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Das Interpretative Paradigma: Eine Einführung PDF

347 Pages·2012·2.902 MB·German
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Das Interpretative Paradigma Reiner Keller Das Interpretative Paradigma Eine Einführung Prof. Dr. Reiner Keller Universität Augsburg Deutschland ISBN 978-3-531-15546-3 ISBN 978-3-531-94080-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-94080-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag hat sich bemüht, alle uns bekannten Rechteinhaber zu ermitteln. Sollten dennoch Inhaber von Urheberrechten unberücksichtigt geblieben sein, bitten wir sie, sich mit dem Verlag in Verbindung zu setzen. Photos of William I. Thomas, Florian Znaniecki, Robert E. Park, Herbert Blumer, Erving Goffmann are printed with kind permission of the American Sociological Association. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhalt 1   Einführung: Das Interpretative Paradigma. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     1 1.1 Soziologie: Kultur- und Wirklichkeitswissenschaft. . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Der Aufstand des Konkreten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2   Die Chicago School of Sociology. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    21 2.1 Ein Sozial- und Kulturexperiment. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.2 Die führende US-amerikanische Soziologieschule ihrer Zeit . . . . . 27 2.2.1 Disziplingenese und Sozialreformen: der Entstehungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.2.2 Das Handlungsmodell des Pragmatismus. . . . . . . . . . . . . . . 32 2.2.3 Das Schlüssel-Theorem: Die „Definition der Situation“ . . . 41 2.2.4 Die polnischen Bauern in der Neuen Welt . . . . . . . . . . . . . . 52 2.2.5 Hinein in die Abenteuer der Großstadt! . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.2.6 Kosmopolitische Realitäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.2.7 Where the action is: Soziologie als „Fieldwork“. . . . . . . . . . 72 2.2.8 Die Gesellschaft an der Straßenecke. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.3 Bilanz und Aktualität der Chicago School . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3   Symbolischer Interaktionismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.1 Symbolgebrauch und soziale Konstitution des Selbst. . . . . . . . . . . . 86 3.1.1 Die menschliche Fähigkeit zum Symbolgebrauch . . . . . . . . 92 3.1.2 Die Funktionsweise signifikanter Symbole . . . . . . . . . . . . . . 94 3.1.3 Die kommunikative Konstitution des Bewusstseins und die Entwicklung des Einzelnen zum sozialen Selbst . . . . . . 99 3.1.4 Identität und Rollenspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3.1.5 Kommunikation und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.2 Der Symbolische Interaktionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.2.1 Grundannahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.2.2 Von der Symbolischen Interaktion zur Gesellschaft . . . . . . 119 3.2.3 Methodologische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 V VI Inhalt 3.3 Die vielfältige Praxis des Symbolischen Interaktionismus . . . . . . . . 125 3.3.1 „Doing things together“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3.3.2 Symbolische Kreuzzüge: Die Karriere und Kultur öffent- licher Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3.3.3 „Soziale Welten“ als ausgehandelte Ordnungen und Handlungsverkettungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3.3.4 Diskursforschung: Arena- und Issue-Analysen . . . . . . . . . . 157 3.3.5 Gefühlsarbeit und Arbeitsleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3.3.6 Organisationsstudien, Wissenschafts- und Technikforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3.3.7 Sex. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3.3.8 Ausblick: SI, Poststrukturalismus, Cultural Studies & Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3.4 Bilanz und Aktualität des Symbolischen Interaktionismus . . . . . . . 170 4   Sozialkonstruktivistische Wissenssoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   175 4.1 Sozialphänomenologische Grundlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4.1.1 Die Sinnkonstitution im Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4.1.2 Das Handeln und seine Motivstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4.1.3 Natürliche Einstellung und Strukturen der Lebenswelt. . . . 191 4.1.4 Das Ich und die Anderen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 4.1.5 Wissen, Sprache, Zeichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 4.1.6 Sozialwissenschaftliche Methodologie des Sinnverstehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 4.2 Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. . . . . . . . . . . . . 202 4.2.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4.2.2 Gesellschaft als objektive und subjektive Wirklichkeit . . . . 212 4.2.3 Die objektive Wirklichkeit als kollektiver Wissensvorrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4.2.4 Gesellschaft als subjektive Wirklichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . 221 4.2.5 Zwei Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 4.3 Bilanz und Aktualität der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 4.3.1 Neo-Institutionalismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4.3.2 Hermeneutische Wissenssoziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 5   Ethnomethodologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   241 5.1 Agnes und die Frage, wie Geschlecht „getan“ wird. . . . . . . . . . . . . . 249 5.2 Soziale Ordnung als Ergebnis von Handlungsvollzügen . . . . . . . . . 253 5.3 Theoretische Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Inhalt VII 5.4 Bilanz und Aktualität der Ethnomethodologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 5.4.1 Konversationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 5.4.2 Doing Gender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 5.4.3 Studies of (scientific) Work . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 5.5 Weiter in Frontstellung zur übrigen Soziologie? . . . . . . . . . . . . . . . . 281 6   Soziologie der Interaktionsordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   283 6.1 Situationen und ihre Menschen: Interaktionsrituale. . . . . . . . . . . . . 290 6.2 Die Situation als Bühne des Selbst und der Anderen . . . . . . . . . . . . 295 6.3 Situationen und ihre Rahmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 6.4 Bilanz und Aktualität der Soziologie der Interaktionsordnung. . . . 312 7   Eine vorläufige Bilanz des Interpretativen Paradigmas . . . . . . . . . . . . .   315 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   319 Einführung: Das Interpretative  1 Paradigma 1.1   Soziologie: Kultur- und Wirklichkeitswissenschaft Eine Kulturerscheinung ist die Prostitution so gut wie die Religion oder das Geld, alle drei deshalb und nur deshalb und nur soweit, als ihre Existenz und die Form, die sie historisch annehmen, unsere Kulturinteressen direkt oder indirekt berühren, als sie unseren Erkenntnistrieb unter Gesichtspunkten erregen, die hergeleitet sind aus den Wertideen, welche das Stück Wirklichkeit, welches in jenen Begriffen gedacht wird, für uns bedeutsam machen. (Weber 1980a, S. 181[1904]) Anfang des 20. Jahrhunderts schlug Max Weber (1854–1920) vor, Soziologie sol- le als „Kulturwissenschaft“ betrieben werden. In seinem bis heute für das wissen- schaftliche Selbstverständnis der, oder besser: einer spezifischen Auffassung von Soziologie grundlegenden Aufsatz über „Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis“ aus dem Jahre 1904 erläutert er diese Ansicht: ‚Kultur‘ ist ein vom Standpunkt des Menschen aus mit Sinn und Bedeutung bedach- ter endlicher Ausschnitt aus der sinnlosen Unendlichkeit des Weltgeschehens. (…) Transzendentale Voraussetzung jeder Kulturwissenschaft ist nicht etwa, daß wir eine bestimmte oder überhaupt irgend eine ‚Kultur‘ wertvoll finden, sondern daß wir Kul- turmenschen sind, begabt mit der Fähigkeit und dem Willen, bewußt zur Welt Stel- lung zu nehmen und ihr einen Sinn zu verleihen. (Ebd., S. 180 [1904]) Soziologie ist Kulturwissenschaft nicht in dem Sinne, dass sie sich mit „wertvol- len Kulturgütern“, also Kunst, Theater, Musik usw., befasse, sondern deswegen, weil ihre Analyse an einem spezifischen Vermögen des menschlichen Weltver- hältnisses ansetzt und dieses auch voraussetzt: Die für sich genommen „sinnlose Unendlichkeit des Weltgeschehens“ erschließt sich unserer menschlichen Erfah- rung nur durch die Deutungsprozesse und Bedeutungszuweisungen, durch die wir das Chaos der sinnlichen Empfindungen und physikalisch-materiellen Vorgänge R. Keller, Das interpretative Paradigma, DOI 10.1007/978-3-531-94080-9_1 1 © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 2 1 Einführung: Das Interpretative Paradigma ordnen. Ein deutender, weltauslegender Bezug liegt all unserem Handeln in der Welt zugrunde, auch dem wissenschaftlichen Arbeiten der Soziologie selbst.1 Den Hintergrund dieser von Weber vertretenen Auffassung von Soziologie bildete die philosophisch-geschichtswissenschaftliche Tradition der „Hermeneutik“ (vgl. Jung 2001; Kurt 2004), die in dieser Zeit in Deutschland in den Auseinanderset- zungen über die Wissenschaftlichkeit der Geisteswissenschaften oder auch der Geschichtswissenschaft eine wichtige Rolle spielte. Gegen Ende des 19. Jahrhun- derts argumentierte der Philosoph Wilhelm Dilthey (1833–1911), der wesentliche Unterschied zwischen den Naturwissenschaften und den Geisteswissenschaften sei wie folgt markiert: Während erstere Phänomene untersuchen (und erklären), die keinen „eigenen Sinn“, keine Bedeutung in sich tragen, sei der Gegenstand der letzteren eben einer, der sich immer schon selbst deute und letztlich also vor allem in „Deutungen“ bestehe, die wiederum nur durch „Verstehensprozesse“ untersucht werden können und müssen. Dabei handele es sich um eine Frage von der größten Bedeutung. Unser Handeln setzt das Verstehen anderer Perso- nen überall voraus; ein großer Teil menschlichen Glücks entspringt aus dem Nachfüh- len fremder Seelenzustände; die ganze philologische und geschichtliche Wissenschaft ist auf die Voraussetzung gegründet, daß dies Nachverständnis des Singulären zur Objektivität erhoben werden könne. (Dilthey 2004, S. 21 [1900]) Und weiter heißt es: Wir nennen den Vorgang, in welchem wir aus Zeichen, die von außen sinnlich gege- ben sind, ein Inneres erkennen: Verstehen. (…) (Dieses) Verstehen reicht von dem Auffassen kindlichen Lallens bis zu dem des Hamlet oder der Vernunftkritik. (…) (Das) kunstmäßige Verstehen von dauernd fixierten Lebensäußerungen nennen wir Auslegung oder Interpretation. (Dilthey 2004, S. 22 f. [1900]) „Hermeneutik“ meint zunächst die theologische und philosophische Lehre vom „richtigen“ Verstehen und Auslegen heiliger, philosophischer, poetischer, literari- scher Texte, deren Spuren Dilthey durch die Jahrhunderte verfolgt. Es handelt sich dabei um eine „Kunstlehre der Auslegung“, d. h. es geht der Hermeneutik darum, allgemeine Regeln für die Organisation der Verstehensprozesse zu entwickeln. Da- durch können solche Prozesse – so das Ziel – zu einem nachvollziehbaren theolo- gischen, philosophischen und später dann eben wissenschaftlichen Erkenntnisvor- 1 Eine wichtige Zusammenstellung klassischer Grundlagentexte sowohl aus dem deutschen wie auch aus dem US-amerikanischen Kontext zu den hier diskutierten Überlegungen, die u. a. Beiträge von Max Weber, Wilhelm Dilthey, John Dewey, William I. Thomas & Florian Znaniecki versammelt, findet sich in Strübing und Schnettler (2004). Vgl. zur kulturwissen- schafltichen Grundlegung der Soziologie Poferl (2007). 1.1 Soziologie: Kultur- und Wirklichkeitswissenschaft 3 gang machen, wobei letzteres vor allem mit dem Philosophen Friedrich Schleier- macher (1768–1834) einsetzt.2 Dilthey entwirft deswegen eine Theorie des Verste- hens, welche die Bedingungen und Vorgehensweisen solcher Verstehensprozesse klären will und einige Affinitäten zum US-amerikanischen Pragmatismus (s. u. Kap. 2.2) aufweist. So erwähnt er beispielsweise, dass der angestrebte „Grad des Verstehens“ von Interessen bedingt sei. George Herbert Mead (1863–1931), einer der wichtigsten Begründer des „Symbolischen Interaktionismus“ (s. u. Kap. 3.1) war um 1889–1890 in Berlin Schüler Diltheys (Jung 2001, S. 79 ff.). Unter dem Einfluss Diltheys standen auch die klassischen deutschen Soziologen, neben Max Weber insbesondere Georg Simmel (1858–1918), dessen Studien sehr früh in der US-amerikanischen Soziologie rezipiert wurden. Nicht zufällig schlug Max Weber wenig später vor, Soziologie als eine Wis- senschaft zu begreifen, die „soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“ (Weber 1972, S. 1 [1922]) Und auch das Handeln selbst wird von ihm dadurch bestimmt, dass Menschen mit einem Verhalten einen „subjektiven Sinn“ verbinden (ebd., S. 1 f. [1922]).3 Dieser Begriff des „subjektiven Sinns“ ist in mancherlei Hinsicht missver- ständlich. Er meint nicht, dass unser Handeln mit einem ganz und gar einmaligen Sinn verknüpft ist, der von uns, von Ihnen, von mir in je originaler und vielleicht auch origineller Weise mit einem Tun verflochten wird. Wenn Sie einem Fremden oder einer Fremden die Hand zum Gruß entgegenstrecken, dann ist das ja doch nur eine Handlungsweise, die in unserem gesellschaftlichen Kontext von vielen Millionen Menschen tagtäglich vollzogen wird. Inwiefern lässt sich dann aber von „subjektiv“ sprechen? Nun, dieses Adjektiv bezeichnet hier nichts weiter als eben die wichtige Annahme, dass ich, wir, Sie, mit einer solchen Geste einen Sinn, eine Bedeutung verbinden, ja verbinden müssen, damit wir sie als Handlung in sozialen Begegnungen ausführen, sie wechselseitig koordinieren und entsprechende Kör- perbewegungen anderer verstehen können. Niemand kann das an unserer Stelle für uns übernehmen. Die Rede vom subjektiven Sinn zeigt an, dass die Individuen selbst ihr Dasein in der Welt mit Motiven versehen müssen, damit ihre Körper aktiv werden. Das scheidet nämlich Handeln auch dann, wenn es, wie so häufig, „in dumpfer Halbbewußtheit oder Unbewußtheit seines ‚gemeinten Sinns‘“ (Weber 1972, S. 10 [1922]) erfolgt, von dem, was Weber am Beispiel eines unbeabsichtigten 2 Ähnlich sind heute unter dem Dach einer „Sozialwissenschaftlichen Hermeneutik“ (Hitzler und Honer 1997) soziologische Reflexionen zur Methodologie des Interpretierens versam- melt. 3 Eine frühere Fassung dieser Begriffsbestimmung ist zu finden in seinem Aufsatz „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie“ aus dem Jahre 1913 (Weber 1980a).

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