Inhalt Vorwort .......................................................................................................................... 3 Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur ............................................................ 5 Einführung ..................................................................................................................... 9 1. Die Fakten ................................................................................................................... 9 2. Perspektiven .............................................................................................................. 10 2.1. Der Redner: Ciceros Karriere bis zum Konsulat .................................................... 11 2.2. Die Situation: Konstellationen und ‘Hintermänner’ in Rom Anfang 63................. 15 2.3. Der Gegenstand und seine Geschichte: leges agrariae – eine strittige Tradition... 22 2.4. Der Gesetzesvorschlag des Rullus: ein verlorener Text ......................................... 27 2.5. Der Text des Gesetzes im Jan. 63: streng öffentlich, aber unkenntlich .................. 28 2.6. Der Aufbau der Rede .............................................................................................. 34 2.7. Die erste, dritte und vierte Rede ............................................................................. 35 2.8. Die Erschließung der Reden: Rezeption, Kommentare, Interpretationen............... 40 Kommentar Cic. agr. 2, 1-46 ...................................................................................... 43 Appendices ................................................................................................................. 102 1. Nobilitas und novus homo ....................................................................................... 102 2. popularis .................................................................................................................. 104 3. Rhetorische und politische Leitmotive in agr. 2 ...................................................... 106 4. Die Sekundärüberlieferung zu den drei Reden ........................................................ 108 5. Die im Kommentar von Harvey erklärten Passagen ............................................... 113 Register ....................................................................................................................... 114 Vorwort Die hier vorgelegte Kommentierung der Paragraphen 1 bis 46 von Ciceros zweiter Rede gegen die Vorlage eines Ackergesetzes durch den Volkstribunen P. Servilius Rullus ist Ergebnis eines Experimentes. Im Laufe einer Übung wurde im Wintersemester 2011/12 am Arbeitsbereich Alte Geschichte der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philoso- phie und Theologie der Universität Bielefeld die Rede im Original gelesen. Dabei erga- ben sich sehr häufig, streckenweise in jedem einzelnen Satz Fragen, die zu klären es eines umfassenden Kommentars bedürfte. Einen solchen gibt es jedoch nicht (das gilt merkwürdigerweise auch für manche andere Cicero-Rede!); die vorliegenden Kommen- tierungen der Rede sind entweder schwer zugänglich oder in der einen oder anderen Hinsicht unzureichend. Aus dem Ungenügen ergab sich die Idee, im Rahmen eines Pro- jektseminars mit fortgeschrittenen Studierenden einen solchen Kommentar zu erstellen. Das vierstündige Seminar fand im Sommersemester 2012 statt und wurde im anschließenden Wintersemester in teilweise anderer personeller Zusammensetzung zweistündig fortgeführt. Teilnehmer waren Master-Studierende der Geschichtswissen- schaft sowie solche der Lateinischen Philologie. Sechs von ihnen lieferten (formal als Prüfungsleistungen) Bausteine zur Einleitung, zu geschlossenen Textpassagen und zu den Appendices. Alle Stücke wurden von Uwe Walter mehr oder weniger stark bear- beitet, durch eigene Beiträge ergänzt und zu einem Ganzen vereinigt. Aus der Zusammensetzung der Gruppe heraus und mit Blick auf wahrscheinli- che Interessen künftiger Benutzer stehen im Kommentar historische Erklärungen sowie die rhetorische Argumentationstechnik im Vordergrund. Dagegen werden Fragen der Grammatik und des ciceronischen Sprachgebrauchs nur behandelt, wenn uns das unbe- dingt notwendig und erhellend erschien. Das Gleiche gilt für die Textkonstitution; Ausführungen hierzu sind im Kommentar durch kleinere Schrift abgesetzt. Zugrundegelegt wurde die neueste Teub- ner-Ausgabe von Václav Marek. Sie zeichnet sich durch einen umfangreichen kritischen Apparat aus, der Emendationen und Konjekturen vollständiger verzeichnet als die Ox- ford-Ausgabe von Albert C. Clark. Allerdings hat Marek wohl öfter in die Überliefe- rung eingegriffen, als das unbedingt notwendig erscheint. Der in den Lemmata zitierte Text weicht daher hier und da von Marek ab und geht zurück auf Clark. Dessen Text ist (ohne Apparat) übrigens auch in der Latin Library und auf der Perseus-Webseite zu- gänglich. Auf eine Verlinkung wurde aber verzichtet, weil der Nutzen den Aufwand nicht rechtfertigt und wir zur Arbeit mit gedruckten textkritischen Ausgaben ermutigen möchten. Angesichts der Arbeitskapazitäten der recht kleinen Gruppe musste ferner darauf verzichtet werden, eine deutsche Übersetzung zu erstellen. Das erscheint jedoch ver- schmerzbar, da gleich zwei neuere Versionen – von Manfred Fuhrmann und Helmut Kasten – vorliegen, die selbstverständlich auch bei der Diskussion im Seminar und der 3 Erstellung des Kommentars stets zu Rate gezogen wurden. An einigen Stellen zitieren wir die Übersetzungen und schlagen mitunter auch Formulierungen vor, die den Sachverhalt besser zu treffen scheinen, ohne damit die titanische Leistung zumal Fuhr- manns, der alle Cicero-Reden übertragen hat, damit irgendwie schmälern zu wollen. Weil keine eigene Übersetzung geboten wird, der Kommentar sich andererseits auch nicht an eine der beiden vorliegenden Verdeutschungen anschließt, geht er vom lateinischen Text aus. Wir hoffen jedoch, dass auch Benutzer ohne Lateinkenntnisse sich zurechtfinden können (gegebenenfalls mit etwas Hilfe). Da die Arbeit am Kommentar für die Beteiligten der ohnehin recht kleinen Pro- jektgruppe nur eine Pflicht unter mehreren darstellte, war schon früh klar, dass es un- möglich sein würde, die gesamte, immerhin 103 Paragraphen umfassende Rede zu er- schließen. Der größere Teil, darunter die historisch außerordentlich interessante Capua- Passage (76-97), fehlt also. Wir haben aber den gesamten Text gelesen und zumindest kursorisch besprochen; in der Kommentierung finden sich deshalb viele Vorverweise und sind Phänomene, die im weiteren Verlauf der oratio wieder vorkommen, nach Möglichkeit bei ihrem ersten Auftreten behandelt. Was hier vorgelegt wird, möchte dazu ermuntern, die Attacke auf Rullus vor dem Volk, die freilich stets im Schatten etwa der Catilinarischen Reden aus dem glei- chen Jahr gestanden hat, einmal im Zusammenhang zu lesen und zu würdigen – im Rahmen einer Seminarveranstaltung oder privat. Den Umständen und Beschränkungen der Entstehung des Teilkommentars sind sicher mannigfache Mängel, Blindstellen und Unebenheiten geschuldet. Es sind auch manche Stücke, die vorgesehen waren, nicht eingegangen. An vielen Stellen könnte man gewiss erheblich weiterkommen, aber das würde sehr viel mehr Zeit und Aufwand erfordern, als im Rahmen zweier Seminare und der Nachbereitung fairerweise einzufordern und dem Dozenten zuzumuten sind. Deshalb und mit Blick auf den eher schmalen Umfang verzichten wir auf eine Buchpublikation und stellen das Erarbeitete als pdf-Datei über den Publikationsserver der Universitätsbibliothek Bielefeld zur Verfügung. Möge es auch so seinen Weg finden und als nützlich wahrgenommen werden. Alle Beteiligten haben jedenfalls etwas gelernt und Freude an der Arbeit gehabt. Und wenn wir einen Anstoß bieten, den Kommentar zu verbessern1, fortzuset- zen oder sogar einmal die gesamte Rede etwa im Rahmen einer Dissertation zu erschlie- ßen, wäre ein Wunschziel erreicht. Bielefeld, im Frühjahr 2013 Uwe Walter und die Studierenden Julia Geisweid, Gerald Hellweg, Sonja Pollpeter, Thomas Reiz, Andrew van Ross und Gabriel Siemoneit 1 Korrekturen, Ergänzungen und Anregungen bitte an: [email protected]. 4 Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur Antike Autoren und Werke sowie Zeitschriften und Reihen sind nach dem Vorbild des Neuen Pauly abgekürzt. Andere Abkürzungen wie cos. verstehen sich von selbst. a) Ausgaben, Übersetzungen und Kommentare Clark M. Tulli Ciceronis orationes IV, recognovit brevique adnotatione critica instru- xit A.C. CLARK 1909 u. Nachdrucke. Oxford (Oxford Classical Texts) Fuhrmann Marcus Tullius Cicero, Sämtliche Reden. Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Manfred FUHRMANN. Bd. 2, Zürich/München 1970, 21985 Harvey Paul B. HARVEY, Cicero’s Orations de Lege Agraria. Studies and essays, with a commentary on the 3. oration. Univ. of Pennsylvania, Diss., 1973. Ann Arbor/Mich., Univ. 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Dezember ins Amt gekommene Volkstri- bun Publius Servilius Rullus einen Gesetzesantrag vor. Es handelte sich um eine rogatio agraria, ein Vorhaben mithin, das die Bereitstellung von Bauernstellen für grundbesitz- lose römische Bürger vorsah; offenbar war auch an die Gründung von ganzen neuen Siedlungen in Italien gedacht. Der Antrag war verhältnismäßig umfangreich, umfasste er doch mindestens vierzig Einzelbestimmungen (capita). Um das Projekt zu verwirkli- chen, sollte eine Kommission aus zehn Mitgliedern eingesetzt werden. Der Antrag sah zunächst vor, diese nach einem besonderen Wahlmodus bestellen zu lassen: Sie sollten nicht in allen fünfunddreißig Stimmbezirken (Tribus), in die die römische Bürgerschaft eingeteilt war, gewählt werden, sondern nur in deren siebzehn, so dass ein Bewerber nur neun Tribus gewinnen musste. Die Decemviri (Zehnmänner) sollten fünf Jahre lang amtieren und umfangreiche Vollmachten sowie eine große Zahl von Mitarbeitern erhal- ten. Die Ausstattung erschien nötig, da das zu verteilende Land nicht beschlagnahmt, sondern seinen Eigentümern abgekauft werden sollte. Um aber die dafür erforderlichen Geldmittel zu beschaffen, würden die Zehnmänner, falls der Antrag Gesetzeskraft erlangte, mittels ihrer gerichtlichen Kompetenzen und administrativen Ausstattung in die Lage versetzt werden, überall im römischen Herrschaftsbereich Land beziehungs- weise ertragreiche Nutzungs- und Einzugsrechte, die dem römischen Volk gehörten, auf ihre rechtliche Qualität zu prüfen und gegebenenfalls einzuziehen, um sie dann zu Eigentum zu verkaufen. Ausdrücklich handelte es sich dabei um Land in Italien, das Sulla für den römischen Staat beschlagnahmt hatte, das aber danach nicht verkauft worden war (Stichdatum: ein einschlägiger Senatsbeschluss i.J. 81); ferner um Land und Rechte außerhalb Italiens, die nach 88 in Roms Besitz gekommen waren. Dieses Land wäre privatisiert worden, aber weiterhin steuerpflichtig geblieben. Außerdem war offenbar vorgesehen, Zugriff auf weitere Geldquellen zu nehmen, und zwar durch Pachterhöhungen und in Gestalt von Kriegsbeute, die von den Feldherren bislang noch nicht der Staatskasse zugeführt worden war. Zu den Gebieten, die für eine Ansiedlung in Frage kamen, gehörte das einzige in Italien noch vorhandene zusammenhängende Stück Staatsland (ager publicus), der ager Campanus (zusammen mit dem angrenzen- den campus Stellas), was dem opponierenden Redner Gelegenheit gab, die Folgen einer möglichen Koloniegründung in Capua in dunklen Szenarien auszumalen. Auf dem ager Campanus sollten 5.000 Kolonisten je 10 iugera (25.000 m2) erhalten, im Stellatischen Gebiet (Lage unsicher) waren die Güter etwas größer (12 iugera = 30.000 m2). Für die übrigen Landzuweisungen (Assignationen) sollte Grund und Boden angekauft werden. Gegen diesen Vorstoß wandte sich der Konsul Marcus Tullius Cicero, der für 63 zusammen mit Gaius Antonius Hybrida ins Konsulat gewählt worden war. Cicero griff 1 Alle Datierungen beziehen sich, wenn nicht anders genannt, auf den Zeitraum vor Christus. 9 Einführung Rullus und dessen Antrag zunächst am 1. Januar in der ersten Senatssitzung des neuen Amtsjahres vor der politischen Elite der res publica an; wenige Tage später wiederholte er diesen Angriff in einer argumentativ ähnlich aufgebauten, jedoch teilweise anders gewichtenden und längeren Rede vor einer nicht abstimmenden Volksversammlung (contio). Eine dritte, kurze Ansprache (nur sechzehn Paragraphen), ebenfalls vor einer Volksversammlung gehalten, reagierte offenbar auf einen Gegenangriff des Rullus, nämlich den Vorwurf, Ciceros Widerstand gegen das Gesetz begünstige die vielfach angefeindeten Nutznießer der Landenteignungen während der Dictatur Sullas knapp zwanzig Jahre zuvor. Von der ersten Rede fehlt etwa das erste Drittel, die zweite Rede mit einhundertdrei Paragraphen ist vollständig erhalten, ebenso die dritte. Von einer vierten Rede, die Cicero als Teil einer Ausgabe seiner Konsulatsreden erwähnt (s.u. Append. 3), ist nichts erhalten. Der Antrag des Rullus wurde nicht verabschiedet, genauer: Er kam offenbar gar nicht zur Abstimmung, sondern wurde vorher zurückgezogen. Ob der Volkstribun befürchtete, das Volk in den Tributkomitien oder im concilium plebis könnte ablehnen, weil Cicero es von den Gefahren der rogatio überzeugt hatte, oder ob der angekündigte Einspruch eines anderen Volkstribunen, Lucius Caecilius Rufus, ihn von seinem Vorhaben abbrachte, ist strittig. Vielleicht war der Entwurf auch bei den Bürgern, die Rullus ansprechen konnte und die überwiegend wohl der stadtrömischen Unterschicht angehörten, einfach nicht populär genug.2 Cicero jedenfalls schrieb das Scheitern des Vorhabens der Wucht seiner Reden zu. Von Rullus hören wir danach nichts mehr. Cicero krönte sein Konsulat, indem er den im Vorjahr und wieder i.J. 63 bei den Kon- sulatswahlen durchgefallenen Lucius Sergius Catilina und einige von dessen Verbün- deten erfolgreich bezichtigte, einen Staatsstreich vorbereitet zu haben. 2. Perspektiven Diese vorstehende dürre Skizze bietet weit weniger an Kontext und Erklärung, als in der Einführung zu einer solchen Rede üblicherweise zu stehen pflegt; das gilt etwa im Ver- gleich zum Vorspann, den Manfred Fuhrmann in seiner Übersetzung der sämtlichen Cicero-Reden gibt (Fuhrmann Bd. 2,117-125). Das geschieht mit Absicht. Denn wäh- rend die Umtriebe Catilinas in der Historiographie eine vergleichsweise breite Spur gezogen haben, wir also auf Darstellungen und Nachrichten verschiedener Art bauen können, ist die Initiative des Rullus – abgesehen von ganz kurzen, wenig aussagekräfti- gen Notizen (s. Appendix 3) – fast nur in den drei Reden Ciceros greifbar. Es empfiehlt sich also nicht, die dort ausgeführten Bestimmungen des Antrags, die Absichten der 2 Dies die Deutung von Narducci (2012), 99. Cicero jedenfalls hat die mögliche Spannung zwischen dem Inhalt der Initiative und dem dafür zu gewinnenden Wahlvolk ausgenutzt; vgl. agr. 2,71 (Übers. Fuhrmann): „Doch ihr, Quiriten, wenn ihr auf mich hören wollt, haltet fest an dem, was ihr habt: an dem Einfluss, der Freiheit, dem Stimmrecht, der Geltung, an der Stadt, dem Forum, den Spielen, den Festtagen und all den übrigen Vorteilen, es sei den, ihr wollt (...) euch unter der Führung des Rullus in der sipontischen Dürre oder der verderblichen Stickluft des Salpinergebietes ansiedeln lassen.“ 10
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