SAMMLUNG TUSCULUM Herausgeber: Niklas Holzberg Bernhard Zimmermann Wissenschaftlicher Beirat: Kai Brodersen Günter Figal Peter Kuhlmann Irmgard Männlein-Robert Rainer Nickel Christiane Reitz Antonios Rengakos Markus Schauer Christian Zgoll DUKAS CHRONOGRAPHIA BYZANTINER UND OSMANEN IM KAMPF UM DIE MACHT UND DAS ÜBERLEBEN (1341–1462) Griechisch-deutsch Eingeleitet, neu ediert, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Diether Roderich Reinsch In Zusammenarbeit mit Ljuba H. Reinsch-Werner DE GRUYTER ISBN 978-3-11-069764-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-069919-7 Library of Congress Control Number: 2020937833 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Für Einbandgestaltung verwendete Abbildungen: Cologny (Genève), Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 5: 3v/4r (www.e-codices.unifr.ch) Satz im Verlag Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Inhalt Einleitung Der Autor 7 Das Geschichtswerk 11 Weltanschauung und Geschichtstheologie 19 Stil, Sprache und Leserschaft 27 Die Überlieferung 42 Die bisherigen Editionen und Übersetzungen 47 Weitere vollständige Übersetzungen 47 Der hier vorgelegte griechische Text 48 Die hier vorgelegte Übersetzung 51 Bibliographie (abgekürzt zitierte Literatur) 52 Text und Übersetzung 57 Anhang Textkritische Bemerkungen 607 Anmerkungen 633 Verzeichnis der Personen- und Ortsnamen 711 Einleitung Der Autor Vom Historiker Dukas wissen wir nur das, was er selbst uns in seinem Werk mitteilt und was indirekt aus diesem hervorgeht. Im codex unicus Parisinus graecus 1310 gibt es nicht einmal einen Titel mit seinem Namen; wir kennen seinen Namen nur, weil der Autor in Kapitel V 5,8–9 seinen Großvater väterlicherseits erwähnt und dessen Namen nennt: Michael Dukas. Der Enkel, der eventuell, falls er der erstgeborene Sohn seiner Eltern war, einem noch heute unter Griechen üblichen Brauch entsprechend, denselben Vorna- men wie der Großvater väterlicherseits trug, erweist sich damit als ein Mitglied der weit verzweigten Sippe der Dukaden, die seit dem 9./10. Jahrhundert zu den führenden aristokratischen Familien im Byzantinischen Reich gehörte und aus deren Reihen im 11. Jahr- hundert zwei Kaiser hervorgegangen waren.1 Der Großvater selbst, so berichtet der Enkel, sei ein Abkömmling dieser alten Dukaden und damit ein Glied der »goldenen« Abstammungskette gewesen. Vom Großvater berichtet unser Historiker, dass er sehr gebildet in den weltlichen Wissenschaften und auch speziell in der Medi- zin war. Er sei als Anhänger des Ioannes Kantakuzenos nach der Ermordung des Alexios Apokaukos am 11. Juli 1345 mit nur fünf anderen Mitgefangenen der Rache der Anhänger des Apokaukos unter dramatischen Umständen entkommen und habe in der Pro- vinz Asia (Aydın) in Ephesos (Ayasoluk) eine neue Heimat gefun- den. İsa, der Herrscher über dieses selçukische Emirat, habe ihn freundlich aufgenommen, ihn mit Pfründen und allerlei anderen 1 Zur Familie der Dukaden zusammenfassend ODB I 655–656 mit der wichtigs- ten Literatur. 8 Einleitung Wohltaten versehen und dort in Ephesos, dem administrativen und kulturellen Hauptort des Emirats, Wohnung nehmen lassen. Von den Eltern unseres Historikers erfahren wir nichts. Seine Lebensdaten lassen sich nur indirekt erschließen. Das Werk endet mit einem Ereignis des Jahres 1462, der Belagerung von Mitylene auf Lesbos durch den osmanischen Sultan Mehmed II. Fatih, deren Augenzeuge Dukas wahrscheinlich war. Seine Erzäh- lung bricht in dem sie überliefernden codex unicus des griechischen Textes bei der Schilderung der Belagerung mitten in einem Satz ab; die italienische, auf einem vollständigeren Manuskript basierende Übersetzung endet mit der Kapitulation von Mitylene und damit der gesamten Insel Lesbos im September 1462 und der Hinrich- tung des letzten Gattilusi-Herrschers Nicolò wenige Wochen spä- ter in Konstantinopel. Das Ende des Jahres 1462 ist damit terminus post quem für Dukas’ Tod. Wann er geboren ist, kann man nicht genau bestimmen. In Kapitel XXV 5–6, wo er vom Bau der Festung Nea Phokaia (Nova Foglia / Yeni Foça) durch die Genuesen im Bund mit den umwoh- nenden Byzantinern und dem später von ihnen mit dem selçuki- schen Emir Saruhan geschlossenen Vertrag berichtet, gibt er an, seit diesem Vertrag, der offenbar auch mit den Osmanen, die Ly- dien 1410 endgültig als sancak übernahmen, galt, seien »etwa 180 Jahre« vergangen. Saruhan hatte Magnesia am Sipylos (Manisa), den Hauptort der Region Lydien, etwa 1313 erobert, so dass für den Abschluss des Vertrags mit Nea Phokaia etwa das Jahr 1320 in Frage kommt.2 Wenn die Angabe »etwa 180 Jahre« stimmte, würde das bedeuten, dass Dukas diese Zeilen etwa um das Jahr 1500 geschrie- ben hätte. Das ist schon deshalb nicht möglich, da Nea Phokaia, wie Dukas selbst in Kapitel XLIV 5 berichtet, im Jahr 1455 von Ad- miral Yunus für Mehmed II. annektiert wurde, wobei die Waren der genuesischen Kaufleute beschlagnahmt, sie selbst deportiert, 2 Vgl. dazu 2EI s.v. Sarūkhān. Der Autor 9 die Bürger registriert und 100 Knaben und Mädchen entführt wur- den. Kapitel XXV 6, in welchem die Gültigkeit des mit Saruhan ge- schlossenen Vertrages »bis auf den heutigen Tag«3 behauptet wird, muss daher vor 1455 geschrieben worden sein.4 In Kapitel XXV 8 berichtet Dukas, dass er, bevor noch Murad II. aus Amaseia kam, um die Nachfolge seines verstorbenen Vaters Mehmed I. anzutreten, im Auftrag Giovanni Adornos, des podestà von Nea Pkokaia, einen Brief an Murad II. geschrieben habe, und einen weiteren Brief kurz danach in derselben Angelegenheit, näm- lich dem Angebot Adornos, mit seinen Schiffen Murads Truppen von Ost nach West über den Hellespont zu setzen, und zwar als hochoffiziellen Geleitbrief für den Unterhändler Adornos an Mu- rad und dessen Vezire. Demnach war Dukas im Jahr 1421 so etwas wie ein Sekretär und Beauftragter des Giovanni Adorno in Nea Phokaia. Dukas muss also spätestens um 1400 geboren sein. In Nea Phokaia hatte er zur Zeit, als er diese Zeilen schrieb, also vor 1455, auch sein Haus, wie er XXV 5,29 ausdrücklich mitteilt. Indirekt erfahren wir damit, dass Dukas genuesisches Italienisch und Griechisch beherrschte; wahrscheinlich ist er in Nea Phokaia zweisprachig aufgewachsen. Im Dezember 1452 finden wir Dukas in Didymoteichon. Dort habe er, so berichtet er in Kapitel XXXV 2, die Leichen der Besat- zung des venezianischen Schiffes gesehen, die auf Befehl Meh- meds II. mitsamt dem Kapitän namens Riz(z)o (Antonio Erizzo) dort hingerichtet worden war, nachdem das Schiff durch einen Ka- nonenschuss versenkt worden war, da Rizzo sich geweigert hatte, bei der Festung Rumelihisar am Bosporus beizudrehen.5 3 ἕως σήμερον, in der italienischen Übersetzung (I) »fine al duchato de Murato«. 4 Diese falsche Angabe »etwa 180 Jahre« (ἐγγύς που … ρπ΄ ἔτη) stand auf jeden Fall schon in der Vorlage unserer Handschrift, da in I mit »anni CLXXX« wie- dergegeben. 5 Als Datum für die Versenkung des Schiffes gibt Nicolò Barbaro in seinem Tage- buch den 26. November 1452 an (vgl. Pertusi, Caduta, I, S. 9 und S. LXVI). 10 Einleitung Im Juni 1453 muss Dukas nach dessen Eroberung am 29. Mai in Konstantinopel gewesen sein, denn er behauptet (XXXVI 6,27– 31), er habe mit eigenen Augen gesehen, wie eine Nonne sechs Monate, nachdem in der Hagia Sophia am 12. Dezember 1452 der Unionsgottesdienst gefeiert worden war, Fleisch aß, »Barbarenklei- der« trug, »dem Pseudopropheten [i.e. Mohamed] ein Opfer dar- brachte und schamlos die Gottlosigkeit [i.e. den Islam] bekannte.« In diese Zeit fiel auch das Zusammentreffen, von welchem Dukas XXXVII 6 erzählt. Er habe »später«, d.h. nachdem die Hagia Sophia von den Orthodoxen wegen des Unionsgottesdienstes gemieden worden war, unter den von den Türken Gefangenen eine vorneh- me Frau getroffen, die von einem gewissen Neophytos berichtete, er habe ihr den Empfang der Kommunion aus den Händen eines quasi unierten Priesters verboten, obwohl sie in den Geburtswe- hen lag und um ihr Leben fürchtete. »Nach der Schlacht« habe er außerdem Soldaten getroffen, die ihm erzählt hätten, sie hätten aus Angst vor einer großen Zahl von Verteidigern zunächst einmal alle, auf die sie trafen, niedergemacht statt sie gefangenzunehmen (XXXIX 14). Im Juni 1455 überbringt Dukas, wie er XLIII 5 berichtet, im Na- men seines Herrn Dorino I. Gattilusio, Herschers von Lesbos, in dessen Dienste er getreten war6, Hamza, dem kapudan paşa Meh- meds II., der mit einer Flotte in den Hafen Hagiasmatin an der Küste gegenüber von Lesbos eingelaufen war, und den anderen Flottenoffizieren reiche Geschenke an Geld, Vieh, Wein, Brot und anderen Lebensmitteln. Im selben Monat bewirtet Dukas im Auftrag Dorinos Hamza ein zweites Mal, als dieser von einer für ihn unglücklich verlaufe- 6 Dukas gehörte damit zu den ἄρχοντες, auf die sich die Gattilusi bei der Aus- übung ihrer Herrschaft stützten und die dadurch nicht nur Reichtum und ge- sellschaftliches Prestige erlangten, sondern wie im Fall Dukas auch hohe politi- sche Funktionen ausübten. Vgl. dazu Wright, Gattilusio Lordships 272–277.