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Cultural Time Lag: Moscheekatechese und islamischer Religionsunterricht im Kontext von Säkularisierung PDF

457 Pages·2014·4.182 MB·German
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Cultural Time Lag Rauf Ceylan Cultural Time Lag Moscheekatechese und islamischer Religionsunterricht im Kontext von Säkularisierung Rauf Ceylan Universität Osnabrück Deutschland Zugl.: Diss. Univ. Vechta 2014. ISBN 978-3-658-06049-7 ISBN 978-3-658-06050-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-06050-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht aus- drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Ein- speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be- rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Lektorat: Cori A. Mackrodt, Stefanie Loyal Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Für Rana und Ibrahim Vorwort: In der Krise zusammenstehen und sich entwickeln – eine religionspädagogischen Perspektive Seit ihrem Einzug in die Universität ist in die islamische Theologie in Deutschland Bewe- gung gekommen. Im universitären Rahmen darf sie – in Verbindung mit den übrigen dort vertretenen Disziplinen – ihr Objekt auf wissenschaftstheoretisch hohem Niveau reflektieren und auf dieser Basis muslimische Glaubenspraxis vorantreiben. Dem Islam und seinen Moscheegemeinden eröffnen die gegenwärtigen akademischen Dynamisierungsprozesse Horizonte und Chancen, auf die diese in Zeiten globaler Säkularisierungsprozesse eben- so angewiesen sind wie alle anderen Religionen und – nicht weniger als diese – die sie beheimatenden Gesellschaften. Eine in jeder Hinsicht optimale Lebens- und Weltgestal- tung setzt uneingeschränkte Bestrebungen im Hinblick auf eine Intellektualisierung und Professionalisierung religiöser Orthopraxie voraus. Weil die bundesdeutsche Gesellschaft und die Verantwortlichen in den Moscheeverbänden und Moscheevereinen um diese Zu- sammenhänge wissen, haben sie in einer konzertierten Aktion – gerade eben noch recht- zeitig – Institute für Islamische Theologie in das universitäre Fächerspektrum eingebracht. Die in diesem Kontext etablierte islamische Religionspädagogik sieht sich in besonderer Weise durch Entwicklungen innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaft und isla- mischen Theologie sowie durch gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse zu speziellen Untersuchungen und Reflexionen veranlasst. Sie könnte ihr Geschäft gewiss noch besser betreiben, wenn sie als Subdisziplin einer an den neugegründeten Instituten noch zu etablierenden Praktischen Theologie im Verbund mit weiteren Subdisziplinen (darunter eine, die etwa der pastoraltheologischen vergleichbar wäre, eine religionssoziologische oder religionspsychologische) operieren dürfte. Die Religionspädagogik selbst kennt neben den speziellen Handlungsfeldern der (Gemeinde-)Katechese und des Religionsunterrichts (in der Schule) unter anderem auch die der familiären religiösen Sozialisation, der religiösen Elementarerziehung (Frühpädagogik), der religiösen Jugend- und Erwachsenenbildung sowie der Medien. Wie das religionspädagogische Geschäft im weiten theologischen Kontext und zugleich unter den Bedingungen einer multidisziplinären Vernetzung betrieben werden kann, exemplifiziert und demonstriert der mit der hier vorgelegten Dissertation zum Dr. phil. der Universität Vechta promovierte islamische Wissenschaftler Dr. rer. soc. Rauf Ceylan. 8 Vorwort Folgerichtig würdigte die international, interkonfessionell, interdisziplinär und gender- sensibel zusammengesetzte Promotionskommission (darunter drei auswärtige Kollegen) seine überdurchschnittliche Leistung mit der bestmöglichen Bewertung. Als Osnabrücker Professor für Islamische Theologie greift Ceylan in seinem Promo- tionsprojekt die wohl gegenwärtig wie in naher Zukunft zentrale religionspädagogische Frage aus dem Spektrum unzähliger religionspädagogischer Fragestellungen heraus: die nach einer verantwortlichen Gestaltung religiöser Bildung am Ort der Moscheegemeinde in Verbindung mit dem öffentlichen islamischen Religionsunterricht in der Schule sowie (in erster Linie) mit der religiösen Sozialisation bzw. Erziehung in der Familie. In Anlehnung an eine Theorie- und Begriffsbildung der katholischen Tradition diskutiert er die Forde- rung nach einer curricular verantworteten religiösen Bildung und Erziehung durch die Moscheegemeinde unter Verwendung des Begriffs „Moscheekatechese“. Bedeutungsgehalt wie Relevanz des mit dem Begriff Gemeinten werden vor allem durch die „trittsichere“ Verortung seiner im Kern empirischen Untersuchung im großen Kontext der von ihm her- vorragend aufgearbeiteten christlichen Religionspädagogik (in Gestalt ihrer katholischen und protestantischen Besonderheiten) deutlich. Mit feinem Gespür für die gegenwärtigen Entwicklungen im deutschen Islam und auf der Basis ungeschönter empirischer Befunde (Interviews mit Verantwortlichen aus Moscheegemeinden und islamischen Verbänden bzw. Vereinen) deckt Rauf Ceylan in den muslimischen Gemeinden ein besorgniserregendes Konfliktpotenzial auf und erör- tert bzw. empfiehlt wegweisende Maßnahmen vor allem im Hinblick auf eine zukünftige Moscheekatechese und den islamischen Religionsunterricht vor dem Hintergrund ver- gleichbarer Erfahrungen in den christlichen Kirchen. Seine ungeschminkte Sicht auf die zu erwartenden Entwicklungen: „Fasst man die[se] gesamten Prozesse zusammen, so zeichnet sich ein großes zukünftiges Konfliktpotenzial ab. Diese Konflikte werden sich im Zuge des cultural time lag innerhalb der Gemeinden zeigen, wenn der Migrationseffekt wegfällt und die Moscheegemeinden vor ähnlichen Herausforderungen wie die Kirchen unter Säkularisierungs- und Individuali- sierungsbedingungen stehen werden. Die muslimischen Familien werden, ähnlich wie die christlichen Familien, nicht mehr die religiöse Erziehung gewährleisten können, und ebenso werden die Moscheen aufgrund ihres sozialen Bedeutungsverlustes und abnehmender Ge- meindemitglieder- und -besucherzahlen ihre heutige Exklusivität nicht beibehalten können. Je stärker sich diese Prozesse in den muslimischen Gemeinden zeigen werden, desto mehr sind Vereinnahmungsversuche des islamischen Religionsunterrichts zu erwarten.“ Mit der vorliegenden Arbeit präsentiert ein muslimischer Theologe nicht nur die Resultate einer exklusiven empirischen Untersuchung zur Situation und Zukunft der muslimischen Gemeinden, er schließt zugleich auch die islamische Theologie, speziell die Religionspäd- agogik, an den Theorienreichtum der christlichen Religionspädagogik an, indem er nicht nur die dort ventilierten Themenstellungen insbesondere im Hinblick auf sein spezielles Erkenntnisinteresse hinsichtlich einer zeitgemäßen religiösen Moscheebildung (Moschee- katechese) rezipiert, sondern die breite Geschichte der christlichen Religionspädagogik für seine Fragestellung nutzt. Rauf Ceylan hat sich damit nicht nur den Eintritt in die Scientific Community der Religionspädagogen/innen verdient, er diskutiert den (sich Vorwort 9 gerade im Licht kirchlicher Erfahrungen erschließenden) Ertrag seiner theoretischen wie empirischen Recherchen auf kollegialer Augenhöhe. Ceylan bewältigt sein Dissertationsprojekt nicht binnendisziplinär, sondern interdis- ziplinär, indem er die Frage nach der Notwendigkeit und künftigen Gestalt von Moschee- katechese und dem damit verbundenen Religionsunterricht im Kontext jahrzehntelanger Entwicklungen der katholischen und evangelischen Religionspädagogik in Deutschland unter dem Aspekt des sogenannten „cultural time lag“ und überdies paralleler Entwick- lungen im benachbarten Polen stellt und beantwortet. Umgekehrt dürften die Kollegen/ innen aus der von ihm bemühten Religionspädagogik gut beraten sein, sich ihrerseits an den wegweisenden Ergebnissen seiner Forschung zu orientieren. Mit seiner in jeder Hinsicht profunden Untersuchung hat sich Ceylan nicht nur als exzellenter Religionspädagoge im Kreis der islamischen Religionspädagogen/innen, sondern auch als zukünftiger Koope- rationspartner der Kollegen/innen aus der christlichen Religionspädagogik empfohlen. Mit ihnen zusammen wird er in nächster Zukunft eine gewaltige Aufgabe zu bewältigen haben: nämlich die Säkularisierungsprozesse so aufzugreifen und aufzuarbeiten, dass das in ihnen verborgene religiöse Potential sichtbar wird und sich positiv auf innerreligiöse Transformationsprozesse auszuwirken vermag. Wenn sich nach Karl Rahner das Wort Gott und das mit ihm Gemeinte möglichweise von außen, von anderswoher, neu erschließen lassen mag, warum dann nicht auch explizit Religiöses durch das den Säkularisierungs- prozessen inhärente (implizit) Religiöse. Möglicherweise eröffnen gerade die weltweiten Säkularisierungstendenzen inter- bzw. transreligiöse Unifizierungsprozesse und fördern so nicht nur das Zusammenwachsen der (abrahamischen) Religionen im Hinblick auf ein allen gemeinsames Weltethos. Was Islam wie Christentum im Hinblick auf sowohl Säkularisierung als auch die Zeit danach (Postsäkularisierung) brauchen ist eine Art Theologie der Säkularisation. Diese basiert – dasselbe gilt für den interreligiösen Dialog – nicht auf Abschottung oder der Herausarbeitung von Unterschieden, sondern auf der Suche nach (der Überfülle von) Gemeinsamkeiten und der gegenseitigen Anerkennung von (einzelnen) Besonderheiten. Eine islamische Religionspädagogik, die im Rahmen eines zentralen wissenschaftlichen Forschungsanliegens nicht das Rad neu zu erfinden beansprucht, sondern die positiven wie negativen Erfahrungen des christlichen Pendants aufgreift und für ihre Sache zu verwenden weiß, verwirklicht auf diese Weise Gemeinsamkeit und bringt damit die Re- ligionen der Realisierung jener urbiblischen Vision, zwar in unterschiedlichen Sprachen zu kommunizieren, sich dessen ungeachtet aber uneingeschränkt zu verstehen, näher. Mit seiner Dissertation und ihrem speziellen Forschungsprojekt hat sich Rauf Ceylan um genau diesen Annäherungsprozess verdient gemacht. Unser Glückwunsch gilt ihm und zugleich uns selbst: die religionspädagogische Community ist um einen hochkompetenten und -qualifizierten Kollegen bereichert worden. Ihr ist mit Ceylan – islamischerseits – ein Grenzgänger zugewachsen, wie man ihn sich nicht idealer vorstellen kann: ein Muslim, der seinen Glauben auf höchstem Reflexionsniveau vertreten kann und vertritt und aus dieser Grundhaltung heraus den allgemeinen interreligiösen Dialog nicht nur sucht, sondern die größten Anstrengungen unternimmt, um ihn im akademischen Raum (hier im anspruchsvollen Rahmen einer Dissertation) angemessen voranzutreiben. Die Einlas- sung von Ceylan auf die christliche Religionspädagogik und damit christliche Theologie 10 Vorwort ist beredtes Zeugnis dafür, dass Bemühungen um den interreligiösen Dialog nicht, wie nicht selten aus einem gewissen Religiozentrismus heraus behauptet wird, vornehmlich christlicherseits unternommen werden, sondern in beeindruckender Tiefe und Breite auch muslimischerseits. Meines Wissens hat sich unter den mittlerweile zahlreichen, im interreligiösen Dialog ausgewiesenen Kolleginnen und Kollegen des christlichen Lagers niemand auch nur mit annähernd vergleichbarer Intensität und Extensität mit der isla- mischen Religionspädagogik auseinandergesetzt wie Ceylan mit der christlichen. Ceylan ist deshalb auch mehr als nur Grenzgänger im Schnittfeld von muslimischer Religions- pädagogik auf der einen und christlicher Religionspädagogik auf der anderen Seite, er ist Bindeglied, Pontifex, ein Brückenbauer. Vor diesem Hintergrund stimmt die Aussicht auf eine adäquate religionspädagogische Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit mit dem Neuzugang Rauf Ceylan und dem durch seine Arbeit geförderten Schulterschluss der islamischen Religionspädagogik mit der christlichen mehr als nur optimistisch. Vechta, Pfingsten 2014 Prof. Dr. theol. habil. Egon Spiegel Dipl.-Theol., Dipl.-Pol. Lehrstuhl für Praktische Theologie: Religionspädagogik und Pastoraltheologie Universität Vechta Inhalt Einleitung ................................................................. 17 A Theoretischer Teil 1 Säkularisierungs- und Individualisierungsprozesse in Deutschland und das Phänomen des cultural time lag .................................. 37 1.1 Binäre Logik oder Synthese? Säkularisierungs- versus Individualisierungsthesen und das Phänomen des cultural time lag ...... 40 1.2 Ursache-Wirkungsmechanismen der Säkularisierungs- und Individualisierungsprozesse am Beispiel der religiösen Erziehung und des religiösen Lernens an den Lernorten ‚Gemeinde‘ und ‚Schule‘ sowie kirchliche Reaktionen darauf .................................. 71 1.2.1 Historische Rolle der Religion in der Schule im Kontext der Entstehung der Religionspädagogik als wissenschaftliche Disziplin: eine kurze Skizze ................................... 72 1.2.2 Legitimationskrise des Religionsunterrichts im 20. Jahrhundert: gesellschaftliche Transformationsprozesse und religions- pädagogische Herausforderungen in Deutschland ................ 81 1.2.3 Die Verhältnisbestimmung der Gemeindekatechese beziehungs- weise -pädagogik zum christlichen Religionsunterricht ............ 99 1.3 Exkurs: Cultural Time Lag – Zeitversetzte Entwicklungen am Beispiel der Einführung des Religionsunterrichts in Polen ...................... 110 2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen einer religiösen Erziehung in den Familien, einer Moscheekatechese und eines islamischen Religionsunterrichts im Migrationskontext ............................. 121 2.1 Daten und Fakten: Muslime in Deutschland .......................... 123 2.2 Von der „Ausländerpädagogik“ zur „Muslimpädagogik“? Nachholende Integrationspolitik und „Islamisierung“ der neuen Integrationsdebatten ... 127

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