JJ_Ti-B-AmannK_15528-9 21.09.2007 17:27 Uhr Seite 1 Anton Amann · Franz Kolland (Hrsg.) Das erzwungene Paradies des Alters? JJ_Ti-B-AmannK_15528-9 21.09.2007 17:27 Uhr Seite 2 Alter(n) und Gesellschaft Band14 Herausgegeben von Gertrud M.Backes Wolfgang Clemens JJ_Ti-B-AmannK_15528-9 21.09.2007 17:27 Uhr Seite 3 Anton Amann Franz Kolland (Hrsg.) Das erzwungene Paradies des Alters? Fragen an eine Kritische Gerontologie JJ_Ti-B-AmannK_15528-9 21.09.2007 17:27 Uhr Seite 4 Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1.Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2008 Lektorat:Monika Mülhausen / Tanja Köhler Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15528-9 Inhalt Vorwort ................................................................................................................ 9 Anton Amann, Franz Kolland ........................................................................ 9 Kritische Sozialgerontologie- Konzeptionen und Aufgaben ........................ 13 Anton Amann, Franz Kolland ...................................................................... 13 1 Einleitung ............................................................................................ 13 2 Historische und systematische Hintergrtinde ....................................... 14 2.1 Globalisierung und die Politisierung des weltweiten Alterns ......................................................................................... 14 2.2 Die neue Konstruktion des Alters ................................................ 17 2.3 Internationale Kontexte ............................................................... 19 3 Auf wessen Seite steht die Wissenschaft? ........................................... 21 4 Ideologische Fallen .............................................................................. 23 5 Theorieperspektiven und Ausgangspunkte einer Kritischen Gerontologie ........................................................................................ 26 5.1 Altenmacht und Statusverlust im Zuge der Modernisierung? .......................................................................... 26 5.2 Zur politischen Okonomie des Alterns: Positionen einer Kritischen Gerontologie ............................................................... 28 5.3 Zur sozialen Konstruktion des Alters .......................................... 30 5.4 Soziale Exklusion (cid:12)9 32 5.5 Wohlfahrtsstaatliche Sicherung als Modell des 20. Jahrhunderts ........................................................................... 33 5.6 Kontextualit~it des Alterns ........................................................... 35 5.7 Soziale Diversit~it und Altern ....................................................... 36 5.8 Altern und Konsum ........................ .............................................. 37 5.9 Altern und Zivilgesellschaft ......................................................... 37 5.10 Kritik an der Politischen t3konomie ............................................ 38 Sozialgerontoiogie: ein multiparadigmatisches Forschungsprogramm? ...... 45 Anton Amann ..................... , ........................................................................... 45 1 Einleitung ............................................................................................ 45 2 Definitionsprobleme und Fragen der Systematik ................................. 45 3 Paradigma, Transdisziplinarit~.t und Forschungsprogramm ................ 49 3.1 Die Sozialgerontologie ist multiparadigmatisch .......................... 49 3.2 Inter-, multi- oder transdisziplin~ir? ............................................. 50 3.3 Forschungsprogramm anstatt Multiparadigma? ........................... 51 6 Inhalt 4 Zum Zentralbegriff des Alters und theoretische Aufgaben .................. 56 5 Schluss ................................................................................................. 59 Potenziale des Alter(n)s - Perspektiven des homo vitae Iongae? ................... 63 Gertrud M. Backes ........................................................................................ 63 1 Alter(n)spotenziale im Kontext sozial differenzierter und ungleicher Lebenslagen ....................................................................... 64 2 Auf dem Weg zu neuen Verh~iltnissen der Generationen und Geschlechter im Lebens(ver)lauf-der homo vitae longae in einer Gesellschaft des langen Lebens ........................................................... 80 3 Generationen in einer Gesellschaft des langen Lebens- zum Konzept des ,,homo vitae longae". ....................................................... 86 4 Zusammenfassung und Ausblick ......................................................... 96 Zu friih in die ,,Sprite Freiheit"? - Altere Arbeitnehmer im gesellschaftlichen und demografischen Wandei ............................................ 101 Wolfgang Clemens ....................................................................................... 1 1O 1 Einleitung .......................................................................................... 101 2 Die Entwicklung der Situation ~ilterer Besch~iftigter im l~lberblick ........................................................................................... 102 3 ,~,ltere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im demografischen Wandel - zuktinftige Entwicklungen ................................................. 107 4 Die Arbeitswelt von morgen mit alternden Belegschaften ................ 109 4.1 Die Wirkung von Altersbildern ................................................. 111 4.2 Gestaltung der Arbeitswelt der Zukunft .................................... 112 5 MOgliche Bereiche zuktinffig verst~irkter Alterserwerbst~itigkeit ...... 114 6 Weitere Perspektiven ......................................................................... 116 Wirklichkeitskonstruktionen - Tatsachen und Trugbilder zur Gewait im Alter ............................................................................................................. 121 Josef HSrl ..................................................................................................... 121 1 ,,Soziologie der Gewalt" - Mainstream vs. Innovation ..................... 121 2 Das Problem des subjektiv gemeinten Sinns bei Gewalthandlungen ................................................................................. 123 2.1 Die sinnlose Tat ......................................................................... 123 2.2 Gewalt als soziale Konstruktion ................................................ 125 2.2.1 Freiheitsbeschr~inkung und Apparatemedizin .................... 125 2.2.2 Die T~iter-Opfer-Dyade ...................................................... 127 2.2.3 Objektive Wahrheit und subjektive Wahrnehmung ........... 128 Familirire Altenpflege als Beispiel des sozialen Zusammenhalts ................. 137 Hynek Jer~ibek ............................................................................................. 137 1 Sozialer Zusammenhalt, Solidarit~it und Altenpflege in der Familie ............................................................................................... 137 Inhalt 7 1.1 Die Beziehung der Begriffe sozialer Zusammenhalt und Altenpflege in der Familie ......................................................... 137 1.2 Mechanische und organische Solidaritfit in einer pflegenden Familie ....................................................................................... 139 1.3 Die Mechanismen des sozialen Zusammenhalts der helfenden Familie ....................................................................................... 141 1.4 Familifire Hilfe far alte Menschen als Reproduktionsprozess (Aktivitfiten, Beziehungen, Strukturen, Institutionen und Symbole) ................................................................................... 143 2 Bedingungen, Umst~nde und Modelle der familifiren Altenpflege ... 145 2.1 Wer braucht Pflege? .................................................................. 145 2.2 Charakteristik und Klassifikation der familifiren Pflege alter Menschen ................................................................................... 147 2.3 Wer pflegt? ................................................................................ 149 2.4 Kritische Momente der persOnlichen Altenpflege in der Familie ....................................................................................... 151 2.5 Wie ist die familifire Altenpflege zu bewfiltigen? ...................... 153 2.6 Einige Worte zum Schluss ......................................................... 157 Datenerhebung in totalen Institutionen als Forschungsgegenstand einer kritischen gerontologischen Sozialforschung ................................................ 163 Udo Keile, Christiane Niggemann und Brigitte Metje ............................. 163 1 Einleitung .......................................................................................... 163 2 Empirische Sozialforschung - in kritischer Absicht? ........................ 164 3 Das Forschungsprojekt - sozialpolitische Kontextbedingungen ........ 165 4 Die Befragung dauerhaft institutionalisierter/~lterer Menschen- Diskussionsstand und Probleme ........................................................ 167 5 Befragtenverhalten in Einrichtungen der stationfiren Altenpflege - eine empirische Untersuchung .................................... 171 5.1 Gatekeeping und Stichprobenselektivit~t .................................. 174 5.2 Das Problem des sozial erwtinschten Antwortverhaltens .......... 178 5.3 Offene und verdeckte Verweigerung ......................................... 182 5.4 Die Bedeutung qualitativer Methoden ....................................... 184 6 Fazit ................................................................................................... 186 Lernen und Altern: Zwischen Expansion und sozialer Exklusion .............. 195 Franz Kolland .............................................................................................. 195 1 Bedeutung des Lemens im Lebenslauf .............................................. 196 2 Lebenslanges Lernen aus der Sicht der Alternswissenschaften ......... 198 3 Die Bildungsexpansion in der zweiten H~lfe des 20. Jahrhunderts ... 199 4 Niedrige Bildungsbeteiligung als Folge eines ,,cooling out". ............ 202 5 Lernen in der Spfitlebensphase als Kompensationsmechanismus? .... 204 8 Inhalt 5.1 Die Beteiligung am non-formalen Lernen ................................. 205 5.2 Informelles Lernen im Alter ...................................................... 207 6 Produktives Altern als Konzept sozialer Inklusion? .......................... 211 7 Was bleibt zu tun? ............................................................................. 214 .Granny-dumping"- die Zukunft des Alters? ............................................. 221 Haraid Kiinemund ....................................................................................... 221 1 Einleitung .......................................................................................... 221 2 ,,Granny-dumping". ........................................................................... 222 3 Die Qualitfit familialer Generationenbeziehungen ............................. 224 4 Ausblick ............................................................................................. 230 Verwirkliehungen des Alterns ........................................................................ 235 Klaus R. SehrSter ........................................................................................ 235 1 Einleitung .......................................................................................... 235 2 Zum allgemeinen Bedeutungsiaberschuss der Begriffe ...................... 238 3 Die symbolische Verwirklichung des Alterns ................................... 240 3.1 Alternssemantiken ..................................................................... 240 3.2 Die soziale Konstruktion des biologischen Alterns ................... 242 3.3 Die soziale Konstruktion des Alterns als Leitbild sozialer Ordnungsmuster ......................................................................... 244 4 Die interaktive und korporale Verwirklichung des Alterns ............... 249 4.1 Doing Age: Die ,,visuelle Empirie" des Alterns ........................ 249 4.2 Doing Age by Bodyfication: Die Formierung der K6rper ......... 252 4.3 Die Maske des Alterns und das alterslose Selbst ....................... 257 5 Die leiblich-affektive Verwirklichung des Alterns ............................ 260 5.1 Feeling Age ................................................................................ 260 5.2 Ktirperhaben und Leibsein ......................................................... 263 Demografisehe Entwieklung als Herausforderung. Ein Essay zu Entwieklung und Bew~iltigungsstrategien ..................................................... 275 Olaf Struck ................................................................................................... 275 1 Ausgangssituation: Die Furcht vor >>Oberalterung<< und >>Altersquotienten<< .................................................................................... 275 2 Eine realistischere Ausgangssituation ................................................ 281 3 Bew~,ltigungsstrategien ...................................................................... 282 3. I Produktivit~itssteigerung ............................................................ 282 3.2 Versorgungsrelationen und Frauenerwerbsquoten ..................... 283 3.3 Flexible Altersbesch~iftigung ..................................................... 286 4 Fazit ................................................................................................... 292 Autorenverzeiehnis .......................................................................................... 297 Vorwort Anton Amann, Franz Kolland In ungeahntem Mage ist Altern ein 6ffentliches Thema geworden. Die Bilder, die sich die Menschen von ihm machen, sind vielfNtig und widerspriichlich, oft auch verworren und falsch. Zumindest gilt dies im Vergleich zu manchen Einsichten, die als wissenschaftlich erheblich gelten. Eine seltsame Mischung aus Idealisie- rung und Abwertung, aus Zweckoptimismus und Defizitangst durchzieht die vielen Diskussionen und Publikationen tiber das Altern. Auch in den Beitrfigen, welche die Sozialgerontologie hervorbringt, fallen die normativen Gegensfitze auf. Sie variieren nach den Perspektiven, die eingenommen werden und den gesellschaftlichen Kontexten, in denen das Thema Altern verankert wird. Von den Brtichen und Widersprachen in den gesellschaftlichen Einschfitzungen blei- ben die Alternswissenschaften selbst nicht unbertihrt. Insbesondere dann nicht, wenn sie sich den Fragen von Nutzen und Kosten, Privilegien und Benachteili- gungen, Chancen und Gef~ihrdungen zuwenden. Nur selten taucht der kritische Impetus gegentiber der gesellschaftlichen Praxis mit dem Umgang des Alters auf. In der Anti-Aging Medizin ist eine Art Biomedikalisierung bzw. Gerontolo- gisierung des Alters entstanden, in der Elemente wie Armut, Isolation, Status- und Rollenverluste in der Sp~tlebensphase, wenn tiberhaupt, dann lediglich als Randbedingungen behandelt werden, womit Probleme des Alters effektiv entpo- litisiert werden. Der im Titel unseres Buches eingesetzte Sehnsuchtsbegriff ,,Paradiese" soll weniger auf einen Zustand verweisen, tiber den hinaus keine Steigerung an Gltickseligkeit mehr denkbar ist, sondern auf das, was den Begriff seit jeher begleitet hat: das unentwegte Bestreben der Menschen, sich solche Zustfinde auszumalen. Am Altersthema zeigt dieses Bestreben eine gewisse Konjunktur: ni den privaten Lebensentwiirfen, in der so genannten Sachbuch- und Ratgeberlite- ratur, und selbst in den Wissenschaften (vielleicht am deutlichsten an manchen tiberzogenen Hoffnungen, die sich mit der Diskussion tiber die maximale biolo- gische Lebenserwartung verbinden). Wie aber das Alltagsbewusstsein sich im- mer schon durch Ironie und gnulettS~pseB von solchen Konstruktionen distanzier- te, so wird dies durch einen kritischen Impetus auch im gegenwtirtigen Sachdis- kurs deutlich. Altern und Alter sind, fiir sich genommen, weder hfisslich noch sch6n, weder gut noch schlecht. Erst die Klassifizierungen und Bewertungen und die Verbindung mit normativen Vorstellungen lassen die Gewichtungen und Urteile entstehen, von denen die Konstruktionen voll sind. 01 Anton Amann/Franz Kolland Wir sehen in einer kritisch verfahrenden Sozialgerontologie eine Strategie, solche Urteile auf ihre Herkunft, und das ,tSfieh auf dahinter liegende Interessen und Begriindungen zu untersuchen. Das lfisst sich weder in kurzer Zeit, noch in wenigen Publikationen erledigen. Es deutet weit eher auf eine Umorientierung, auf einen langen Weg, auf dem das Bewusstsein in den Vordergrund treten soll- te, dass unserem aktuellen und begrfindeten Wissen selten eine lange Lebensdau- er beschieden ist, und dass viel Wissen, das wir als ,,objektiv" ansehen, als ver- stecktes Herrschaftswissen zustande gekommen ist. Uberzeugte positive Bewertungen des Alters mit seinen neuen Chancen und M6glichkeiten tauchten interessanterweise ni Fachpublikationen weit frtiher auf als in der medialen (3ffentlichkeit. Zun~ichst wurde aus der epidemiologischen Forschung auf die M6glichkeit der Kompression der Morbiditfit (J. Fries) hinge- wiesen, sollten die Menschen ihren Lebensstil in Richtung einer aktiven und bewussten Lebensgestaltung ~ndern. Sp~ter kamen dann die Biogerontologie und Anti-Aging Medizin (T. Kirkwood), die nicht nur auf die M6glichkeiten einer Verz6gerung des Alternsprozesses verwiesen, sondern sogar auf eine Reversibi- littit von biologischen Abbauprozessen. Damit scheint ein paradiesisches Alter in erreichbare Nfihe gerackt. Erreichbar ist das ,,Paradies des Alters" allerdings nur durch erhebliche Verfinderungen der allt~glichen Lebensffihrung und externe Interventionen. Da geht es dann um Stoffwechselver~nderungen bis hin zum Dinner Cancelling oder um medizinische Hilfen, die von Hormontherapien bis zur plastischen Chirurgie reichen. Entstanden ist jedenfalls ein rasch expandie- render und profitabler Anti-Aging Markt. W~hrend nun aber auf diesem Markt das Hohelied von Kaufl~aft und lan- gem gesundem Leben gesungen wird, ja vom Feldzug gegen das ,~lterwerden tiberhaupt, werden aus einer kritischen Wissenschaftsperspektive immer mehr Stimmen laut, die diese ,,Errungenschaften" bereits wieder in Frage stellen. Sol- che Entwicklungen htingen auch mit der Rolle zusammen, die eine Wissenschaft sich selbst beimisst und dem Selbstverst~indnis, das sie in ihrer Erkenntnisarbeit leitet. Wieder sind es die Altersbilder, d.h. normative Aspekte des Alterns, die in den Vordergrund der kritischen Auseinandersetzung mit den neuen Entwicklun- gen biomedizinischer Forschung riicken. Die Anti-Aging Medizin unterstt~tzt und fOrdert nicht nur eine positive Sicht des sp~ten Lebens, sondern ganz im Gegenteil, sie fOrdert und unterstfitzt Formen der Altersdiskriminierung, indem sie jene stigmatisiert und negativ stereotypisiert, die diese Verfinderungen des allt~iglichen Lebens und ihres K6rpers nicht nachvollziehen bzw. auch nicht die entsprechenden Mittel haben, um diese Verfinderungen vornehmen zu k6nnen. Aber es geht nicht nur um Stigmatisierungsprozesse oder fehlende Ressour- cen, die den paradiesischen Zustand als unerreichbar far erhebliche Gruppen