Hans-Joachim Schubert Demokratie in der Kleinstadt Hans-J oachim Schubert Demokratie in der Kleinstadt Eine empirische Studie zur Motivation lokalpolitischen Handelns Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz fUr diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhaltlich 1. Auflage April 2002 AIle Rechte vorbehalten © Springer Fachmedien Wiesbaden 2002 Urspriinglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden 2002. Lektorat: Nadine Kinne www.westdeutschervlg.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Dbersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronisthen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und MarkeI;l.schutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jeder mann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier ISBN 978-3-531-13770-4 ISBN 978-3-322-89960-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-89960-6 InhaItsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................................... 9 Einleitung ................................................................................................................ II I Fragestellung und Gegenstand ...................................................................... 12 2 Methoden ...................................................................................................... 19 3 Theorie .......................................................................................................... 20 Erster Teil -Die LokalpoIitik der Stadt Luchow PDS: Politik und IdentiHit oder wie "weit weg" ist del' "Westen"? 1.1 Mikroebene: Frau F -Die Suche nach einer authentischen politischen Identitat ....................................................................................... 25 1.2 Mesoebene: Exklusion, Selbstexklusion, Inklusion ...................................... 31 1.3 Makroebene: Politik und Identitat.. ............................................................... 41 1.4 Zusammenfassung: Die Integration von Interessen, Normen und Werten in der Lokalpolitik ..................................................................... 50 2 FDP: Der gesellige Liberalismus in Luchow 2.1 Mikroebene: Frau K -Eine staatskritische und selbstsichere Kleinbiirgerin ,. ......................................................................... 52 2.2 Mesoebene: Die liberale gesellige Lebenswelt von Frau K und der Kapitalismus ..................................................................................... 57 2.3 Makroebene: Die FDP und das Kleinbiirgertum ........................................... 68 2.4 Zusammenfassung: Aus der Politik zuriick in die Zivilgesellschaft ............. 73 3 Interessengemeinschaft Altstadt: Okonomie und Zivilgesellschaft 3.l Mikroebene: Herr M -Interessenrealisierung ohne Selbstverwirklichung ............................................................................ 75 3.2 Mesoebene: Zivilgesellschaft als Mittel zum Zweck 6konomischer Prosperitat .......................................................... 78 3.3 Makroebene: Gentrification und Festivalisierung der Altstadt ..................... 88 3.4 Zusammenfassung: Okonomische Ideen und Interessen in der Zivilgesellschaft ................................................................. 93 4 Biirgerbiindnis freier Wahler: Das Gute und das Rechte in Luchow 4.1 Mikroebene: Herr H -Der Kampfum Anerkennung .................................... 97 4.2 Mesoebene: Die kommunikative Macht in Luchow. ................................... 101 6 Inhaltsverzeichnis 4.3 Makroebene: Die Zweite Modeme in Luchow ........................................... 113 4.4 Zusammenfassung: Gerechte Verfahren -Ein postkonventionelles Mittel fUr einen konventionellen Zweck? ................................................... 116 5 Biindnisgriine: Die "Politik der Abgrenzung" 5.1 Mikroebene: Frau G und Herr W -Politik als Teil eines gelungenen Lebens ...................................................................................... 119 5.2 Mesoebene: Der Kampfum Abgrenzung .................................................... 121 5.3 Makroebene: Das Altemativmilieu und die anderen ................................... 128 5.4 Zusammenfassung: Nachholende Anerkennung und postmaterialistische Politik? ....................................................................... 138 6 SPD: Diesseits von Honoratioren-und jenseits von Volkspartei? 6.1 Mikroebene: Zivilgesellschaftliche Honoratioren -gestem und heute ........ 141 6.2 Mesoebene: Zivilgesellschaft in der demokratischen und nicht-demokratischen Gesellschaft .............................................................. 145 6.3 Makroebene: Die Beweglichkeit des SPD-Tankers in der Lokalpolitik ...... 158 6.4 Zusammenfassung: Solidargemeinschaft und Lokalpolitik. ........................ 164 7 CDU: Neuanfang durch Verzicht? 7.1 Mikroebene: Konservatismus und Terrorismus .......................................... 166 7.2 Mesoebene: Konservatismus und Transformation ...................................... 169 7.3 Makroebene: Die CDU und ihre Wahler in den neuen BundesHindem ....... 173 7.4 Zusammenfassung: Progressiver Konservatismus ...................................... 178 8 Zivilgesellschaft: Der "Handlungsraum von Handlungsraumen" ............... 180 Zweiter Teil -Die Motive lokalpolitischen Handelns 1 Eigeninteressen und Nutzenmaximierung ................................................... 185 1.1 Interessen in verschiedenen Handlungsbereichen ....................................... 187 1.2 Von individuellen zu kollektiven Interessen und sozialen Strukturen ........ 188 1.3 Eigentliche und uneigentliche Interessen .................................................... 189 1.4 Enge und weite Interessen ........................................................................... 190 1.5 Offene (subjektive) und verdeckte (objektive) Interessen ........................... 191 1.6 Zusammenfassung ....................................................................................... 192 2 Soziale Normen (generalisierte Verhaltenserwartungen) ............................ 193 2.1 Die zeitliche Dimension sozialer Normen ................................................... 198 2.2 Die sachliche Dimension sozialer Normen ................................................. 199 2.3 Die soziale Dimension sozialer Normen ..................................................... 200 2.4 Die raumliche Dimension sozialer Normen ................................................ 202 2.5 Die Dimension der Latenz sozialer Normen ............................................... 202 Inhaltsverzeichnis 7 2.6 Der Grad der Prazision sozialer Nonnen .................................................... 202 2.7 Der Grad der Konformitat mit sozialen Normen ......................................... 203 2.8 Zusalnmenfassung ....................................................................................... 203 3 Kulturelle Werte .......................................................................................... 205 3.1 Werte und Kultur als ideologischer Uberbau .............................................. 206 3.2 Werte und Kultur als Weichensteller .......................................................... 207 3.3 Werte und Kultur in der Theorie der Postmodeme ..................................... 209 3.4 Werte und Kultur als starke "Quellen des Selbst" ....................................... 210 3.5 Zusammenfassung ....................................................................................... 213 4 Kommunikation ........................................................................................... 215 4.1 Einfluss versus Einverstandnis .................................................................... 215 4.2 Die strukturellen Komponenten der Lebenswelt ......................................... 216 4.3 Das Interesse an Kommunikation in der Lokalpolitik ................................. 217 4.4 Zusammenfassung ....................................................................................... 218 5 Kreativitat. ................................................................................................... 220 5.1 Jenseits des Funktionalismus ...................................................................... 220 5.2 Die phanomenale Vielfalt des Handelns ..................................................... 221 5.3 Kreatives (nicht-teleologisches) Handeln in der Lokalpolitik ..................... 224 5.4 Zusammenfassung ....................................................................................... 227 Dritter Teil-OkoDomie, Staat, Kultur, Zivilgesellschaft uDd Lokalpolitik 1 Okonomie und Lokalpolitik ........................................................................ 231 1.1 Die Waschmaschinenfabrik ......................................................................... 232 1.2 Fettrecycling ................................................................................................ 235 1.3 Die kommunale Wohnungsbaugesellschaft und ihre Mieter ....................... 237 1.4 Die Einkaufszentren auf der griinen Wiese ................................................. 238 1.5 Die Altstadtsanierung .................................................................................. 242 1.6 Zusammenfassung ....................................................................................... 244 2 Staat (staatliche Administration) und Lokalpolitik ..................................... 249 2.1 Staatliche Aktivierung versus Verstaatlichung der Gesellschaft ................. 250 2.2 Demokratische Kontrolle versus Vergesellschaftung des Staates ............... 252 2.3 Zusammenfassung ....................................................................................... 252 3 Zivilgesellschaft und Lokalpolitik ............................................................... 254 3.1 Sozialraumliche Identifikationsmuster ........................................................ 255 3.2 Generation ................................................................................................... 260 3.3 Geschlecht ................................................................................................... 264 8 Inhaltsverzeichnis 3.4 Erlebnis-und Freizeitgemeinschaften ......................................................... 265 3.5 Not-und Schicksalsgemeinschaften ............................................................ 267 3.6 Zusammenfassung ....................................................................................... 268 4 Kultur und Lokalpolitik ............................................................................... 272 4.1 Alltagskultur und soziale Anerkennung (expressive Standards) ................. 273 4.2 Moralitat und Glaubensfragen (evaluative Werte) ...................................... 275 4.3 Politische Symbole und Programme (kognitive Ideen) ............................... 277 4.4 Zusammenfassung ....................................................................................... 281 Schluss -Der "Stand der Demokratie" in der K1einstadt Fragestellung ............................................................................................... 284 I Die okonomische Theorie der Demokratie .................................................. 285 1.1 Interessenpolitik in der Kleinstadt.. ............................................................. 286 1.2 Ideologie in der Lokalpolitik ....................................................................... 287 1.3 Die "Motivation des Parteihandelns" .......................................................... 287 2 Die normativistische Demokratietheorie ..................................................... 289 2.1 Vier zentrale sozialstrukturelle Konfliktlinien in der Lokalpolitik ............. 290 2.2 Die Suche nach der iibergreifenden, universalen Gemeinschaft ................. 292 3 Die kommunitaristische Demokratietheorie ................................................ 295 3.1 Die Politik der "Differenz" und "Anerkennung" in der Lokalpolitik .......... 296 4 Die deliberative Demokratietheorie ............................................................ 299 4.1 Das "Zustandekommen" kommunikativer Macht in der Kleinstadt.. .......... 300 4.2 Funktionsprobleme der Okonomie und groBer Organisationen .................. 302 4.3 Probleme sozialer und kultureller Integration ............................................. 303 5 Die dialogische oder reflexive Demokratietheorie ...................................... 305 5.1 Individualisierung, Subpolitik und aktives Vertrauen in der Lokalpolitik ....................................................................................... 306 5.2 Die Reflexe der etablierten Politik .............................................................. 308 5.3 Glokalisierung ............................................................................................. 311 6 Fazit ............................................................................................................. 313 Endnoten ..................................................................................................... 315 Literaturverzeichnis ..................................................................................... 352 Personenverzeichnis .................................................................................... 379 Verzeichnis der Gruppendiskussionen und Interviews ............................... 385 Vorwort Die vorliegende empirische Studie wurde im Rahmen einer Seminar- und Projekt reihe am Lehrstuhl Allgemeine Soziologie der Universitat Potsdam zwischen 1997 und 2000 erarbeitet. Theoretische und empirische Fragestellungen dazu wurden im Wintersemester 1996/97 im Seminar Die Soziologie der Kleinstadt entwickelt. Daraufhin wurde wahrend des Sommersemesters 1997 im ersten Teil des Lehrforschungsprojektes Die kommunikative lnfrastruktur einer Kleinstadt in Brandenburg und von der Pro jektgruppe Kleinstadt (mit finanzieller Unterstlitzung der Thyssenstiftung) die Erhe bung des empirischen Materials (Gruppendiskussionen und Experteninterviews) durchgefiihrt. 1m zweiten Teil dieses Lehrforschungsprojektes (Wintersemesters 1997/98) wurden die erhobenen Interviews ausgewertet und die gewonnen Erkennt nisse in studentischen Projektberichten prasentiert. 1m Sommersemester 1998 wurde von sozialwissenschaftlichen Methodenklassen der Universitat Potsdam zusatzlich ein Fragebogen in Luchow erhoben. Gleichzeitig wurden im Seminar Die Sozi%gie der ZivilgesellschaJt theoretische Kontexte zum Thema politische Motivation und Aktivitat reflektiert. Den groJ3ten Teil des vorliegenden Textes habe ich als John F. Kennedy Memo rial Fellow (DAAD) am Center For European Studies, Harvard University (Septem ber 1998 bis Juni 1999) geschrieben und dort in Form von Vortragen zur Diskussion gestellt. Ich bedanke mich bei allen Diskutanten. Mein besonderer Dank gilt Prof. Stefan Kahlberg (Boston University) und den Kennedy Fellows Mathias Bos (Uni versitat Heidelberg) und Oliver Schmidtke (University of Victoria) fUr ihre Kom mentare und ftir die vielen Brown Bag Lunch-Diskussionen am Center For Europe an Studies. ZurUck in Potsdam wurde wahrend des Wintersemesters 1999/2000 das gesamte Manuskript im Seminar Soziale Chancen und Restriklionen politischer Aktivildt von Studenten/innen gelesen und diskutiert. Der Theorieteil wurde auJ3erdem wahrend des Sommersemesters 2000 im Seminar Interessen, Normen, Werle und Identitdt besprochen. Mein Dank gilt allen Studenten/innen, die an der Durchftihrung der Studie betei ligt waren. Ohne die studentische Mitarbeit ware diese Arbeit nicht zustande ge kommen. Mein spezieller Dank gilt Angela Spruch, Alexander Mewes, Stefan Han sen und Michael Lohmann, die in fast allen Seminaren mitgearbeitet haben, und Prof. Erhard StOlting, der dem Projekt aile mogliche institutionelle Unterstlitzung gewahrt und selbst - zusammen mit Studentenlinnen im Lehrforschungsprojekt - Interviews interpretiert hat. Ferdinand SutterlUty sowie Ralf Schimmer danke ich fUr kritische Anmerkungen zum Empirieteil. Peter Richter sowie Michael SchUler fUr die Besprechung des The- 10 Vorwort orieteils. Bei meiner Frau Cornelia Geis bedanke ich mich dafUr, dass sie das Projekt aus ihrer Perspektive als lournalistin kritisch begleitet hat. Einleitung Aus welchen Motiven oder Beweggrtinden engagieren sich BUrger in der Lokalpoli tik? Welche Mechanismen politischer und zivilgesellschaftlicher Handlungskoordi nation (soziale Ordnung), welche Formen politischer Auseinandersetzung (soziales Handeln) und welche ProblemlOsungskompetenzen (sozialer Wandel) charakterisie ren die Lokalpolitik? Bearbeitet wird die Frage nach dem "Stand der Demokratie in der Kleinstadt" am Beispiel der Stadt Luchow (10.500 Einwohner) (dieser Name ist eine Maske) in Brandenburg aus vier verschiedenen Perspektiven: 1m Ersten Teil dieser Stu die wird die Motivation und Koordination lokalpoliti scher Handlungen einzelner Akteure und politischer Gruppen rekonstruiert: Warum sind BUrger in Luchow bei der PDS, FOP, SPD, CDU, bei den BUndnisgrtinen, dem BUrgerbUndnis freier Wahler und der Interessengemeinschaft Altstadt aktiv gewor den? Welche Problemfelder werden lokalpolitisch verhandelt und welche Ergebnisse werden dabei erzielt? Wie interagieren Lokalpolitiker miteinander, mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und mit der Offentlichkeit? Wie verandem sich politische Identitaten und Institutionen im politischen Prozess? Antworten darauf werden auf der Mikroebene biographischer Orientierung, auf der Mesoebene lokal politischerKommunikation und auf der Makroebene landes- und bundespolitischer Strukturchancen bzw. Strukturzwange gesucht. I Die empirischen Befunde des Ersten Teils zeigen, dass es in der Lokalpolitik nicht allein urn "Interessen", urn strategische "Macht" und urn "Einfluss" geht, son dem auch urn den Erhalt oder urn die Emeuerung der "sozialen Normen" des Ge meinschaftslebens, urn die Definition demokratischer "Werte", urn die Anerkennung kultureller Besonderheiten, urn Fragen der "Gerechtigkeit" und urn die Einlosung von "IdentitatsansprUchen". FUr die Theoriebildung folgt daraus, dass der "Stand der Demokratie in der Kleinstadt" und die "Motivation lokalpolitischen Handelns" nur dann analytisch erfasst und diagnostisch beurteilt werden kann, wenn auf die allge meine soziologische Handlungstheorie zurtickgegriffen wird. Deshalb werden im Zweiten Teil dieser Arbeit die ftinf wichtigsten Handlungsbegriffe der Soziologie (Interessen, Normen, Werte, Kommunikation und Kreativitat) kurz charakterisiert und auf das Thema "Iokalpolitisches Handeln" zentriert. Die Nutzlichkeit der entwickelten Begriffe wird dann im Dritten Teil getestet, wenn nach der Bedeutung der Lokalpolitik in der komrnunikativen Infrastruktur Luchows gefragt wird. Untersucht wird, ob und wie okonomische, administrative, soziale und kulturelle Problemstellungen von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Gemeinschaften aufgegriffen und Offentlich oder zumindest subOffentlich verhandelt werden und welche Komrnunikationsstrukturen dabei zwischen Okonomie, staatli cher Verwaltung, Zivilgesellschaft, Kultur und Lokalpolitik entstehen.