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Das Bewusstsein PDF

340 Pages·1967·10.894 MB·German
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HENRI ΕΥ · DAS BEWUSSTSEIN Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55 PHÄNOMENOLOGISCH-PSYCHOLOGISCHE FORSCHUNGEN HERAUSGEGEBEN VON C. F. GRAUMANN UND J.LINSCHOTEN f BAND 8 1967 W A L T ER DE G R U Y T ER & CO. / B E R L IN VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGS- BUCHHANDLUNG- GEORGREIMER - KARL J. TRUBNER - VEIT&COMP. Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55 DAS BEWUSSTSEIN von HENRI EY Aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede von KARL PETER KISKER 1967 W A L T ER DE G R U Y T ER & CO. / B E R L IN VORMALS G. J. GÖS CHEN'S CHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGS- BUCHHANDLUNG - GEORG REIMER - KARL J. TRUBNER - VEIT & COMP. Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55 Mit 6 Abbildungen. Das Originalwerk ersdiien unter dem Titel La Conscience in der Reihe Le Psychologue, Band 16, im Verlag Presses Universitaires de France, Paris, 1963. Die Seitenzahlen der Originalveröffentlidiung finden sidi in Klammern am oberen Innenrand der Seiten der vorliegenden Ubersetzung. Ardiiv-Nr. 34 99 671 © 1967 by Walter de Gruyter 8c Co., vormals G. J. Gösdien'sdie Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit & Comp., 1 Berlin 30 Printed in Germany Alle Redite vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nidit gestattet, dieses Budi oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikro- kopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: H. Heenemann KG, 1 Berlin 31 Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55 Vorrede des Übersetzers Es gehört einiger Mut dazu, im Bewußtseins-Problem, das doch Relikt einer philosophisch konstruierten „rationalen Psychologie" des 18. Jahrhun- derts zu sein scheint, wieder eine Aufgabe zu sehen. Was von CHR. WOLFF und LEIBNIZ bis zu HERBART und zur matten Bewußtseinspsychologie des vorigen Jahrhunderts die Geister bewegte, galt unserem psychologischen Jahrhundert zunächst als spiritualistische Torheit, später als viktorianische Heuchelei, schließlich als abgestanden. In formalster Allgemeinheit hielt sich Bewußtsein als „Bewußtsein überhaupt" von KANT über den Idealismus bis zu HUSSERL und JASPERS durch, überlebte aber auch in dieser innerphilo- sophischen Tradierung nur dank einer stets gekünstelten und dünner wer- denden Diskussion, die zu den gewandelten Problemen der anthropologi- schen Erfahrungswissenschaften kaum mehr Beziehungen einging1. Wenn nämlich der Bewußtseinsbegriff inzwischen wieder aus seinem abseitigen Dulderdasein erlöst und in die Mitte vieler neuerer Gespräche über das Menschliche geholt wurde, so geschah dies von jungen Disziplinen her, welche der Jahrhundertbeginn noch nicht gekannt hatte und in die philosophische Bewußtseinsdiskussion bis heute kaum Eingang fanden. Ich erwähne nur die Neurophysiologie, die Ethologie, die psychopharmakologisch orientierte Psychopathologie, die personologische Ich-Theorie, ja selbst die dialektisch-materialistische Psychologie2. Es konnte kaum ausbleiben, daß diese Ansätze Bewußtsein nicht in jenem differenzierten Bestand wieder aufgriffen, welchen es etwa bei JAMES und WUNDT erlangt hatte, sondern meist an einem eindimensionalen Bewußtseinsmodell, an einem zum „Sen- sorium" nivellierten Bewußtsein, ihr Genügen fanden. - Eben dies läßt sich ι Ein wenig beachteter, psychiatrisch redit bedeutsamer Ableger der Bewußtseins- Diskussion führt von den deutschen Idealisten zu BENEKE und GRIESINGER und von letzterem weiter zum frühen FREUD. Man weiß heute, daß FREUDS Bewußt- seinskonzeption nidit nur durdi CHARCOT und JANET sondern audi durch GRIESINGERS „Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten" beeinflußt wurde. 2 Vgl. etwa: FURNESS, F. N., (Edit): Fundamentals of psychology. The psychology of the self. Ann. New York Ac. of science 96, 681 (1962). - FESSARD, A. E. (Edit): Nervous integration and conscious experience, London 1954. - KLINE, N. S. (Edit): Psydiopharmacology frontiers, Boston, Toronto 1959. - TOMKINS, S. S. Affect, imagery, consciousness, 2 Bde., New York 1962/63. - RUBINSTEIN, S. L.: Sein und Bewußtsein, Moskau 1957 (dtsch. Ausgabe Berlin 1962). Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55 XII Vorrede des Übersetzers von der ganz andersartig motivierten Bewußtseinsdiskussion, wie sie in der phänomenologisch oder daseinsanalytisch inspirierten Psycho(patho)logie und Anthropologie seit den zwanziger Jahren gepflegt wird, keineswegs sagen. Die hier zu nennenden Forscher3 bleiben zwar in ihrem herme- neutisch-reflexiven Niveau auf der Höhe der Problemgeschichte des Bewußtseinsbegriffs, aber dieser ist ihnen als solcher nicht mehr problema- tisch, allenfalls noch dienlich als Absprang, wenn sie die klassischen Dualis- men von Körper und Seele oder Subjektivem und Objektivem hinter sich lassen und im Ganzen des Leiblichen oder Weltlichen Fuß zu fassen suchen. In dieser Situation das Bewußtseinsproblem historisierend wiederzu- beleben, ihm jene synkretistische Fassung zu geben, welche den neueren Daten der bio-psychologisdien Disziplinen entspricht, oder der Psychoanalyse und Phänomenologie (in der Bewußtseinsfremdheit nähern sich diese beiden, sonst recht unterschiedlichen Anthropologien) die produktive Gegenthese einer Bewußtseinsstruktur zu liefern, würde schwierig genug gewesen sein. HENRI EY versucht (und erfüllt für meinen Blick) Schwierigeres, insofern er diese Aufgaben verbindet und Bewußtsein aus einem systematischen Zu- sammenhang entfaltet, in welchem die phänomenologischen Fundamente ebenso sorgsam berücksichtigt werden wie die hirnphysiologischen. β · Ich halte es nicht für zufällig, daß diese Anstrengung der Erfahrung und des Begriffs in der heutigen Wissenschaftssituation einem Psychiater zufiel. Gewiß, HENRI EY ist nicht nur Kliniker und als solcher über seine Lehrer GUIRAUD und CLAUDE mit der großen klinisch-deskriptiven Tradition der französischen Psychiatrie verknüpft; er ist auch Schüler BERGSONS und wie wenige mit jener Philosophie und Psychologie des Lebendigen vertraut, die in den geschichtlichen Zumutungen zweier Weltkriege unterging. Seit lan- gem verbindet ihn eine sympathetische Wechselbeziehung mit den Existen- tialphänomenologen französischer Sprache. Und zur Psychoanalyse hält er durch Jahrzehnte eine (von der deutschen Psychopathologie nie gekonnte) Position immanenter Kritik, die ihn kürzlich resümieren ließ, «que je suis et que je ne suis pas psychoanalyste»4. EYS klinisch-nosographische und psychopathologische Werke haben heute über die Kontinente hinweg un- 3 Ob nun von HUSSERL oder seinen Schülern SCHELER und HEIDEGGER herkommend, ob in der niederländisch-belgischen (BUYTENDIJK, STRASSER, LINSCHOTEN U. a.), französischen (MINKOWSKI, MERLEAU-PONTY, GURWITSCH U. a.), schweizerischen (BINSWANGER, KUNZ U. a.) oder deutschen (E. STRAUS, V. GEBSATTEL, ZUTT, PLÜGGE U. a.) geistigen Sphäre herangeformt - so stimmen sie doch in der Ten- denz überein, Bewußtsein als eine partikuläre Struktur der Rationalität und damit (im Vergleich zum vorliegenden Werk) eng und abkünftig auszulegen. 4 Riv. sperimentale 1965. Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55 Vorrede des Übersetzers XIII bestrittene Geltung. Man sollte auch die wissenssoziologische Entsprechung dieses Œuvre nicht übersehen: EY ist Promotor und Generalsekretär einer erst unlängst gegründeten Weltorganisation für Psychiatrie. Daß dieser Mann und dies Werk mit ihm nicht via Forschungsinstitut oder psychiatri- scher Lehrstuhl (es gibt deren an französischen Universitäten nur ganz wenige) zur Entfaltung gelangten, sondern in einem ländlichen psychiatri- schen Hospital der Beauce, könnte den hektischen Wissenschaftsplanern unserer Tage - zumindest in Sachen Psycho(patho)logie - zu denken geben. Warum nun eine deutsche Ausgabe von «La conscience» ? Warum dieses spröde Thema in die Situation einer Psychologie deutscher Sprache werfen, die sich nach der dialektischen Gross-Epoche der Berliner und Leipziger Schule und einem phänomenologisch-personologischen Zwischenstadium vor und nach dem letzten Kriegs objektivistisch zu restaurieren anhebt und allenfalls einen eben merklichen Betrag an phänomenologischer Herme- neutik in sich zuläßt? Eben darum eine solche Publikation - möchte man einwenden -, die sich auf eine nahezu neothomistische Weise hierarchistisch und strukturgläubig gibt und insofern heilsame Zugabe zum psycho- metrischen Detaillismus und zur psychodynamischen Pulverisierung dieser Tage werden könnte. Sieht man weniger auf die Kontraste, folgt GRAU- MANNS Versuch, im Spät-Behaviorismus „Fortleben" und „fruchtbare Weiterentwicklung der Bewußtseins- und Subjekt-Problematik" aufzuweisen und hofft man mit ihm auf eine „Konvergenz phänomenologischen und operationalen Vorgehens"6, so erfüllt EYS Werk, phänomenologisch und operational (letzteres allerdings in einem weiteren verhaltens-„physiolo- gischen" Sinne) angelegt, diese Hoffnung aufs beste. Das klinische und psychopathologische Werk EYS ist in Deutschland zugänglicher und insofern stärker im Gespräch als das psychologische7. Den Psychologen in EY, der sich in diesem Werk erstmals systematisch aus- formuliert, hierzulande zu Geltung zu bringen, betehen weitere Anlässe. Hier werden Psychologie und Psychiatrie in ein Verhältnis wechselseitiger 5 Vgl. WELLEK, Α.: Der Einfluß der deutschen Emigration auf die Entwicklung der amerikanischen Psychologie. Psychol. Rdschau 15, 239 (1964). « GRAUMANN, C.-F.: Subjektiver Behaviorismus? Ardi. Ges. Psychol. 117, 240 (1965). 7 Η. EY: Grundlagen einer organo-dynamischen Auffassung der Psychiatrie. Fortsdir. Neur. 20, 195 (1952); Einheit und Mannigfaltigkeit der Schizophrenie. Nervenarzt 29, 423 (1958); Esquisse d'une conception organo-dynamique de la structure, de la nosographie et d'étiopathogénie des maladies mentales. In: Psychiatrie der Gegenwart I, Berlin, Göttingen, Heidelberg 1963. - Vgl. auch: HARTMANN, K.: Über Grundzüge der modernen französischen Psychiatrie. Ner- venarzt 29, 781 (1958); MECHLER, Α.: Schicksale der Dementia praecox und der Schizophrenie in Frankreich. Nervenarzt 31, 67 (1960); WITTER, H.: Französische Psychiatrie, Fortsdir. Neur. 29, 500 (1961) sowie meine Rezensionen des vor- liegenden Werkes im Nervenarzt 1964 und der Philos. Rdsdiau 1965. Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55 XIV Vorrede des Ubersetzers produktiver Begründung gesetzt, das dem Psychiater den leichten Rüdeweg in eine selbstgezimmerte Psychologie für den Hausgebrauch verlegt und den Psychologen dazu zwingt, jedes Phänomen, jede Struktur audi auf dem Hintergrund ihrer pathologischen Verformung zu sehen. Ordnung und Ent- ordnung des Seelischen denkt EY strenger und zugleich überzeugender zusammen als dies in sonstigen psychologisch-psychiatrischen Kombinationen geschah und geschieht (Konstitutionslehre, Psychoanalyse, Lemtheorie u. a.). Oder vielmehr: Ε Y fügt diesen und weiteren Kombinationen keine prinzipiell neue hinzu, greift aber von seiner organismisch-psychodynamischen Struk- turlehre bis zur personologischen Werttheorie alle Fäden der Einzelansätze auf, ohne sie vorzeitig zu ideologischen Knoten zu schürzen. Er bleibt auf wohltuende Weise Eklektiker, ein prüfender Frei-Geist, der sich in der Region seelischer Normalität und Abnormität an eine Empirie hält, zu welcher auch (aber nicht ausschließlich) die vielberufenen „Fakten" gehören. In seinen Schilderungen liegt noch etwas von der unbarmherzig-liebevollen Gebärde der französischen Moralisten; sein kompilatorisches Talent wedet Erinnerungen an die großen Enzyklopädiker; in der synoptischen Ent- schiedenheit seiner klinischen Ordnungslehre steht EY ganz in der Tradition der französischen Nosographen des 19. Jahrhunderts. Dabei ist er wie kaum ein anderer ausländischer Psycho(patho)loge mit der deutschsprachigen Forschung vertraut und fühlt sich ihren Resultaten verpflichtet. Dies bis zu einem Grade, daß manche seiner Landsleute «La conscience» als ein Werk ansprechen, das nach Sache und Duktus deutsch inspiriert sei. Man wird dies Kompliment erst akzeptieren können, wenn es uns einmal gelingen wird, FREUDS Theorie des Unbewußten und zugleich KURT SCHNEIDERS Primat des Klinischen8 anzueignen, was vorderhand, ohne rhetorisch zu werden, nur EY und ähnliche Köpfe vermögen, welchen Rationalität mehr gilt als wissenschaftliche „Schulen". Solange mag also die- ses Buch als ein europäisches Dokument zeitgenössischer Psycho(patho)logie gelten, insofern es von einer ganz bestimmten philosophischen Reflexivität getragen wird und in eine Axiologie der Vernunft mündet, welche, wenn man so will, einen durchaus abendländischen Zug besitzt. Jeder psycho(patho)logische Gesamtentwurf eines Einzelforschers - ich wage zu behaupten, die Pluralisierung unserer Wissenschaft werde künftig ähnliche Versuche um ihre Überzeugungskraft bringen - hat seine latente Anthropologie, folglich seine Einseitigkeiten. So ermangelt die von EY ent- wickelte Bewußtseinsstruktur einer tragenden Mitkonstitution durch das Zwischenmenschliche. Und dieser Mangel liegt wiederum in einer Prävalenz des Klinischen gegenüber dem Gesellschaftlichen begründet, welche das nosologisch-pathogenetische System des Psychiaters EY einer ernsten Kritik 8EY, H.: KURT SCHNEIDER OU le Primat de la Clinique. In: Psychopathologie heute (Festsdirift für KURT SCHNEIDER), Stuttgart 1962. Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55 Vorrede des Übersetzers XV aussetzt. Es ist nur folgeriditig, daß von diesen Punkten aus auch das Werk EYS einer produktiven Zersetzung unterworfen wird. Und es erscheint vorbildlich, wie EY seinen Freunden und Schülern, die diese Abtragung seines Werkes inzwischen ein gutes Stück vorantrieben, als gelassener Rat- geber beisteht. « « « Bewußt-sein ist Ordnung. Sie stellt sich her im Zusammenhalt der zwei Koordinaten: aktuelles Erlebnisfeld und geschichtlicher Entwurf. Spekta- kulum und Roman sind die Grundfiguren des Seelischen. Die Patenschaft von BERGSONS Raum- und Zeitmetaphysik bei dieser dualen Proportion ist offensichtlich. Mehr aber auch nicht, denn EY hält sich in der konkreten Ausarbeitung der Bewußtseinskoordinaten streng an die Phänomene. Wie sich das Subjekt im hic et nunc der aktuellen Erfahrung zur Gegenständlich- keit seiner äußeren und inneren Welt verhält, unterliegt einer räumlichen Bestimmung; wie sich das Selbst als Subjekt der Person zu seiner Geschichte verhält, wird offenbar temporal bestimmt. Beide Weisen des Subjekt-seins gliedern sich in eine Fülle von Erlebnis- und Entwurfskategorien aus und umschließen dabei auch das Unbewußte, diese Kehrseite der Existenz, zu welcher Bewußt-sein sich je besitzend oder besessen verhalten kann. Das komplizierte Gefüge dieser Bewußtseinsstrukturen wird nun von EY ganz konsequent als genetische Schichtung vorgestellt. Die vertikale Erektion des Aktualfeldes von dumpfen vorintentionalen und vorprädi- kativen Stadien bis zur Höhe reifer Reflexion und freier Verfügbarkeit der Akte hat ebenso wie die Entfaltung der Person zum gelösten Vollzug ihres Vernünftig-seins zwingende phylogenetische, ontogenetische und aktual- genetische Entsprechungen. Der Genetiker EY bewahrt hier aber sorgsam die phänomenologisch gewonnenen Differenzen der Bewußtseinsstruktur vor jener Nivellierung, welche manchen evolutiven Schichtentheorien ver- hängnisvoll wurde. Evolution, Volition und Dezision werden in einer anthropologischen Balance gehalten, die in früheren, stärker von H. JACK- SON9 beherrschten, Schriften EYS noch nicht so überzeugend war und dem wachsenden Einfluß PIAGETS10 sowie deutscher Schichtentheorien zuzuschrei- ben ist. Die Schichtung des Bewußtseins bleibt in ihrer Strukturmannigfaltig- keit dem beschreibenden Zugriff zumeist verdeckt. Erleben hält sich durch- schnittlich bei der Welt und den Dingen, in sadihaltigen Meinungen, Uber- zeugungen usw. auf. Man kennt die Schwierigkeiten, die Posiüvität des Üblichen, die den Bewußtseinsstrukturen zukommt, reflexiv zu durchdringen 9 J. H. JACKSON: Uber Aufbau und Abbau des Nervensystems. Berlin 1927. 10 Vgl. etwa J. PIAGET U. B. INHELDER: Die Psychologie der frühen Kindheit. In: D. KATZ (Her.) Handbuch der Psychologie, Basel 1951. Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55 XVI Vorrede des Übersetzers und die formalen Invarianten des Aktuosen zu greifen. HUSSERL ersann, um ihr zu entgehen, das Verfahren der phänomenologischen Reduktion, welches das Aktgefüge als solches und das in diesen Akten sich Zeigende als solches freilegte, indem es die natürliche Welt-Thesis einklammerte. Wie ein Phönix aus der Asche erhebt sich dem Phänomenologen die „reine" Subjek- tivität und mit ihr das transzendental „gereinigte" Bewußtsein als Residuum einer radikalen Vernichtung der natürlichen Welt. In der Tat spielt auch EY in diesem Werk bisweilen mit dem Gedanken, den Kunstgriff dieser Epoché zu übernehmen. Es bleibt aber bei Ansätzen, und Ε Y genügt keines- wegs jener Forderung HUSSERLS nach Einrichtung einer „phänomenolo- gischen Psychologie"11, welche dann GURWITSCH12 in bezug auf das Bewußtseinsproblem eine Strecke weit zu erfüllen suchte. Man wird dies nicht bedauern. EY ist jedenfalls dem Mißverständnis der eigenen metho- dischen Intention nicht weiter verfallen und hat sich bald wieder der anthro- pologischen Fülle des Bewußtseins zugewandt, ohne zu fragen, ob und in welchem Sinne dies nun „gereinigt" sei oder nicht. Aber auch EY braucht einen Kunstgriff - allerdings einen solchen der Natur -, um die Strukturen des Norm-Bewußtseins sichtbar zu machen, die wie durchsichtige Gitter in den kontinuierlichen Erlebnisfluß eingebettet sind. Diese Strukturen werden zugänglich, wenn die geschichtete Ordnung des Seelischen sich lockert, wenn die hochstufigen psychischen Funktionskreise außer Kurs geraten und damit die sonst verdeckte Infrastruktur des Bewußt- seinsfeldes oder die unbewußte Kehrseite des Lebensentwurfs zum Vor- schein kommen. Das geschieht nun in den Natur-Experimenten des Ein- schlafens, des Träumens, im Aufwachen und in den psychischen Störungen. An ihnen als spezifischen Typen einer Entordnung der Schichtengliederung des Bewußtseins läßt sich die Eigenart der jeweils noch fungierenden psychi- schen Ordnung unmittelbar phänomenologisch ablesen. In dieser Konzeption mag noch einiges von JACKSONS Dialektik einer Evolution und Dissolution des Nervensystems (etwa vom Erkennbarwerden der autonomen Funktion basaler Hirnzentren beim Abbau höherer Hem- mungszentren) mitschwingen. Die konkrete Durchführung dieses Prinzips bleibt bei EY aber von jedem physiologischen Seitenblick frei und an den Phänomenen orientiert. Zu ihnen gehört für den Psychiater EY zuerst und immer die klinische Empirie. Aus ihr ergibt sich denn auch der entscheidende Griff in die Grundkoordinaten des Bewußtseins: die Pathologie der akuten seelischen Störungen betrifft und erschließt zugleich die Struktur des aktuellen Erlebnisfeldes (des Bewußtseins i. e. S.), während diejenige der chronischen psychopathologischen Verfassungen das Entwurfsganze der N HUSSERL, E.: Phänomenologische Psychologie. Husserliana Bd. IX, Den Haag 1962. 12 GURWITSCH, Α.: Théorie du champ de la conscience, Paris 1957. Bereitgestellt von | Saechsische Landesbibliothek - Staats- und Universitaetsbibliothek Dresden (SLUB) Angemeldet Heruntergeladen am | 07.10.16 23:55

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