CARL SCHURZ DAS DEUTSCHTUM IN DEN VEREINIGTEN STAATEN IN SEINER BEDEUTUNG FOR DIE AMERIKANISCHE KULTUR VON ALBERT B. FAUST PROFESSOR AN DER CORNELL-UNIVERSITÄT BERECHTIGTE DEUTSCHE AUSGABE SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH 1912 Auf Anregung des Kaiserlich Deutschen Generalkonsuls in Chicago, des Herrn Dr. Walther Wever, stiftete Frau Katharine Seipp daselbst im März 1904 Preise für die drei besten Arbeiten über den Gegenstand "Das deutsche Element in den Vereinigten Staaten, unter besonderer Berücksichtigung seines politischen, ethischen, sozialen und erzieheri schen Einflusses". Die Werke waren ohne Namensnennung der Ver fasser bis zum 22. März 1907 bei der Germanistischen Abteilung der Universität Chicago einzureichen. Preisrichter waren die Herren Hanno Deiler, Professor an der Universität Tulane, Frederick j. Turner, Pro fessor an der Staatsuniversität Wisconsin, und Karl Detlev Jessen, Professor am Bryn Mawr College. Bei diesem Wettbewerb wurde der erste Preis Herrn Professor Faust zuerkannt. Universität Chicago. (gez.) Starr Willard Cutting. Im Juli 1911 wurde dem vorliegenden Werke von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften der Preis der Graf-Loubat Stiftung für amerikanische Geschichte zuerkannt. Die Verlagsbuchhandlung. ISBN 978-3-663-15611-6 ISBN 978-3-663-16185-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-16185-1 © Springer Fachmedien Wiesbaden 1912 Ursprünglich erschienen bei B. G. Teubner in Leipzig. 1912 Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1912 ALLE RECHTE, EINSCHLlESSLlCH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN. VORWORT Schon seit mehr als zehn jahren hat der Verfasser die Mußestunden, die ihm sein Beruf ließ, der Sammlung und Durcharbeitung des Mate rials gewidmet, das über das deutsche Element in den Vereinigten Staaten zu beschaffen war, nicht ohne die stille Hoffnung, eines Tages die Ergebnisse seiner Forschungen zusammenfassen und verwerten zu können. Die hervorragende Bedeutung, die den Deutschen, als einem der gestaltenden Elemente des amerikanischen Volkstums zu kommt, ihre stete Beteiligung an den Werken des Friedens, wie an den Beschwerden des Krieges, gebot schon lange eine Zusammenfassung der wesentlichen Tatsachen ihrer Geschichte von den frühesten Zeiten bis hinein in die Gegenwart. Einen solchen Überblick hat es bisher in englischer Sprache überhaupt nicht gegeben, im Deutschen ist er seit den Veröffentlichungen Löhers (Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika 1847) und Eickhoffs (In der neuen Heimat 1884) nicht wieder versucht worden. Die Frage, ob jetzt die Zeit dazu gekommen sei, ist bei dem noch immer außerordentlich lückenhaften Stand der Forschung auf diesem Gebiet von den Gelehrten durchweg verneint worden. Ob aber die so notwendige Ergänzung unseres Wis sens mehr durch diese vorsichtige Zurückhaltung als durch die Dar legung des bereits vorhandenen, reichen Quellenmaterials gefördert wird, ist wohl zu bezweifeln. Nur immer sammeln, ohne umsichtige Verwertung, heißt dem eigentlichen Zwecke der Forschung nicht ge recht werden. In allerneuester Zeit tritt ein steigendes Interesse an den bestim menden Elementen in der Entwicklung des amerikanischen Volkstums zutage. Es haben sich diese Fragen einen Platz in den Vorlesungen unserer Universitäten, wie in den Spalten unserer Zeitschriften erobert. Die größere oder geringere Beschränkung der Zuwanderung fremder Elemente, je nach der Eigenart jedes einzelnen, ist 'für Amerika eine der wichtigsten Fragen der Gegenwart. Daher darf ernste Untersuchung IV Vorwort des Wertes der wesentlichen früheren ZuflUsse zur amerikanischen Be völkerung den Anspruch erheben, für die Gegenwart, wie für die Zu kunft von Wert zu sein. Einen neuen Ansporn zur Vollendung seines Werkes gab dem Ver fasser das Preisausschreiben der Conrad-SeippschenGedächtnis-Stif tung. Die gen aue Bestimmung der Frage, die auf der dem Vorwort vorangehenden Seite wörtlich wiedergegeben ist, stellt eine zweifache Aufgabe: sie verlangt zunächst einen Abriß der Geschichte der Deut schen in den Vereinigten Staaten, und des weiteren eine Untersuchung ihres staatlichen, sittlichen, gesellschaftlichen und erzieherischen Ein· flusses. Der historische Teil handelt von den deutschen Ansiedlungen in den 13 Kolonien vor dem Befreiungskriege, fUhrt den Bericht durch das 19. Jahrhundert hindurch fort und lenkt die Aufmerksamkeit auf die wesentlichen CharakterzUge der Deutschen, auf ihre Betätigung in Krieg und Frieden, ihre Mitarbeit am Aufbau der Nation. Das Zeugnis, das die Geschichte den Einwanderern deutschen Stammes ausstellt, gereicht ihnen zur hohen Ehre und sollte ihre Nachkommen lehren, das Andenken eines Weiser, Post, Herkimer, Ludwig, Treutlen, Helm, Bowman, MUnch, Folien, Sutro, Sutter, Röbling und vieler anderer heilig zu halten, und in den Taten eines Mühlenberg, Steuben, Kalb, Lieber, Schurz, Körner, die stolze Gewähr unvergänglicher Wirkung deutscher Arbeit auf amerikanischem Boden zu finden. Die in der Behandlung des deutschen Einflusses angewandte Me thode war die, aus einer Zusammenstellung von Einzelfällen sichere Ergebnisse abzuleiten. So liefert das Kapitel über industrielle Ent wicklung in einer Reihe von Darlegungen den Beweis, daß sich in allen Zweigen der Technik deutscher Einfluß hervorragend betätigt hat; unter der Überschrift "Politik" wird an vielen Beispielen die politische Selbständigkeit der Deutschen dargetan; in dem Abschnitt, der sich mit dem Ackerbau befaßt, wird festgestellt, daß der deutsche Land mann nicht nur die ihm eigentümliche Geschicklichkeit und Arbeits freude betätigte, sondern sich auch immer den neuen Verhältnissen an zupassen vermochte, daß er z. B. im Süden zum Reisbau, im Westen zum landwirtschaftlichen Großbetriebe überging, und neue Ackerbau maschinen entweder selbst erfand oder bereitwillig einfUhrte. Die Schwierigkeit einer endgültigen Lösung der Aufgaben des zwei ten Teiles war noch ernster, als die des historischen Abrisses. Zu einer volkswirtschaftlichen Geschichte der Vereinigten Staaten sind wohl Vorwort v neuerdings die ersten Schritte getan, von einer wirklichen Lösung die ser äußerst schwierigen Aufgabe kann aber noch keine Rede sein. Die Bände der Volkszählungslisten werfen wohl hier und da ein wirkliches Licht auf dieses Gebiet, doch steht uns einstweilen die Geschichte keiner unserer großen amerikanischen Industrien zur Verfügung. Mit jedem der betreffenden Kapitel betrat daher der Verfasser ein völlig neues Forschungsgebiet und stieß auf Schwierigkeiten mannigfaltigster Art. Wiederholt hat er sich mit Fachleuten oder Vertretern eines besonderen Industriezweiges in Verbindung gesetzt, so zum Beispiel bei seinen Nachforschungen über den Weinbau, die Lithographie und die Her stellung landwirtschaftlicher Geräte. Auf diese Weise ist es ihm häufig gelungen, sich Auskünfte zu verschaffen, die aus Büchern nicht erhält lich waren. Dieser besonderen Schwierigkeit wegen ist der zweite Teil des Werkes notgedrungen, viel mehr noch als der erste, als ein Versuch aufzufassen, dem die unvermeidlichen Mängel der Pionierarbeit an haften; doch aus eben diesem Grunde war er für den Verfasser der fesselndste Teil seiner Arbeit, und wird vielleicht auch für den Leser der anregendste sein. Da es erforderlich war, das umfangreiche Material über diesen Gegenstand in angemessene Grenzen zu bannen, ist das holländische Element so gut wie unbehandelt geblieben, abgesehen von der im ersten Kapitel des vorliegenden Bandes enthaltenen statistischen Berechnung der Gesamtzahl aller Einwohner deutschen Blutes. Holländer sind Deutsche reineren Blutes als manche der Bewohner der östlichen Ge biete des Deutschen Reiches, und ihre Geschichte in den Vereinigten Staaten ist von der eigentlich deutscher Volksstämme oft gar nicht zu scheiden. Aber sie haben doch häufig eigne Kolonien gebildet, so zum Beispiel im Staate New-York, und ihre Geschichte ist so wichtig, daß sie ihre besondere Behandlung fordert. Aus gleichem Grunde sind die Leistungen der aus Deutschland ein gewanderten juden im allgemeinen nicht in Betracht gekommen. Mit seinen menschenfreundlichen Stiftungen, die weit zurück in die ameri kanische Geschichte reichen, mehr noch in Handel und Gewerbe, hat sich dieser Volksstamm eine besondere Stellung erworben, die eine selbständige Behandlung verdient, und das Bestehen verschiedener israelitischer historischer Gesellschaften läßt uns eine solche auch er hoffen. Wohl aber im einzelnen als Träger deutscher Kultur, wo es keinem Zweifel unterlag, daß neue Werte auf dem Gebiete der Kunst VI Vorwort und Technik, der Wissenschaft und der Erziehung von Deutschland her durch sie eingeführt wurden, galt es die deutschen juden in gleichem Maße bei der vorliegenden Betrachtung zu berücksichtigen, wie etwa die Schriften Heines in die Geschichte der deutschen Literatur gehören. Durchweg ist die Zahl der aus Deutschland eingewanderten juden überschätzt worden. Während des einzigen Zeitabschnittes, für den genaue Angaben erhältlich sind, d. h. seit dem jahre 1898, hat es sich gezeigt, daß die deutschen juden in der Gesamtzahl der Einwanderer aus dem Deutschen Reich nur I Yz Prozent ausmachen (1898 bis 1904). In Deutschland selbst betragen sie nur ein Hundertstel der Gesamt bevölkerung. Vermutlich war der Prozentsatz ihrer Einwanderung während der Zeiten gesellschaftlicher Ächtung im 18. und 19. J ahr hundert höher, doch unterliegt es keinem Zweifel, daß ihr Durchschnitts anteil an der deutschen Einwanderung niemals 2 Prozent überschrit ten hat. Tatsachen, deren Sicherheit nicht unantastbar feststand, hat der Verfasser nach Möglichkeit ausgeschaltet. Wo Zweifel über die deutsche Abstammung einer besonderen Persönlichkeit vorlagen, findet deren Name in diesen Blättern keine Erwähnung; so dürfte sich das vorlie gende Werk vielleicht eher einer gelegentlichen Unterwertung als eitler Übertreibung schuldig machen. Bei der Aufführung bedeutender Per sonen als Beispiele deutschen Einflusses, galt es denjenigen den Vor zug zu geben, über die der Verfasser genau unterrichtet war, und sich andererseits für die zu entscheiden, die ihm nicht an und für sich, son dern eben als Beispiele am geeignetsten zu sein schienen. Daher mußten viele Namen unberücksichtigt bleiben, die wohl eine Erwähnung ver dient hätten, ja vielleicht eher als die angeführten. Man wolle daher im Auge behalten, daß es sich um Beispiele, nicht um ein erschöpfendes Verzeichnis hervorragender Männer deutscher Abstammung handelt. Die Originalausgabe dieses Werkes erschien im jahre 1909, im Ver lag von Houghton Mifflin Co., Boston, unter dem Titel "The German Element in the United States, with special reference to its political, moral, social, and educational influence." Sie erschien in zwei Bänden, von denen der erste die Geschichte, der zweite den Einfluß des Deutsch tums in Amerika behandelte. In der deutschen Ausgabe erscheint das Werk 'in zwei selbständigen Bänden nebeneinander, und zwar der vor liegende, den deutschen Einfluß behandelnde Teil zuerst. Es handelt sich bei dieser deutschen Ausgabe nicht um eine bloße Übersetzung, Vorwort VII sondern der Verfasser hat sich bestrebt, der deutschen Bearbeitung den Gewinn seiner Forschungen während der letzten paar Jahre zugute kommen zu lassen. Die Übersetzung des englischen Originalwerkes ist vor längerer Zeit in Deutschland hergestellt worden von Fr\. Sophie v. Harbou, die keine Anstrengungen gescheut hat, eine oft mit Unter brechungen verknüpfte mühevolle Arbeit zu Ende zu führen. Die mancherlei vorauszusehenden Schwierigkeiten jedoch, die sich daraus ergaben, daß der englische Text jene volle Vertrautheit mit amerikani schen Verhältnissen voraussetzte, wie sie eben nur der im Lande Woh nende besitzen kann, sowie die vielen Änderungen und Zusätze, die seit der Veröffentlichung der englischen Ausgabe notwendig geworden waren, machten eine gründliche Nachprüfung und an manchen Stellen eine Neubearbeitung notwendig. Für diese Durchsicht und für die Übersetzung der Nachträge ist der Verfasser seinem Freunde und Kol legen Dr. phi\. A. W. Boesche verpflichtet. Vielen anderen hat der Verfasser für freundlichen Beistand und Rat zu danken; auf diese findet sich ein besonderer Hinweis an den be treffenden Stellen, wo von ihrer wertvollen Unterstützung Gebrauch gemacht wurde. Doch sei hier ausdrücklich Herrn Professor Hugo Münsterberg der Dank des Verfassers dafür ausgesprochen, daß er als Direktor des Amerika-Instituts in Berlin weder Zeit noch Mühe sparte, um der deutschen Ausgabe den Weg zu bahnen. Ithaca, N. Y., den 12. Juli 1911. Albert B. Faust. INHALTSVE RZ EIe HN I S Seite Vorwort des Verlegers. 11 Vorwort des Verfassers III Einleitung . . . . . . 1-5 I(apitel I Schätzung der Zahl der Personen deutschen Blutes in der Bevölkerung der Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5-26 Frühere Forschungen - Mannhardts statistische Arbeit, von Böckh kritisiert - Auflösung des Problems in drei Fragen: I. Gesamtzahl der von deutschen Eltern stammenden Personen in den Vereinigten Staaten im jahre 1900 - 11. Die Zahl der Personen deutscher Abstammung in den Vereinigten Staaten im jahre 1790 und die Zahl ihrer Nachkommen im jahre 1900- 111. Die Zahl der in den beiden vorhergehenden Klassen nicht ent haltenen deutschen Einwanderer während des Zeitraumes von 1790 bis 1900 - Das Gesamtergebnis der drei sich hierbei heraus stellenden Zahlen als annähernde Schätzung der um 1900 in den Vereinigten Staaten lebenden Personen deutscher Abstammung; Betrag etwa 18 Millionen - Vergleich mit der numerischen Stärke des englischen und des irischen Elements. I(apitel 11 Der Einfluß der Deutschen in der materiellen Entwicklung der Vereinigten Staaten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27-68 I. Ihre Bedeutung für den Ackerbau und die Lebensmittelindustrie . Die Deutschen als Landwirte - Hervortretende Züge - Als freie Hofbesitzer - Ihre Besiedlung der Kalksteingebiete - Vorliebe für fruchtbares Waldland - Die Deutschen die besten Landwirte in Amerika - Eigentümliche amerikanische Erzeugnisse von Deut schen gezüchtet - Ihre Obstzucht ; Schwerdkopf, der erste Erd beerenzüchter im Staate New-York - Weinbau in Kalifornien, Missouri usw. - Anaheim in I(alifornien - Ackerbau-Wissen schaft - Anpassungsfähigkeit des deutschen Landwirts - Ver wandte Tätigkeitszweige - Waldbau - Baumschulen - Gärtnerei - Landschaftsgärtnerei - Lebensmittelindustrie - Herstellung von I(onserven - Getreidemühlen und Mehlfabriken - Zucker und Salzbereitung - I(leinere Betriebe; Metzgerei; Bäckerei usw. - Brauerei€l1 - Gasthöfe - I(urze Zusammenfassung. Kapitel III Deutscher Einfluß auf die materielle Entwicklung der Vereinigten Staaten. 11. Auf technischem Gebiet; auf andern gewerblichen Gebieten • 69-108 Technische Schulen in Deutschland, als Ursache der vorzüglichen Leistungen Deutscher auf allen technischen Gebieten in den Ver einigten Staaten - Brückenbau : Röbling, Schneider und andere-