Chrésima Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Marcus Deufert, Heinz-Günther Nesselrath und Peter Scholz Band 138 Chrésima Exemplarische Studien zur frühchristlichen Chrêsis Herausgegeben von Markus Mülke ISBN 978-3-11-064641-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-065016-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-064658-0 ISSN 1862-1112 Library of Congress Control Number: 2019939557 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com Inhalt Vorwort | 1 Chrêsis in der Bibel Holger Gzella (Leiden) Der theologische Gebrauch aramäischer Verwaltungsterminologie im Danielbuch | 7 Christliche Apologeten Heinz-Günther Nesselrath (Göttingen) Wie man pagane Geschichtsschreibung ad maiorem Dei gloriam verwendet: Der Altersbeweis in Tatians Rede an die Griechen | 21 Manabu Akiyama (Tsukuba) Lo „gnostico“ e Chrêsis secondo Clemente Alessandrino | 45 Leonardo Lugaresi (Bologna) Qualche osservazione su krisis e „giusto uso“ della cultura pagana in Tertulliano | 57 Raban von Haehling (Aachen) Vom Verlierer zum Vorbild: M. Atilius Regulus in der antiken Geschichtsschreibung und christlichen Apologetik | 73 Kappadokier Giulio Maspero (Rom) Fantasie pagane e immaginazione cristiana nella teologia cappadoce | 95 VI | Inhalt Hieronymus Markus Mülke (Neuendettelsau) Auf Studienreise? Apollonius von Tyana und Paulus bei Hieronymus (epist. 53, 1–3 an Paulinus) | 115 Augustinus Maria Becker (Münster) „Verstehst Du auch, was Du liest?“ Möglichkeiten und Grenzen der Bibelexegese nach Augustinus | 147 Maria Vittoria Cerutti (Milano) Usus iustus e „monoteismo pagano“. Suggestioni storico-religiose a partire da Augustinus doctr. 2, 40, 60 | 165 Giuseppe Fidelibus (Chieti) La correlazione uti-frui nel De civitate Dei di Sant’Agostino. Apporti filosofici da una controversia antica | 195 Christian Tornau (Würzburg) Socrates christianus: Augustinus als Dialektiker im Briefwechsel mit Longinianus (epist. 233–235) | 229 Christliche Dichtung Wilhelm Blümer (Mainz) Penthesilea – Camilla – Fides: Pagane Rezeption und christliche Nutzung | 249 Bildende Kunst Paolo Liverani (Florenz) I vescovi e lʼuso del ritratto in età paleocristiana | 289 Inhalt | VII Spätantike und Mittelalter Nikolaus Staubach (Münster) Omne quod vobis apponitur manducate. Speisegebote in der multireligiösen Gesellschaft der Spätantike und im christlichen Mittelalter | 319 Register 1. Bibelstellen | 349 2. Werkstellen antiker und frühchristlicher Autoren | 351 3. Griechische Wörter | 358 4. Lateinische Wörter | 358 5. Namen, Wörter und Sachen | 359 Vorwort Diejenigen Kulturgüter der antiken Welt, welche die Väter des frühen Christen- tums nach dem Maßstab christlicher Wahrheit als nutzbar anerkannten, be- zeichneten sie gern als χρήσιμα. Deren Χρῆσις (Chrêsis; lateinisch: usus iustus) selbst, also die Methode diakritischer Beurteilung und selektiver Nutzung, prak- tizierten sie dabei nicht nur im Vollzug, sondern durchdachten sie immer wie- der auch theoretisch, ohne freilich jemals aus ihr ein vom konkreten Gegen- stand losgelöstes, nur abstraktes Konzept zu machen. Wer die Chrêsis, eine der entscheidenden Kräfte jener weltverändernden Transformation, welche die Verwandlung der antiken Kultur in die frühchristliche darstellt, erforscht, geht daher stets von der Erforschung eines χρήσιμον aus. Die maßgeblichen Untersuchungen zur frühchristlichen Chrêsis hat Christian Gnilka vorgelegt. Anstelle einer ausführlichen Einleitung zum Thema kann des- halb hier auf die zweite, im Jahr 2012 erschienene Auflage des ersten Bands der von ihm im Jahr 1984 begründeten Publikationsreihe ΧΡΗΣΙΣ. CHRÊSIS verwie- sen werden. In dieser erheblich vermehrten Neufassung hat Gnilka die theoreti- sche Durchdringung des rechten Gebrauchs antiker Kulturgüter, welchen die Denker und Künstler der frühen Christenheit leisteten, nocheinmal auf eine breitere Grundlage gestellt. Wie er selbst in den vergangenen Dezennien wieder- holt hervorgehoben hat, sind jedoch weitere aussagekräftige Einzelstudien, in denen das Prinzip des usus iustus in praxi nachgewiesen und vorgeführt wird, dringend erwünscht. Diesem Desiderat soll der vorliegende Band nachkommen, dessen Beiträge die Autorinnen und Autoren Christian Gnilka anläßlich seines 80. Geburtstags am 20. Dezember 2016 zugeeignet haben.1 Den Wert seines forscherlichen An- satzes erweisen die hier vorgelegten Aufsätze auch dadurch, daß sie einerseits, beginnend mit einer alttestamentlichen Schrift, den gesamten Zeitraum des frühen Christentums bis zur Spätantike, andererseits neben der Literatur auch archäologische und kunstgeschichtliche Denkmäler behandeln: Holger Gzella (Leiden) legt eine begriffsgeschichtliche Studie der theologi- schen Umdeutung altorientalischer Rechts- und Verwaltungsterminologie im Buch Daniel und in aramäischen Qumrantexten vor und zeigt, daß eine frucht- bare Anwendung der Methode vom „rechten Gebrauch“ nicht auf den Umgang der Kirchenväter mit der klassischen Antike beschränkt bleibt. Durch einen Be- || 1 Den Herausgebern der Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte sei hier für die Aufnahme des Bands in die Reihe herzlich gedankt, ebenso den Herren Torben Behm und Flo- rian Ruppenstein aus dem Haus De Gruyter für die zuvorkommende Betreuung der Herstellung. https://doi.org/10.1515/9783110650167-001 2 | Markus Mülke zug auf das göttliche Wesen und Handeln wurden bereits im Frühjudentum Be- griffe wie „König“, „Herr“, „Richter“, „Gericht“, „verfügungsberechtigt“, „Edikt“, „Staatsgesetz“ und andere ihrem eigentlichen Sinn zugeführt und im Gegenzug Topoi der traditionellen Königstypologie polemisch entkräftet. Mit der Gestalt Daniels, der sich bei Hof die babylonische Weisheit aneignete, hat die Chrêsis sogar ein biblisches Urbild. Der Beitrag von Heinz-Günther Nesselrath (Göttingen) befaßt sich mit dem sogenannten Altersbeweis – d.h. dem Nachweis, daß Moses als Verfasser des Pentateuch erheblich älter ist als die ersten Autoren der griechischen Literatur (namentlich Homer) und damit auch die jüdisch-christliche Lehre älter und damit besser ist als die griechische Religion und Philosophie – in der Rede an die Griechen des Apologeten Tatian und dokumentiert, wie Tatian dabei gerade das Zeugnis von griechischen Autoren (darunter auch solchen, über die Tatian die Inhalte älterer nichtgriechischer Quellen einzubeziehen versuchte) einsetzt, um dieses Darstellungsziel zu erreichen. Manabu Akiyama (Tsukuba) widmet sich Clemens von Alexandria. Dessen Haltung zum „Gebrauch (Chrêsis) weltlicher Güter“ zeigt sich insbesondere in seiner Interpretation des Passah. In der Exodus schreibt das Gesetz des Herrn dem Volk vor, zu essen als die, die „hinwegeilen“, und ein jedes Haus mit dem Blut eines Lamms zu bestreichen, als „Zeichen“, auf daß der Herr „vorüberge- he“. Clemens gebraucht das Wort „Zeichen“ im Sinn von „Kreuz“; der „Gnosti- ker“, der die Auferstehung des Herrn in sich selbst verherrliche (strom. 7, 12, 76, 4), habe sich vorzubereiten auf den Auszug aus dieser Welt (vgl. strom. 4, 3, 12, 5–6). Das Sakrament der Konfirmation, das von Clemens bezeugt wird (päd. 1, 6, 45, 1), könnte dabei auf das Bestreichen mit dem Blut des Lamms zurückgehen. Clemens betont den Wert der Kontemplation für den „Gnostiker“ (strom. 4, 6, 40, 1), die ihren Höhepunkt erreicht im Vergießen des Bluts (von ihm mit der „Gnosis“ identifiziert, vgl. fr. 24) und des Wassers an Jesu Seite. Nach Clemens muß der „Gnostiker“ danach streben, in dieser Welt all das aufzugeben, was ihm nicht „nützlich“ sein wird (strom. 7, 7, 40, 3). Angezeigt sei es daher, Mo- ses, den „Gnostiker“, anzuhören (strom. 5, 11, 74, 4). Leonardo Lugaresi (Bologna) thematisiert das Verhältnis von krisis und chrêsis aus dem Blickwinkel Tertullians: Das Christentum ist als „kritisches Fak- tum“ fähig, die sozialen und kulturellen Systeme der griechisch-römischen Welt, mit der es in Kontakt tritt, „kritischer“ Prüfung zu unterziehen. Aus die- sem Blickwinkel erweist sich der retorsive Charakter der Apologetik Tertullians gerade nicht als bloß defensive Taktik, sondern als wirksames Instrument solch christlicher krisis, deren Auseinandersetzung mit dem römischen Rechtswesen