128 Das traumatisierte Abdomen H. Wiesinger Einleitung Das «traumatisierte Abdomen» stellt eine besondere Herausforderung im chirurgi- schen Alltag dar, ist doch die Gewalteinwirkung auf das Abdomen ein ständig ak- tuelles Thema. Dabei sind rasche sichere Diagnostik, zielstrebige Indikationsstel- lung zur Operation und schließlich die adäquate chirurgische Versorgung der intraabdominellen Verletzung von gleichrangiger Bedeutung. Kein Chirurg kann sich dieser Aufgabe entziehen, wobei darauf hingewiesen werden muss, dass der Bauchchirurg die besten Voraussetzungen mitbringt, das traumatisierte Abdomen sicher zu diagnostizieren und erfolgreich zu behandeln. Im Rahmen einer retrospektiven Auswertung unfallbedingter abdomineller Ver- letzungen sollen angeregt von H. Hyden †, die Ergebnisse einem breiteren Publi- kum zugänglich gemacht und der Versuch einer Standortbestimmung der heute gängigen diagnostischen und therapeutischen Verfahren vorgenommen werden. Die Ausführungen gliedern sich in einige kurze, wesentlich erscheinende An- merkungen zur Epidemiologie Diagnostik und schließlich, bezugnehmend auf das eigene Krankengut, in einem kurzen Streifzug durch die spezielle Therapie der ein- zelnen intraabdominellen Erkrankungen. Durch die technischen Entwicklungen auf zahlreichen Gebieten haben sich die Ursachen für Bauchtraumen -es sei nur an Verkehr, Arbeitswelt und Waffentechnik erinnert- stark gewandelt. All diese Ursachen lassen sich jedoch auf drei wesentli- che Prinzipien zurückführen, nämlich auf die Einwirkung - scharfer - spitzer - stumpfer Gewalt Während sich die Ärzte in den zwei Weltkriegen überwiegend mit den Folgen spit- zer und scharfer Gewalt (penetrierender) Verletzungen -wozu auch Schuss- und Splitterverletzung gerechnet werden) auseinanderzusetzen hatten, ist die gegen- wärtige Situation durch das überwiegen stumpfer Bauchtraumen etwa im Verhält- nis 1:10 zu den penetrierenden Verletzungen gekennzeichnet. Schuss- bzw. Stichverletzungen entstehen in Friedenseiten hauptsächlich durch kriminelle Akte, unsachgemäßen Umgang mit Waffen und Suizidversuchen. Über umfangreichere Erfahrungen mit Schussverletzungen und entsprechend hohen Fallzahlen berichten lediglich Kliniken aus den USA, offensichtlich aus Re- gionen mit besonders hoher krimineller Potenz. 1 Kapitel 28 Version 1.0 Stand 1988 2 H. Wiesinger Ursache stumpfer Verletzungen sind in erster Linie Verkehrsunfälle, gefolgt von Arbeitsunfällen und Unfällen aus dem privaten Bereich. An der Allgemeinchirurgischen Abteilung des Allgemeinen öffentlichen Kran- kenhauses der Barmherzigen Schwestern vom Hl. Kreuz wurden zwischen dem 1. Jänner 1975 und dem 30. April 1988 37.936 Operationen durchgeführt. 185 (0,5% der Operationen) erfolgten wegen einer tatsächlichen oder vermuteten Bauchver- letzung, wobei es sich um 128 Männer und 28 Frauen handelte. (Polytraumatisierte Patienten mit Abdominalverletzungen die unmittelbar nach der Einlieferung verstarben und einer chirurgischen Intervention nicht mehr zuge- führt werden konnten, sind dabei nicht berücksichtigt Folgende Organe in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit waren betroffen Tabelle 1. Milz 46 29,5% 36 Männer 10 Frauen Leber 43 27,6% 29 Männer 14 Frauen Dünndarm, Mesenterium 21 13,5% 18 Männer 3 Frauen Omentum 8 5,1% 7 Männer 1 Frau Zwerchfell 6 3,8% 5 Männer 1 Frau Pankreas 5 3,2% 3 Männer 2 Frauen Gallenblase 4 2,6% 4 Männer Magen 3 1,9% 3 Männer Kolon 3 1,9% 2 Männer 1 Frau Gefäße 3 1,9% 2 Männer 1 Frau Duodenum 2 1,3% 1 Mann 1 Frau Diese Häufigkeitsverteilung zeigt eindrucksvoll die zu erwartenden Verletzungen und das diagnostische und therapeutische Schwergewicht. Die parenchymatösen Organe des Oberbauches -Leber und Milz- sind von der Lage und Konsistenz am meisten gefährdet, wobei offensichtlich weniger die Lokalisation als die Konsistenz das gefährdende Moment erscheint, wie das seltenere Auftreten von Verletzungen anderer Oberbauchorgane wie Magen und Pankreas zeigt. Ausnahmen sind umschriebene Einwirkungen wie bei Sturz auf prominente Ge- genstände (Fahrradlenker oder Fußtritte). Abschließend soll noch die Pfählungsverletzung erwähnt werden (11 Patienten im eigenen Krankengut), die zu Verletzungen der sonst gut geschützten Organe des kleinen Beckens führen können. Die Ursache ist in der Regel ein Sturz auf ei- nen prominenten Gegenstand, wobei sich in der rechtsmedizinischen Literatur auch eine beträchtliche Anzahl von Kasuistiken findet, wonach Verletzungen in diesem Bereich durch ungewöhnliche sexuelle Praktiken hervorgerufen werden. Diagnostik Durch den durch ein Abdominaltrauma eventuell hervorgerufenen lebensbe- drohlichen Zustand und den gleichzeitig bestehenden erheblichen diagnostischen Schwierigkeiten sind rasche diagnostische Abklärung in Kombination mit ersten therapeutischen Maßnahmen nötig. 28 Das traumatisierte Abdomen 3 Für das Erkennen der Prioritäten ist die Beantwortung von vier Fragen wichtig: 1. Ist der Patient unmittelbar vital bedroht? D.h. besteht eine Ateminsuffizienz, ein Schock (Kreislaufinstabilität) oder eine Bewusstlosigkeit. Besteht z.B. eine Ateminsuffizienz und ein Schockzustand, so ist als erste diagnostische Maßnahme eine Thoraxdurchleuchtung, im AnschIuß daran eine sonographische Untersuchung des Abdomens oder eine Peritoneal- lavage durchzuführen. Die beiden Schritte haben bei einer eventuell gleichzeitig vorliegenden Bewusstlosigkeit absolute Priorität vor Abklärung der Ursache der Bewusstlosigkeit durch eine Computertomographie. 2. Ist der Patient akut gefährdet? Eine akute Gefährdung besteht bei Hinweis auf Blutung oder bei Vorliegen einer Schuss- und Stichverletzung der Bauchregion. 1. Besteht eine Gefährdung des Patienten im weiteren Verlauf? Hier kommen nun die Erhebung der Anamnese und die eingehende klinische Untersuchung zu ihrem Recht, weiters der Einsatz von apparativen Hilfsmitteln zur Einengung der differentialdiagnostischen Möglichkeiten und um zu einer eindeutigen Diagnose zu gelangen. Zur Verfügung stehen hier die entsprechen- den Laboruntersuchungen (Blutbild, Amylase, Transaminasen) und röntgenolo- gische Methoden wie Sonographie, Computertomographie, Abdomenübersichts- aufnahme und Angiographie), wobei je nach Verletzungsart eine unterschiedli- che Aussagekraft der einzelnen Untersuchungen besteht. 3. Muss der Patient weiter stationär überwacht werden? Die Entscheidung darüber besteht aus einer kritischen Wertung der erhobenen Befunde, wobei ein vollständiger «Fragenkatalog» für alle Situationen nicht auf- gestellt werden kann, da verschiedenste Aspekte von Wichtigkeit sein können (wie z.B. hämatologische Systemerkrankung und Bauchtrauma, Gerinnungsstö- rung und Bauchtrauma). Weiters kann die Schwere des Traumas allein eine sorgfältige stationäre Beobachtung rechtfertigen (wie bei überrollt werden, Sturz aus großer Höhe). Blutungsdiagnostik im Abdomen Die Sonographie als Konkurrenzverfahren zur anschließend besprochenen Perito- neallavage gewinnt bei steigender Treffsicherheit in der Erkennung einer abdomi- neller Blutungen zunehmend an Bedeutung. Sonographie Vorteile - Nichtinvasivität - schnelle Durchführbarkeit - hohe Treffsicherheit bei freier Blutung –der Blutungsnachweis gelingt ab einem Volumen von 200ml: sicher - mögliche Organdiagnostik (bei eventuell vorliegenden subkapsulären Hämato- men 4 H. Wiesinger - keine bekannten Nebenwirkungen Nachteile - Notwendigkeit eines erfahrenen Untersuchers und eventuell - der höhere Anschaffungspreis der notwendigen Geräte Steht jedoch ein Sonographiegerät am Ort der Erstuntersuchung und ausreichend geschultes Personal zur Verfügung, so ist die sonographische Untersuchung die sicherste und einfachste Methode, Blutungen, die eine Kreislaufinstabilität verur- sacht, zu diagnostizieren. Peritoneallavage Besteht keine Möglichkeit zur unmittelbaren sonographischen Untersuchung, erfüllt die von Root 1965 eingeführte Peritoneallavage die Kriterien nach rascher, scho- nender und aussagekräftiger Diagnostik vital bedrohlicher intraperitonealer Blutun- gen. Kontraindikationen sind lediglich eine eindeutige massive intraperitoneale Blu- tung bzw. andere Abdominalverletzung (penetrierende Verletzung), multiple vor- ausgegangene Laparotomien und die Gravidität. Technik der Peritoneallavage Nach Katheterisierung der Harnblase wird unter sterilen Bedingungen in Lokal- anästhesie zwei Querfinger unterhalb des Nabels eine kleine Stichinzision ange- legt und ein trokarbewehrter Peritoneallavagekatheter ins Abdomen vorgeschoben. Fördert der Katheter sofort Blut, wird der Eingriff als positiv beendet. Kommt kein Blut, so wird beim Erwachsen mit 1000ml Kochsalzlösung über den liegenden Ka- theter gespült. Die positive Bewertung erfolgt nach folgenden Kriterien: Blutige Verfärbung der zurückgeronnenen Spülflüssigkeit, wobei das Vorgehen nach Olsen am weitesten verbreitet ist. Eine unter den Lavagekatheter gehaltene, nicht mehr lesbare Schrift wird als deutlich positives Kriterium bewertet, als schwach positiv gilt die noch les- bare Schrift bei fleischwasserfarbener Spülflüssigkeit ein klarer Rückstrom ist als negatives Ergebnis anzusehen, als positiv zu werten wäre auch eine gallige Ver- färbung der Spülflüssigkeit, Abfließen der Spülflüssigkeit über den liegenden Bla- senkatheter oder über eine zuvor gelegte Thoraxdrainage. In allen Fällen, bei denen die Lavage nicht zur sofortigen Laparotomie führt, soll- te die Spülflüssigkeit im Labor auf Leukozyten, Bakterien, Amylase und Fasern im Sediment untersucht werden. Als Fehlerquellen wären zu nennen: - die Fehlpunktion von Harnblase und intraperitonealer Organen - dass der Katheter nicht in der freien Bauchhöhle liegt - das Vorliegen ausgedehnter Beckenfrakturen mit ausgedehnten retroperitonea- len Hämatomen - die ausgedehnte Zwerchfellruptur mit Verlagerung verletzter intraabdomineller Organe, wodurch ein falsch negativer Befund vorgetäuscht werden kann - die Spülung mit zu kleinen Flüssigkeitsmengen. Methodisch bedingte Grenzen sind der Peritoneallavage bei retroperitonealen Duo- denalverletzung, beim Vorliegen subkapsulärer Milz- und Leberhämatome und bei Pankreasverletzungen gesetzt. 28 Das traumatisierte Abdomen 5 Vorteile Die Vorteile gegenüber der Sonographie - ubiquitärer Einsatz - Unabhängigkeit vom Untersucher - bei langdauernden Simultanoperationen (Schädel-, Thorax- Extremitätenverletz- ungen) als verlässlicherer Indikator einer zweizeitigen Organverletzung Schlussfolgerungen Die klinischen und laborchemischen Untersuchungen sind wenig verlässlich in der Diagnostik innerer Organverletzungen nach stumpfem Bauchtrauma. In der tägli- chen Praxis hat die Sonographie als Screeningverfahren mittlerweile die Lavage in ihrer Bedeutung als diagnostischen Schritt der ersten Wahl zurückgedrängt. Bei Verdacht auf innere Organläsionen wird in erster Linie sonographiert und nur bei fraglichem Befund die diagnostische Lavage durchgeführt. Ca. 80% der betroffe- nen Patienten kann damit die zwar komplikationsarme, aber im Gegensatz zur So- nographie nicht komplikationslose Peritoneallavage erspart werden. Die oben angeführten Untersuchungsmethoden erweitern das diagnostische Spektrum, können jedoch den sicheren Ausschluss einer Organverletzung nicht immer garantieren. Wenn deshalb Art und Gewalt des Traumas sowie die klinische Beobachtung mit großer Wahrscheinlichkeit für die Verletzung eines inneren Or- gans sprechen, ist die frühzeitige diagnostische Laparotomie indiziert, auch wenn mit den verfügbaren diagnostischen Mitteln eine abdominelle Organverletzung nicht nachgewiesen werden kann. Es gibt keine Statistiken, die beweisen, dass Traumapatienten an den direkten Folgen einer diagnostischen Laparotomie ohne intraabdominellen Befund sterben. In der täglichen Praxis sieht man jedoch immer wieder, dass eine verspätete Laparotomie den Tod des Patienten mitverschulden kann. Diese Fakten gilt es schließlich gegeneinander abzuwägen. Das Zitat: «Nicht weiter diagnostizieren, sondern laparotomieren», sollte auch im Zeitalter moderns- ter bildgebender Verfahren im Zweifelsfall beherzigt werden. Spezielle Therapie intraabdomineller Verletzungen Vorbemerkungen 185 Abdominalverletzungen oder klinisch suspekte Abdominalverletzungen ein- schließlich der perianalen Pfählungsverletzungen wurden an der Allgemeinchirur- gischen Abteilung unseres Krankenhauses zwischen dem 1.1.1975 bis einschließ- lich 30.4.1988 versorgt. Anhand dieser Verletzungen sollen nun die Therapie, die therapeutischen Be- sonderheiten und auch einige Raritäten gut dargestellt werden. Von diesen 185 abdominalverletzten Patienten wiesen 139 ein- oder mehrere intraabdominelle Organverletzungen auf. 12 Patienten wurden laparotomiert, ohne dass der klinische Verdacht auf eine BauchverIetzung bestätigt werden konnte. Die Operation wurde als Probelaparotomie abgeschlossen. 20 hatten penetrierende 6 H. Wiesinger Verletzungen der Bauchwand durch Schuss, Stich oder Kontusion ohne eine intraabdominelle Organverletzung. Als Kuriosität einer penetrierenden Verletzung ist die Penetration eines Splitters durch die Bauchwand, verursacht durch einen Hammerschlag auf ein Eisenstück zu erwähnen, der Splitter steckte nach Penetration durch die gesamte Bauchwand, ohne eine Organverletzung zu verursachen, im großen Netz. Vier Patienten mussten nach einer Kontusio abdominis wegen eines konservativ nicht beherrschbaren paralytischen Ileus laparotomiert werden. Die Therapie be- stand in Enterotomie, Absaugung und transcoecaler doppelläufiger Dünndarm- schienung. 12 Patienten hatten eine perianale Pfählungsverletzung, wobei in drei Fällen neben der exakten perianalen Revision und Versorgung eine temporäre axiale Ko- lostomie angelegt werden musste. Organverletzungen2 Milz Schon Plinius hat die Milz als lästiges Organ und als Hindernis für Läufer be- schrieben, da es zu Seitenstechen führen kann. Auch für Galen war die Milz ein «mysteiri, plenum organon» -ein geheimnisvolles Organ. Man machte sich deshalb bis vor nicht allzu langer Zeit über die Entfernung des Organs bei Milzverletzungen keine Gedanken, zumal man unstrittig auch ohne Milz leben kann. In den letzten zehn Jahren ist jedoch ein entscheidender Wandel ein- getreten, der folgende Grundlagen hat: - Neuere Erkenntnisse über die Funktion der Milz bzw. über die nachteiligen Fol- gen ihres Verlustes, wie z.B. das erhöhte Infektionsrisiko, haben das Bedürfnis für organerhaltende Maßnahmen geweckt. - Wieder aufgefrischte anatomische Kenntnisse über die segmentäre Gefäßver- sorgung der Milz mit quer zur Milzlängsachse verlaufenden gefäßarmen Zonen (durch Einrisse in der Querachse werden dadurch weniger starke Blutungen verursacht als durch Einrisse in der Längsachse) haben den Weg für erfolgrei- che Teilresektionen des Organs bereitet. - Die Fortschritte in der lokalen Blutstillung an verletzten parenchymatösen Orga- nen, wie Fibrinkleber oder Infrarotkoagulation, haben neue Möglichkeiten zur Erhaltung der verletzten Milz geschaffen. Zunächst wurde diese Entwicklung vor allem von Kinderchirurgen vorangetrieben, da in der Pädiatrie die z.T. letalen Folgen des Milzverlustes seit langem unbestritten sind. Die leicht zerreißbare Kapsel und das verhältnismäßig unelastische Parenchym, sowie die meist doch erheblichen Parenchymzerreißungen bei den zur Operation kommenden Milz- rupturen, stehen häufig rekonstruktiven Maßnahmen entgegen. Aufgrund dieser Vulnerabilität ist der Anteil der Milzverletzungen im Vergleich zur anderen intraabdominellen Organverletzungen beim stumpfen Bauchtrauma mit 30% auch im eigenen Krankengut besonders hoch. 2 in der Reihenfolge der Häufigkeit ihrer Verletzung 28 Das traumatisierte Abdomen 7 Klassifikation der traumatischen Milzrupturen Die Klassifikation erfolgt nach dem Zeitpunkt der Blutung -einzeitige und zweizei- tige Milzrupturen (bei der zweizeitigen Milzruptur kommt es erst zu einem späteren Zeitpunkt -nach einem freien Intervall, das Stunden bis längstens fünf bis sechs Wochen dauern kann- zur sekundären Zerreißung der Kapsel). Die zweizeitige Ruptur trat im eigenen Krankengut in etwa 6% aller Milztraumen auf. Durch Ultra- schall und Computertomogramm konnte in den letzten Jahren gezeigt werden, dass Milzhämatome nicht selten sind. Der Trend zu organerhaltenden Maßnahmen hat in letzter Konsequenz zur konservativen Behandlung dieser gesicherten Fälle geführt. Ein solches Vorgehen kann nun in Erwägung gezogen werden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: - es darf sich nur um ein stumpfes, nicht um ein penetrierendes Bauchtrauma handeln - es darf keine ausgedehnte Zertrümmerung oder totale Devaskularisation der Milz vorliegen - es müssen stabile Kreislaufverhältnisse bestehen bleiben, ohne dass mehr als 1500ml kristalloider Volumenersatz erforderlich sind - es müssen stabile Hb Werte erhalten werden, ohne dass mehr als zwei Blutkon- serven transfundiert werden müssen - es darf keine Änderung der Bewußtseinsänderung eintreten, die eine klinische Beurteilung des Abdomens im weiteren Verlauf beeinträchtigen könnte - es darf keine Gerinnungsstörung vorliegen - es darf kein Verdacht auf intraabdominelle Begleitverletzungen bestehen - bei geringstem Zweifel sollte die diagnostische Punktion und Spülung mit Labor- analysen der Spülflüssigkeit durchgeführt werden Sind die oben aufgelisteten Voraussetzungen erfüllt, so kann trotz gesicherter Milz- ruptur zunächst eine strenge klinische Beobachtung, am besten auf einer Wach- station, durchgeführt werden. Der Verletzte muss etwa 48h strenge Bettruhe ein- halten. Bei stabilen Verhältnissen ist dann die Verlegung auf eine normale Station möglich. Während früher eine weitere stationäre Überwachung von bis zu drei Wo- chen erfolgte, wird jetzt eine Woche für ausreichend gehalten. Körperliche Scho- nung und insbesondere das Meiden sportlicher Betätigung sind für die nächsten sechs Wochen vorgeschrieben. Sonographische Spätkontrollen dienen dem Nach- weis bzw. Ausschluss von Zysten. Bei einer Vergrößerung des Hämatoms im Rahmen der stationären Beobachtung sollte die Splenektomie bereits im Intervall erfolgen. operative Behandlung der Milzruptur In der Regel wird bei unklarer Diagnose der Medianschnitt oder bei diagnostizierter Milzverletzung der linksseitige Rippenbogenrandschnitt bzw. Oberbauchquerschnitt zu bevorzugen sein. Nach Eröffnung der Bauchhöhle wird die freie Blutmenge im Bauchraum abgesaugt. Parallel dazu wird versucht, die Milz und die anderen pa- renchymatösen Organe erneut zu beurteilen, um die Diagnose und das Ausmaß der Traumatisierung zu überprüfen. Oberstes Ziel der chirurgischen Maßnahme ist die möglichst rasche Blutstillung, entweder durch Okklusion des Milzhilus bei arte- rieller Blutung oder durch Tamponade bei venöser Blutung. Ist die Blutung massiv, wird die Milz rasch stumpf mit der Hand aus ihren Adhäsionen im linken Subphre- nium gelöst und nach vorne gewälzt und exstirpiert. 8 H. Wiesinger Bei geringerer Blutung sollte die Milz behutsam mobilisiert und die dorsalen und kranialen Aufhängebänder (Lig. splenorenale, Lig. phrenikolienale, Lig. Lienokoli- kun und Lig. gastrolienale) gelöst werden. Erst dann kann die Milzverletzung nach folgenden Kriterien angegeben werden: - nicht mehr blutende Kapselrisse, die keiner chirurgischen Versorgung bedürfen. - Kapselrisse oder Abrisse mit aktiver Blutung, die mit lokalen blutstillenden Maß- nahmen versorgt werden können - Parenchyrneinrisse, die mit Naht oder lokalen blutstillenden Maßnahmen oder mit einer Kombination beider Verfahren versorgt werden können - tiefe Parenchymverletzungen, die eine Teilresektion erforderlich machen - ausgedehnte Verletzungen wie Zertrümmerung und hilusnahe Verletzungen, die eine Splenektomie unumgänglich machen Indikationen und Kontraindikationen für milzerhaltende Verfahren Es besteht derzeit Übereinstimmung darüber, dass in jedem Falle einer Milzruptur zunächst der Versuch, das Organ zu erhalten, insbesondere bei Kindern in der Al- tersgruppe unter fünf Jahren, aber auch bei Erwachsenen wenn immer möglich, unternommen werden muss. Als oberster Grundsatz gilt jedoch, dass das Risiko der Milzerhaltung nicht das Risiko des Verlustes dieses Organs übersteigen darf. Deshalb werden folgende Ausnahmen genannt: - unstillbare Blutungen aus der Milz bei größeren hilusnahen Verletzungen oder - Berstungen mit Milzfragmentation bzw. Zertrümmerung - lebensbedrohliche Begleitverletzungen - Milzbefall im Rahmen von Systemerkrankungen - zerreißliche kollagenarme Milzen wie z.B. bei Antirheumatikaeinnahme oder Sepsis - Antikoagulantientherapie bzw. Gerinnungsstörung - Begleitverletzungen, deren Versorgung sehr zeitaufwendig ist wie Verletzungen des Pankreas oder Mehrfachverletzungen technische Möglichkeiten zur Milzerhaltung - Infrarotkoagulation, Heißluftkoagulation Bei der Infrarotkoagulation steht das therapeutische Prinzip im Andruck einer Kontaktfläche auf das Gewebe und der gleichzeitigen Lichtemission in das Ge- webe, welches den Lichtimpuls in Hitze umwandelt und dabei eine Blutstillung herbeiführt. Bei den derzeit zur Verfügung stehenden Koagulatoren wird eine Koagulationstiefe von 7-8mm erreicht. Die Andruckfläche des Saphirkristalls misst 2cm2 und hat einen Durchmesser von 16mm. Als Lichtquelle dient eine Wolfram Halogenglühlampe mit einer Leistung von 350 Watt. Bei der Heißluftkoagulation, die im Gegensatz zur Infrafrarotkoagulation kei- ne glatte Oberfläche benötigt. wird mit einem sterilisierbaren Gerät ein laminarer Heißluftstrom (30l/min, 500°C) auf die blutende Parenchymläsion gerichtet. Dort wird das Gewebe auf 70° erhitzt was durch oberflächliche Koagulations- nekrosen zur Blutstillung führt - Klebung Unter temporärer digitaler Kompression am Milzhilus werden die vorbereiteten und auf 37° erwärmten zwei Komponenten des Fibrinklebers (Humanfibrinogen und Aktivator) über ein spezielles Spritzenset auf den Riss aufgebracht. 28 Das traumatisierte Abdomen 9 - Kapselnähte Bei oberflächlicheren Rupturen, insbesondere bei Kindern kann die Milzkapsel mit resorbierbarem Nahtmaterial mittels so genannter Matratzennähte oder ge- kreuzter Einzelknopfnähte genäht werden. Die Naht kann zusätzlich noch durch einen Netzzipfel oder durch einen Peritonealpatch abgesichert werden. - Teilresektion der Milz Bei Parenchymlaesionen am kranialen oder kaudalen Milzpol kann nach Mobili- sierung und Präparation des Milzhilus eine Segmentarterie ligiert und der Milz- pol mittels eines Ultraschallskalpells oder Laserskalpells an der Grenze vom de- vitalen zum vitalen Gewebe reseziert werden. Blutstillung wiederum mit den oben erwähnten Maßnahmen. Es sollten dabei mindestens 50% der Milz erhal- ten bleiben, um eine ausreichende Filterfunktion zu gewährleisten. Ausgedehn- tere Resektionen sind nicht sinnvoll. Angesichts der unbestrittenen Risken nach Milzverlust (in der Literatur wird immer wieder über erhöhte Komplikationsraten durch Thrombosen und Embolien aufgrund der erhöhten Thrombozytenzahl be- richtet, weiters über erhöhte Mortalitätsrate durch Pneumonien insbesondere bei Kindern) bietet sich die sogenannte - Autotransplantation bzw. heterotope Replantation des Milzgewebes nach unumgänglicher Splenektomie als ein zunächst viel versprechendes The- rapiekonzept an. Es handelt sich dabei um die Erzeugung einer iatrogenen Splenosis, die nachweisbare Teilfunktionen einer gesunden Milz übernehmen kann. Im Prinzip wird mit einer Raspel oder mit einem Skalpell die exstirpierte Milz verkleinert und das Transplantat in eine Tasche des Omentum majus ein- gebracht. Leider kommt eine Fülle von methodisch exakten Untersuchungen über die Autotransplantation der Milz zu unterschiedlichen und vollkommen wi- dersprüchlichen Ergebnissen. Langzeitbeobachtungen und ausreichend große Patientenzahlen, die belegen könnten, dass der eigentliche Zweck -nämlich der Schutz vor einer Sepsis- erfüllt wird, werden noch lange fehlen. Zweifel an der Effektivität, insbesondere beim Erwachsenen, entstehen deshalb, weil im Ge- gensatz zum Kind der für eine ausreichende Regeneration erforderliche Wachs- tumsreiz entfällt. Fallberichte über letale Sepsis trotz autoptisch nachgewiesener Splenose bestärken ebenfalls Zweifel an der Zweckmäßigkeit des Verfahrens. Weiters weisen neuere Befunde darauf hin, dass durch die Autotransplantation eventuell die Entwicklung von wirksamen Kompensationsmechanismen zur Auf- rechterhaltung der Immunabwehr behindert wird Die zur Verhinderung einer Abwehrschwäche durchgeführte Milzautotransplantation würde also paradoxer- weise das Gegenteil bewirken. Somit kann die Autotransplantation keinesfalls als Routineverfahren bezeichnet werden und sollte nur im Rahmen klinischer Studien Anwendung finden. Eigene Daten Im eigenen Krankengut fand sich bei etwa 30% der Abdominalverletzungen eine Milzruptur, 6% davon zweizeitige Rupturen. Die Behandlung dieser traumatischen Rupturen bestand praktisch immer in der Splenektomie und zwar nicht aus Un- kenntnis oder technischer Nichtbeherrschung der Milzerhaltung, die wir ja bei den zwar seltenen aber immer wieder einmal auftretenden iatrogenen Milzläsionen im Rahmen großer Oberbaucheingriffe in jedem Fall und zwar durch Klebung oder Naht durchführen, sondern aufgrund der doch immer bestehenden erheblichen Milzzertrümmerungen mit Läsionen bis in den Hilus, massiven Blutung aus Hilus- 10 H. Wiesinger gefäßen oder bestehender lebenbedrohlicher Begleitverletzungen, die eine Erhal- tung ganz einfach technisch nicht zugelassen haben. Bei blandem abdominellen Situs verstarben zwei Patienten an einer Broncho- pneumonie als Folge eines gleichzeitig bestehenden Hämatothorax links. Leber Auch bei Leberverletzungen haben sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet der chirurgischen Versorgung Veränderungen ergeben, die die Überlebenschancen bei manchen dieser schweren Verletzungen verbessern. Leberresektionen sind bei der überwiegenden Mehrheit dieser Traumen nicht erforderlich. therapeutische Taktik Beim Lebertrauma, resultiert die unmittelbare Lebensbedrohung aus der Blutung und die spätere aus der Infektion. Die chirurgische Forderung lautet deshalb, die Blutung versorgen und dabei so vorgehen, dass chirurgisch bedingte Infektionsquellen vermieden werden. Die chi- rurgische Versorgung richtet sich nach Art und Ausmaß des Lebertraumas, wobei sich die Einteilung in fünf Schweregrade bewährt hat. - Grad I: Geringfügige oberflächliche Lazerationen mit Kapselriss oder subkapsu- lärem Hämatom. - Grad II: Nicht oder wenig blutende Parenchymrisse, einfache Stichwunden oder kleinkalibrige Schussverletzungen durch Projektile geringer Geschwindigkeit. Makroskopisch erkennbare devitale Leberanteile sind nicht vorhanden. - Grad III: Mehr oder weniger blutende Parenchymrisse oder penetrierende Ver- letzungen, ausgedehnte aber nicht progrediente subkapsuläre Blutungen. - Grad IV: Lappenzerreißung oder progressive zentrale Ruptur. - Grad V: Ruptur von Lebervenen oder der Vena cava inferior. Möglichkeiten der Blutstillung an der Leber - Infrarotlichkoagulation - Fibrinklebung - Oberflächliche Kapsel- Parenchymnaht - Tamponade Anmerkung: Wie anlässlich der Aufenthalte an der Universitätsklinik Erlangen, beim Kongress der deut- schen Gesellschaft für Chirurgie 1988 und beim Österreichischen Chirurgenkongress festgeststellt werden konnte, scheint die vorübergehende Tamponade, eine durch lange Zeit eher obsolete Methode, insbesondere bei venösen oder portalen Blutungen eine Renais- sance zu erleben. Dabei wird die Leber fest mit Bauchtüchern von seitlich her komprimiert bis die Rupturstellen dicht aneinander gepresst werden. Es erfolgt jedoch keine Tamponade des Rupturspaltes. Nach 48h, längstens 72h werden diese Tücher entfernt, wobei die Blutung meist steht. Devitale Leberanteile können dann durch atypische Debridementresektionen so sparsam wie möglich reseziert werden. Mittel der Wahl zur präliminaren Blutstillung ist die vo- rübergehende (digitale) Klemmung des Ligamentum hepatoduodenale, das so genannte Pringle’sche Manöver, wodurch eine zunächst extreme Blutungssituation gemindert werden kann. Eine solche Abklemmung wird über 45-60min folgenlos vom Leberparenchym toleriert.
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