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Das andere Ufer der Zeit PDF

623 Pages·2016·7.85 MB·German
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Albert Einstein sagte, wir ähnelten Leuten in einem Boot ohne Ruder, das einen gewundenen Fluß hinabtreibt. Ringsum nehmen wir die Gegenwart wahr, weiter nichts. Die Vergangenheit in den Kurven und Biegungen hinter uns vermögen wir nicht mehr zu sehen. Aber sie ist dort vorhanden. Eine winzige Erweiterung von Einsteins gigantischer Theorie ist, daß der Mensch irgendwie in der Lage wäre, das Boot zu verlassen, ans Ufer zu treten und querfeldein zu einer der hinter uns liegenden Biegungen zurück- zugehen. Si Morley ist ein geeigneter Kandidat für dieses ge- heime Projekt der US-Regierung, und er findet den Weg zurück ins New York des Jahres 1882 – und in eine völlig andere Welt. Ein Lesegenuß, wie man ihn nur noch selten erlebt, »Time and Again« ist einer der schönsten und in seiner nostalgi- schen Art und seiner reichen Bebilderung sicher der be- zauberndste Science Fiction-Roman seit vielen Jahren, ausgewählt vom Book of the Month Club Gehen Sie zurück in diese wunderbare Welt und verbrin- gen Sie – während Sie das tun – eine wunderbare Zeit! New York Times DM 7.80 E I N H E Y N E - B U C H Vom selben Autor erschien in der Reihe HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY: Unsichtbare Parasiten · Band 3008 (166) JACK FINNEY DAS ANDERE UFER DER ZEIT Science Fiction-Roman Deutsche Erstveröffentlichung WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN HEYNE-BUCH Nr. 3800 im Wilhelm Heyne Verlag, München Titel der amerikanischen Originalausgabe TIME AND AGAIN Deutsche Übersetzung von Thomas Schlück Das Umschlagbild schuf Karel Thole Die Zeichnungen und Fotos im Text sind verschiedenen Quellen entnommen: siehe die Fußnote im Anhang Redaktion: Wolfgang Jeschke Copyright © 1970 by Jack Finney Copyright © 1981 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München Printed in Germany 1981 Scan by Brrazo 02/2005 Umschlaggestaltung: Atelier Heinrichs & Schütz, München Gesamtherstellung: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh ISBN 3-453-30702-X Widmung: Für Marg, der es gefallen hat. 1 Wie es meine Gewohnheit war, saß ich in Hemdsärmeln an mei- nem Tisch und zeichnete ein Stück Seife, das mit Klebeband an der oberen Ecke meines Zeichenbretts befestigt war. Die goldene Stanniolverpackung war sorgfältig zurückgeschlagen, damit man den größten Teil des darauf gedruckten Markennamens noch lesen konnte; ich hatte ein halbes Dutzend Packungen anreißen müssen, um diesen Effekt zu erzielen. Es war eine neue Idee, das Produkt griffbereit zu zeigen, zu einem Gebrauch, den der Begleittext als »duftend, schaumig, lieblicher« verhieß, und mir oblag es, die Seife in ein halbes Dutzend Vorlagen abzuzeichnen, jedesmal in einem etwas anderen Winkel. Es war genauso langweilig, wie es sich anhört, und ich hielt immer wieder inne, um aus dem Fenster zu schauen, zwölf Stockwerke hinab auf die Vierundfünfzigste Straße, auf die win- zigen Köpfe, die sich über die Bürgersteige bewegten. Es war ein sehr klarer sonniger Tag Mitte November, und ich hätte mich gern dort draußen herumgetrieben, den ganzen Nachmittag vor mir, ohne feste Pläne, ohne Pflichten. Drüben am Layouttisch stand Vince Mandel, unser Schriften- Spezialist, hager und dunkelhaarig, und kam sich vermutlich ebenso eingekerkert vor wie ich; er arbeitete mit dem Spritzpin- sel, eine Baumwollmaske vor dem Mund. Er sprühte eine 6 fleischfarbene Schicht auf das Life-Photo eines Mädchens in einem Badeanzug. Wenn er fertig war, würde es so aussehen, als wäre das Mädchen nackt, bis auf das Band, das sie von der Schulter bis zur Hüfte trug mit der Aufschrift MISS BÜROMASCHINE. Dieser Gag war seit einiger Zeit Vinces Lieblingsbeschäftigung am Tage; das retuschierte Photo kam dann zu einer Sammlung ähnlicher Darstellungen ans Anschlag- brett unserer künstlerischen Abteilung, das Maureen, unsere neunzehnjährige Layouterin und Studiogehilfin, grundsätzlich nicht anschaute, ja nicht einmal mit einem flüchtigen Blick bedachte, obwohl sie oft dazu gedrängt wurde. Frank Dapp, unser Abteilungsleiter, ein rundliches kleines Energiebündel, trottete auf sein abgeteiltes Büro in der Nordecke des Künstlerstalls zu. Als er den großen metallenen Materialschrank passierte, schlug er energisch gegen die offene Tür und brüllte dabei los, so laut er konnte. So befreite er sich immer von überschüssiger Energie, wie eine Lokomotive, die zischend Dampf abließ – eine erstaunliche Lärmexplosion. Doch weder Vince noch Karl Jonas am Brett vor mir, noch ich schauten auf. Ebenso unterblieb die Reaktion im Schreibzimmer draußen, das wußte ich, wohingegen Fremde, die im Empfangs- raum unten am Flur warteten, bei diesem Krach schon öfter sozusagen an die Decke gesprungen waren. Es war ein ganz normaler Tag, ein Freitag, zwanzig Minuten vor der Mittagspause, fünf Stunden vor Feierabend und Wochenende, zehn Monate vor dem Urlaub, siebenunddreißig Jahre vor der Pensionierung. Da klingelte das Telefon. »Ein Besucher für Sie, Si.« Es war Vera aus der Zentrale. »Er hat keinen Termin.« »Schon gut. Er ist Stofflieferant. Ich brauche einen Schuß.« 7 »Höchstens den Gnadenschuß.« Sie legte auf. Ich fragte mich, wer da zu mir wollte, und stand auf; ein Künstler in einer Werbeagentur erhält normalerweise nicht oft Besuch. Der Hauptempfang lag ein Stockwerk tiefer, und ich wählte den langen, aber interessanteren Weg durch die Buchhaltung und die Medienabteilung, doch ich entdeckte keine neuen Mädchen, die eingestellt worden waren. Frank Dapp nannte den Hauptempfang den Neben-Broadway. Der Raum war ausgestattet mit einem echten Orientteppich, mehreren Schauvitrinen mit echt antikem Silber aus der Samm- lung der Frau eines der drei Inhaber, und mit einer vornehmen Matrone, deren Haar ebenfalls wie antikes Silber schimmerte und die die Wünsche der Besucher an Vera weitergab. Mein Besucher betrachtete gerade eine der gerahmten Anzeigen an der Wand. Ich gebe es nicht gern zu und habe auch gelernt, es zu verbergen, doch ich scheue mich, Menschen kennenzulernen. So spürte ich auch jetzt die vertraute leichte Besorgnis und kurze Verwirrung, als sich der Fremde beim Geräusch meiner Schritte umdrehte. Er war kahlköpfig und klein, sein Kopf reichte mir nur bis an die Augen, dabei liege ich gut zwei Finger breit unter einsachtzig. Ich marschierte auf ihn zu; dabei sagte ich mir, daß er wohl fünfunddreißig war. Er hatte einen bemerkenswert mächtigen Brustkasten. Ohne dick zu sein, würde er mich wohl im Gewicht übertreffen. Er trug einen olivgrünen Gabardineanzug, der überhaupt nicht zu seinem rosigen Rotschopf-Teint paßte. Hoffentlich will er mir nichts verkaufen, dachte ich. Als ich dann den Empfangsraum betrat, setzte er ein echtes Lächeln auf, und ich mochte ihn sofort und entkrampfte mich. Nein, sagte ich mir, der will nichts verkaufen – und hätte mich damit nicht mehr irren können. 8 »Mr. Morley?« Ich nickte und erwiderte sein Lächeln. »Mr. Simon Morley?« fragte er, als gäbe es hier in der Agentur mehrere Morleys und als wolle er ganz sichergehen. »Ja.« Er war noch immer nicht zufrieden. »Tun Sie mir den Gefallen – erinnern Sie sich noch an Ihre Soldnummer in der Armee?« Er ergriff meinen Ellbogen und führte mich in den Fahrstuhlkorridor, fort von der Empfangsdame. Ich leierte sie herunter und kam gar nicht darauf, mich zu wundern, warum ich dies ohne Gegenfrage für einen völlig Fremden tat. »Gut!« sagte er anerkennend, und ich freute mich. Wir waren nun im Korridor allein. »Kommen Sie von der Army? Wenn ja, möchte ich heute nichts kaufen.« Er lächelte, ging aber auf die Frage nicht ein. »Mein Name ist Ruben Prien«, sagte er statt dessen und zögerte einen Augen- blick lang, als müsse ich den Namen kennen. Dann fuhr er fort: »Ich hätte anrufen und einen Termin ausmachen sollen. Aber ich habe es eilig, und bin daher das Risiko eingegangen, unangemeldet zu kommen.« »Alles in Ordnung. Ich habe sowieso nur gearbeitet. Was kann ich für Sie tun?« Er zog eine belustigte Grimasse, die die Schwierigkeit seines Anliegens verdeutlichen sollte. »Ich brauche etwa eine Stunde Ihrer Zeit. Sofort, wenn Sie es einrichten können.« Er blickte mich verlegen an. »Tut mir leid, aber … es läge mir sehr daran, wenn Sie ein Weilchen nur mal zuhören könnten.« 9 Ich war gebannt; er hatte mein Interesse geweckt. »Na schön. Es ist zehn vor zwölf. Gehen wir zusammen essen? Ich könnte hier ein wenig früher weg.« »Schön, aber wir sollten nicht drinnen sprechen. Wir könnten uns ein paar Sandwiches besorgen und im Park essen. Einver- standen? Es ist nicht zu kalt.« Ich nickte und sagte: »Ich hole nur meinen Mantel. Sie interessieren mich auf seltsame Weise.« Zögernd verharrte ich einen Augenblick lang, bedachte diesen freundlichen, zäh wirkenden, glatzköpfigen kleinen Mann mit einem eingehenden Blick und sprach es aus: »Und Sie wissen das wohl auch selbst. Sicher haben Sie die ganze Sache schon öfter gemacht. Mit dem verlegenen Auftreten und so.« Er grinste und schnippte mit den Fingern. »Dabei dachte ich, ich hätte die Rolle wirklich drauf! Also, zurück vor den Spiegel und weitergeübt! Holen Sie Ihren Mantel; wir verlieren Zeit.« Wir gingen in nördlicher Richtung durch die Fünfte Avenue, vorbei an den unglaublichen Bauwerken aus Glas und Stahl, Glas und emailliertem Metall, Glas und Marmor und an den älteren Bauten, die mehr aus Stein als aus Glas bestanden. Es ist eine faszinierende, unglaubliche Straße; ich habe mich nie daran gewöhnt und frage mich, ob das überhaupt jemand wirklich kann. Gibt es auf der Welt einen anderen Ort, an dem sich eine ganze Wolkenbank in den Fenstern einer Gebäudefront spiegeln kann und noch Platz ringsum bleibt? Heute machte es mir besonderen Spaß, auf der Fünften unterwegs zu sein, die Temperatur lag um die zwölf Grad, eine angenehme Spätherbst- Kühle lag in der Luft. Es war beinahe Mittag, und aus allen Gebäuden, an denen wir vorbeikamen, eilten hübsche Mädchen, und ich dachte mir, wie bedauerlich es doch war, daß ich die 10

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