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Das große Tier 666 PDF

120 Pages·2016·0.51 MB·German
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Michael D. Eschner Marcus M. Jungkurth Aleister Crowley DAS GROSSE TIER 666 INHALTSVERZEICHNIS Der verruchteste Mann des Jahrhunderts..........................................2 Der schwarze Magier......................................................................2 Der Antichrist...................................................................................4 Der Prophet.....................................................................................7 Der Weg durch die Jahrhunderte.....................................................11 Was ist Magie?..............................................................................11 Die Quellen des Nil.......................................................................13 Von Baphomet zu Baphomet........................................................15 Das lange Leben des Phönix............................................................17 Der unsterbliche Crowley..............................................................17 Die Wiedergeburt des Phönix...........................................................19 Ich werde durchhalten -....................................................................21 denn am Ende gab es nichts durchzuhalten....................................21 Parzifal auf der Suche nach dem Heiligen Gral...............................27 Mahatma Guru Sri Paramahansa Shivaji.........................................33 Der widerwillige Priester -.................................................................39 Bergsteiger, Poet und Magier...........................................................43 Durch die Macht der Wahrheit habe ich...........................................51 während des Lebens das Universum erobert..................................51 Das Große Tier.................................................................................62 Ipsissimus - das Ich in höchster Vollkommenheit............................75 Die Vertreibung aus dem Paradies..................................................87 Magick in Theorie und Praxis...........................................................98 Die Geburtswehen des Äons..........................................................110 Eine kritische Rück- und Vorschau.............................................110 Register..........................................................................................116 1 Der verruchteste Mann des Jahrhunderts Der schwarze Magier Die in den letzten Jahrzehnten erfolgte Wiedergeburt des Magischen ist hauptsächlich mit dem Namen Aleister Crowley und der antichristlichen Formel des Tieres 666 verbunden. Es sind viele Versuche unternommen worden, Crowley, einen der umstrittensten Menschen der letzten hundert Jahre, zu charakterisieren. Seine bizarre Persönlichkeit provoziert Verehrung oder Abscheu. Neutralität zu wahren scheint unmöglich. So bezeichnen die einen ihn als Mystiker, großen Adepten des Yoga, der Magie und der Alchimie und als Propheten des neuen Zeitalters. Die anderen nennen ihn einen Schwarzmagier und Teufelsanbeter, einen Kindermörder, Scharlatan, Satanisten, den verruchtesten Mann des Jahrhunderts, einen heroinsüchtigen Spinner, bisexuellen Hippiepionier, sadistischen Possenreißer, Nazispion und Propagandisten und einen sexuell Degenerierten fürchterlichen Ausmaßes. Ihm wird nachgesagt, daß er Menschen in Kamele verwandelte, Gegenstände durch die bloße Kraft seines Blickes zum Fliegen bringen konnte, daß er ein Süchtiger sei, der an einem Tag soviel Heroin schnupfte, daß man damit einen ganzen Saal voller Menschen umbringen könnte und daß er ein mörderischer Satanist sei, der 150 mal pro Jahr ein männliches Kind von absolut vollkommener Unschuld und hoher Intelligenz opferte. Crowley wurde ,,der Picasso des Occulten" genannt und ihm wurde nachgesagt, daß er im Laufe seines 72jährigen Lebens mehr Menschen in den Wahnsinn oder Tod trieb als die meisten inkarnierten Teufel. In der Presse wurde Aleister Crowley als ,,der verderbteste Mann der Welt" bezeichnet. Er selbst bezeichnete sich als TO MEGA THERION, das große Tier 666, wie es in der Offenbarung des heiligen Johannes verkündet wurde. Irgendwo in diesen Widersprüchen verbirgt sich die Persönlichkeit Aleister Crowleys. Er selbst betrachtete Magie als sein Lebenswerk und seinen Lebenszweck. Jede Biographie, die Aleister Crowley gerecht werden will, wird ihn deshalb an diesem Anspruch messen und seine Handlungen in diesem Kontext betrachten müssen. Aber auch in diesem Zusammenhang ist Crowleys Name, selbst heute, fast ein viertel Jahrhundert nach seinem Tode, noch immer mit ,schwarzer Magie, Teufelsanbetung und unheilvoller Zauberei' verbunden. 2 Crowley selbst äußerte sich zu diesem Thema in einem Artikel für eine Tageszeitung wie folgt: „Um schwarze Magie zu praktizieren mußt du jedes Prinzip von Wissenschaft, Anstand und Intelligenz vergewaltigen. Du mußt besessen sein von einer krankhaften Überzeugung, von der Wichtigkeit der unbedeutenden Objekte deiner jämmerlichen und egoistischen Wünsche. Ich wurde beschuldigt, ein ,,schwarzer Magier" zu sein. Keine närrischere Feststellung wurde jemals über mich gemacht. Ich verabscheue diese Sache in solch einem Ausmaß, daß ich nur schwer an die Existenz von Leuten glauben kann, die so verrottet und idiotisch sind, sie zu praktizieren. ...,Schwarze Messe' ist eine völlig andere Sache. Selbst wenn ich sie zelebrieren wollte, ich könnte es nicht, da ich kein geweihter Priester der christlichen Kirche bin.“ Damit antwortete er all denen, und diese Antwort gilt noch heute, die ihn beschuldigten, ein ,,schwarzer Magier" zu sein und Teufelsanbetung, schwarze Messen und perverse Rituale durchzuführen. Aber diese Verleumdungen sind trotz Crowleys eigener Äußerungen nicht leicht auszuräumen. Die Gründe dafür liegen in der massiven Unwissenheit über Magie - eine direkte Folge des historischen Christentums - welche die falsche Beurteilungsgrundlage schuf, die zu den bestehenden Vorurteilen führte. Den meisten Menschen heutzutage ist dieses Netz aus Unwissenheit und Vorurteilen gar nicht mehr bewußt, da es selbstverständlich und normal geworden ist. Crowley hinterfragte vom Christentum überlieferte Werte, welche seit 2000 Jahren als selbstverständlich gelten. Und allein aufgrund dieser Tatsache wurde er denunziert. Wer der Meinung ist, daß allein das Hinterfragen dieser Werte ein fluchwürdiges Verbrechen ist, muß ihn deshalb notgedrungen als ,,den verderbtesten Mann des Jahrhunderts" bezeichnen. Wer aber bereit ist, darüber nachzudenken, muß die wissenschaftliche Methode der unvoreingenommenen Untersuchung anwenden. Crowleys Gedankengänge wurzeln historisch in Zeiten, die denen der Christenheit weit vorausgingen. Eine der Aufgaben einer Crowley- Biographie muß es deshalb sein, die verwendeten Begriffe in ihren ursprünglichen Inhalten verständlich zu machen und sie von den Bedeutungen, die sie in ihrer Dekadenz und in der Folgezeit durch die zielgerichteten Fehlinterpretationen des historischen Christentums erhielten, zu befreien. Eine Aufgabe, die sicherlich ein eigenes umfangreiches Werk erfordert und in dieser Biographie nicht vollständig geleistet werden kann. Wir werden deshalb in den nun folgenden Kapiteln weniger darauf eingehen, ob Crowley ein schwarzer Magier und Teufelsanbeter war oder nicht, sondern wir werden sein Gedankengebäude 3 kurz skizzieren und die Begriffe, in den ihnen angemessenen Zusammenhängen, zu erläutern versuchen. Der Antichrist Eines der umstrittensten Bücher des Neuen Testamentes ist die Offenbarung des heiligen Johannes. In dieser visionären Schrift steht in 13, 16-18 geschrieben: ,,Alle, groß und klein, reich und arm, frei und unfrei, brachte es dazu, auf ihrer rechten Hand oder an ihrer Stirn ein Zeichen zu tragen. Keiner sollte kaufen oder verkaufen dürfen, der nicht das Zeichen trug: den Namen des Tieres oder den Zahlenwert seines Namens. Hier braucht es Weisheit. Wer Verstand hat, berechne den Zahlwert des Tieres; es ist die Zahl für einen Menschen. Die Zahl ist 666." Diese Stelle bezieht sich auf den Antichristen und das Tier 666, mit welchem sich Aleister Crowley identifizierte. An einer anderen Stelle der Offenbarung wird dieses Tier 666 mit ,,der alten Schlange, die Teufel und Satan heißt und die die ganze Welt verführt" identifiziert. Von daher ist es für jeden Rechtgläubigen eindeutig klar, daß Aleister Crowley ein Teufelsanbeter war. Dieser jedoch fängt schon an dieser Stelle an, unbequeme Fragen zu stellen. Was bedeutet der Begriff ,Antichrist'? Was bedeutet ,Teufel' und was sagte die Offenbarung denn nun eigentlich voraus? Crowley führt an dieser Stelle in das statische Weltbild des Christentums wieder die Evolution des Menschen ein. Diese Evolution ist offensichtlich nur möglich, wenn der starre Kodex des Christentums aufgebrochen wird. Wer diesen christlichen Kodex zerbricht, ist notgedrungen der Antichrist. Und so wird der Antichrist bei Crowley zum Propheten des Neuen Äons. Die Horrorvorstellungen, welche in der Offenbarung über den Antichristen und sein Reich verkündet werden, erklärt Crowley als logische Folge eines Unverständnisses für evolutionäre Strukturen, die 2000 Jahre in der Zukunft liegen. Für einen Menschen, der zur Zeit Christi lebte, kann eine Vision unserer heutigen modernen Welt nur ein Schreckensbild voller Teufelswerk sein, da er keine Möglichkeit hat, irgendein Ereignis in den angemessenen Relationen zu verstehen. Insbesondere mußte für die ersten Christen jede Vision, die ein Ende des christlichen Reiches implizierte, einen Angriff des Teufels bedeuten. Und auch diesen Begriff des Teufels lehrte uns Crowley in einem anderen Licht zu sehen. Aus der Geschichte ist bekannt, daß jede neue Religion die alten Götter zu Teufeln erklärte, da sie nur so ihren eigenen Alleinvertretungsanspruch aufrecht erhalten konnte. Aber diese Tatsache sagt nichts darüber aus, wer oder was der Teufel denn eigentlich ist beziehungsweise, was dieser Begriff bedeutet. 4 Crowley schreibt in Buch 4 zu diesem Thema: „Der ,Teufel' existiert nicht. Er ist ein erdichteter Name, von den schwarzen Brüdern erfunden, um in ihrer unwissenden Wirrnis von Zerstreuung eine Einheit anzudeuten. Ein Teufel, der die Einheit besäße, wäre ein Gott. (Der ,Teufel' ist - historisch aufgefaßt - der Gott eines jeden Volkes, das man persönlich nicht leiden kann. Das hat zu so großer Gedankenverwirrung geführt, daß das Tier 666 es vorgezogen hat, die Namen so stehen zu lassen wie sie sind und einfach zu verkünden, daß AIWAZ - der Sonnen-phallisch- hermetische ,,Luzifer", sein eigener heiliger Schutzengel und ,,der Teufel" SATAN oder HADIT von unserer besonderen Einheit des Sternenuniversums ist. Diese Schlange SATAN ist nicht der Feind des Menschen, sondern er, der unsere Rasse zu Göttern gemacht hat, die Gut und Böse kennen. Er befahl: ,,Erkenne dich selbst!“ und lehrte die Initiation.)“ ,,Dieser ,,Teufel" wird Satan oder Shaitan genannt und von jenen Leuten mit Horror betrachtet, welche seine Formeln nicht kennen und sich selbst als Böse betrachtend, die Natur selbst wegen ihrer eigenen phantastischen Verbrechen verfluchen. Satan ist Saturn, Seth, Abraxas, Adath, Adonis, Attis, Adam, Adonai etc. Die ernsthafteste Anklage gegen ihn ist nur, daß er die Sonne im Süden ist. Die alten Initiierten, welche in Ländern wohnten, deren Blut das Wasser des Nils oder des Euphrat war, verbanden den Süden mit das Leben verdorrender Hitze und verfluchten diese Himmelsrichtung, wo die Strahlen der Sonne am tödlichsten waren. Sogar in der Legende von Hiram (Hiram Abiff, der höchste Baumeister der maurerischen Tradition d.Ü.) geschieht es zur Mittagsstunde, daß er niedergestreckt und erschlagen wird. Capricornus ist darüber hinaus das Zeichen, welches die Sonne betritt, wenn sie ihre äußerste südliche Deklination zum Wintersolstitium erreicht, der Jahreszeit des Todes der Vegetation für das Volk der nördlichen Hemisphäre. Dies gab ihnen einen zweiten Grund, den Süden zu verfluchen. Ein dritter, die Tyrannei der heißen, trockenen, giftigen Winde, die Drohung der Wüsten und Ozeane, fürchterlich, weil mysteriös und unpassierbar. Auch diese waren in ihren Geistern mit dem Süden verbunden. Aber für uns, die wir der astronomischen Tatsachen bewußt sind, ist dieser Antagonismus gegen den Süden ein dummer Aberglaube, welchen die Zufälligkeiten ihrer lokalen Umgebung unseren animistischen Vorfahren suggerierten. Wir sehen keine Feindschaft zwischen rechts und links, oben und unten und ähnlichen Paaren von Gegensätzen. Diese Antithesen sind nur als Feststellung einer Beziehung real. Sie sind die 5 Konventionen einer willkürlichen Entscheidung zur Darstellung unserer Ideen in einem pluralistischen Symbolismus, welcher auf Dualität basiert. ,,Gut" muß in Ausdrücken menschlicher Ideale und Instinkte definiert sein. ,,Osten" hat keine Bedeutung, außer in Bezug auf die internen Affären der Erde. Als absolute Richtung im Raum wechselt es alle 4 Minuten um einen Grad... Wir haben daher keine Skrupel, die ,,Teufelsanbetung" solcher Ideen zu restaurieren wie jene, welche die Gesetze des Klanges und die Phänomene von Sprache und Gehör uns zwingen mit der Gruppe von ,,Göttern" zu verbinden, deren Namen auf ShT oder D basieren und die durch den freien Atem A vokalisiert sind. Denn diese Namen implizieren die Qualitäten von Mut, Freiheit, Energie, Stolz, Macht und Triumph... So ist ,,der Teufel" Capricornus, der Bock, welcher auf den höchsten Bergen springt, die Gottheit, welche, wenn sie im Menschen manifest wird, ihn zu Aegipan, dem All, macht.“ Crowley restauriert den Teufel zu seinen vorchristlichen Begriffsinhalten, die sich in Satan, Shaitan oder Seth ausdrücken. Ein anderer Aspekt, den er hier anspricht, ist der des Gegensatzes. Veränderung ist nur möglich, wenn Bestehendes zerstört wird. Diese Veränderung mag schnell oder langsam geschehen. Sie bleibt dennoch immer der Gegenpol zur Statik oder zum Bestehenden, denn etwas Neues kann nur aus dem Alten geschaffen werden. Das Alte muß deshalb verändert, d.h. in seine Bestandteile aufgelöst oder zerstört werden, um das Rohmaterial für das Neue zu erhalten. Deshalb ist Shiva, der Gott des Todes und der Zerstörung, auch der Schöpfer. Und hier finden wir auch bei Crowley die Identität von Satan und Antichrist. Der Zerstörer des Alten Äons ist der Schöpfer des Neuen. 6 Der Prophet Die Basis von Aleister Crowleys ,Kult von Thelema' ist das Liber Al vel Legis oder Buch des Gesetzes. Details darüber, wie Crowley dieses Buch erhielt, sind an der entsprechenden Stelle dieser Biographie zu finden. Das Liber Al wurde Crowley zu einem Zeitpunkt - am 8., 9. und 10. April 1904 - übermittelt, der mit einem Wechsel des Equinox, technisch als ein Equinox der Götter bekannt, übereinstimmt. Der Ausdruck ,Equinox der Götter' bedeutet, daß die Sonne, deren Einfluß in den vergangenen 2000 Jahren durch die Konstellation Fische bestimmt war, nun durch das als Aquarius bekannte Sternbild scheint. D.h., daß die Sonne zum Eintritt des Frühlingsequinox im Tierkreis der Anfang des Tierkreiszeichens Widder in den vergangenen 2000 Jahren in der Sternkonstellation Pisces stand, jetzt aber in der Sternkonstellation Aquarius steht und die solaren Strahlen daher durch den Einfluß von Aquarius, welche Sternkonstellation jetzt hinter dem Zodiakalzeichen Aries in der Ekliptik der Erde steht, besonders beeinflußt wird. Dieser Einfluß besteht wiederum für die nächsten 2000 Jahre, wonach der nächste Wechsel stattfindet. Mit dem Eintritt des Frühlingsequinox im Jahre 1904 konnte Crowley daher beanspruchen, daß das Neue Äon, er nannte es das Äon des Horus, untrennbar mit der Offenbarung des Liber Al, welche er in Kairo zu dieser Zeit erhielt, verbunden war. Dies wird durch gewisse Passagen des Liber Al bestätigt. Das vergangene Äon war das des Osiris und das davor das Äon der Isis. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, wann das Neue Äon, das Wassermannzeitalter, tatsächlich begann. Gurdjeff gab z. B. das Jahr 1940 an, eine einfache Umkehrung von 1904, aber alle angegebenen Zahlen liegen etwa innerhalb von 50 Jahren auf dieser oder jener Seite der Jahrhundertwende. Heutzutage erfahren wir, wie Crowley sagt, ,die Todeszuckungen des Alten und die Geburtswehen des Neuen Äons'. Der typische Kult für das Äon des Osiris ist die historische Christenheit. Diese Kulte des vergangenen Äons sind jetzt veraltet. Ihre Rituale sind schwarz und sie selbst falsch. All diese alten Kulte sind Kulte des ,,sterbenden Gottes" wie Christus, Adonis usw. Um Crowleys Kult zu verstehen ist es notwendig, die okkulten Implikationen der Äonen zu verstehen. Das Äon der Isis kann mit der vorchristlichen Ära der heidnischen Kulte, in welchem die Menschen eine Vielzahl von Göttern anbeteten, verglichen werden. Der Mensch nahm sich erst undeutlich als Individuum wahr. Es war eine Periode von Menschen und Göttinnen, die matriarchalische Erbfolge herrschte in den primitiven 7 Gesellschaften vor und die Göttin war die Ernährerin. Wie der Name Isis schon zeigt, ist es das Äon der Muttergöttinnen, der Verehrung des Mondes. Danach folgte das Äon des Osiris, in welchem hauptsächlich die judäischen Kulte, von welchen die Christenheit die Endform war, vorherrschte. Der Mensch nahm sich als Individuum wahr und betete seinen Gott über das Ritual des Selbstopfers an. Er sühnte seine ,,Sünden" durch das Vergießen von Blut. Es war die Ära der patriarchalischen Systeme, eine Periode, in welcher Religion als mystische Erfahrung, die Gott durch seine Gnade dem Menschen zukommen ließ, verstanden wurde. Dieses Äon war insofern ein Fortschritt zum vorhergehenden Äon, als das religiöse Bewußtsein nicht eine Vielheit von Göttern beinhaltete, sondern der Mensch betete einen Gott an. Es war daher eine Religion der Dualität, der Dualität von Gott und dem Anbeter, von Subjekt und Objekt. Das Äon des Horus ist die logische Fortentwicklung. Während Gott zuerst viele Götter war, dann ein Gott war, wird er jetzt zu Null, Zero, Gott. Gott wird durch die Abschaffung Gottes und die Etablierung der Einheit transzendiert. Der Mensch betet Gott nicht länger als externen Faktor wie im Heidentum oder als internen Zustand des Bewußtsein, wie in der Christenheit, an, sondern realisiert seine Identität mit Gott. Deshalb, es gibt keinen Gott, außer dem Menschen. Die magische Formel und die Lehren des Äons des Osiris sind von Blut und Agonie gekennzeichnet. Das Christentum hält den Menschen in ewiger Sklaverei. Die Formel des Neuen Äons umfaßt den magischen Gebrauch von Samen statt Blut und von Ekstase, die in der Verherrlichung der Materie, welche als mit dem Geist eins wahrgenommen wird, kulminiert. Der Mensch kann nicht länger körperlich sterben, um danach im Himmel oder in der Hölle ewig zu leben, sondern er realisiert, daß er niemals der Körper war, und indem er dies erkennt, erkennt er auch, daß er niemals geboren wurde und daher niemals sterben kann, daß der Körper ein reines Spiel des Geistes ist, welcher ewig wechsellos, dennoch immer neu, dauert. Subjekt und Objekt werden als eins realisiert. Der Begriff des Todes, wie er von allen vorhergehenden Kulten verstanden oder eher mißverstanden wurde, wird endgültig und durch Erfahrung transzendiert und abgeschafft. Das klassische Beispiel eines Meisters, welcher einen neuen Weg für die Menschheit eröffnete, ist Jesus Christus. Christus erfüllte für das Äon des Osiris die gleiche Aufgabe, welche Crowley für das Äon des Horus erfüllte. Christus machte die religiöse Erleuchtung durch die Doktrin eines stellvertretenden Sühneopfers, er starb für die Menschen, zu einem für die Masse realisierbaren Ideal. In diesem Äon betrachtete der Mensch sich als grundlegend von der Gottheit getrennt und die Lehre war, daß er sich nur durch Selbstopfer oder Leugnung seiner natürlichen Impulse der Gottheit nähern könnte. Im Neuen Äon erfährt diese Konzeption einen fundamentalen Wechsel. Denn diese natürlichen Impulse sind der Schlüssel zum Verständnis des wahren Willens. 8 Mit dem Begriff des ,,wahren Willens" sind wir bei einem der wichtigsten Begriffe des Crowleyschen Kultes. Crowley definierte den wahren Willen und seine Funktion in einem Brief an einen Aspiranten wie folgt: „Wir denken von dir und von jedem anderen bewußten Ego als Sterne. Jeder hat seine eigene Laufbahn. Das Gesetz jedes Sterns ist daher die Gleichung seiner Bewegung. Wenn du alle Kräfte, welche auf die Bestimmung seiner Richtung wirken, berücksichtigst, verbleibt ein Vektor und nur ein Vektor, in welchem er sich bewegen wird. Analog sollte der wahre Wille jedes Menschen der Ausdruck einer einzigen bestimmten Wirkungsrichtung, welche durch seine eigenen Charakteristiken und durch die Summe der Kräfte, welche auf ihn wirken, bestimmt ist, sein. Wenn ich sage ,tu was du willst' meine ich, daß du, um intelligent und harmonisch mit dir selbst leben zu können, entdecken solltest, was dein wahrer Wille ist, indem du die Resultante all deiner Reaktionen mit allen anderen Individuen und Umständen kalkulierst, und wenn du dies getan hast, dich diesem Willen widmest, anstatt dir zu erlauben, durch die tausend unbedeutenden Launen, welche ständig auftauchen, gestört zu werden. Denn diese Launen sind partielle Ausdrücke untergeordneter Faktoren und sollten kontrolliert und dazu gebraucht werden, den Hauptgrund deines Lebens zu erhalten, anstatt dich zu hindern und irre zu führen.“ Daraus folgt logisch eine relativistische Ethik, welche Crowley wie folgt beschreibt: „Keine Handlung ist in sich selbst gerechtfertigt, sondern nur in Beziehung zum wahren Willen der Person, welche beabsichtigt, sie vorzunehmen. Dies ist die Doktrin der Relativität auf die moralische Sphäre angewandt.“ Tu was du willst heißt also nicht, handle wie es dir gefällt, sondern es ist die Anweisung an den Menschen, seinen wahren Willen zu suchen, d.h. den Punkt, in dem sein Handeln mit seinem Selbst deckungsgleich ist oder, wie Crowley es in Anlehnung an Abramelin nennt, die Vereinigung mit dem heiligen Schutzengel. Der wahre Wille ist eine Bewußtseinsstufe, in der der Mensch seine Handlungen nicht, wie es gerade kommt, beliebig und ohne Reflexion aneinanderreiht, sondern es ist die bewußte Handlung eines ganzheitlichen Menschen. Das Komplement zu der Formel ,tu was du willst' ist ,Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen'. Dieses Prinzip der Liebe ist der zweite Teil dieser magischen Formel, deren erster Teil der Wille ist. Liebe unter der Kontrolle des Willens oder bewußte Liebe und das heißt, Liebe ohne 9 Unterschiede, Liebe als Vereinigung betrachtet, Liebe als Vereinigung von Gegensätzen. In erster Linie der Gegensätze von Mann und Frau, Materie und Geist, Subjekt und Objekt. Der ,Stein der Weisen' ist so ein Prozeß, der nichts Geringeres als die Unsterblichkeit des Menschen zum Ziel hat, seine Erkenntnis, daß er der einzige, wahre, höchste Gott ist. Die Kosmologie des Liber Al vel Legis stellt sich als Personifikation von 3 Elementen dar. NUIT, die ägyptische Himmelsgöttin, welche den allgegenwärtigen Raum symbolisiert, die Summe aller Möglichkeiten, die Totalität aller Ereignisse. HADIT symbolisiert den Bewußtseinspunkt, der diese Möglichkeiten erfährt. Hadit ist der Wahrnehmende, Nuit das Wahrgenommene. RA-HOOR-KHUIT oder HORUS, das Kind, symbolisiert das objektive Universum. Ra-Hoor-Khuit ist der äußere, manifestierte Teil einer Zwillingsgottheit, deren innerer unmanifestierter Teil Harpokrates, der ägyptische Kindgott des Schweigens ist. Harpokrat ist das schweigende, innere Selbst. Jedem dieser 3 Götter ist im Liber AI ein Teil zugeordnet. Die Darstellung von Crowleys Lehren kann hier nur rudimentär geschehen, da sie ein vollständiges philosophisch-religiös-magisches System bilden. Der Interessierte sei insbesondere auf die Kommentare zum Liber AI vel Legis verwiesen. Besonders erwähnenswert ist die Übereinstimmung der Erkenntnisse der modernen Atomphysik mit der im Liber Al vel Legis gegebenen Kosmologie, ein Thema, welches zu umfangreich ist, um es hier zu erörtern, das aber im 2. Band der Kommentare zum Liber Al vel Legis eingehend behandelt ist. 10

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