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Das Buch 17 (Vorkurs Mathematik und Einführung in die Algebra) PDF

283 Pages·2017·1.386 MB·German
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Das Buch 17 Friedrich Ischebeck 2 Einleitung 17 ist die siebte Primzahl und die Summe der ersten 4 Primzahlen: 2 + 3 + 5 + 7 = 17. Sie l¨asst sich als 222 + 1 schreiben. Dies ist der Grund dafu¨r, dass man ein regelm¨aßiges 17-Eck mit Zirkel und Lineal konstruieren kann. Der Entdecker dieser Tatsache, Carl Friedrich Gauss, wurde im Jahre 1777 geboren. (Er starb 1855.) Ferner ist 17 die Summe von zwei Quadratzahlen (12 + 42), von drei dritten Potenzen (13 + 23 + 23) und von zwei 4. Potenzen ganzer Zahlen (14 +24). Und 17 = 23 +32 = 34 −43 sei auch nicht vergessen. Der eigentliche Grund aber fu¨r den Titel dieses Buches ist, dass ich mir Dich, liebe Leserin, lieber Leser, als etwa sieb- zehnj¨ahrigen jungen Menschen vorstelle, der sich fu¨r die Mathematik interessiert. Man k¨onnte dieses Buch also auch als Geschenk zum 17. Geburtstag eines jungen Menschen ” der Mathe mag“ bezeichnen. Es soll Dir nu¨tzlich sein, wenn Du vielleicht vorhast, einmal Mathematik, oder auch Physik, InformatikoderIngenieurwissenschaftenzustudieren.EssollDirvorallemVergnu¨genbereiten! Es soll Dir schließlich auch Gelegenheit bieten, Dich an Hand der eingestreuten Fragen und der U¨bungsaufgaben aktiv mit der Mathematik zu besch¨aftigen. ******* Der (historische) Anfang der Mathematik war die Besch¨aftigung mit den natu¨rlichen Zahlen 0, 1, 2, 3, ... und den geometrischen Figuren. Schon daran erkennt man, dass die Mathematik sich nicht jenseits aller Wirklichkeit befindet – obwohl das manch einem so scheinen mag. Schon fru¨h erkannte man, dass Geometrie und Zahlen viel miteinander zu tun haben. Aber gerade dieser Zusammenhang erzwingt es, mehr Zahlen als nur die natu¨rlichen zu betrachten. Nun kann man zur Not sagen: die Strecke a verh¨alt sich zu einem Meter (Elle, Fuß) wie 3 zu ” 5“, statt a ist 3/5 Meter (Elle, Fuß) lang“ und auf diese Weise den Gebrauch der rationalen ” Zahlen vermeiden. Aber ist das wirklich erstrebenswert? Auch die rationalen Zahlen, d.h. die Bru¨che mit ganzem Z¨ahler und ganzem Nenner, reichen (zumindestdemTheoretiker)nichtaus.Z.B.kannmandieL¨angederDiagonaleeinesQuadrates im Verh¨altnis zu einer Seite nicht (absolut genau) als rationale Zahl angeben. Man kann dieses 14 141 1414 Verh¨altnis nur ungef¨ahr als , besser als , noch besser als usw. angeben, wobei das 10 100 1000 usw.“ genauer zu erl¨autern w¨are. ” √ Da scheint es doch griffiger zu sagen die Diagonale ist 2-mal so lang wie die Seite“ und dann √” eine Methode anzugeben, wie man 2 durch rationale Zahlen approximieren kann. 3 √ Nun ist 2 zwar keine rationale, aber eine reelle Zahl, und so steht es auch mit π und vielen anderen Zahlen. U¨ber den Begriff ‘reelle Zahl’ muss und will ich Dir in diesem Buch auch einiges mitteilen. WillmandiePunkteeinerEbene(bzw.desRaumes)durch2(bzw.3)Koordinatenbeschreiben, so kommt man offenbar ohne negative Zahlen nicht aus. Du siehst, die Betrachtung des Rechenbereichs aller reellen Zahlen wird durch die Geometrie mehr oder weniger erzwungen. Die Zahlen sind nicht nur zum Z¨ahlen und messen, sondern auch zum Rechnen da. Z.B. kann man durch Rechnen das Z¨ahlen vereinfachen. Wenn etwa eine Partei im ersten Wahlbezirk 312, im zweiten 298 und im dritten 99 Stimmen gewonnen hat, so wird man in der Wahlzentrale diese Anzahlen addieren, statt die betreffenden Stimmzettel anliefern zu lassen, sie zusammen zu werfen und dann zu z¨ahlen. Du wirst keine Probleme haben, die drei genannten Zahlen ‘schriftlich’ zu addieren. Aber versuche das einmal, wenn die Zahlen in r¨omischer Schreibweise gegeben sind: CCCXII, CCXCVIII, IC. Dies zeigt die U¨berlegenheit des uns gel¨aufigen Dezi- malsystems.(ImAltertumhatmanmitdermechanischenRechenmaschine‘Abakus’praktisch eine U¨bertragung der r¨omischen oder griechischen Zahlenschreibweise in das Dezimalsystem vorgenommen!) Wenn man akzeptiert, dass es beispielsweise auf dieselbe Zahl hinausl¨auft, ob man die 312 und die 298 und die 99 Wahlzettel zusammenwirft und dann z¨ahlt, oder ob man diese Zahlen in beliebiger Reihenfolge addiert, dann akzeptiert man damit auch das Assoziativ- und das Kommutativgesetz der Addition, a+(b+c) = (a+b)+c, bzw. a+b = b+a (Du kannst Dir daru¨ber weitergehende Gedanken machen – musst es aber nicht. Dahinter steckt schließlich die Einsicht, dass man beim Z¨ahlen einer endlichen Menge von Gegenst¨anden unabh¨angig von der Reihenfolge immer zum selben Ergebnis kommt. Die meisten Menschen werden das in keiner Weise bezweifeln.) Dem Dezimalsystem liegt die Grundzahl Zehn zugrunde. Dabei ist die Zehn natu¨rlich nicht die einzig m¨ogliche, aber auch nicht die schlechteste Wahl, jedenfalls, was die Praxis des Rechnens betrifft. Die kleinstm¨ogliche Grundzahl 2 (mit den einzigen Ziffern 0 und 1) ist zwar fu¨r Computer am geeignetsten, aber vielleicht nicht fu¨r den Menschen. Wir sprechen vom Bin¨arsystem oder von der Bin¨arschreibweise, wenn wir von der Grundzahl Zwei ausgehen. Die Multiplikation natu¨rlicher Zahlen kann man als iterierte Addition definieren. Obwohl man sie demnach auf die Addition zuru¨ckfu¨hren kann, ist es aber sinnvoll, sie als eigenst¨andige Rechenart anzuerkennen. Warum und wie ich das meine, erl¨autere ich jetzt mit vier Argumen- ten. 1. Die – wie gesehen – nu¨tzliche Dezimal-Darstellung natu¨rlicher Zahlen benutzt implizit die Multiplikation: 3024 = 3·10·10·10+0·10·10+2·10+4. (In den Summanden braucht man auf Grund der Assoziativit¨at der Multiplikation keine Klammern zu schreiben. Ferner haben wir die gel¨aufige Konvention ‘Punktrechnung vor Strichrechnung’ genutzt.) Beim schriftlichen Addieren benutzt man implizit die Distributivit¨at, a(b+c) = ab+ac, also eine Regel, in der neben der Addition die Multiplikation eine Rolle spielt. 4 2. Man berechnet z.B. das Produkt127·344 sicher nicht, indem man 127 mal 344 zu sich selbst addiert, sondern schneller auf andere Weise, n¨amlich so wie Du das ‘schriftliche Multiplizieren’ auf der Schule gelernt hast. Wieder erkennt man die Nu¨tzlichkeit des Dezimalsystems, bzw. des Bin¨arsystems fu¨r Computer. 3. Es gilt – wie Du vielleicht weißt, aber auch ziemlich bald in diesem Buch lernen wirst – die Formel: n(n+1) 1+2+3+···+n = 2 Fu¨r nicht zu kleine n ist sicher die rechte Seite dieser Identit¨at schneller zu berechnen als die linke, obwohl man rechts nicht nur multiplizieren sondern auch noch dividieren muss. Und dies ist natu¨rlich nur eines unter vielen Beispielen. 4. Es ist nicht schwer, die Multiplikation natu¨rlicher Zahlen sinnvoll auf die rationalen Zahlen ‘auszudehnen’, wo man sie nicht mehr als iterierte Addition auffassen kann. Obenhabeichbereitserl¨autert,wiesodieGrundgesetzederAddition,n¨amlichdieAssoziativit¨at und Kommutativit¨at eigentlich selbstverst¨andlich sind. Wie steht es um die entsprechenden Gesetze fu¨r die Multiplikation? Wenn man das Produkt m · n zweier natu¨rlicher Zahlen als Summe von m Summanden der Gr¨oße n definiert, ist es nicht von vorneherein klar, dass bei der Addition von n Summanden der Gr¨oße m dasselbe herauskommt, d.h. ob m·n = n·m ist. Wenn Du aber sagst, m · n ist die Anzahl der Apfelsinen, die in m Reihen zu je n Stu¨ck angeordnet ist, wie in folgendem Bild, so wird das Gesetz m·n = n·m augenscheinlich. • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • Wie wu¨rdest Du Dir das Distributivgesetz a(b+c) = ab+ac fu¨r natu¨rliche Zahlen anschaulich klarmachen? Fu¨r Potenzen gilt weder die Kommutativit¨at, noch die Assoziativit¨at. Es ist ja 23 6= 32, sowie 2(32) 6= (23)2. Wunderbarer Weise kann man die Addition und die Multiplikation auf die rationalen Zahlen, d.h. positive oder negative Bru¨che, ausdehnen, und es bleiben sogar dieselben Rechengesetze erhalten. Fasst man die rationalen Zahlen als Gr¨oßen auf, ist eigentlich klar, wie man zwei solche zu addieren hat. (S.u.) Das Produkt zweier Bru¨che entspricht geometrisch der Fl¨achengr¨oße des Rechtecks mit den Seitenl¨angen, die den Bru¨chen entsprechen. (S.u.) Warum mu¨ssen wir Mathematiker – und mit diesem Wort sind im ganzen Buch alle Mathema- tikerinnen herzlich mitgemeint – die Bruchrechnung beherrschen? Das Addieren von Bru¨chen 5 ist schwerf¨allig. Ebenso ist es mu¨hsam von zwei gegebenen Bru¨chen zu erkennen, welcher von beiden der gr¨oßere ist. Vergleiche z.B. 99/101 mit 98/100. (Es w¨are sch¨on, wenn Du dabei auch ein Gesetz erkennen k¨onntest!) Der Praktiker ist sicher gut beraten, abbrechende Dezimal- bru¨che zu benutzen – wenn auch mit einiger Vorsicht. Der Mathematiker sollte jedoch auch die Hintergru¨nde verstehen. Außerdem rechnet man mit Bru¨chen von Termen (etwa (sinα)/(c+b)) genauso wie mit Bru¨chen von ganzen Zahlen. Die Bruchrechnung wird an der Schule in der 6. oder 7. Klasse erlernt – und sp¨ater von vielen vergessen. (Dazu tragen leider auch die an sich nu¨tzlichen Taschenrechner bei, die selber mit Bru¨chen umgehen k¨onnen und so den Schu¨lern das mu¨hsame Addieren von Bru¨chen ersparen!) DasRechnenmitkonkretenBru¨chenkannaberlehren,wiewichtigesist,dassmannichteinfach alles durcheinander wirft. Man muss unbedingt falsche Analogien vermeiden! Z.B. gilt zwar die Regel a b a+b c c c + = , aber keinesfalls allgemein + = c c c a b a+b wie man etwa an der Identit¨at 1 1 + = 1 2 2 sieht, die niemand bezweifeln wird, auch diejenigen nicht, welche die Bruchrechnung noch nicht gelernt oder wieder vergessen haben. Da gute Mathematiker sich u.a. dadurch auszeichnen, dass sie falsche Analogien vermeiden (und richtige Analogien nu¨tzen!), erscheint mir die Beobachtung erkl¨arlich, dass Studierende, die zu Anfang ihres Studiums die Bruchrechnung beherrschen, am Ende meist einen guten Studienerfolg in der Mathematik erreichen. Ein Abiturient oder eine Abiturientin, die nicht mehr genau weiß, wie man mit Bru¨chen rechnet hat, kann dennoch mit Erfolg Mathematik studieren. Man kann im Mathematikstudium im Prinzip alles Vergessene nachholen. Man muss es allerdings auch wollen und tun! Du kannst allerdings nicht erfolgreich Mathematik studieren, ohne an diesem Fach Interesse und Freude zu haben! Ich bilde mir nicht ein, einen Menschen, der Mathematik uninteressant oder gar ¨atzend findet, vom Gegenteil u¨berzeugen zu k¨onnen. Fu¨r einen solchen ist dieses Buch nicht gedacht. Dezimalzahlen. Rationale Zahlen, d.h. Bru¨che kann man als Dezimalzahlen schreiben. 36 Zum Beispiel = 1,44. Meist kommt man nicht mit endlich vielen Nachkommeziffern aus. 25 1 Zum Beispiel = 0,3 = 0,333... wo nach dem Komma unendlich viele 3-en folgen; oder 3 45 = 1,0227 = 1,02272727... wo nach 1,02 unendlich oft das Ziffernpaar 27 folgt. 44 Wenn man eine rationale Zahl als Dezimalzahl schreibt, ergibt sich immer ab einer gewissen Stelle eine Periode. Im ersten Beispiel ist dies die Periode 0, im zweiten die Periode 3, im dritten die Periode 27. (Der Fall, wo die Dezimalzahl abbricht, d.h. auf die Periode 0 endet, tritt genau dann ein, wenn der Nenner des geku¨rzten Bruches die Form 2m5n mit natu¨rliche Zahlen m,n hat. Das liegt natu¨rlich daran, dass 2 und 5 die Primfaktoren von 10 sind.) 6 Umgekehrt kann man jede Dezimalzahl, die von einer Stelle an periodisch ist, als Bruch ganzer Zahlen schreiben. √ Nungibtesallerdings‘Zahlen’,wieetwa 2,diewiraufjedenFallalsZahlenbetrachtenwollen, und die man auch als Dezimalzahlen ‘schreiben’, kann. Diese haben keine Periode! Aber man √ kann theoretisch fu¨r jede natu¨rliche Zahl n mit genu¨gend ‘Fleiß’ die ersten n Ziffern von 2,π etc. berechnen. Alle Zahlen, die man als Dezimalzahlen schreiben kann, nennt man die reellen Zahlen. (Natu¨rlich du¨rfen sie auch negativ sein.) Im 2. Kapitel werden Rechenbereiche von einem allgemeinen Standpunkt aus betrachtet. Und es werden Beispiele gegeben, die Dir vielleicht sehr exotisch vorkommen. Dieses Kapitel zu lesen, wird Dir vielleicht nicht so leicht fallen. Es lohnt sich aber! Natu¨rlich darfst Du seine Lektu¨re auf sp¨ater verschieben. Mengen und Abbildungen sind Begriffe der modernen Mathematik, denen Du in einem Mathematik- und Informatikstudium nicht entgehen kannst. Das entsprechende Kapitel ist vielleicht schwer zu lesen, weil es so abstrakt ist. Es mag aber auch sein, dass Du es als sehr leicht zu lesen empfindest, da in ihm alle Schlu¨sse eher simpel sind. Geometrie. Auch der Geometrie ist ein Kapitel dieses Buches gewidmet. Dort setze ich aller- dings noch mehr als sonst voraus, dass Du ordentliche Kenntnisse aus der Schule mitbringst. Das Problem der Grundlagen ist fu¨r die Geometrie schwieriger als fu¨r die Zahlen. Welchen Sinn hat es, bevorzugt die sogenannte Euklidische Geometrie zu behandeln, obwohl diese, wir man heute weiß, nicht richtig ist, wenn man Lichtstrahlen (im Vakuum) als Geraden betrachtet? Die Antwort, dass die Euklidische Geometrie keinen Sinn habe, kann man mit Fug bezweifeln. In diesem Kapitel sollen insbesondere die Kreisfunktionen (Sinus, Cosinus) geometrisch erkl¨art werden, die zu den wichtigsten Funktionen der Analysis und auch der Physik geh¨oren. Obwohl somit mein Hauptanliegen nicht die klassische Dreiecksgeometrie ist, mochte ich es mir nicht versagen, ihre sch¨onen S¨atze u¨ber die Eulergerade, den Feuerbachkreis und das Morley- dreieck zu beweisen, die erst im 18. und 19. Jahrhundert gefunden wurden. Analysis: Die Differenzial-und Integralrechnung betrachtet Funktionen vom geometrischen oder auch dynamischen Standpunkt aus. Du wirst vieles vom Schulunterricht her wissen, viel- leicht aber auch neue Gesichtspunkte kennenlernen. Komplexe Zahlen. Es gibt mehrere Gru¨nde, warum die komplexen Zahlen aus der modernen Mathematiknichtmehrwegzudenkensind.ImKapitelu¨berkomplexeZahlenwillichversuchen, dies zu erl¨autern. Komplexe Zahlen lassen sich in der Form a+bi schreiben, wobei a,b reelle Zahlen sind, w¨ahrend i eine neue Zahl mit der merkwu¨rdigen Eigenschaft i2 = −1 ist. Die reellen Zahlen werden als spezielle komplexe Zahlen aufgefasst, n¨amlich als diejenigen a +bi, wo b = 0 ist. Die Addition komplexer Zahlen ist naheliegend, w¨ahrend man die Multiplikation nach meinem Gefu¨hl nur auf geometrische Weise wirklich verstehen kann. Eine der wichtigsten Eigenschaft des Rechenbereichs der komplexen Zahlen ist der Fundamentalsatz der Algebra, der besagt, dass jedes (nicht konstante) Polynom mit komplexen Koeffizienten mindestens eine komplexeNullstellehat.Beachte,dassz.B.dasPolynomx4−4x3+6x3−3x2+2 = (x−1)4+x2+1 keine reelle Nullstelle hat. Die Gu¨ltigkeit des Fundamentalsatzes der Algebra wird in diesem Buch zumindest plausibel gemacht. 7 Zur gedanklichen Pra¨zision in der Analysis und der Geometrie. Wenn eine Funk- tion zwischen zwei x-Werten a und b u¨berall definiert und stetig ist und wenn ferner f(a) < 0 und f(b) > 0 ist, so hat sie zwischen a und b irgendwo (mindestens) eine Nullstelle. Dieser Satz hat den Namen Zwischenwertsatz und wird gemeinhin im ersten Semester des Mathematikstu- diums bewiesen. Ich hoffe, Du bist mir nicht b¨ose, wenn ich ihn in diesem Buch als anschaulich selbstverst¨andlich ansehe. Und das ist nur ein Beispiel! Versteh mich richtig. Ich bin nicht der Meinung, dass die pr¨azisen Beweise der modernen Analysis u¨berfu¨ssig w¨aren. Aber ich will ja kein Buch fu¨r Erstsemester schreiben. Nicht ganz leichten Herzens opfere ich einen Teil der gedanklichen Pr¨azision, die die moderne Analysis erreicht hat, dem Ziel und hoffentlich auch Deinem Wunsch, schneller zu Ergebnissen zu kommen, die Du nicht eh schon glaubst. Ich werde mir an mehreren Stellen erlauben, mich anschaulicher Schlu¨sse zu bedienen. Dasselbe gilt erst recht fu¨r die klassische Geometrie, fu¨r die Du in den Bu¨chern von Hilbert oder Lorenzen zwei grunds¨atzlich verschiedene Weisen der Pr¨azisierung finden kannst. Zum Schluss die Frage: Was hat die Mathematik mit der Wirklichkeit zu tun und was nutzt sie? Nach meiner U¨berzeugung ist die Mathematik eine Wissenschaft, die sich auf die Wirklichkeit bezieht und sich mit ihr besch¨aftigt. Ihr Nutzen fu¨r die moderne technisierte Welt ist unbe- streitbar.(DieFrage,obwirohneAutos,H¨andisundSupermarktkassennichtglu¨cklicherw¨aren, kann und will ich nicht beantworten.) Da heißt nicht, dass es nicht auch prominente Ergebnisse der Mathematik g¨abe, die wahrschein- lich auch in weiter Zukunft keinen volkswirtschaftlichen Nutzen bringen werden. Der beru¨hmte Satz, dass fu¨r n > 2 die Summe zweier n-ter Potenzen positiver ganzer Zahlen selbst keine n-te Potenz ganzer Zahlen ist – vermutet (?) von Fermat im 17., bewiesen von Wiles im 20. Jahrhundert – geh¨ort wohl dazu. Man kann zwei extreme Positionen einnehmen: 1. Die Mathematik hat nur einen Wert, soweit sie sich anwenden l¨asst. Schon aus ethischen Gru¨ndenkannichesnichtvertreten,michfu¨rein‘Glasperlenspiel’vonderGesellschaftbezahlen zu lassen. 2. Ich befasse mich mit der Mathematik nur um ihrer Sch¨onheit willen. Schließlich ist sie eine großartige Kulturleistung. Anwendungen ziehen sie nur herab. In meiner Jugend neigte ich der 2. Position zu – und habe andererseits manchmal wegen dieser Meinung ein schlechtes Gewissen gehabt. Heute ist mir klar: Es gibt nicht den geringsten Grund, eine dieser beiden Extrempositionen einzunehmen. Betreibe die Mathematik mit Freude sowohl an ihrer Sch¨onheit, als auch an ihren Anwendungen, und suche Dir den Bereich aus, der Deinem Bedu¨rfnis nach Wirklichkeitsn¨ahe oder -ferne am n¨achsten kommt. 8 Es ist ja m¨oglich, dass der eine oder andere Punkt in dem Buch Dir einfach nicht klar werden will oder dass die eine oder andere Aufgabe Dir v¨ollig unl¨osbar erscheint. Nachdem Du das Buch dann wu¨tend in die Ecke geschmissen hast, hol es bitte wieder hervor und lies an einer anderen Stelle weiter. Auch das Verstehen von Mathematik und das L¨osen mathematischer Aufgaben kann man trainieren. Vielleicht f¨allt Dir z.B. im Kapitel u¨ber Ringe und K¨orper manches sehr schwer, w¨ahrend Dir im Kapitel Differenzial- und Integralrechnung vieles bekannt erscheint. Mir liegt nicht daran, Dich mit besonders schwierigen Dingen und Aufgaben zu ¨argern. Manche sch¨onen und interessanten Ergebnisse sind aber nun mal nicht so leicht zu haben. Deshalb freut mich ungemein, wenn es Dir gelingt, auftauchende Schwierigkeiten zu u¨berwinden. Hier fu¨r Nachfragen meine elektronische Adresse: [email protected] Manchmal benutze ich verschiedene Schreibweisen fu¨r dasselbe: n a = a = a/b , Pn a = Xa , lim a = lim a . b b k=1 k k n→∞ n n→∞ n k=1 Mit (cid:3), gelegentlich auch mit – bezeichne ich das Ende eines Beweises. Das griechische Alphabet A,α alpha, B,β beta, Γ,γ gamma, ∆,δ delta, E,ε epsilon, Z,ζ zeta, H,η eta, Θ,ϑ theta, I,ι iota, K,κ kappa, Λ,λ lambda, M,µ my, N,ν ny, Ξ,ξ xi, O,o omikron, Π,π pi, P,ρ rho, Σ,σ sigma, T,τ tau, Υ,υ ypsilon, Φ,ϕ phi, X,χ chi, Ψ,ψ psi, Ω,ω omega. Unterscheide ζ von ξ. Manchmal, aber nicht in diesem Buch, werden an Stelle von ε, ϑ, ϕ die Bezeichnungen (cid:15), θ, φ benutzt. Kapitel 1 Vom Z¨ahlen, Rechnen und Vergleichen 1.1 Die natu¨rlichen Zahlen 0, 1, 2, 3, 4, 5, ... Die natu¨rlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht.“ (Kronecker) ” Na, daru¨ber will ich lieber nicht spekulieren. Aber, wozu sie gut sind, ist wohl klar. Man kann jemandem mitteilen, wieviele Schafe man hat (etwa um sie zu verkaufen), ohne ihm die Herde zeigen zu mu¨ssen. Man kann auch ihre Zahl notieren und im kommenden Jahr feststellen, wieviel Zuwachs, bzw. Verlust man gemacht hat. Usw. Natu¨rliche Zahlen sind Symbole zum Z¨ahlen, zum Vergleichen und zum Rechnen. Auch wenn man mit dem Z¨ahlen meist mit der 1 beginnt, ist es doch m¨oglich, dass ein Ein- wohner Mu¨nsters, wie z.B. ich, gar kein Schaf besitzt und dies auf einer Liste aller Bewohner Mu¨nsters dadurch angegeben wird, dass man eine 0 in die entsprechende Spalte eintr¨agt. Die 0 ist auch eine Anzahl, weshalb ich sie zu den natu¨rlichen Zahlen rechne. (Etwa die H¨alfte der Mathematiker sieht das allerdings anders.) Notation:DieGesamtheitallernatu¨rlichenZahlen–einschließlichder0–bezeichneichmitN. Eine solche Gesamtheit mathematischer Objekte wird gemeinhin als eine Menge bezeichnet. Man redet somit von der Menge der natu¨rlichen (ganzen, rationalen) Zahlen. Die Notation a ∈ N soll ausdru¨cken, dass a zur Menge der natu¨rlichen Zahlen geh¨ort, d.h. eine natu¨rliche Zahl ist. (Die Menge der von Null verschiedenen natu¨rlichen Zahlen bezeichne ich mit N . Dies 1 ist der einzige Punkt, wo ich mich nicht einer allgemein gebr¨auchlichen Notation bediene. Es gibt fu¨r N auch die Bezeichnung J.) 1 1.1.1 W¨ahrend die Regeln a+b = b+a und a+(b+c) = (a+b)+c nach der allt¨aglichen Bedeutung der Addition in N selbstverst¨andlich sind oder zumindest erscheinen, kann man sich fragen: Ist die Regel a·b = b·a fu¨r natu¨rliche Zahlen eigentlich auch so selbstverst¨andlich? Dass 3·7 = 7+7+7 dasselbe ergibt, wie 7·3 = 3+3+3+3+3+3+3, kann man leicht nachrechnen. Aber das k¨onnte ja Zufall sein. 9 10 KAPITEL 1. VOM ZA¨HLEN, RECHNEN UND VERGLEICHEN Fu¨r Potenzen ist die Sache jedenfalls komplizierter. Es ist zwar 24 = 16 = 42, aber 73 = 7·7·7 = 343und37 = 3·3·3·3·3·3·3 = 2187.(Ichweißnicht,obmansichbeiderIdentit¨at(3+4)3 = 343 irgendetwas denken soll. Ich glaube, eher nicht.) Die Frage, wieso eigentlich a · b = b · a fu¨r natu¨rliche Zahlen gilt, habe ich bereits in der Einleitung beantwortet (Einen formalen Beweis, der von einem Axiomensystem fu¨r die natu¨rlichen Zahlen ausgeht, gibt es natu¨rlich auch.) Die (nicht allzu wichtige) Frage, fu¨r welche positiven reellen Zahlen a,b mit a 6= b die Gleichung ab = ba gilt, wird in diesem Buch in 7.6 behandelt. Dazu musst Du ja wissen, was reelle Zahlen sind, und was man unter ab fu¨r positive reelle Zahlen a,b versteht. Aber natu¨rlich darfst Du schon mal in diesem Abschnitt nachlesen. 1.1.2 Zumindest ebenso wichtig wie das Gesetz der Kommutativit¨at (ab = ba) ist das Ge- setz der Assoziativit¨at der Multiplikation natu¨rlicher Zahlen: (ab)c = a(bc). Kannst Du Dir seine Gu¨ltigkeit geometrisch (im dreidimensionalen Raum) veranschaulichen? (Auch die As- soziativit¨at gilt nicht fu¨r Potenzen? Vergleiche (102)3 mit 1023, und beachte dabei, dass nach allgemein gebr¨auchlicher Konvention 1023 = 10(23) definiert ist.) 1.1.3 Das Gesetz, das den Zusammenhang zwischen Addition und Multiplikation beshreibt, ist das Gesetz der Distributivit¨at (m+n)k = mk+nk. (In der letzten Regel ist natu¨rlich die Konvention Punktrechnung geht vor Strichrechnung“ anzuwenden; d.h. mk +nk = ” (mk)+(nk).) Zusammen mit der Festlegung 1k = k definiert das Distributivit¨atsgesetz sozu- sagen die Multiplikation natu¨rlicher Zahlen. Nicht wahr? (Aufgrund der Distributivit¨at ist ja (1+···+1)k = 1·k +···+1·k mit gleichvielen Summanden links und rechts.) Auch dieses Gesetz kannst Du Dir anschaulich klar machen. • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • Natu¨rlich sieht man es auch so: mk +nk = k +...+k+k +...+k = k +...+k | {z } | {z } | {z } m n m+n 1.1.4 Die grundlegenden Gesetze der Addition und Multiplikation im Bereich der natu¨rlichen Zahlen fassen wir noch mal zusammen:  m+n = n+m mn = nm Kommutativit¨at  (1) k +(m+n) = (k +m)+n k(mn) = (km)n Assoziativit¨at  (m+n)k = mk +nk Distributivit¨at

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