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Das Dumme am Leben ist, dass man eines Tages tot ist. Eine Art Anleitung zum Glucklichsein PDF

223 Pages·2009·1.59 MB·German
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Preview Das Dumme am Leben ist, dass man eines Tages tot ist. Eine Art Anleitung zum Glucklichsein

2. Auflage © Verlag C. H. Beck oHG, München Oktober 2009 Gesetzt aus der Candida Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff) Printed in Germany ISBN 978 3 406 59285 0 Für meinen Vater, 1910 Denn nur das bedeutet letztlich, lebendig zu sein: dass man sterben kann. J. M. Coetzee Prolog Brief an meinen Vater Der Ringkampf kann beginnen: meine Geschichten gegen seine Geschichten. Dieses Buch ist eine Autobiographie meines Körpers, eine Biographie des Korpers meines Vaters und die Anatomie unserer beiden Körper - wobei seiner, der unnatürlich vital ist, im Mittelpunkt steht. Hier sind die Ergebnisse; das, was ich jetzt über die rohen Fakten des Daseins weiß, über die Brüchigkeit und Kürze des Lebens in seiner bloßen Körperlichkeit, über die Menschen als «arme, nackte, zweizinldge Tiere», wie es bei Shakespeare heißt, über Schönheit und Pathos unserer beiden Körper und der Körper aller anderen Menschen. Nimm den Tod an - das ist, so scheint es, meine ständige Devise. Nimm das Leben an - das ist seine völlig verständliche Entgegnung. Warum bin ich schier verliebt in einen ruhigen Tod? Ich bin gerade einundfünfzig Jahre alt geworden. Martin Amis hat es einmal so formuliert: «Niemand weiß, wann es geschieht, aber es geschieht bestimmt. Plötzlich begreifst du, dass du von <Hi> auf <Bye> umschaltest. Und der Tod ist ein Fulltimejob. Du musst deinen Kopf ziemlich verrenken, um in die andere Richtung zu schauen, denn der Tod ist plötzlich so deutlich vor dir wie nie zuvor. Rein gedanklich war dir klar, dass du sterben musst, aber eine Realität war das für dich nicht.« Und auch bei mir, dem Vater eines nervig lebendigen vierzehnjährigen Mädchens, vertiefen sich langsam entsprechende Gefühle. Sportlich bin ich nicht mehr aktiv {meinem Rücken geht es wirklich schlecht - dazu später mehr), aber Natalie ist sehr sportlich. Kürzlich kam nach einem Fußballspiel sogar jemand von den Eltern der gegnerischen Mannschaft mit den Worten auf sie zu: «Du musst unbedingt Profi werden.« Warum bloß ist mein Vater mit siebenundneunzig Jahren derart versessen auf die pure Langlebigkeit, das reine Überleben? Er ist - zumindest für mich - verdammt, ja unerträglich lebendig und interessant, aber ich will ihn auch nicht in einem allzu romantischen Licht schildern. Er ist eine Lebensmaschine voller Lebensenergie - ein erschöpfendes Thema, aber er erschöpft uns auch alle. Ruhe in Frieden? Bei ihm kaum vorstellbar. Als Mark Harris zu erklären versuchte, warum er Saul Bellow für einen besseren Schriftsteller als dessen Zeitgenossen halte, meinte er, Bellow sei einfach lebendiger als alle anderen; und das gilt irgendwie auch für meinen Vater. Über D. H. Lawrence sagte man, er habe gelebt wie ein Mensch ohne Haut. Auch das ist mein Vater: Ständig dränge ich ihn, sich eine dickere Haut zuzulegen, aber er lehnt es immer wieder ab. Ich habe offenbar einen Ödipuszwang, ihn unter einem Wust von Fakten über Sterben und Tod zu begraben. Warum drängt es mich, meinen Vater vorzeitig ins Leichentuch zu wickeln? Er ist stark und schwach zugleich; ich liebe und ich hasse ihn; ich möchte, dass er ewig lebt, und ich möchte, dass er morgen stirbt. Säuglingsalter und Kindheit Unsere Geburt ist nichts als der Beginn unseres Todes Ein Fötus ruht nicht passiv im Uterus der Mutter und wartet darauf, ernährt zu werden. Seine Plazenta lässt Blutgefäße hervorsprießen, die in das mütterliche Gewebe eindringen, um sich mit Nährstoffen zu versorgen. Eine Mutter und ihr ungeborenes Kind befinden sich in einem unbewussten Kampf um die Nährstoffe, mit denen sie es versorgt. Schwangerschaft ist nach den Worten des Evolutionsbiologen David Haig ein Tauziehen: jede Seite zieht kräftig; das Fähnchen in der Mitte des Taus bewegt sich kaum. Dasein ist Krieg. Der Mensch existiert seit 250 000 Jahren; während dieser Zeit haben neunzig Milliarden Individuen gelebt und sind gestorben. Wir sind einer von 6,5 Milliarden Menschen, die heute auf dem Planeten leben, und 99,9 Prozent unserer Gene sind die gleichen wie bei jedem anderen Menschen. Der Unterschied liegt in den verbleibenden 0,1 Prozent - in einer einzigen von jeweils 1000 Nukleotid-Basen. Wir werden mit 350 (langen, kurzen, platten und unregelmäßigen) Knochen geboren; während wir wachsen, fügen sie sich zusammen: der Körper eines Erwachsenen hat 206 Knochen. Ungefähr siebzig Prozent unseres Körpergewichts bestehen aus Wasser - das ist etwa der gleiche Prozentanteil, den auch das Wasser an der Gesamterdoberfläche einnimmt. Ein neugeborenes Kind, dessen durchschnittliche Herzfrequenz bei 120 Schlägen pro Minute liegt, durchlebt den Übergang von einer angenehmen, mit Flüssigkeit angefüllten zu einer von kalter Luft erfüllten Umgebung, indem es die Luft fünfzig Mal so stark einsaugt wie jeder Erwachsene beim durchschnittlichen Atem Vorgang. Ich war eine Steißgeburt, was deshalb gefährlich ist, weil der Kopf (in diesem Fall: mein Kopf) als letztes herauskommt, was die Möglichkeit, dass die Nabelschnur sich um den Hals (in diesem Fall: um meinen Hals) legt, dramatisch erhöht. Ich trat mit den Füßen voran in die Welt, verblieb eine zusätzliche Woche im Krankenhaus, weil ich etwas Ruhe und Erholung in einem wannen Brutschrank finden sollte, den mein Vater, wenn irgend jemand auch nur in seine Reichweite kam, wie ein Torwart bewachte. Sobald ich mehr als einige Minuten bewegungslos dalag, soll mein Vater auf die Glaskuppel geklopft haben. Ich war nicht tot, Dad. Ich habe nur geschlafen. Während meines ganzen Lebens habe ich vorgegeben, eine kalte, lufterfüllte Umgebung - die Gefahr - zu suchen, doch wohin ich mich wirklich stets hingezogen gefühlt habe, das war die angenehme, flüssigkeitserfüllte Umgebung - die Sicherheit. Ich erinnere mich daran, wie meine Mutter mich einmal lobte, weil ich nicht auf den Spielplatz kletterte, als die Eingangspforte verschlossen war, während mein Vater darüber ärgerlich war, dass ich nicht über den Zaun gestiegen bin. Als Wide Receiver in der Football-Mannschaft lief ich komplizierte Strecken, stand dann ganz allein in der Mitte des Feldes, winkte mit den Händen und forderte den Ball. Ich habe praktisch nie einen Pass fallen lassen, aber wenn es einmal vorkam, dass ich hart getroffen wurde, zuckte ich jedes Mal zusammen und verlor den Ball. Ich war der beste Softballspieler in der ganzen Nachbarschaft, aber als wir älter wurden, spielten wir mit dem Überhandschlag Fast-Pitch Hardball, und ich fing an auszuweichen. Beim Versuch, nach einem erfolgreichen Schlag die First Base zu erreichen, habe ich das Tempo immer gedrosselt, so dass der Wurf auf die First Base vor mir ankam und ich es auf diese Weise vermied, von einem unkontrollierten Wurf am Kopf getroffen zu werden. Auch beim Schlagen hatte ich Angst, getroffen zu werden; beim Fangen fürchtete ich mich vor Querschlägern aus dem steinigen Infield. Ich konnte 100 Yards in 10,8 Sekunden laufen, aber ich hatte sehr lange Beine, und der Leichtathletik-Trainer bestand darauf, dass ich am Hürdenlauf teilnahm; ich stotterte in kurzen Schritten vor jeder Hürde, um abzuschätzen, ob ich es wohl schaffte und kam als Letzter ins Ziel. Da ich nie Tauchen gelernt habe, sprang ich mit den Füßen zuerst ins Schwimmbecken. Der Schwimmlehrer bugsierte mich an den Rand des Sprungbretts, brachte meine Arme und Beine in Stellung, hielt mich eine Sekunde in der Luft und ließ mich dann ins Becken plumpsen. Im letzten Moment drehte ich mein Gesicht um, und dann knallte ich aufs Wasser wie auf ein Bett mit elektrischen Nadeln. Wovor hatte ich eigentlich Angst? Warum habe ich mich immer davor gefürchtet, mich zu verletzen?

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