Das Cross -Verfahren Die Berechnung biegefester Tragwerke nach der Methode des Momentenausgleichs Von Dr.lng. Johannes Johannson Mit 18 Zahlenbeispielen und 137 Abbildungen Springer -Verlag Berlin / Göttingen / Heidelberg 1948 ISBN 978-3-642-52900-9 ISBN 978-3-642-52899-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-642-52899-6 Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright 1948 by Springer-Verlag OHG in Berlin! Gottingen ! Heidelberg. Vorwort. Das CRoss-Verfahren hat sich in den letzten Jahren bei allen Sta tikern einer stets wachsenden Beliebtheit erfreut. Bis jetzt fehlte eine Darstellung des Verfahrens in geschlossener Form. Vorliegende Ab handlung wurde deshalb von dem Grundgedanken her entwickelt, allen Fachkollegen, die das Verfahren aus Zeitschriftenbeiträgen kennen, eine Vertiefung ihres Wissens zu ermöglichen. Diejenigen, die mit dem CRoss-Verfahren nicht vertraut sind, soll das vorliegende Buch mit einer der wichtigsten Neuerungen auf dem Gebiete der Statik der Stab werke bekannt machen. Um die Lektüre möglichst einfach zu gestalten und ein Zurückgreifen auf heute oft nicht zur Verfügung stehende Werke zu vermeiden, werden als bekannt nur die Grundlagen des Kraft größenverfahrens vorausgesetzt. Die Kenntnis der heiden, dem CROSS Verfahren innerlich verwandten Systeme, des Drehwinkelverfahrens und der Festpunktmethode, ist für das Verständnis nicht erforderlich. Die Abhandlung ist in vier Teile gegliedert. Im Abschnitt A, der die unverschieblichen Tragwerke behandelt, werden die verschiedenen, für die Praxis wichtigen Amgleichsmethoden dargestellt, die alle auf dem Grundgedanken von CROSS basieren. Hier ist auch für Tragwerke von beliebiger Form bis zu fünf Knoten eine einfache Formel entwickelt, welche die beim CRoss-Ausgleich sich er gebenden Reihen in geschlossener Form löst und somit, mit einem ge ringeren Zeit aufwand als beim normalen Ausgleich, die genaue Lösung ermöglicht. Besonderer W~rt wurde auf die Darlegung der Vorteile, die sich bei Symmetrie und Antimetrie auch beim CRoss-Verfahren er geben, gelegt, da oft schon in Zeitschriftenaufsätzen die Aumützung dieser Vorteile beim CRoss-Verfahren fälschlich als nicht möglich be zeichnet wurde. Im Abschnitt B sind die horizontal verschieblichen Tragwerke be handelt, und zwar erstens mit Hilfe der Zusatzmomentenfläche und zweitens durch Einbeziehung der Horizontalkraft in den Ausgleich. Im Abschnitt C wird die Entwicklung von Einflußlinien beim CROSS Verfahren mit Hilfe der Einheitsmomentenbelastung gezeigt. Der Abschnitt D enthält die Anwendung bei veränderlichem Träg heitsmoment mit all den hierfür erforderlichen Formeln. In achtzehn vollständig durchgerechneten Zahlenbeispielm sind alle Rechenverfahren erläutert. Es seien hier noch einige grundsätzliche Bemerkungen über das CRoss-Verfahren eingeschaltEt: IV Vorwort. Das CRoss-Verfahren stellt keine Näherungsmethode dar, etwa wie das Arbeiten mit gescllätzten Momentennullpunkten, sondern eine Methode der schrittweisen Annäherung, die das Ergebnis mit einer beliebigen Genauigkeit liefert. In mathematischer Hinsicht ist es eine neue Methode der Auflösung eines linearen Gleichungssystems, die aber für die praktische Anwendung wesentliche Vorteile bietet. Die Aufstellung deI'! Gleichungssystems wird umgangen und damit, abgesehen vom Arbeitsaufwand, eine Möglichkeit für Rechenfehler, die sich erst am Schluß durch statische Kontrollbedingungen aufdecken lassen, vermieden. Die Rechengenauigkeit braucht niemals aus rein mathematischen Griinden (Fehlerempfindlichkeit der Matrix) über ein technisch erfor derliches Maß gesteigert werden. Die Berechnung kann jeweils nach Erreichung der für den vorlie genden Fall erforderlichen Genauigkeit abgebrochen werden. Der Nachteil, der bei der Behandlung mehrerer Lastfälle darin liegt, daß der gesamte Ausgleich für jeden Lastfall wiederholt werden muß, läßt sich durch Anwendung des zweistufigen Verfahrens bzw. durch die geschlossenen Lösungen weitgehend ausschalten. Wie an dem Durchlauft räger über fünf Stützen, der nach dem normalen und nach dem zweistufigen Ausgleich behandelt ist, gezeigt wird, kann man den Arbeitsaufwand für den Ausgleich beim zweistufigen Verfahren soweit verringern, daß er nicht mehr Zeit beansprucht als für die Lösung der rechten Seite einer Matrix erforderlich ist. Ich möchte auch an dieser Stelle Herrn Dr. lng. MARKUS KÖPE für seine wertvolle Mitarbeit danken. Ebenso danke ich dem Geschäftsführer der Münchener Bau Ingenieurbüro G. m. b. H., Herrn Dr. lng. D. ZIWOGLU, für die Durch sicht der Korrekturbogen. München, im Mai 1948 Johannes Johannson. Inhaltsverzeichnis. Seit-e A. Die unverscbieblichen Tragwerke . . . . . . . 1 1. Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . 1 1. Physikalische Deutung des Cross.Verfahrens 1 2. Festwerte . . . . . . . . . 2 a) Der Übertragungsfaktor y 2 b) Steifigkeitswerte . . . . 2 c) Der Verteilungsfaktor p. • 4 3. Vorzeichenregel . . . . . . 5 4. Allgemeines über verschiebliche und unverschiebliche Tragwerke 7 H. Au sgleichsverbhren. . . . . . . . . . . . . 9 1. Der Momentenausgleich am System . . . . . . 9 1. Beispiel: Der Durchlauft räger mit Kragarm . 12 2. Beispiel: Unverschieblicher Stockwerkrahmen 14 2. Der Momentenausgleich in tabellarischer Form . 16 3. Beispiel: Unverschieblicher Stockwerkrahmen (Ausgleich in tabellarischer Form) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Der 'zweistufige Ausgleich ................ 19 4. Beispiel: Durchlauft räger, nach dem zweistufigen Verfahren gerechnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 4. Eine weitere Vereinfachung für den zweistufigen Ausgleich 24 5. Beispiel: Der Durchlauft räger (s. 1. Beispiel) ..... 26 6. Beispiel: Zweistöckiger Rahmen . . . . . . . . . . . . 26 5. Geschlossene Lösungen für Tragwerke mit drei, vier oder fünf Knoten. . . . . . . . . . . . . .. ...... 31 (j. Vereinfachung des Berechnungsganges bei Symmetrie und Antimetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 7. Beispiel: Eingespannter symmetrischer l~ahmen 36 8. Beispiel: Hallenrahmen . . . . . 37 9. Beispiel: Hoher Stockwerkrahm"n 38 B. Die verschieblichen Tragwerke . . . . . . . 41 I. Horizontalverschiebliche Rahmen 41 1. Einstöckige Rahmen . . . . . . . . 41 2. Mehrstöckige Rahmen . . . . . . . 47 10. Beispiel: Hallenrahmen unter Windlast 49 11. Beispiel: Nach der Seite zweifach verschieblicher Hallen. rahmen unter Winddruck 51 H. Vertikal verschiebliehe Rahmen 56 IH. Der Au sgleic h un ter Ein beziehung der Horizontalkraft 58 12. Beispiel: Einfach verschieblicher Rahmen unter Windlast 63 VI Inhalt sverzeichnis. Seit 13. B~ispiel: Hoher Stockwerkrahmen unter Windhclastung 65 14. Beispiel: Hochhaus unter Winddruck . 67 IV. Einfluß von Temperaturänderungen 71 1. Gleichmäßige Temperaturänderung . . 71 2. Ungleichmäßige Temperaturänderung 76 3. Einfluß der Normalkräfte 77 4. Auflagerverschiebung . . . . . . . 78 15. Beispiel: Rahmen mit Sheddach 78 C. Einflußlinien 82 16. Beispiel: Rahmenbrücke; Einflußlinie für das Stützmoment 3,4 bei unveränderlichem Trägheitsmoment 84 D. Veränderliche Trägheitsmomente . . . . . . . 88 I. Festwerte . . . . . . . . . . . . . . . 83 1. Bestimmung der Übertragungsfaktoren . 92 2. Bestimmung der Steifigkeit. . . . . . 92 3. per auf Stablänge veränderliche Stiel bei Seitenverschiebung 94 4. Bestimmung der Winkel und ß . . . . '.' . . . 91i (X 17. Beispiel: Rahmenbrücke mit veränderlichem Trägheits. moment unter gleichmäßiger Belastung . . . . . . . . . 99 18. Beispiel: Rahmenbrücke; Einflußlinie für das Stützmoment 3,4 bei veränderlichem Trägheitsmoment 102 II. Nebenspannungen im Fachwerk. 107 Anhang: Tabellen . . . . . . . . 110 A. Die ullverschieblichell Tragwerke. I. Grundbegriffe. 1. Physikalische Deutung des Cross-Verfahrens. Professor CROSS geht von einem System mit unverdrehbaren Knoü·n aus. Die infolge der Belastung der einzelnen Stäbe auftretenden Mo mente sind dann iden- tisch mit den Momenten beiderseits eingespann ter Träger (s. Abb. 1). Um eine möglichst an schauliche Vorstellung J. uilb ....." t,~llllIlfl!.!lJlI!!b...""~rmm,,..dlllWlllJ----__~ ~ von den physikalischen Vorgängen zu gewinnen, dicden einzelnenRechen operationen zugrunde liegen, denken wir uns von dem in Abb. 1 dar A 11b. 1. Momentenverlauf am System gestellten Rahmen ein mit unverdrehbal'en Knot.en. Modell gt~fertigt, dessen Knoten durch senkreeht zur Rahmenebene angebrachte Schrauben un verdreh bar festgehalten sind. Das System mit starren Knoten wird nun durch stufenweises Lösen der Festhalteschrauben in das wirkliche Tragwerk mit frei drehbaren Knoten überführt. Wir beginnen mit dem Öffnen des linken Knotens, infolge der äußeren Belastung verdreht er sich. Durch die Verdrehung des Knotens treten in den Stabenden der am geöffneten Knoten ange schlossenen Stäbe Momente auf, die zu den Einspannstellen wie zu den Nachbarknoten weitergeleitet werden. Nun blockieren wir die soeben gelöste Schraube und öffnen die Festhaltung des rechten Knotens. Da mit treten die gleichen Vorgänge ein, wie sie vorher für den linken Knoten beschrieben wurden. So erhält z. B. das Stabende 2,1 ein Moment, das zum Knoten 1 übertragen wird. Dieses Moment ist bestrebt, die vorher kräftefreie Festhaltung des Knoten 1 zu verdrehen. Durch mehrmaliges Öffnen und Schließen der Knoten werden die v, echselseitig übertragenen Momente kleiner und kleiner. Das System geht so allmählich in das wirkliche Tragwerk mit frei drehbaren Knoten über. Zur leichteren Darstellung wurde ein System mit zwei Knotell Johaunson, Cross·Verfabren. 1 2 Die unversthieblichen Tragwerke. gewählt, der gleiche Gedanke läßt sich selbstverständlich auf Trag werke mit beliebig vielen Knoten ausdehnen. Bei den Rechenoperationen, die den geschilderten physikalischen Vorgängen entsprechen, werden einige, nur von der Gestalt. des Trag werkes abhängige Hilfswerte benötigt. Im Folgenden werden diese Werte abgeleitet. 2 .. Festwerte. a) Der iJbertragungsfaktor y. Die folgenden Untersuchungen werden alle unter der Voraussetzung stabweise unveränderlicher Trägheitsmomente gemacht. Die gleichen Begriffe werden später in etwas anderer Form für Stäbe mit veränder lichem Trägheitsmoment abgeleitet. Unter dem übertragungsfaktor versteht man den Wert 1', mit dem das am frei drehbar gelagerten Ende eines Trägers angreifende Moment M zu multiplizieren ist, um das 2 am eingespannten Ende auftretende Moment Mt zu erhalten (siehe Abb.2). Die Berechnung von MI geschieht am einfachsten mit Hilfe der CLAPEYRoNschen Gleichung: ,~ .. I ~----l Abb.2. Also beträgt I' = 1/2. Das Vorzeichen wird nicht berücksichtigt, da y bei der weiteren Rechnung nur als absolute Zahl in Erscheinung tritt. b) Steifigkeitswerte. Steifigkeit k. Unter der Steifigkeit k eines Trägers versteht man das Moment, das am frei aufliegenden Trägerende angreift und hier die Winkel drehung "eins" hervorruft, wenn das andere Trägerende eingespannt ist. Je gedrungener ein Träger 1 ist, um so größer muß das J Moment sein, das die Winkel- ) N drehung "eins" vernrsacht, um so steifer ist also der Träger. Da nach MOHR die Verdrehung der Balkenend Abb.3. querschnitte gleich dem Auf. lagerdruck des mit der ~ -Fläche belasteten Trägers ist, läßt sich EJ Grundbegriffe. 3 unter Beachtung von Abb. 3 folgende Bedingungsgleichung zur Berech nung von M = kaufstellen: M 1 2 M 1 1 )8=1'= 1= EJ'2'P;- 2EJ '2'3' Jf= k= 4EJ, 1 Steifigkeit k'o Unter der Steifigkeit k' eines Trägers versteht man das Moment., das am frei aufliegenden Tlägerende angreift und hier die Winkeldrehung "eins" hervorruft, während das andere Trägerende ebenfalls frei dreh bar gelagert ist (s. Abb. 4). Auch hier läßt sich wieder unter Beachtung des MOHRsehen Satzes die Be dingungsgleichung aufstellen: M 1 2 )8=1'=1= EJ'2'-:;S, 3f". .M = k' = Abb. i. Steifigkeit k". Die Steifigkeit k" wird definiert als· das Moment; das am frei auf· liegenden Trägerende angreift und hier die Winkeldrehung "eins" hervorruft, während am anderen, ebenfalls frei drehbar gelagerten Trägerende ein gleich großes, entgegengesetzt gerichtetes Mome~t an gre.ift (s: Abb. 5). JI(f~, :m'~I )r In glelCher Welse WIe vorher f-~ _ ro, ergibt sich: " 2EJ l - J M = k = -t- Abb. 5. SYllllnetrisehe Belastung. Steifigkeit k"'. Unter der Steifigkeit k'" versteht man das Moment, das am frei aufliegenden Trägerende die Winkeldrehung "eins" hervorruft, während am anderen Trägerende ein gleich großes Moment mit M( )iI gleichem Drehsinn angreift (s. Abb. 6). Nach Auflösung der " Bedingungsgleichung erhalten wir wieder: ~~[ = k'll = 6EJ Abh.6. Antimetrische Belastung. 1 • Da fabt alle zu berechnenden Tragwerke aus demEelben Baubtoff herge stellt sind, braucht der Einfluß des Elastizitätsmoduls auf die Stcifig- 1* 4 Die un'lerschieblilhen Tragwerke. keit im allgemeinen nicht berücksichtigt werden. Außerdem benötigen wir nicht die Steifigkeit selbst, sondern nur Verhältniswerte. Also. können wir k beliebig erweitern oder kürzen. Wir kürzen k durch 4 E und beziehen die übrigen Steifigkeiten auf lc und erhalten somit: k=i...· k'=:!...k· k"=~:' k'''=~k l ' 4' 2 ' 2 . c) Der V( 'rteilungsfaktor fL. Gegeben sei das auf den Knoten 0 wirkende Moment M, gesucht die in den einzelnen Stäben im Knoten 0 auftretenden Momente: M Mo,;; Mo,n.···· O•1; Die Stäbe ZO,l; Zo, 2; Zo, n .... seien im Knoten 0 biegungssteifverbunden und in ihren Endpunkten teils fest eingespannt, t,eils gelenkig ange schlossen (s. Abb. 7). Die Ausdrücke für die Stabend momente als Funktionen der Form änderungsgrößen und der äußeren Belastung werden später für den allgemeinen :Fall eines Stabes mit veränderlichem Trägheitsmoment abgeleitet. Für den speziellen Fall gleicher AblJ.7. Trägheitsmomente erhalten wir für den, nur durch Knotenmomente belasteten unverschieblichen Stab, bei elastischer Einspannung in den Punkten 0 und i: 4EJo i 2EJo i (a) Mo,i=-z-' . TO,i+--Z-' Ti,O' Q,i 0, i Da die Stäbe laut Voraussetzung in den Punkten 1, 2 und i fest einge spanntsind, wird Ti,O = Tl, 0 = T2,0 = Ound es entfällt somit das 2. Glied in Gleichung (a). Bei gelenkigem Anschluß im Punkte n gilt: (b) 11,10 n = -31E.-lu' -n ' To t/' , O,n • Außerdem ist wegen der biegungssteifen Verbindung im Punkt 0: = = = = TO,i TO.1 TO,2 TO,n TO' Somit ergibt sich für die auf die einzelnen Stäbe anfallenden Momente: 3E.!o n Mo,n=-I-' 'TO: ".n {cl 4EJo ~ MO,2= -t-' . To; 0,2