Masarykova univerzita Filozofická fakulta Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky Německý jazyk a literatura Bc. Jakub Macháček Dandy, Gentleman, Snob Versuch eines Vergleichs Magisterská diplomová práce Vedoucí práce: PhDr. Roman Kopřiva, Ph.D. 2014 Prohlašuji, že jsem diplomovou práci vypracoval samostatně s využitím uvedených pramenů a literatury. Ich versichere, die Magisterarbeit selbständig und lediglich unter Benutzung der angegebenen Quellen und Hilfsmittel verfasst zu haben. ................................................... Podpis autora práce 2 Poděkování Chtěl bych poděkovat vedoucímu této práce panu PhDr. Romanu Kopřivovi, Ph.D. za pomoc, podnětné rady, ochotu a trpělivost. Ich möchte mich bei dem Betreuer dieser Arbeit Herrn PhDr. Roman Kopřiva, Ph.D. für seine Hilfe, aufschlussreiche Ratschläge, Bereitwilligkeit und Duldsamkeit bedanken. 3 INHALT 1 EINFÜHRUNG .................................................................................................................................................. 5 1.1 HISTORISCHER HINTERGRUND ............................................................................................................... 5 1.2 LEBENSSTIL UM DIE JAHRHUNDERTWENDE ...................................................................................... 6 1.3 GESELLSCHAFTSTYPEN ............................................................................................................................. 8 2 SNOB UND SNOBISMUS ................................................................................................................................. 9 2.1 MODE UM DIE JAHRHUNDERTWENDE .................................................................................................. 9 2.2 SNOBISMUS UND SEIN URSPRUNG ....................................................................................................... 11 2.3 WESEN UND TYPEN DES SNOBISMUS ................................................................................................... 14 3 DANDY UND DANDYISMUS ........................................................................................................................ 20 3.1 LITERATUR VON UND ÜBER DANDY ..................................................................................................... 20 3.2 DANDYISMUS UND FIN DE SIÈCLE ....................................................................................................... 21 3.3 DANDY ALS KÜNSTLER ............................................................................................................................. 23 3.4 DANDY ALS KONSERVATOR .................................................................................................................... 25 4 DANDY VERSUS SNOB ................................................................................................................................. 27 4.1 DANDY IM DEUTSCHSPRACHIGEN KONTEXT .................................................................................... 27 4.2 DANDYISMUS – EINE ART DES SNOBISMUS? ..................................................................................... 29 4.3 DANDYISMUS UND EINZIGARTIGKEIT ................................................................................................. 30 5 GENTLEMAN ................................................................................................................................................. 33 5.1 GENTLEMAN ALS GEGENBILD DES SNOBS ........................................................................................ 33 5.2 GENTLEMAN UND DANDY ....................................................................................................................... 34 6 DANDY, GENTLEMAN, SNOB BEI RICHARD VON SCHAUKAL ....................................................... 37 6.1 ANDREAS VON BALTHESSER, VOM GESCHMACK ............................................................................. 37 6.2 DANDY BEI RICHARD VON SCHAUKAL ................................................................................................ 39 6.3 SNOB BEI RICHARD VON SCHAUKAL ................................................................................................... 41 6.4 GENTLEMAN BEI RICHARD VON SCHAUKAL ..................................................................................... 44 6.5 FORMALE SEITE SCHAUKALS WERKEN .............................................................................................. 46 7 FAZIT ............................................................................................................................................................... 51 7.1 ZUSAMMENFASSUNG DER GESELLSCHAFTSTYPEN ....................................................................... 51 7.2 GESELLSCHAFTSTYPEN UND RICHARD VON SCHAUKAL .............................................................. 56 LITERATURVERZEICHNISS ......................................................................................................................... 60 4 1 EINFÜHRUNG 1.1 Historischer Hintergrund Das Ende des 19. und der Anfang des 20. Jahrhunderts stellen für die deutsche und österreichische Gesellschaft eine veränderungsvolle Epoche dar. Die immer weiter zunehmende Industrialisierung bringt einerseits steigende Ansprüche der unteren Gesellschaftsschichten mit sich, die mit der Demokratisierung und der sozialen Nivellierung der Gesellschaft verbunden sind, demgegenüber stehen die Interessen der oberen Schichten, die zwar finanziell völlig saturiert sind, sich jedoch zugleich von der steigenden Macht der niederen Gesellschaftsschichten bedroht fühlen. Im Habsburgerreich kommt noch ein immer stärker werdender Nationalismus und Partikularismus der einzelnen Nationalgruppen hinzu, der nicht nur das politische Leben der Monarchie paralysiert. Es ist bemerkenswert, dass die Gestalten von einigen Politikern, die zu diesem Zustand beitrugen, auch mit dem Thema dieser Arbeit zusammenhängen: Auf politisch-sozialem Gebiet korrespondiert dieser Auflösung der Erfahrungswelt die Desintegration desjenigen gesellschaftlichen Konsenses, der gemeinhin mit dem Stichwort Liberalismus bezeichnet wird. In Österreich sind die partikularistischen Strömungen, für die die Namen Karl Lueger, Georg von Schönerer und Theodor Herzl stehen können, Signale und Symptome dieser Zersplitterung. Bezeichnenderweise gerieten sich zwei der erwähnten politischen Führer als Dandys: Theodor Herzl ruft Brummels Namen auf, um seine Kritik an Schnitzlers Kleidung zu pointieren; Georg von Schönerer rückt durch Bezeichnungen wie Grandseigneur und Pseudoaristokrat in die Nähe des Dandyhaften.1 Ähnliche Zersplitterungstendenzen spiegeln sich auch in der Kunst wider – manche künstlerische Strömungen streben nach der Verbreitung und Demokratisierung der Kunst, sie suchen ihr Vorbild im alltäglichen Leben. Andere kämpfen um die Exklusivität der Kunst, die Gestalt des Künstlers stellt für sie ein Genie, einen 1 KROBB, Florian. Denn Begriffe begraben das Leben der Erscheinungen. Über Richard von Schaukals Andreas von Balthesser und die Eindeutschung des Dandy. In: Eros Thanatos. Jahrbuch der Richard-von-Schaukal- Gesellschaft. Kassel: 1997, S. 94. 5 Aristokraten des Geistes dar. Die Kunst dringt in ihrer schematisierten Form, zu der auch die Dekoration gezählt werden kann, auch in die Massenproduktion ein: Obwohl Wien sich gleichfalls als Kunststadt, ja als Kunststadt par excellence fühlte, war die Atmosphäre hier eine ganz andere. Es war nämlich weit weniger eine Stadt der Kunst als der Dekoration par excellence.2 Die Gesellschaft steht an der Schwelle ihrer Entwicklung, in der Luft ist das Erwarten eines Umbruchs zu spüren, über dessen Charakter jedoch keine einheitliche Vorstellung herrscht. „Unser Jahrhundert dürstet nach einer Tat“3 heißt eine der bekannten Sentenzen aus Musils Roman. Seit dem Beginn einer solchen großen Tat, die fast die ganze damalige Welt betraf und deren Konsequenzen bis heute zu sehen sind, sind bereits hundert Jahre vergangen. Diese Ereignisse beziehen sich jedoch nicht mehr auf das Thema dieser Arbeit, die sich mit der vorhergehenden Periode beschäftigen soll. 1.2 Lebensstil um die Jahrhundertwende In den Großstädten des deutschsprachigen Raumes – vor allem in Berlin, München und Wien – entsteht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine neue Gruppe der Bevölkerung, die sich aus dem Milieu der Großfabrikanten, erfolgreichen Händler und hochgestellten Staatsbeamten etabliert und deren Mitglieder sich langsam jene Manieren aneignen, die früher nur den aristokratischen Kreisen vorbehalten waren. Mit der Eisenbahn sind jetzt auch die westeuropäischen Metropolen leicht erreichbar, in denen die oben erwähnte gesellschaftliche Entwicklung einen markanten Vorsprung 2 WUNBERG, Gotthard [Hrsg.]. Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910. Stuttgart: Reclam, 1995, S. 101. 3 MUSIL, Robert. Der Mann ohne Eigenschaften: Roman. Neu durchgesehene und verbesserte Ausgabe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1988, S. 444. 6 aufweist und die als natürliche Vorbilder des Lebensstils der Neureichen gelten. Diejenigen, die sich nicht mit dem alltäglichen Geldverdienen beschäftigen müssen, suchen einen alternativen Lebensinhalt, eine Ersatzarbeit. Das eigentliche Vermögen schränkt solche Aktivitäten keinesfalls ein, ganz im Gegenteil: Es ist eher ihr Initiator, denn die reichen Mitmenschen müssen ihren Besitz in der Gesellschaft entsprechend zur Schau stellen. Es war eine Gesellschaft des exzessiven Konsums und der demonstrativen Verschwendung, die der Renaissance des Dandytums den Weg bereitete. Die neuen Superreichen erstürmten die Zitadellen gesellschaftlicher Exklusivität und stellten ihren neu erworbenen Reichtum mit ausschweifender und unwiderstehlicher Vulgarität zur Schau.4 So wächst die Nachfrage nach Luxuswaren, die Zahlen der Mäzene steigen, die „bessere Gesellschaft“ trifft sich in zahlreichen Salons mit den berühmten Künstlern und Persönlichkeiten ihrer Zeit. Die Salonkultur bietet eine gute Gelegenheit zum gesellschaftlichen Verkehr, ihre Beteiligten haben zugleich gute Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Menschen. Mit dem Inhalt – in diesem Fall dem Vermögen, zu dem nur eine bedeutende Geldsumme nötig ist – ist jedoch immer auch die Form verbunden, nämlich die Verhaltensweise der Menschen. In den aristokratischen Familien werden die Nachkommen schon im zarten Alter zum guten Benehmen geführt, die Manieren werden „vererbt“. In den nun in diese Gesellschaft gelangten Familien müssen sie zuerst erworben werden – diese Tatsache führt zur Nachahmung, deren Erfolg nicht ganz eindeutig sein muss. Dazu ist beim alten Adel zu bemerken, dass er dies zu übersehen versucht oder eine Verteidigungsposition einnimmt, die sich oft gegen die neu entstandene, aus den kapitalistischen Kreisen stammende Aristokratie richtet. 4 ERBE, Günter. Dandys – Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens. Köln, Wien: Böhlau, 2002, S. 195. 7 Diese neuen kapitalistischen Mächte aber, die begonnen hatten, den Geist Frankreichs entscheidend zu beeinflussen, besaßen nicht die Instinktsicherheit, nicht das echte Kulturbedürfnis der älteren, in langer Tradition verfeinerten Generationen; sie nahmen die Kunst snobistisch als guten Ton auf und suchten in ihr prächtige Repräsentation ihrer Geldmacht.5 In das Bewusstsein der oberen Klassen geraten im Rahmen dieser Entwicklung auch neue Gesellschaftstypen. 1.3 Gesellschaftstypen Diese Arbeit sollte sich mit drei Gesellschaftstypen befassen. Das Phänomen des Dandyismus beschränkt sich nur auf eine kleine Gruppe von Einzelnen, meist Künstlern oder Literaten, die einen großen Teil ihres privaten Lebens ihrer Selbststilisierung widmeten. Der Gentleman ist ein Typ, der in der Gesellschaft schon stärker verbreitet ist. Es handelt sich um einen Menschen mit korrektem Verhalten, es ist jedoch nicht einfach, ihn genauer zu definieren. Der Snobismus ist ferner eine Massenerscheinung und hat viele Arten und Formen. Die Grenzen zwischen diesen drei Typen wie auch ihre eindeutige Definitionen sind manchmal sehr problematisch, obwohl man bei ihrer Komparation sowohl auf gewisse Unterschiede als auch gemeinsame Merkmale stößt. Diese Arbeit sollte auch die Genese dieser Typen beleuchten und ihre Beispiele in der ausgewählten Literatur analysieren. 5 MANN, Otto. Der dandy. Ein Kulturproblem der Moderne. Heidelberg: Rothe, 1962, S. 27-28. 8 2 SNOB UND SNOBISMUS 2.1 Mode um die Jahrhundertwende Der berühmte Wiener Architekt mährischer Herkunft Adolf Loos widmet der Wiener Jubiläums-Ausstellung 1898 einen Zeitungsartikel mit dem Titel Die Herrenmode. Unter seiner subjektiven Sichtweise beschäftigt er sich mit dem Niveau des Kleidungsstils im deutschsprachigen Raum, an manchen Stellen des Textes beschreibt er auch allgemeinere gesellschaftliche und ästhetische Erscheinungen der Zeit. Als Vorbild des erlesenen Stils bezeichnet er England, die Kleidung soll seiner Ansicht nach (ähnlich wie in seinem architektonischen Schaffen) möglichst einfach sein – man solle „am wenigsten auffallen“, das entscheidende Merkmal seien ausgewählte Stoffe und eine hochwertige Verarbeitung. Correct angezogen sein! Mir ist, als hätte ich mit diesen Worten das Geheimnis gelüftet, mit dem unsere Kleidermode bisher umgeben war. Mit Worten wie schön, chic, elegant, fesch und forsch wollte man der Mode beikommen. Darum handelt es sich aber gar nicht. Es handelt sich darum, so angezogen zu sein, daß man am wenigsten auffällt.6 Die bereits in Deutschland und Österreich getragene Kleidung stößt bei ihm für ihre Geziertheit und Ornamentalität auf harte Kritik: Der große Dichter, der große Maler, der große Architekt kleiden sich wie diese [Engländer]. Der Dichter-, Maler- und Architektling aber macht aus seinem Körper einen Altar, auf dem der Schönheit in Form von Sammtkragen, ästhetischen Hosenstoffen und secessionistischen Cravaten geopfert werden soll.7 Schließlich widmet er sich der Mode und dem Prozess ihrer Verbreitung. Die Menschen teilt er dabei in zwei Gruppen: Die erste hat einen natürlichen, fast angeborenen guten Geschmack. Ihre Mitglieder müssen zwar nicht notwendigerweise zur Aristokratie gehören, trotzdem sind bei ihnen die aristokratischen Züge 6 LOOS, Adolf. Die Herrenmode. In: Neue Freie Presse. Morgenblatt, Nr. 12121, 22. Mai 1898, S. 16. 7 Ebd. 9 vorzufinden. In die zweite gehören die bloßen Nachahmer, die er als „Gigerl“8 bezeichnet: „Das Gigerl trägt eben das, was seine Umgebung für modern hält.“9 Das „Gigerltum“ beschränkt sich Loos zufolge nicht nur auf die Kleidung, es ist eher ein Komplex von typischen Eigenschaften, die dem „Gigerl“ zugeschrieben werden können. Kennzeichnend ist für sie vor allem das Streben nach sozialem Aufstieg, der durch die Abgrenzung von ihrem bestehenden Umfeld erreicht werden soll. Ein Kleidungsstück ist modern, wenn man im demselben im Culturcentrum bei einer bestimmten Gelegenheit in der besten Gesellschaft möglichst wenig auffällt. Dieser englische Gesichtspunkt, der jedem vornehm Denkenden, dem kleinlichen Abholden zusagen dürfte, begegnet aber in den deutschen Mittel- und Niederkreisen lebhaftem Widerspruch. Kein Volk hat so viele Gigerl wie die Deutschen. Ein Gigerl ist ein Mensch, dem die Kleidung nur dazu dient, sich von seiner Umgebung abzuheben. Bald wird die Ethik, bald die Hygiene, bald die Aesthetik herangezogen, um dieses hanswurstartige Gebahren erklären zu helfen. Vom Meister Diefenbach bis zu Professor Jäger, von den „modernen“ Dichterlingen bis zum Wiener Hausherrnsohn geht ein gemeinsames Band, das sie alle geistig mit einander verbindet. Und trotzdem vertragen sie sich nicht mit einander. Kein Gigerl gibt zu, eines zu sein. Ein Gigerl macht sich über das andere lustig, und unter dem Vorwande, das Gigerlthum auszurotten, begeht nun immer neue Gigerliaden. Das moderne Gigerl oder das Gigerl schlechtweg, ist nur eine Species aus dieser weit verzweigten Familie.10 Loos’ Definition des „Gigerltums“ erinnert den Leser in manchen Merkmalen auffällig an eine andere gesellschaftliche Erscheinung in ihrer grundsätzlichen Auffassung – an den Snobismus. Auch der Snob will zu der höchsten sozialen Gruppe gehören und wendet große Mühe auf, um dieses Ziel zu erreichen: Gewiß, jener historisch fixierbare Typ des Snobs ist nicht mehr, den das englische Großbürgertum im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts gebar, als es während seines Aufstiegs den untergehenden Stern der Aristokratie zum Maß aller Dinge für das eigene Sozialprestige erhob, getreu dem Gesetz, daß sich neu aufsteigende ökonomische Klassen und Schichten zur Stillung ihres Prestigehungers immer an Gestus und Habitus der nächsthöheren orientieren, um sich dadurch von den nachdrängenden umso stärker distanzieren zu können.11 8 Vgl. PAUL, Herrmann. Deutsches Wörterbuch. Tübingen: Max Niemeier Verlag, 1966, S. 264: „Gigerl, mundartliche Bezeichnung des Hahns, dann übertragen auf einen jungen Stutzer und in diesem Sinne 1885 durch E. Pötzl von Wien aus weiter verbreitet.“ 9 LOOS, Adolf. Die Herrenmode, S. 16. 10 Ebd. 11 SCHUMANN, Hans-Gerd. Snob-Dandy-Playboy. Typen kultureller Transformation oder gesellschaftlicher Restauration? In: Archiv für Kulturgeschichte 45, Heft 1. Köln, Wien: Böhlau Verlag, 1963, S. 120. 10
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