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Das Haus Der Angst PDF

285 Pages·2016·0.73 MB·German
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DEAN R. KOONTZ DAS HAUS DER ANGST Roman Deutsche Erstausgabe WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN HEYNE ALLGEMEINE REIHE Nr. 01/6913 Titel der englischen Originalausgabe THE HOUSE OF THUNDER Deutsche Übersetzung von Edgar Müller-Frantz Scanned by Doc Gonzo Diese digitale Version ist FREEWARE und nicht für den Verkauf bestimmt Copyright © 1980 by Dean R. Koontz Copyright © der deutschen Übersetzung 1987 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1987 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin Druck und Bindung: Elsnerdruck, Berlin ISBN 3-453-00348-9 I. Teil ANGST AUF LEISEN SOHLEN 1. Als sie erwachte, dachte sie, sie sei blind. Sie hatte ihre Au- gen geöffnet, aber was sie sehen konnte, war nur purpurro- tes Dunkel und formlose Schatten. Bevor sie in Panik geraten konnte, wich das Dunkel einem bleichen Nebel; dieser Nebel löste sich schließlich auf, und aus ihm wuchs eine in weiße Quadrate eingeteilte Zimmerdecke. Es roch nach frischer Bettwäsche. Nach Desinfektionsmit- teln. Nach Krankenhaus. Sie bewegte ihren Kopf, und ein scharfer Schmerz durch- zuckte ihre Stirn wie ein elektrischer Schlag. Was sie sah, ver- schwamm wieder vor ihren Augen. Erst dann sah sie das Krankenhauszimmer, in dem sie sich befand. Sie hatte keine Erinnerung daran, in eine Klinik gebracht worden zu sein. Wo war sie? Nicht einmal der Name der Stadt, in der sie sich aufhielt, fiel ihr ein. Was war los mit ihr? Sie hob ihren Arm, was ihr ziemliche Mühe bereitete. Sie tastete ihre Augenbrauen ab und stellte fest, daß ihre halbe Stirn von einem dicken Verband bedeckt war. Ihr Haar war so merkwürdig kurz. Waren ihre Haare nicht lang bis über ihre Schultern gefallen? Sie war nicht stark genug, den Arm länger zu heben. Sie ließ ihn auf die Decke zurückfallen. Den linken Arm konnte sie überhaupt nicht heben. Er war mit einem Pflaster an einer Holzleiste befestigt. Jetzt sah sie die Nadel, die in ihrer Vene steckte. An einem Chromgestell hing die Flasche mit Glukose. Offensichtlich wurde sie intra- venös ernährt. Sie schloß die Augen; dachte - oder hoffte -, sie würde bloß träumen. Aber als sie wieder aufblickte, hatte sich nichts ge- ändert. Derselbe Raum, weiße Decke, weißgetünchte Wände, mit Fliesen belegter Fußboden, maisgelbe Vorhänge an den Seiten des großen Fensters. Durch das Glas konnte sie 6 Baumwipfel sehen und ein Stück blauen Himmels. An ihrer Seite stand ein zweites Bett; es war unbenutzt. Sie hatte keine Stubengenossin. Das Seitengitter an ihrem Bett war hochgezogen, damit sie nicht hinausfallen konnte. Sie fühlte sich hilflos wie ein Baby in der Wiege. Sie zermarterte ihr Hirn. Aber beim besten Willen konnte sie sich nicht entsinnen, wie sie hieß. Wie alt war sie eigent- lich? Sie wußte es nicht. Nichts, was mit ihrer Person zusam- menhing, kam ihr in den Sinn. Ihr Gedächtnis war wie eine Mauer, die sie bei aller An- strengung nicht durchbrechen konnte. Angst überkam sie in schnellen Wellen, die sich wie zu einer Brandung verdichte- ten. Alle ihre Bemühungen, einen Schimmer von Erinnerung heraufzubeschwören, waren zum Scheitern verurteilt. Amnesie!? Gedächtnisschwund? Hatte sie einen Hirnschaden erlitten? Es gab keine andere Erklärung für ihren Zustand. Diese Er- kenntnis ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie mußte einen Unfall erlitten haben. Hatte sie eine schwere Kopfverletzung, einen Dauerschaden davongetragen? Jetzt geriet sie in Panik. Als ob der Angstzustand verborgene Sperren geöffnet hätte, fiel ihr plötzlich ihr Name ein. Susan Thorton. Und sie war 32 Jahre alt. Doch keine Flut der Erinnerung brach über sie herein. Name und Alter, das war alles. Ein dünnes Rinnsal. Darüber hinaus wußte sie nichts über sich. Wo hatte sie gelebt? Von welchem Geld? Hatte sie einen Beruf ausgeübt? War sie ver- heiratet? Hatte sie Kinder? Nach diesen essentiellen Fragen versuchte sie es mit bana- len Dingen. Welche Schulen hatte sie besucht? Was waren ihre Lieblingsgerichte? Liebte sie klassische Musik oder Jazz? Nichts. Keine Frage ließ sich beantworten. Ein dichter Ne- belschleier hing über allem, was sie mit ihrem früheren Le- ben verband. Amnesie. Gedächtnisschwund. Bevor sie neuerlich von Panik ergriffen wurde, entsann sie 7 sich, auf einer Ferienreise in Oregon gewesen zu sein. Sie wußte nicht, woher sie gekommen war und wohin und zu welcher Arbeit sie zurückkehren mußte, wenn die Ferien zu Ende gingen. Aber sie hatte zumindest einen Anhaltspunkt. Sie mußte sich in Oregon befinden. Dann kam eine bildliche Erinnerung zurück, und sie sah vor ihrem geistigen Auge eine Autostraße. Eine wunder- schöne Bergstraße mit Bäumen und Felsen auf beiden Sei- ten. Sie schloß die Augen, aber die Erinnerung verschwand nicht. Ein heller Morgen, sie fuhr durch einen Fichtenwald. Sie saß am Steuer, lauschte der Musik, die aus dem Autora- dio kam. Jetzt durchquerte sie ein verschlafenes Städtchen. Deutlich sah sie die Schindeldächer vor sich. Eine Reihe von Lastwagen. Sie wich aus, ohne Schwierigkeiten. Die Land- straße vor ihr war jetzt leer. Sie gab Gas und dann... und dann... Die Erinnerung brach ab, als wäre ein Film gerissen. Nichts. Dunkelheit. Und dann war sie erwacht, verwirrt und hilflos, in einem Krankenhausbett. »Hallo, meine Liebe! Ich sehe, Sie sind wach und munter. Fein!« Susan wandte ihren Kopf. Wer hatte zu ihr gesprochen? Der Kopfschmerz war zurückgekehrt, hielt ihren Schädel wie mit einer Zange umklammert. »Wie fühlen Sie sich? Sie sehen ein bißchen blaß aus, aber das war zu erwarten. Nach allem, was Sie durchgemacht ha- ben.« Die Stimme gehörte zu einer Krankenschwester, die von der geöffneten Türe auf das Bett zukam. Eine ziemlich dicke, grauhaarige Frau mit gewinnendem Lächeln und fröhlichem Blick. Sie trug einen gestärkten, weißen Kittel, um ihren Hals hing eine Metallkette, an der ihre breitgerän- derte Brille hing. Susan versuchte zu sprechen. Konnte nicht. Sogar der schwache Versuch, einige Worte hervorzubringen, schwäch- te sie derart, daß sie meinte, ohnmächtig zu werden. Ihr Schwächezustand erschreckte sie. Die Schwester nickte ihr ermunternd zu. »Ich wußte, Sie 8 würden darüber hinwegkommen. Ich habe meine Erfahrun- gen. Manche in der Klinik hatten ihre Zweifel, aber ich nicht. Ich wußte, Sie sind der zähe Typ.« Wieder versuchte Susan zu sprechen, und diesmal kam ein Ton von ihren Lippen, obwohl es nur eine Art Gurgeln war, das ihrer Kehle entwich. Sie fragte sich, ob sie jemals wieder normal würde reden können. Würde sie für den Rest ihres Lebens nur mehr tierische Laute auszustoßen imstande sein? Manchmal führte ein Hirnschaden zum Verlust der Sprache. Davon hatte sie gelesen... Plötzlich begann sich das Zimmer rund um sie zu bewe- gen. Gleichzeitig fühlte sie in ihren Ohren ein Hämmern wie von einer lauten, aber entfernten Trommel. Susan biß sich auf die Lippen. Sie mußte das Zimmer zwingen, still zu ste- hen, die Trommel zum Schweigen bringen. Die Krankenschwester mußte die Verzweiflung in Susans Blick gesehen haben, denn sie sagte beschwichtigend: »Im- mer mit der Ruhe, Kindchen, immer mit der Ruhe! Alles wird in Ordnung kommen, es braucht nur seine Zeit.« Sie kontrollierte die Infusion, griff nach Susans rechtem Handgelenk, um den Puls zu fühlen. Mein Gott, durchfuhr es Susan, wenn ich nicht sprechen kann, vielleicht kann ich auch nicht gehen. Sie versuchte, ihre Beine unter der Decke zu bewegen. Die Muskeln gehorchten nicht. Kein Gefühl. Die Beine waren schwer wie Blei, schlechter beweglich als ihre Arme. Susan klammerte sich an den Ärmel der Krankenschwe- ster, versuchte verzweifelt, etwas zu sagen. »Lassen Sie sich Zeit«, sagte die Frau verständnisvoll. Aber Susan wußte, daß ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Sie wußte, daß sie sich am Rand einer Ohnmacht befand. Zu ih- rem Kopfschmerz gesellte sich ein stetig größer werdender schwarzer Ring, der ihr die Sicht zu nehmen drohte. Jetzt trat ein Arzt ins Zimmer und an ihr Bett. Ein älterer Mann mit schütterem, weißen Haar und ernstem Gesicht. »Nun, wie geht es unserer Patientin?« Susan sah ihn flehend an und fragte: »Sind meine Beine ge- lähmt?« 9 Einen Moment lang glaubte sie, sie hätte diese Worte tat- sächlich ausgesprochen. Dann wußte sie, daß sie ihre Stimme noch nicht wiedererlangt hatte. Sie wollte es noch- mals versuchen, doch der schwarze Ring wurde immer grö- ßer und verengte ihre Sicht immer mehr. Schließlich sah sie nur mehr einen kleinen Punkt. Dunkelheit. Sie schlief. Sie träumte. Ein schrecklicher Traum. Ein Alp- traum. Wie schon unzählige Male zuvor, träumte sie, daß sie sich wieder in der Donnerhöhle befand und in einer Pfütze von warmem Blut lag. 2. Als sie erwachte, waren ihre Kopfschmerzen verschwunden. Sie konnte jetzt deutlich sehen, fühlte sich insgesamt besser. Es war Nacht geworden. Der Raum war durch ein Notlicht schwach beleuchtet. Die Vorhänge waren halb zugezogen; jenseits des Fensters lag tiefe Dunkelheit. Das Gestell mit der Glukose stand nicht mehr an ihrem Bett, keine Nadel steckte mehr in ihrer Vene. Der linke Arm lag befreit auf dem Laken, rund um die Einstichstelle waren blaue Flecken zu sehen. Sie war nicht allein im Raum. Der Arzt stand an ihrem Bett und blickte auf sie mit strengem Blick. Sein scharfer Blick schien sie zu durchdringen. Sie hatte den Eindruck, er sah sie nicht einfach an, sondern in sie hinein, als wolle er ihre intim- sten Geheimnisse ergründen. »Was - was ist mit mir - geschehen?« Sie konnte sprechen. Ihre Stimme war rauh und nicht ganz einfach zu verstehen, trotzdem klang sie beruhigend in Susans Ohren. Kein Schlaganfall, kein Hirnschaden zwang sie, wie sie befürchtet hatte, zu einer Existenz ohne Ausdrucksmöglichkeit. Doch sie fühlte sich noch sehr schwach. Es nahm ihre ganze ver- bleibende Kraft in Anspruch, ein paar Worte zu flüstern. 10

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