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Das Kleine und das Große: Essays Zur Antiken Kultur Und Geistesgeschichte PDF

172 Pages·2004·4.356 MB·German
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Christian Mueller-Goldingen Das Kleine und das Große Beiträge zur Altertumskunde Herausgegeben von Michael Erler, Dorothee Gall, Ernst Heitsch, Ludwig Koenen, Reinhold Merkelbach, Clemens Zintzen Band 213 Κ · G · Saur München · Leipzig Das Kleine und das Große Essays zur antiken Kultur und Geistesgeschichte Von Christian Mueller-Goldingen Κ · G · Saur München · Leipzig 2004 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2004 by Κ. G. Saur Verlag GmbH, München und Leipzig Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. All Rights Strictly Reserved. Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlages ist unzulässig. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, 99947 Bad Langensalza ISBN 3-598-77825-2 Vorwort Die vorliegenden Essays verfolgen mehrere Ziele: Sie wollen zunächst zeigen, wie originell das antike Denken, insbesondere das der Griechen, auf verschiedensten Gebieten sein konnte. Die Griechen, besonders die Philosophen, waren sich dieser Originalität durchaus bewusst. Und dies zu Recht. In ganz heterogenen Bereichen, von der Mathematik und der Logik bis hin zur Dichtungstheorie leisteten sie Pionierarbeit, immer von der Absicht getragen, nicht nur die Wis- senschaften voranzubringen, sondern auch, zumindest indirekt, gesellschaftlichen Belangen zu nützen. Die dem Denken der Griechen gewidmeten Essays sollen auch zeigen, wie eng auch bei ihnen die Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis sein konnte. Die großen Vorbilder waren in diesem Zusammenhang die Sie- ben Weisen. Die römische Antike soll in diesen Essays ebenfalls zu ihrem Recht kommen. Ein Ziel der den Römern gewidmeten Beiträge besteht darin, zu zeigen, dass die Römer nicht nur besondere Praktiker sein konnten, sondern es auch verstanden, trotz der griechischen Tradition Originelles auf dem Gebiet der Theorie hervor- zubringen. Ein weiterer Zweck besteht in dem Nachweis eines souverän mit Traditionen verfahrenden Denkens der Römer. Essays sollten immer, in der Tradition von Montaigne, Versuche sein, mit denen sich ein Menschenbild beschreiben lässt. Die Anthropologie lässt sich aus dieser Litera- turform nicht ausblenden. Die vorliegenden Essays versuchen, diesem Sachver- halt gerecht zu werden. In ihnen soll auch sichtbar werden, wie der antike Mensch zu verschiedenen Epochen dachte, was er fühlte und wie er sich nicht nur um Theorie kümmerte, sondern wie er den Alltag sah. Der Essay „Auf der Suche nach dem Glück" versucht, den inneren Zusammenhang zwischen Litera- tur und der Alltagswelt aufzuzeigen. Danken möchte ich Herrn Maximilian Braun für wichtige Hinweise, ferner Herrn Clemens Zintzen für die Aufnahme der Essays in die Reihe „Beiträge zur Altertumskunde". Mein Dank gebührt ebenfalls Frau Elisabeth Schuhmann, der Leiterin der Redaktion Altertumswissenschaft beim Verlag K. G. Saur, für die gute Zusammenarbeit. Mein besonderer Dank gilt jedoch meiner Mutter, die die Entstehung dieses Buches immer als kritischer Gesprächspartner begleitet hat. Dresden, im Februar 2004 Inhaltsverzeichnis 1. Das Kleine und das Große 1 2. Biographie, Historiographie und Philosophie 5 3. Theorie und Praxis 10 4. Satire und Philosophie 13 5. Mythos und Geschichte 16 6. Dichter und Gesellschaft 24 7. Poetiken 39 8. Aristoteles, Poetik 52 9. Zivilisation und Fortschritt 59 10. Plutarch-ein typischer Grieche? 67 11. Rom und Griechenland — ein kultureller Vergleich 75 12. Ethik und Anthropologie 85 13. Auf der Suche nach dem Glück 92 14. Xenophon, Memorabilien: Bemerkungen zu einem mißverstandenen Werk der sokratischen Philosophie 106 15. Zur römischen Epik in neronischer Zeit 113 16. Römische Philosophie in Briefen 125 17. Der Alkestis — Papyrus von Barcelona 135 18. Boethius - der letzte Römer? 146 Ausblick 155 Literatur 161 1. Das Kleine und das Große Wir wollen im folgenden über das Kleine reden, denn im Kleinen zeigt sich oft das Große und im Großen das Kleine. Man kann dieses Verhältnis, das auch ein Wechselverhältnis sein kann, als Dialektik bezeichnen. Dialektik meint dreierlei: die Kunst, sich nach festgelegten Regeln zu unterhalten, die Theorie über dieses Regelwerk, mithin ein System von Aussagen über den Dialog, und eine philoso- phische Möglichkeit, den Lauf der Geschichte so zu erklären, dass in ihr Gesetz- mäßigkeiten sichtbar werden, die diesen Lauf bestimmen. Diese letzte Möglich- keit ist neuzeitlich. Wie bekannt, stammt sie von Georg Wilhelm Friedrich He- gel, der seine Geschichtsphilosophie als ein Erklärungsmodell verstand, das sich gegenüber dem Empirismus durchsetzen sollte. Mit diesem Modell versuchte Hegel nicht nur, historische Gesetzmäßigkeiten herauszuarbeiten, sondern, in der Nachfolge des Idealismus, auch zu zeigen, dass es einen Geist als eine Art kyber- netische Zentrale gibt, der jenseits der materiellen Welt und in ihr sozusagen die Raum-Zeit-Koordinaten zur Verfugung stellt, in denen und nach denen menschliches Handeln stattfindet und erklärbar ist. Dieser Weltgeist ist seinerseits nichts Neues. Den gleichen Ansatz wählte bereits der griechische Philosoph Anaxagoras, der mit seiner Naturphilosophie im Athen des 5. Jh. v. Chr. revolutionäres Aufsehen erregte, der engen Kontakt mit Sokra- tes, Euripides und anderen Intellektuellen in dieser Stadt hatte und der es als erster mit seiner Geistphilosophie seit Anaximander, Parmenides und der Schule von Elea unternahm, die Welt mit einem nichtmateriellen, oder zumindest weit- gehend nichtmateriellen Prinzip zu erklären. Die Bemerkungen über Hegel und Anaxagoras könnten in gewisser Weise miss- verstanden werden: Es könnte der Eindruck entstehen, als wenn beide von einer strikten Trennung zwischen Geist und Materie ausgingen. Das wäre dann eine Art idealistischer Dualismus, in dem Geist und Materie, Geist und Körper als Antipoden, als gegensätzliche Größen, verstanden werden. Dies scheint bei Ana- xagoras und Hegel nicht der Fall zu sein. Als Steuerungsprinzip und generierende Kraft hat der Geist auch Eigenschaften, die Teil der Materie sind. Man müsste also, um dieses mögliche Missverständnis zu verhindern, sagen, dass Geist und Materie nicht voneinander unabhängige Größen sind. Der Geist schafft die Ma- terie, diese verändert sich nach Naturgesetzen, und diese Gesetze steuern wieder- um die Lebewesen so, dass eine Wechselwirkung zwischen Geist und Materie zustande kommt. Diese Relation lässt sich als eine dialektische verstehen. Wenn man nun von dieser Relation ausgeht und sie auf Anaxagoras, Hegel und vergleichbare Philosophen anwendet, zeigt sich, dass ihre Theorien selbst Be- standteil eines dialektischen Prozesses sind. In ihnen werden, wie gesagt, histori- sche Gesetzmäßigkeiten erklärt, und sie relativieren sich selbst; diese Relativie- rung gilt für alle Theorien, doch gibt es hier Relativierungsgrade, die von der Art der Theorien abhängen. Die Einfuhrung des Geistes als einer das Sein steuernden Kraft und eines Prinzips von Sein durch Anaxagoras war in der Antike schon etwas Revolutionäres. Nicht ganz so stark war die Wirkung seines Satzes, dass 2 alle Dinge zusammen sind und dass das Seiende unendlich sei (Fragment 1). Wenn man auf den Begriff des Unendlichen blickt, ist dies erstaunlich. Der Satz widerspricht zunächst jeder Sinneserfahrung, er kollidiert mit der unmittelbaren Anschauung, indem er einen ungeheuer abstrakten Begriff an die Stelle eines materiellen Prinzips oder an die Stelle eines Prinzips setzt, das man relativ einfach erschließen kann. Aber auch in dieser Beziehung war Anaxagoras nicht der erste. Bereits der Vorsokratiker Anaximander rechnet mit dem Apeiron, dem Unendli- chen, als dem Urprinzip. Der Parmenidesschüler Zenon geht von dieser Vorstel- lung aus. Zenon formuliert seine Bewegungsparadoxien „Der fliegende Pfeil ruht", „Die Schildkröte ist schneller als Achill" auf der Grundlage der Infini- tesimalrechnung. Er rechnet mit der unendlichen Teilbarkeit des Raumes und der Strecke, indem jede Teilung zu einem kleineren Raum und einer entspre- chend kleineren Bewegung führe. Dass diese Beweisführung mit ihrem diskonti- nuierlichen Raumbegriff nicht aufgehen kann, ist evident. In der Mathematik rechnet man demnach auch mit einem mathematischen Wert, der gegen Null tendiert, ohne die Null jemals zu erreichen. Man muss diesen nicht zutreffenden Beweis, dass es eine ruhende Bewegung gebe, nicht verwerfen. Im Gegenteil nötigt er Respekt ab, weil er zeigt, wie ungeheuer abstrakt und doch anschaulich die Griechen denken konnten und wie sie eine kindlich anmutende Freude an paradox wirkenden Sachverhalten hatten. Um nun zur Dialektik zurückzukehren und sie mit der griechischen Na- turphilosophie zu verknüpfen: Demokrit hat Gesetzmäßigkeiten in der Natur und beim Menschen als einem Teil der Natur in einer Weise betrachtet, die man ebenfalls als dialektisch bezeichnen kann. Die Atomistik geht in der Theorie vom Kleinen aus, versucht kleinste, unteilbare Teilchen in der Materie nachzuweisen und betrachtet diese Materie als das Große, in dem das Kleine sichtbar gemacht werden kann. Umgekehrt dienen die kleinsten Teilchen dazu, Eigenschaften des Großen zu zeigen, zwischen beiden besteht ein Wechselverhältnis. Die moderne Quantenphysik verfährt prinzipiell ähnlich. Das zweite Besondere an Demokrit ist nun, dass er dialektisch auf die Ethik re- flektiert. In dem unter dem Einfluss der Sophistik entfachten Streit über die Fra- ge, ob den Naturanlagen oder der Erziehung die Priorität gebühre, bezieht er folgendermaßen Stellung: Er sieht ein dialektisches Spannungsverhältnis zwischen Natur, Charakter und Erziehung und definiert die Erziehung als etwas, das den Charakter und die Natur zum Vorschein bringe. Charakter versteht er als das, was angeborene Natur sei und sich im Laufe des Erziehungsprozesses als sozusa- gen neues Bild der Natur auspräge. Das Kleinste ist in diesem Zusammenhang der Charakter des Einzelnen, die Na- tur figuriert als eine Art Makrokosmos, dessen Struktur dem Mikrokosmos glei- che. Beide Kosmoi sind nach dieser Vorstellung analog aufgebaut, beide stehen in gegenseitiger Wechselwirkung. Die philosophische Position, die sich dahinter verbirgt, rechnet nicht mit einem statischen, sondern einem dynamischen Sein; dieses unterhegt einer ständigen Veränderung. Der Philosoph, so Demokrit, hat diese Veränderung sichtbar zu machen, ins Bewusstsein zu heben und zu erklären. Diese Erklärung gelingt in

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