Schule und Gesellschaft 32 Heiner Ullrich · Till-Sebastian Idel Katharina Kunze Hrs. Das Andere Erforschen Empirische Impulse aus Reform- und Alternativschulen Heiner Ullrich · Tiii-Sebastian ldel · Katharina Kunze (Hrsg.) Das Andere Erforschen Schule und Gesellschaft Band 32 Herausgegeben von Franz Hamburger Marianne Horstkernper Wolfgang Melzer Klaus-Jürgen Tillmann Heiner Ullrich · Tiii-Sebastian ldel Katha ri na Ku nze (H rsg.) Das Andere Erforschen Empirische Impulse aus Reform- und Alternativschulen SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH - + III SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH vs Verlag für Sozialwissenschaften Entstanden mit Beginn des Jahres 2004 aus den beiden Häusern Leske+Budrich und westdeutscher Verlag. Die breite Basis für sozialwissenschaftliches Publizieren Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb ddb.de> abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Max-Traeger-Stiftung, wissenschaftliche Stiftung der GEW 1. Auflage April 2004 Alle Rechte vorbehalten © Springer Fachmedien Wiesbaden 2004 Ursprünglich erschienen bei VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2004 Lektorat: Barbara Budrich-Esser www.vs-verlag.de Das werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. umschlaggestaltung: KünkeiLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier ISBN 978-3-8100-3844-9 ISBN 978-3-663-09534-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-09534-7 Inhalt Das Andere Erforschen. Zur Einleitung in diesen Band ............ ............ ...... .. .. .. .. ........ .... .......... ..... 7 I. Schulen der Reformpädagogik Heiner Ullrich Forschung über Waldorfschulen - auf neuen Wegen .. .... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 21 DirkRandoll Vergleichende Untersuchung zu Schülerurteilen aus Waldorfschulen und Gymnasien .............................................................. 35 Till-Sebastian Idel Schulbiographische Ambivalenz. Eine Fallstudie zur lebensgeschichtlichen Relevanz der Waldorfschule .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 51 Katharina Kunze Systemkritische Vermittlung. Berufsbiographischer Wandlungsprozess und professionelle Deutungsmuster eines Waldorfschullehrers .............. 65 Hans Günter Lambrich Soziale Beziehungen als Grundlage für soziales Lernen. Fallstudie in einer Jenaplanschule ........................................................... 79 Stephanie Conein Leitbilder von Montessorilehrerlnnen zur Umweltbildung 93 II. Freie Alternativschulen Oskar Negt ... es war für uns alle Neuland. Zu den Anfängen und Charakteristika der wissenschaftlichen Begleitung der Glockseeschule in Hannover ...... 107 Ulrike Köhler Die Glocksee-Schule im Spiegel ihrer Absolventlnnen: Eine Untersuchung zur biographischen Bedeutung der Schulzeit ........... 111 6 Inhalt Doris Krammling-Jöhrens Atmosphäre als Wirklichkeitsebene. Mit ethnographischer Forschung Erfahrungen aus einer Schule zur VerfUgung stellen ............. 123 Michael Maas "Ich versuche, witzig zu sein"-eine Fallstudie über Entwicklungsprobleme von Adoleszenten im schulischen Kontext 135 Jutta Wiesemann Lernforschung an der Freien Schule Untertaunus .................................... 147 111. Modell-und Reformschulen Annemarie von der Groeben Didaktische Forschung und Entwicklung an der Bietefelder Laborschule ..... ......... .. .. .. . ... ... .. ..... .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. ... .. .. ....... ... 161 Irene Demmer-Dieckmann Schulentwicklung zwischen Bewahren und Erneuern. Ein Schulentwicklungsprozess an der Laborschule Bietefeld am Beispiel der Mischung der Jahrgänge 3, 4 und 5 ..................................... 175 Hildegard Liermann Individuelle und kollektive Voraussetzungen flir Teamorientiertes Handeln........................................................................ 187 Si/via-Iris Beutel In Bewegung! Zur Evaluation von Lernberichten der Bietefelder Laborschule .. .... ....... .. .. .. .. ...... .. ... .. .. ... .... .. .. ....... ...... .. .. ... .. .... .. 199 Beate Wischer Pädagogische Programmatik und empirische Forschung Evaluation einer reformpädagogischen (Laborschul-)Praxis durch standardisierte Schülerbefragungen .. . .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . . 211 Birte Friedrichs Den "Schattenseiten" auf der Spur- Schwierigkeiten und Paradoxien einer pädagogisch sinnvollen Institution am Beispiel Klassenrat .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. . .. . 223 Merle Hummrich/Werner Helsper "Familie geht zur Schule": Schule als Familienerzieher und die Einschließung der familiären Generationsbeziehungen in eine schulische Generationsordnung ............................................................... 235 Autorinnen und Autoren........................................................................ 249 Das Andere Erforschen. Zur Einleitung in diesen Band 1. Reform- und Alternativschulforschung eine thesenartige Skizze Reform- und Alternativschulen galten in der erziehungswissenschaftliehen Empirie lange Zeit als mehr oder weniger unerforschte pädagogische Provin zen. Mit wenigen Ausnahmen, zu denen insbesondere die seit Gründung der Schule im Jahre 1974 fest im Schulkonzept verankerte Laborschulforschung zu zählen ist, war methodisch kontrollierte Forschung bis in die 1990er Jahre hinein Mangelware. Dies war um so mehr zu beklagen, als viele Reform- und Alternativschulen sich ihrem Selbstverständnis nach nicht nur als solitäre Gegenschulen, sondern auch als Impulsgeber für die Schulentwicklung des staatlichen Regelschulwesens begriffen, wozu solides empirisches Wissen ei ne feste Basis hätte liefern können. So blieb es häufig bei programmatischen Bänden und eher impressionistischen Erfahrungsberichten (vgl. etwa Ramse ger 1975; Borchert/Derichs-Kunstrnann 1979; Dick 1979). Als Ursache für diese Abstinenz gegenüber kontrollierter empirischer Forschung wurden Ab schottungstendenzen der Reform- und Alternativschulszene vermutet (vgl. Gehlschläger 1996, S. 52): Die Protagonisten seien ihrem Binnendiskurs ver haftet, traditionelle Formen empirischer Forschung würden unter ideologie kritischem Vorbehalt abgelehnt. Dabei wurde allerdings außer Acht gelassen, dass vielen freien Schulen schlicht die finanziellen Mittel für Forschung nicht zur Verfügung standen. In Absetzung von konventionellen Forschungsdesigns versuchten die beiden bekanntesten Schulprojekte der 70er Jahre, die Bielefelder Labor schule und die Glocksee-Schule Hannover, beides Schulen in staatlicher Trä gerschaft, Forschungsansätze zu entwickeln, die sich den pädagogischen Prin zipien ihrer Schulen anschmiegten. Man erhoffte sich diese produktive Kor respondenz zwischen Schulpraxis und begleitender Forschung von den Me thoden der Handlungsforschung, welche in radikaler Weise die ftir die tradi tionelle Empirie im Poppersehen Geiste konstitutive Trennung von Beob achter und Akteur zur Disposition stellte. Methodologisch sorgfältig fundiert wurde dies vor allem im eindrucksvollen Lehrer-Forscher-Modell der Labor schule, welches die Differenz zwischen Lehren und Forschen aufhob und die pädagogische Aufgabe des Lehrers um einen Forschungsauftrag ergänzte. Das Zusammenwirken von Erziehungswissenschaft und Schulpraxis im 8 Einleitung schulpädagogischen Experiment - so die Zielsetzung des Schulgründers Hartmut von Hentig - eröffne die Chance, die Vermittlung von handlungslei tenden pädagogischen Ideen mit ihrem Konkretwerden im Erfahrungszusam menhang der Praxis zum Forschungsgegenstand zu erheben und im Sinne ei ner ,klinischen' pädagogischen Wissenschaft die Weiterentwicklung der Schule zu fördern (Kleinespel 1998, S. 17lf.). Ausgangspunkt von Wissen schaft und Empirie solle dabei stets die pädagogische Praxis sein, die es im Sinne einer "Aufklärung des pädagogischen Handelns" über sich selbst zu re flektieren gelte. Dem Primat der Praxis entsprechend basiert der Forschungs ansatz der Laborschule noch heute auf dem Prinzip der Selbsterforschung: "Selbsterforschung bedeutet, dass Lehrende die Tauglichkeit ihrer Hand lungsmuster in einer Praxis prüfen, die mit ihren experimentellen Bedingun gen die Erfahrung einer ,besseren' Pädagogik ermöglicht" (ebd. S. 229). Döpp ( 1990) hat in einer historisch-kritischen Rekonstruktion der Entwick lungsgeschichte der Laborschule gezeigt, dass die Realisierung dieses For schungsansatzes in der Reformpraxis mit zum Teil erheblichen Problemen, Konflikten und Kontroversen innerhalb des Kollegiums der Schule sowie zwischen der Schule und der Fakultät fiir Pädagogik an der Universität Biele feld verbunden war (vgl. zusammenfassend Döpp 1997 & 1998 sowie Klei nespel 1998, S. 185-191 ). Und auch in der wissenschaftlichen Begleitung der zweiten bekannten, sich in staatlicher Trägerschaft befindenden Alternativ schule, der G1ocksee-Schule Hannover, konnte der projektierte enge Dialog zwischen Wissenschaftlern und Lehrkräften nicht immer anspruchsgemäß realisiert werden (vgl. Köhler/Krammling-Jöhrens 2000, S. 63ff.). Dieser Diskurs, der sich vor allem auf die reflexive Aufarbeitung schulalltäglicher Erfahrungen vor dem Hintergrund des konzeptionell zentralen Selbstregulie rungsbegriffs und seiner psychoanalytischen Grundlegung konzentrierte, hatte - so formulieren es Ulrike Köhler und Doris Krammling-Jöhrens vorsich tig in einer historischen Rekonstruktion der Entwicklungsgeschichte der Schule -einen "eigentümlich latenten Einfluss" auf die Schulpraxis (e bd. S. 67). Die Bestimmung des Verhältnisses der Forschenden zur untersuchten Schulpraxis und zu ihrer Weiterentwicklung erwies sich als eine unausweichli che, jeweils neu zu lösende komplexe Aufgabe. Die an handlungswissenschaft licher Methodologie ausgerichtete wissenschaftliche Begleitforschung der 70er und 80er Jahre fiihrte dazu, dass die Forschungsbefunde häufig im Zusammen hang der Einzelschulen verblieben und man sich mit wenigen Ausnahmen so mit im Schatten der allgemeinen erziehungswissenschaftliehen Schulforschung bewegte. Wir meinen, fiir die 1990er Jahre einen Umbruch in den Forschungsakti vitäten zu Reform-und Alternativschulen ansetzen zu können: Die Forschungs lage hat sich deutlich gebessert, wenngleich nach wie vor gravierende For schungsdesiderata bestehen und auch methodologischer Professionalisierungs bedarf unübersehbar ist. Als Hintergründe der Forschungsintensivierung sind folgende Entwicklungen anzusehen: Einleitung 9 ( 1) Die wissenschaftliche Begleitforschung hat sich von der handlungswis senschaftlichen Methodologie entfernt, ohne auf feldsensible methodische Zugänge zu verzichten. Am deutlichsten lässt sich diese partielle Entkopp lung von Wissenschaft und Schulpraxis wieder exemplarisch an der Ent wicklung der Laborschulforschung festmachen: In den ersten Jahren der Schulgeschichte bricht die Kooperation zwischen der Bielefelder Fakultäts pädagogik und der Schule weitgehend ab; Schule und Wissenschaft etablie ren sich an der Reformuniversität gleichsam eigenlogisch. Innerhalb der Schule wird kontrovers über Wahrheits- und Geltungsansprüche der For schung und über die Relevanz allgemeiner abstrakter Forschungsfragen dis kutiert, und es machen sich die deutlichen Belastungen bemerkbar, die mit der Doppelaufgabe für die Lehrer als Forscher entstehen. Bis zur Reorganisa tion der Schule im Jahre 1990, als nach dem Ausscheiden von Hentigs Schule und wissenschaftliche Einrichtung auf der Grundlage einer erneuerten Ko operationsvereinbarung institutionell voneinander getrennt wurden, waren die Lehrkräfte zugleich wissenschaftliche Mitarbeiter der zentralen wissenschaft lichen Einrichtung. Ihr Deputat teilte sich auf in einen Lehr- und einen For schungsteiL Seit 1990 findet der größte Teil der Forschung in projektförmi ger Kooperation statt zwischen wissenschaftlichen Mitarbeitern der nun "de zentralen" wissenschaftlichen Einrichtung und Lehrern der Schule, die sich hierfür abordnen lassen müssen. Gegenwärtig präsentiert sich die Labor schulforschung als differenziertes Feld, das sich von reflexiven Erfahrungs berichten über schulinterne evaluative Unterrichts- und Curriculumforschung bis hin zu Projekten erstreckt, die an den Diskurs der erziehungswissen schaftliehen Schulforschung anschließen. (2) Mit der Entwicklung qualitativer Forschung, deren Methodenrepertoire seit den 70er Jahren erheblich ausdifferenziert wurde und die sich heute als anerkannte Methodologie gleichwertig neben der quantitativen Empirie eta bliert hat, stehen nun Methoden zur Verfügung, die einerseits feldsensible Annäherungen an die reformpädagogischen bzw. alternativen Schulkulturen ermöglichen, dennoch aber auch distanzwahrend die Perspektivendifferenz zwischen Forschung und Schulpraxis erhalten. Aus konstruktivistischer Sicht wird damit eine symmetrische, nicht-hierarchische Position des Beobachters gegenüber den schulischen Akteuren begründet und auch der quantitativen Forschung keine privilegierte Position in Wahrheitsfragen mehr zugebilligt. Damit können viele Vorbehalte der Schulpraxis gegenüber dem Geltungsan spruch der standardisierten Variablenempirie aus dem Wege geräumt werden. (3) Die Reform- und Alternativschulen haben sehr wahrscheinlich deutlich vom Perspektivenwechsel in der Schulforschung vom Systemvergleich hin zur Erforschung der Einzelschule und vom zeitgenössischen Schulentwick lungsdiskurs profitiert. Auch wenn im Zuge der international vergleichenden Schulleistungsstudien (z.B. TIMSS, PISA, IGLU) groß angelegte standardi sierte Empirie wieder an Bedeutung gewonnen hat, so ist die Einzelschule -
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