Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften Natur-, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften Vorträge· N 444 Herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften HANS WALTER STAUDTE (Vortragender), KLAUS RADERMACHER, GÜNTER RAU Computergestützte Operationsplanung und -technik in der Orthopädie mit CT-abgeleiteten individuellen Bearbeitungsschablonen Westdeutscher Verlag 416. Sitzung am 10. Januar 1996 in Düsseldorf Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. Alle Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden, 2000 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation GmbH. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbe sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem Papier. Herstellung: Westdeutscher Verlag ISSN 0944-8799 ISBN 978-3-322-98703-7 ISBN 978-3-322-98702-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-98702-0 Inhalt 1. Einleitung ................................................ 7 2. Die Dimension der bildgeführten Chirurgie - Problemfelder und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Überblick zum Stand der Technik der bildgeführten Chirurgie - Vorteile computergestützter Operationstechnik und -planung und ihre Grenzen .......................................... 12 4. Das Prinzip der Individualschablonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 15 - Am Beispiel der Pedikelbohrung ............................ 18 - Dekompression im Bereich der Halswirbelsäule ................ 18 - Tripelosteotomie des Beckens - klinische Anwendung und Konzeptbewertung ................................... 21 5. Schlußbemerkung und Ausblick .............................. 24 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 25 1. Einleitung Neue Operationstechniken haben in den letzten Jahren sowohl für Fach leute als auch für Laien zu erstaunlichen Ergebnissen geführt. Die operativ tätigen Orthopäden haben den Umgang mit zweidimensio nalen Schichtaufnahmen und freihändig geführten Instrumenten gelernt und zeigen eine gewisse Kontrolle über diese Verfahren. Dazu war ein erheb licher Aufwand an Training von visuellen, taktilen und integrativen Fähigkei ten erforderlich, um ein hohes Maß an Geschicklichkeit, angemessener Kraft und Schnelligkeit zu erreichen, sowie ihre ständige Lernfähigkeit. So kann sich ein guter Operateur während der Operation rechtzeitig korrigieren und den einmal als falsch erkannten Weg für die nächsten Operationen weitgehend ver meiden. Trotz dieser Erfolge bleiben erhebliche Grenzen menschlicher operativer Eingriffe. Der Operateur kann mit der Hand nur schlecht akkurate geometrische Schritte durchführen. Dies wird zum Problem, wenn es um einen numerisch genau definierten anatomischen Ort geht, von dem aus ein weiterer Punkt über eine definierte trajektorische Strecke anzusteuern ist. Auch eine genau dosierte Krafteinleitung mit einem Instrument ist nicht möglich. Das Ope rieren in beengten Lagen wie in engen Körperhöhlen mindert auf Dauer seine Konzentrationsfähigkeit. Dazu kommt, daß Operateure nicht dauernd in schädlichen Röntgenstrahlen stehen können, vor allem, wenn es täglich gefor dert ist. Weitere menschliche Grenzen zeigen sich nach längeren Operations zeiten: die Operateure werden müde und ungeschickt und fangen an zu zit tern, vor allem, wenn sie etwas älter sind (Russ Taylor, vgl. 36, 37). Ein ähnliches Bild von Fortschritt, aber auch klaren Grenzen zeigt sich in der derzeitigen Praxis der Operationsplanung: In den meisten Krankenhäu sern werden bereits orthopädische Eingriffe wie Operationen an der Wirbel säule oder im Becken im Vorfeld genau geplant, da leicht zu verletzende Struk turen wie Nerven und Gefäße, Darm oder andere gefährdete Organe die Ope ration besonders verkomplizieren. Anhand von genauem Bildmaterial kann die Strategie des Zugangs, die Isolierung des krankhaften Prozesses, die Aus richtung krankhaft ausgebildeter Strukturen oder die Einfügung und Implan tation von künstlichen Gelenken im Vorfeld konzipiert werden. Diese Pläne 8 Hans Walter Staudte werden dann zur Orientierung im OP-Saal an einem Röntgenschirm als Kon struktionszeichnungen oder Pausen mit dem zugehörigen bildgebenden Mate rial aufgehängt. Durch diese Vorplanung wird ein dreidimensionales Bild des auszuführenden operativen Eingriffes gewonnen, wobei z. B. Winkelwerte, Sägeschnitthöhen, Bohrtiefen und Bohrkaliber vorgegeben sind. Beim Eingriff kommt unverzichtbar die persönliche Erfahrung des Operie renden hinzu, mittels dessen statistischen Bildes anatomischer Erfahrungen der zu operierende Bereich freigelegt werden kann. Im nächsten Schritt wer den einige markante Orientierungspunkte ertastet, eventuell unter Zuhilfe nahme des Röntgen-Bildwandlers, wobei der Operateur bestimmte Knochen strukturen im Röntgen-Bildwandler mit den vorher abgebildeten Strukturen mental vergleicht. Auf diese Weise gut orientiert, kann er richtunggebende Drähte unter Winkelmessergebrauch, z. B. zur Sicherung des geplanten Kno chenkeils, einbringen. So kann gezielt ein möglichst kleiner Teil des zu operie renden Bereiches freigelegt werden. Dieses an sich sehr genaue Verfahren hat einen entscheidenden Nachteil, nämlich den unverhältnismäßig großen Zeit aufwand. Glücklicherweise haben viele Maschinen die Fähigkeiten, die menschlichen Operateuren fehlen: Sie können mit großer Präzision sich selbst kontrollieren, messen und in allen sechs Freiheitsgraden positionieren. Sie können ganz gena~ numerisch festgelegte Positionen einnehmen und ganz genau definierte Wege im Raum kontrolliert zurücklegen mit eindeutig programmierbaren Kräften und werden dabei nie müde. Sie können ganz klein oder ganz groß gebaut werden und widerstehen problemlos Röntgenstrahlen. Sie können dem Chirurgen wesentliche Hilfsmittel z. B. zur individuellen und akkuraten Orientierung im Raum bieten. So ist theoretisch denkbar, daß ein Roboter als medizinischer Assistent, der wie in der berufsgenossenschaftlichen Klinik in Frankfurt präzise Ober schenkelknochen für Hüftendoprothesen ausfräst, ein alltäglicher Begleiter wird. Wie weit Maschinen in Zukunft auf diese Weise die Funktionen von Menschen übernehmen können, ist noch nicht absehbar. Bei der Wahl der technischen Mittel ist davon abzuraten, den operativen Prozeß durch zusätz liche komplexe technische Systeme und Interaktionen zu belasten. Im Helmholtz-Institut und in der orthopädischen Abteilung des Kreiskran kenhauses Würselen haben wir daher einen Zwischenweg beschritten, der zwar alle Operateure und Maschinenpositionen so läßt wie bisher und den OP-Saal nicht grundsätzlich verändert, aber durch Planung und Herstellung von Operationshilfen außerhalb des OP-Saales unter Zusammenarbeit von chirurgisch tätigem Orthopäden und Ingenieur doch eine Genauigkeit in hohem Maße erlaubt. Computergestützte Operationsplanung und -technik 9 2. Die Dimension der bildgeführten Chirurgie. Problemfelder und Aufgaben Seit einigen Jahren profitiert die medizinische Diagnostik von der zuneh menden Qualität der verfügbaren Bildinformation zu Morphologie und Funk tion des individuellen Organismus. Die Forschung im Bereich der digitalen Bild- und Informationsverarbeitung konzentriert sich hierbei auf die Verbes serung des diagnostischen Outputs. In Abhängigkeit von der diagnostischen Fragestellung kann mittels Computergraphik, Bildanalyse, Mustererkennung und 3D-Rekonstruktion ein Maximum an Information extrahiert werden. Auch unterschiedliche Informa tionen wie z. B. von CT, PET- und MR-Bildinformationen können rechner gestützt überlagert werden (v gl. z. B. 12, 4, 37). Während die diagnostische Aussagekraft von 3D-Rekonstruktionen in der Radiologie umstritten ist, bieten diese dagegen in der Orthopädie eindeutig die Bild 1: 3D-CT-Rekonstruktion zur Darstelllung eines ausgedehnten Defektes im Schädel bereich (Quelle: Helmholtz-Institut Aachen) .. . ., ~ . ~ ~.~~. -:1,.='. . ~ -- ~~ . , 10 Hans Walter Staudte Möglichkeit einer verbesserten räumlichen Vorstellung komplexer Befunde. In der orthopädischen Chirurgie verlangen knöcherne Strukturen nach einer besonderen prä- bzw. intraoperativen räumlich-geometrischen Planung und Umsetzung. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie und computergestützten Bildverarbeitungssystemen können knöcherne Struk turen des lebenden Organismus schichtweise erfaßt, dreidimensional rekon struiert und visualisiert werden. Hierbei geht es z. B. um - das Anvisieren eines Zielpunktes wie z. B. einer Knochenzyste, - die Definition von Größe und Lage z. B. einer Pedikelschraube, - die Umgehung kritischer Strukturen wie z. B. Blutgefäße, Nerven, Gelenk- pfannen usw., - räumliches Eingrenzen und Umschreiben von Strukturen wie z. B. Mark raumkavitäten oder Tumoren, - Rekonstruktion optimaler biomechanischer Bedingungen, z. B. Umstel lungsosteotomien, Referenzflächen für Totalendoprothesen oder auch ästheti scher Bedingungen (Kieferorthopädie), - Schaffung eines definierten Sitzes zwischen Implantat und Knochen, z. B. Einpassen einer Hüft-TEP oder von Knochenfragmenten und Implantaten in der plastischen Wiederherstellungschirurgie. Von der Art der räumlichen Problematik her ist dabei zwischen rei nen Navigations-Problemen (d. h. dem Zurechtfinden im Operationssitus) und dem Problem der Rekonstruktion oder Übersetzung exakt geplanter (mental, bild- oder rechnergestützt vorliegender) Geometrien zu unterschei den. Dabei ist besonders zu beachten, daß einige 3D-Bildverarbeitungssysteme zwar auch eine dreidimensionale Operationsplanung intraoperativ ermög lichen, dann aber jedoch häufig Orientierungsprobleme bestehen, da für eine konsequente räumlich exakte Umsetzung der mit großem technischen Auf wand individuell geplanten Bearbeitungsschritte keine adäquaten Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Hier kommt das eingangs erwähnte Problem zum Tra gen, daß die Genauigkeit der Durchführung somit alleine auf der Erfahrung, dem räumlichen Vorstellungsvermögen und dem handwerklichen Geschick des Chirurgen basiert. Dies ist je nach Art und anatomischer Lage des Ein griffes, selbst bei erfahrenen Operateuren, mit realen Risiken verbunden. All gemein stehen nur freihändig geführte Instrumente, zweidimensionale Schichtbildaufnahmen und prä- oder intraoperative Röntgenaufnahmen zur Verfügung. Computergestützte Operationsplanung und -technik 11 Für bestimmte Operationen werden Werkzeugführungen und Schablonen eingesetzt, deren intraoperative Positionierung relativ zum Knochen freihand erfolgt. Ein intraoperatives Messen und Ausrichten unter Röntgenkontrolle führt zu einer erhöhten Strahlenbelastung für Patient und OP-Team und ver längert die Operationsdauer zusätzlich. Schließlich stellt dies wiederum nur eine indirekte und nicht eindeutig definierte Umsetzung der in der Ope rationsplanung festgelegten Bearbeitungsstrategie dar. Hieraus resultieren z. B. unpräzise Prothesensitzpräparationen oder Umstellungsosteotomien im Extremitätenbereich. Die Präzision und der hohe technologische Standard individuell gefertigter Implantate (2, 5) steht im krassen Widerspruch zu ihrer freihändigen intraoperativen Positionierung. Es stellt sich also die Frage nach einer Verbesserung der Operations technik, deren Ziele sich wie folgt benennen lassen: - Verbesserung der Genauigkeit, Reproduzicrbarkeit und Effizienz der operativen Therapie, - Verkürzung der Eingriffs- und Narkosezeit sowie eine Verringerung des Blutverlustes, - Reduzierung von Belastung und Beanspruchung für Patient und auch Operationsteam, - Qualitätsstandardisierung in der breiten klinischen Anwendung auf Expertenniveau, - Entwicklung neuer Werkzeuge und minimal invasiver Operationsstra tegien. Dem Chirurgen soll eine sichere, schnelle, exakt durch die Operations planung definierte Bearbeitung knöcherner Strukturen für beliebige ortho pädische Eingriffe ermöglicht werden, ohne notwendigerweise den intraope rativen Prozeß durch zusätzliche komplexe technische Systeme und Inter aktionen zu belasten. Hierbei sollen jedoch nach Möglichkeit nicht nur Probleme heutiger Operationstechniken gelöst, sondern auch neue Therapie formen erschlossen werden. International bestehen Bestrebungen, mit Hilfe der Robotertechnik zu bes seren Hilfsmitteln für schnellere, genauere und weniger belastende Eingriffe zu kommen. Ein Hauptproblem stellt - neben den entstehenden Kosten - die intraoperative Lageerkennung und Korrelierung der Bezugssysteme von Objekt, rechnerinternem Objektmodell, Umwelt und Roboter dar. Ferner müssen die Problembereiche der intraoperativen Mensch-Maschine-Inter aktion sowie die Sicherheit und Reliabilität des Gesamtsystems betrachtet werden.