transitionstheoretiker versichert, doch eine größere Bedeutung ha ben, als zuvor eingeräumtl. Die Redaktion dieser Zeitschrift hat sich, so meinen wir, nie dem flachen Institutionenverständnis ausgeliefert, das uns zu fragen verführt hätte, ob Par lamente überhaupt "einen Unterschied machen"2. Uns ist es immer (wie Phi/ip Norton übrigens auch) darum gegangen zu erkennen, welchen Unterschied sie bewirken. Daß Par lamente allerdings eine ausschlaggebende Rolle spielen sollten, zumeist eine deutlichere als Samue/ H. Barnes, The Enduring Importance of Political Mobilization, in: Las/o Bruszt, Janos Simon and Samue/ H. Barnes (Eds.): The Post Communist Citizen, (erscheint 1995). Siehe auch Wo/fgang Merke/, (Hrsg.), Systemwechsel 1, Theorien, Ansätze und Konzeptionen, Opladen 1994. Den ersten dieser beiden Literaturhinweise verbinde ich mit einem herzlichen Dank an die Freunde und Kollegen am Center Jor German and European Studies der Schoo/ of Foreign Service an der Georgetown University, Washington D.C., mit denen ich - diesem Band zugute kommend - das akademische Jahr 1994/95 teilte. 2 Phi/ip Norton, Does Parliament Matter? Harvester Wheatsheaf, New York, London 1993. Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl) Sonderband 1/95 © Westdeutscher Verlag 8 Uw~ ThllJsm die tatsächlich wahrgenommene, daran haben wir aus der Sicht entschiedener Demokraten festgehalten - auch dann, als mancher aus der Deskription negativer empirischer Befunde den präskriptiven Schluß ihrer Entbehrlichkeit und Ersetzbarkeit meinte "ableiten" zu müs sen. So dürfte es kaum überraschen, daß dieser Sonderband einen methodologischen Beitrag enthält, der Parlamente ausdrücklich als Schlüsselinstitution(en) demokratischer Systeme begreift und dementsprechend die Analyse von Parlamenten als Schlüssel zum Verständnis von Regierungssystemen empfiehlt. Obendrein traf es sich, daß die wohlbekannte These von der besonderen Adaptationsfähigkeit, institutionellen Flexibilität und nahezu unbe schränkten Lernkapazität parlamentarischer Systeme kaum besser als im Rückblick auf die letzten zehn Jahre zu studieren ist. Mit Glasnost und Perestroika - wodurch auch immer diese vorgängig ausgelöst worden sein mögen - begann 1985 ein Jahrzehnt ungewohnt massiver Veränderungen. In diesem Jahrzehnt ereignete sich, so die zu Recht oft wiederholte Feststellung, so viel Geschichte wie in den gesamten vierzig Jahren zuvor. Die Redaktion der Z~itschrift für Parlam~ntsftagen hat dieser Dynamik dadurch Rechnung zu tragen ver sucht, daß die Regionen, Länder und Themen der einschlägigen Veränderungen in diesem Sonderband repräsentiert sind: - natürlich das Baltikum, das in Sachen Glasnost und Perestroika den Schildvortrieb im einst "real existierenden Sozialismus" der Sowjetunion übernahm; - selbstverständlich Polen und Ungarn, die unter den ostmitteleuropäischen Staaten Vor reiterfunktionen innehatten; - für manchen eher überraschend der Sonderfall Italien, das unter allen westeuropäischen Staaten von den epochalen Ereignissen 1989/90 am meisten erschüttert wurde und auch deshalb besonderer Analysen bedurfte, weil sich dort Entwicklungen von besorgniserre gendem Beispielcharakter ankündigten; - unverzichtbar der Vergleich der Transformationsprozesse in Ostmitteleuropa mit den Transitionserfahrungen in Südeuropa; - geographisch wie nach komparativer Systematik naheliegend der Performance-Vergleich dieser erneuerten beziehungsweise neuen Demokratien, zum Beispiel Griechenland und Spanien, mit Italien, einem der klassischen, weil (Gründungs-)Mitglied der Europäischen Gemeinschaft; - ein Muß, versteht sich, die übrigen "alten" EG-Demokratien: Großbritannien mit seinem House of Commons als der "Mutter der Parlamente", Frankreich mit seiner Assemblee Nationale als Beispiel eines immer noch "gezähmten Parlamentarismus" in einem tradi tionsreichen Zentralstaat, die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer langen Routine in föderativ organisierter Politik - Routine, die vielleicht von Nutzen sein könnte für die institutionelle Gestaltung der weiteren europäischen Integration. - Österreich als erstes der Länder der dritten EG-Beitrittswelle einzubeziehen, war ebenfalls aus gleich mehreren und weiteren Gründen angemessen. Das dort herkömmlich prakti zierte Konkordanzmodell politischer Entscheidungsfindung ist schärfer zu erkennen im Kontrast zum britischen Westminster-Modell. Umgekehrt werden die Kosten des Londo ner Konkurrenzmodelles in einer solchen komparativen Konfrontation auffälliger. Europas Parlamente wurden und werden allenthalben herausgefordert, überhaupt oder ge gebenenfalls mehr "plebiszitäre Elemente" politischer Entscheidungsfindung beziehungswei se Entscheidung zuzulassen. Die Wirkungsweise plebiszitärer Willensbildung, insbesondere D~mokrati~ in Europa nach d~r Z~itmwmd~ 1989190 9 diejenige des "konsultativen" Referendums, konnte kaum besser demonstriert werden als an dem Beispiel der Referenda zur EG-Vertiefung in Dänemark, Irland und Frankreich bezie hungsweise zum EU-Beitritt in Österreich, Finnland, Schweden und Norwegen. Die Zu stimmung der Bürger in Europa zu qualitativ und quantitativ "mehr Europa" fiel, wie gut erinnerlich, denkbar knapp aus; jenseits der schweizerischen Grenzen und jenseits der nor wegischen Demarkationslinien war die zustimmende Majorität bekanntlich nicht mehr zu erreichen. In diesem Sonderband ist nachzulesen, warum und warum nicht. Wo es um Politik mittels Referenda und um das Funktionieren dieses Instrumentariums politischer Willensbildung ging, durfte ein eigenständiger Beitrag über die schweizerische Praxis sowie die daraus abzuleitenden Lehren nicht fehlen. Unsere tour d'horizon zum Stand der Demokratie, insbesondere des Parlamentarismus, in Europas Regierungssystemen mündet schließlich wieder in die Ausgangsfrage dieses Sonder bandes nach dem Demokratie-Dilemma der Europäischen Union, der Frage, ob und gege benenfalls wie Demokratie auf der Ebene der EU und auf der nationalen Ebene zum Ergebnis von insgesamt mehr Demokratie zu führen ist. II Der Vergleich ist das Laboratorium des Sozialwissenschaftlers. Auch dann, wenn er nicht ausdrücklich gezogen wird, liegt der Vergleich doch sehr viel mehr Einzelfallstudien zugrun de als meistens bewußt oder explizit wird. Entsprechend ungezählt sind die vergleichenden Bezüge, die in der Zeitschrift fir Pariamentsfragen über die vergangenen 2S Jahre in den Darstellungen verschiedenster Parlamente3 herangezogen wurden. Um so wichtiger ist es, sich von Zeit zu Zeit Rechenschaft abzulegen (a) über die Ergiebigkeit von Parlamentsana lysen für die Politikwissenschaft überhaupt und (b) über die Methoden von Parlamentsstu dien. Werner }. Patzelt ist es, der in der verständigen Untersuchung von Parlamenten den Schlüs sel zum Begreifen von Regierungssystemen insgesamt, zumindest und zumal von demokra tischen Systemen, findet. Er begründet dies zum einen mit der empirischen Erfahrung ihrer Existenz unter historisch höchst unterschiedlichen Bedingungen und ihrer heutigen Allge genwart sowie zusätzlich mit der daraus abgeleiteten zentralen heuristischen Hypothese, derzufolge die Institution Parlament politischen Systemen "Bestands-und Entwicklungsvor teile" verschafft. Für seine "evolutionäre Komparatistik" betrach~et Patzelt politische Syste me als erkenntnisgewinnende Einheiten und kommt zu dem Schluß, daß keine anderen Organe oder Institutionen dieser Einheiten Leistungen wie Anpassung und Innovation besser auszudrücken und zu gewährleisten wissen als Parlamente. Daher das Überleben gerade jener Systeme, die auf hochentwickelten Parlamenten basieren! Mit seinem Beitrag skizziert Patzelt die Grundlinien einer umfassenden "evolutionär-mor phologischen" Geschichte der Parlamente. Er zeichnet den Aufstieg von Vertretungskörper schaften nach. Dabei stößt er auf die insbesondere von Parlamenten bewirkte Komplexitäts steigerung politischer Systeme, welche allein die Befriedung des Steuerungsbedarfs immer differenzierterer Gesellschaften verheißen: 3 Vgl. das 20-Jahres-Register der ZParl (1969-1989) sowie die weiteren Jahresregister seit 1990. 10 Uw~ Thaysen "Der Strukturtyp einer Vertretungskörperschaft beinhaltet a1sn ein gewaltiges Funktionspotential. über das zu verfügen zumindest Chancen bereithält ... Eine Vertretungskörperschaft stellt das strukturelle Ergebnis von Lernprozessen politischer Systeme dar; die dabei gewonnene 'Intelligenz> ist einern Parlament als Institutionstyp ,eingebaut.; und sie kann. falls die politische und gesellschaftliche Um welt einer Vertrerungskörperschaft dies erlaubt. sehr rasch genutzt werden.« Die Analyse von Parlamentsfunktionen bringt. so Patzelt, "nach und nach. mit wohl nur wenigen Lücken. die wichtigsten Bestandteile eines politischen Systems zur Aufmerksamkeit des Analytikers". Seinem "evolutionär-morphologischen" Ansatz zufolge meint Patult ins besondere die Bestandskraft politischer Systeme mit Hilfe der vergleichenden Parlamenta rismusforschung aufklären zu können. Ein Plädoyer für Parlamente als Orte der Erkenntnis wie als Erkenntnisgegenstand. Jürgen Plöhn befaßt sich mit der Ergiebigkeit unterschiedlicher Vorgehensweisen zum Ver gleich von Parlamenten - nicht nur. aber vornehmlich unterhalb der Ebene des Bundes-I Zentral-/Gesamtstaates4. Am Beispiel des Vergleichs der deutschen Landesparlamente - und dort wiederum am Beispiel von deren Praxis parlamentarischer Untersuchungsverfahren. einer Materie. die sich wie kein anderes Spezialthema der Parlamentswissenschaft zum Ver stehen parlamentarischer Regierungssysteme eignet - stellt Plöhn eine tief ausdifferenzierte Matrix zum Vergleich subnationaler Volksvertretungen vor. Ein grundlegender und auf schlußreicher Beitrag zur komparativen Parlamentarismusforschung. III Ob im Baltikum. in Ostmitteleuropa oder auf dem Balkan: Überall erleben die Dissidenten von einst die Renaissance der (gewandelten) Nachfolger der (einstigen) Kommunisten und ihrer Organisationen. Polen. das Land. welches im Prozeß der offenen politischen Demo kratisierung den Anfang machte. erlebte die politische Wiederkehr dieser "Postkommuni sten" (Mack6w) auf paradigmatische Weise: als klare Sieger in allgemeinen Parlamentswah len (1993). jetzt also sogar demokratisch legitimiert. Vorangegangen war der Wahlsieg der Postkommunisten in Litauen. Auf den ersten Blick überraschende Erfolge erzielten auch die ostdeutschen Postkommunisten der PDS in den Kommunal-. Europa- und Bundestagswah len (im Dezember 1993. Juni 1994 und Oktober 1994). Im Mai 1994 errangen die unga rischen Postkommunisten auf demokratische Weise sogar die absolute Parlamentsmehrheit. Zuletzt folgten die Bulgaren diesem Beispiel. Axel Reetz dokumentiert die Ergebnisse der letzten Wahlen in den drei baltischen Staaten. Bis 1990 Sowjetrepubliken, verkörpern die heutigen baltischen Staaten besonders deutlich die gewaltige Ambivalenz der Entwicklung des letzten Jahrzehnts in Osteuropa. Seit 1985 in der Pionierfunktion, innerhalb der Sowjetunion Glasnost und Perestroika zu realisieren, sind sie unter allen ostmitteleuropäischen Staaten von den Konsequenzen dieser Politik besonders hart getroffen. Estland, Lettland und Litauen mußten den Weg sowohl zur De- 4 Daß auch die Landtage der deutschen Bundesländer für deren demokratischen Charakter wie für den demokratischen Charakter der Bundesrepublik Deutschland insgesamt unverzichtbar sind, betont Winfried Steffani, Der Landtag als Zentrum des parlamentarischen Systems, in: Rudo/f Titzek (Hrsg.), Landtage in Schleswig-Holstein, gestern - heute - morgen, Husum 1987, S. 219-261. Demokratit in Europa nach der Zeitenwende 1989/90 11 mokratie als auch zur Souveränität finden. Diese zu behaupten, wird als Voraussetzung und Ziel der weiteren demokratischen Entwicklung begriffen - gerade so wie umgekehrt Demo kratie als Voraussetzung und Ziel der Souveränität betrachtet wird. Der Wandel in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa ist durch die Realisierung von Reprä sentationsprinzipien in Gang gesetzt worden. Der politisch-gesellschaftliche Wandel wieder um hat Wandel der Repräsentation zur Folge. Dabei handelt es sich um Prozesse, die nach demokratischem Verständnis idealiter in Parlamenten fokussieren, dort mindestens ihren Niederschlag finden sollten5. So schwer sich die Volksvertretungen, die "neuen" im Osten wie die "alten" im Westen, gegenwärtig auch tun, die Folgen der Post-~ll-Periode zu bewältigen: Das Zeitalter seit 1989/90 provoziert - mindestens theoretisch und mindestens als Herausforderung an alle Demokraten - die Renaissance eines klassischen Verfassungs organs: die Renaissance der Parlamente nämlich. Es sind die jeweils bevorstehenden Herausforderungen und Probleme der "Institutionalisierung" ("how parlamentary bodies have emerged, taken root, evolved, or changed in different environments"), die die Faszination der Parlamente als Studien ob jekte nicht nur, aber besonders der Politologen begründen. Samuel C. Pattmon und Gary W. Copeland halten es sogar für möglich, unsere Zeit als "age of parlaments" zu begreifen6. IV Jerzy Mackow analysiert die Entwicklung des Parlamentarismus in Polen. Selbst Pole, tut er dies als Wissenschaftler sine ira et studio, für manchen weniger vorbereiteten westlichen Beobachter: mit erstaunlicher Gelassenheit. Er sieht im polnischen Wahlergebnis nicht nur beklagenswerte Strukturprobleme einer mehr oder weniger konsequenten, mehr oder weni ger - zumeist eher weniger - erfolgreichen Enttotalisierung sich irrational entladen, sondern durchaus (auch) rationales Verhalten widergespiegelt: Nunmehr werden die Gegner des big ban radikaler Umkrempelung der polnischen Wirtschaft und Gesellschaft nach dem Modell einer market society der Chicagoer Schule (Friedman) und ihre propagandistischen Trittbrett fahrer, die Linkspopulisten, in die Pflicht genommen - die Anhänger also des behutsame ren, des langsameren, des sozialstaatlich stärker abgepufferten Weges in einen sozialdemo kratisierten Sozialismus. Sollen sie doch beweisen, ob sie die Transformation der danieder liegenden Nationalökonomie bewerkstelligen können, ob sie weiterreichende soziale Ge rechtigkeit zu gewährleisten imstande sein werden als die Sieger der friedlichen Revolutio nen von 1989/90! Die dabei zu erwartenden Erfahrungen könnten, so folgert Matkow vorsichtig, im gesamten ehemaligen Ostblock zu einer heilsamen Entmythologisierung füh ren. Sie könnten einer weiteren Pragmatisierung und Rationalisierung der Politik in Ost mitteleuropa also den Weg bahnen. 5 Siehe Uwe Thaysen und Ham Michael Kloth (Hrsg.), Wandel durch Repräsentation - Repräsen tation im Wandel. Entstehung und Ausformung der parlamentarischen Demokratie in Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und der ehemaligen DDR, Baden-Baden 1992; siehe, gleichsam als Aktualisierung dieses Sammelbandes, Attila Agh (Hrsg.), The Emergence of East Central European Parliaments: The First Steps, Budapest 1994. 6 Gary W. Copeland and Samuel C. Pattmon (Eds.), Parlaments in the Modern World. Changing Institutions, Ann Arbor, The University of Michigan Press 1994.

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