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Chinas »neue« Seidenstraßeninitiative : Regionale Nachbarschaft als Kern der chinesischen Außenpolitik unter Xi Jinping PDF

31 Pages·2014·0.516 MB·German
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Nadine Godehardt Chinas »neue« Seidenstraßeninitiative Regionale Nachbarschaft als Kern der chinesischen Außenpolitik unter Xi Jinping S 9 Juni 2014 Berlin Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2014 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3­4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 Inhalt 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen 7 Xi Jinpings Seidenstraßeninitiative und die außenpolitische Ausrichtung Chinas 2014 10 China und Zentralasien 11 Xinjiang: Ausgangspunkt für Chinas Engagement in Zentralasien 14 Xinjiang 2014: Zentrum Zentralasiens 18 Silk Road Economic Belt: Regionale Stabilisierung durch Entwicklung 18 Offizieller Diskurs: Xi Jinpings Vision des Silk Road Economic Belt 20 Geographische Ausdehnung des Silk Road Economic Belt 21 Wang Jisis »Marsch nach Westen« 23 Expertendiskurs über den Silk Road Economic Belt: Zwischen regionaler Initiative und neuer außenpolitischer Strategie Chinas 26 Herausforderungen für China 30 Ausblick: Chance für Europa? 31 Abkürzungen Dr. Nadine Godehardt ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Asien Die Forschungsreise, die der vorliegenden Studie zugrunde liegt und auf der eine Reihe ihrer Erkenntnisse basieren, wurde von der Fritz-Thyssen-Stiftung gefördert. Problemstellung und Schlussfolgerungen Chinas »neue« Seidenstraßeninitiative. Regionale Nachbarschaft als Kern der chinesischen Außenpolitik unter Xi Jinping Am 24. und 25. Oktober 2013 fand in Peking ein wich- tiges Arbeitstreffen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) statt. Knapp ein Jahr nach dem 18. Par- teitag, auf dem mit Xi Jinping der neue starke Mann der Volksrepublik designiert worden war, ging es bei dieser Zusammenkunft um die zukünftige Rolle der regionalen Nachbarschaft in der chinesischen Außen- politik. Staatspräsident Xi Jinping hat bei dieser Ge- legenheit die Beziehungen zu den direkten Nachbar- staaten deutlich aufgewertet. Einerseits hat dies zur Folge, dass die chinesische Führung die politischen und wirtschaftlichen (Kern-)Interessen des Landes gegenüber diesen Staaten selbstbewusster vertreten wird. Andererseits hat Xi auch betont, dass die Volks- republik regionale Wirtschaftskooperationen aktiver unterstützen werde. China hat somit eine »neue« Seidenstraßeninitiative angekündigt, die sich in Form einer intensivierten Zusammenarbeit auf den konti- nentalen Großraum Eurasien fokussieren wird, aber auch eine maritime Komponente hat, die auf Ost- und Südostasien gerichtet ist. In Deutschland, in Europa und allgemein im Wes- ten werden Chinas Aufstieg und seine neue regionale Vorrangstellung oft auf Ostasien oder den »asiatisch- pazifischen Raum« reduziert. Weniger Aufmerksam- keit wird dagegen Chinas Engagement in der un- mittelbaren westlichen Nachbarschaft geschenkt. Doch ist die Volksrepublik bereits seit langem in Zentralasien aktiv. Seit 2011 ist sie für die Region der wichtigste Handelspartner vor Russland. Pekings Be- ziehungen zu den fünf zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan stehen deshalb im Zentrum dieser Analyse. Im Gegensatz zu Ostasien oder Südostasien musste China in seiner westlichen Nachbarschaft erst einmal einen regionalen Verbund schaffen, mit dem es kooperieren konnte. Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) ist zudem das einzige von China initiierte regionale Kooperationsformat in die- sem Raum. Auf diese Vorarbeiten stützt sich Peking bei der von Xi Jinping angekündigten neuen Handels- politik gegenüber Zentralasien, das die Kernregion des sogenannten Wirtschaftsgürtels Seidenstraße (Silk Road Economic Belt) sein soll. SWP Berlin Chinas »neue« Seidenstraßeninitiative Juni 2014 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen China ist inzwischen der zentrale wirtschaftliche Akteur in Zentralasien. Die neue Seidenstraßeninitia- tive ist ein Beleg dafür, dass die Volksrepublik bereit ist, die Strahlkraft dieser Rolle auch auf Eurasien – bis hin nach Europa – auszudehnen. Allerdings werden in der Diskussion des neuen Wirtschaftsgürtels auch die Grenzen der chinesischen Gestaltungsmacht, vor allem des chinesischen Modells, (regionale) Stabilität durch Entwicklung zu schaffen, deutlich. Dazu reicht Chinas ökonomische Unterstützung der politischen Eliten Zentralasiens nicht aus. Zudem fehlt es der chinesischen Führung an sicherheitspolitischen In- strumenten, Stabilität zu garantieren. Auf politischer Ebene hat es China außerdem verpasst, aktiv um den Rückhalt der lokalen Bevölkerung zu werben. Die deutsche und die europäische Politik müssen sich der Gestaltungsmacht Chinas in Zentralasien, sei- nes ökonomischen Einflusses, aber auch seiner (sicher- heits-)politischen Defizite, stärker gewahr werden. China ist als wirtschaftlicher Akteur aus Zentralasien nicht mehr wegzudenken und hat großes Potential, seine Wirtschaftskraft auch auf den Großraum Eurasien auszuweiten. Vor diesem Hintergrund sollte auch die EU darüber nachdenken, wie eine chinesisch- europäische Zusammenarbeit in diesem Raum aus- sehen könnte. Voraussetzung dafür ist allerdings auch ein intensiverer Kontakt zwischen chinesischen und europäischen Experten, zum Beispiel durch die wechselseitige Teilnahme an Track-1,5- und Track-2- Dialogen. In diesen Formaten ließen sich Bereiche oder konkrete Projekte einer möglichen Zusammen- arbeit sondieren. Dies könnte auf lange Sicht die Grundlage bilden für eine offizielle Kooperation im Rahmen eines chinesisch-europäischen Seidenstraßen- dialogs. SWP Berlin Chinas »neue« Seidenstraßeninitiative Juni 2014 6 Xi Jinpings Seidenstraßeninitiative und die außenpolitische Ausrichtung Chinas 2014 Xi Jinpings Seidenstraßeninitiative und die außenpolitische Ausrichtung Chinas 2014 Die Beziehungen zu den direkten Nachbarstaaten in Nach der Amtsübernahme von Xi Jinping ist schnell Asien waren für China auch in der Vergangenheit offenbar geworden, dass die neue Führung im Bereich immer von Bedeutung. Von Deng Xiaoping bis Xi Jin- der Außenpolitik sehr viel selbstbewusster aufzutre- ping kann Pekings Nachbarschaftspolitik dabei in drei ten beabsichtigt. Dies zeigt sich sowohl in Xi Jinpings Phasen eingeteilt werden.1 staatsmännischem Habitus, der sich deutlich von der 1. Von 1978 bis zum Ende des Kalten Krieges: In eher stoischen Art seines Vorgängers Hu Jintao unter- dieser Epoche hatten die Vermeidung von Konflikten scheidet, als auch in dem von Xi eingeführten Konzept und die Konzentration auf die nationale Entwicklung des »Chinesischen Traumes«.3 Dabei geht es vor allem oberste Priorität. »Nicht auffallen« (tao guang yang hui) um den steinigen »Weg der Wiedergeburt« (fuxing zhi war die Devise. Stabilität in den Grenzgebieten – das lu, so auch der Titel einer Ausstellung im Chinesischen war aus chinesischer Perspektive gleichbedeutend mit Nationalmuseum),4 den China gehen muss, mit ande- der Abwesenheit von Chaos und damit eine wesent- ren Worten um den Wiederaufstieg des Landes zur liche Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwick- Großmacht, einen Status, den das Reich der Mitte vor lung des Landes. dem ersten Opiumkrieg (1839–1842) schon einmal inne- 2. 1990er Jahre bis Anfang 2000: In dieser Zeit öff- hatte und jetzt entschlossen ist zurückzugewinnen. nete sich die Volksrepublik stärker nach außen und In diesem Kontext brachte die chinesische Regie- engagierte sich mit größerem Nachdruck in regiona- rung dann 2013 auch den Begriff der »Großmacht- len Organisationen. Der damalige Staatspräsident und beziehungen neuen Typs« auf.5 Diesem Konzept zu- Generalsekretär der KPCh Jiang Zemin legte großen folge sollen Beziehungen unter Großmächten von drei Wert auf »freundliche Nachbarschaftsbeziehungen« Merkmalen gekennzeichnet sein: von der Vermeidung (mulin youhao). Im Vordergrund standen vor allem gute von Konfrontationen durch die Nutzung vorhandener wirtschaftliche Beziehungen.2 Die einzelnen Nachbar- und den Aufbau neuer Dialogmechanismen auf allen staaten wurden diesem Ansatz zufolge alle gleich- Ebenen; von gegenseitigem Respekt vor dem Gesell- behandelt. 1996 wurde dann das »Neue Sicherheits- schaftssystem und dem Entwicklungsweg des jeweils konzept« (xin anquanguan) implementiert, das darauf anderen Staates; und schließlich von der Berücksich- angelegt war, Stabilität durch den forcierten Aufbau tigung der nationalen Kerninteressen des anderen und (wirtschaftlicher) Kooperationen zu garantieren. der gemeinsamen Ziele bei der Verfolgung der eigenen 3. 2000er Jahre bis zur Amtsübergabe an Xi Jinping: Interessen. Dieses Konzept soll zukünftig die Grund- Xis Vorgänger Hu Jintao vertiefte die institutionellen lage für das Verhältnis zwischen den etablierten Mäch- Verbindungen zwischen China und der Region weiter ten (den USA, Russland, aber auch der EU) und der und hielt an der politischen Leitlinie fest, Stabilität aufsteigenden Macht China bilden. durch »friedliche Entwicklung« (heping fazhan) zu ge- währleisten. In diesem Zeitraum stieg die Volksrepu- 3 Besonders offensichtlich wurde dieser Unterschied zum blik im internationalen System endgültig zu einem Beispiel beim Treffen zwischen Xi Jinping und Barack Obama Akteur mit globalem Profil auf, was sie unter anderem im Juni 2013 in Sunnylands, Kalifornien. Auf das Konzept des auch der erfolgreichen Durchführung der Olympi- »Chinesischen Traumes« (Zhongguo meng) verwies Xi wäh- rend seiner Rede zur Amtseinführung. schen Spiele 2008 und der Shanghaier Weltausstel- 4 Siehe die Website des chinesischen Nationalmuseums, lung 2010 zu verdanken hatte. <http://fuxing.chnmuseum.cn/index.php> (Zugriff am 10.2.2014). 5 Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde dieses Kon- 1 Vgl. Yang Jiemian (Hg.), Duiwai guanxi yu guoji wenti yanjiu zept durch das Treffen zwischen Präsident Obama und Xi in (Untersuchung über Außenbeziehungen und internationale Sunnylands, vgl. Richard C. Bush III, »Obama and Xi at Sunny- Fragen), Shanghai 2009, S. 106–115. lands: A New Pattern of Relations?«, The Brookings Institution, 2 Vgl. Jeffrey Reves, »China’s Unraveling Engagement Strat- Up Front Blog (online), 4.6.2013, <www.brookings.edu/blogs/ egy«, in: The Washington Quarterly, 36 (Dezember 2013) 4, up-front/posts/2013/06/04-obama-xi-new-pattern-relations- S. 139–149 (141). bush> (Zugriff am 6.5.2014). SWP Berlin Chinas »neue« Seidenstraßeninitiative Juni 2014 7 Xi Jinpings Seidenstraßeninitiative und die außenpolitische Ausrichtung Chinas 2014 Gleichzeitig ist auch Xi daran gelegen, dass die es, die ökonomischen Beziehungen mit den zentral- Beziehungen mit den Nachbarstaaten in Asien stabil asiatischen Staaten zu verbessern (»Öffnung des sind. Auf einem Arbeitstreffen der KPCh im Oktober Raumes«) und die betreffende Region politisch zu 2013 wurden sie als ein wesentlicher Bestandteil der stabilisieren (»Sicherheit schaffen«). Langfristiges Ziel außenpolitischen Strategie Chinas definiert. Darin ist der Initiative ist es, China nach Westen hin zu öffnen, jedoch nicht nur eine bloße Bestätigung des seit den Richtung Türkei und Richtung Europa.8 1990er Jahren bekannten außenpolitischen Prinzips Der Rekurs auf den Seidenstraßen-Begriff ist ein zu sehen. Für Xi ist die Umsetzung einer aktiveren klares Anzeichen dafür, dass Xis Vorstoß nicht auf Nachbarschaftspolitik vielmehr eine Grundvorausset- Zentralasien beschränkt, sondern geographisch weiter zung für die Rolle, die China in Zukunft in Asien spie- gefasst ist.9 Der »Großraum Eurasien«, auf den Xi len wird. Entscheidend für diese Aufwertung sind vor immer wieder hinweist, hat jedoch keine klaren allem die Zunahme der Krisen in Chinas unmittel- Grenzen. Erst im Zuge der Umsetzung der Koopera- barer Nachbarschaft (Koreanische Halbinsel, Insel- tion soll das, was zum Wirtschaftsgürtel Seidenstraße streit mit Japan, Afghanistan nach 2014 etc.) und der gehört, genauer definiert werden. Dies ermöglicht es, daraus entstehende Druck auf die chinesische Füh- dass zunächst kein Staat, der zwischen Europa und rung, auf diese Situationen schnell zu reagieren. Mit Asien liegt, von der Initiative ausgeschlossen wird. Im dieser Prioritätensetzung verbunden ist das Vorhaben Oktober 2013 erklärte Xi dann im Rahmen seiner Chinas, die wirtschaftliche Kooperation mit den Nach- Südostasienreise, dass Peking auch den Aufbau einer barstaaten weiter zu vertiefen und seine politischen neuen »maritimen Seidenstraße« anstrebe, also die Interessen selbstbewusster in der Region zu vertreten. Zusammenarbeit mit dem Verband der Südostasiati- Dafür muss die Volksrepublik aktiver auftreten, mehr schen Nationen (ASEAN) stärken wolle. Die Werbung riskieren und investieren, ohne gleichzeitig als »zu für einen »Seidenstraßengürtel« im Westen und eine entschlossen« (assertive) oder sogar als aggressiv wahr- »maritime Seidenstraße« im Osten (yi dai yi lu – »ein genommen zu werden. Gürtel, eine Straße«), die einerseits Chinas direkte Auf dem dritten Plenum des Zentralkomitees der Nachbarstaaten einschließen und andererseits Asien KPCh Anfang November 2013 kündigte Xi Jinping näher an Europa rücken sollen, hat somit neben der ferner an, dass ein nationaler Sicherheitsrat konsti- regionalen auch eine globalpolitische Implikation. tuiert werden soll.6 Die wichtigste Aufgabe dieses Vor diesem Hintergrund kann Xi Jinpings Ankün- Gremiums wird sein, die Abläufe in der Außenpolitik digung zunächst durchaus als Reaktion auf die Politik besser zu koordinieren. Der Hauptgegenstand der der USA verstanden werden, einerseits auf das so- Beratungen sollen innen- und außenpolitische Sicher- genannte Rebalancing to Asia und in diesem Kontext vor heitsfragen sowie traditionelle und nicht-traditionelle allem auf die Verhandlungen über eine transpazifische Sicherheitsprobleme sein. 2014 wird der Schwerpunkt Partnerschaft (TPP) und über ein transatlantisches der chinesischen Außenpolitik somit vor allem auf Freihandelsabkommen (TTIP), an denen China nicht den Beziehungen zu den direkten Nachbarstaaten teilnimmt; und andererseits auch auf die 2011 ins liegen mit dem Ziel, Chinas Position in Asien weiter Leben gerufene New Silk Road Strategy Washingtons, zu stärken.7 Ein wichtiges Instrument dieser Politik durch die Afghanistan langfristig wieder in die regio- stellt Pekings neue Seidenstraßeninitiative dar. nalen Wirtschaften Zentral- und Südasiens integriert Anfang September 2013 unternahm Xi Jinping eine zehntägige Tour durch Zentralasien. Während dieser Reise hielt Xi an der kasachischen Nazarbayev-Uni- versität eine in China vielbeachtete Rede, auf der er den Aufbau eines Silk Road Economic Belt ankündigte. Das kurz- bzw. mittelfristige Ziel dieser Initiative ist 8 Vgl. »Xi Jinpings Rede an der Nursultan-Nazarbayev-Uni- versität« (chinesisch), Xinhuanet, 8.9.2013, 6 Neben der Schaffung einer Reformkommission war dies <http://news.xinhuanet.com/world/2013-09/08/ eines der bedeutendsten institutionellen Ergebnisse des c_117273079.htm> (Zugriff am 15.2.2014). dritten Plenums. 9 Die Seidenstraße ist in China eine bewährte Metapher, vor 7 Vgl. Li Xiaokun u.a., »Diplomacy to Focus on Neighbour- allem für die Anbindung Xinjiangs an die westliche Nachbar- hood«, in: China Daily, 2.1.2014, <www.chinadaily.com.cn/ schaft. Schon in den 1990er Jahren wurde bei der Öffnung china/2014-01/02/content_17209275.htm> (Zugriff am Xinjiangs auf die Erfolge der historischen Seidenstraße ver- 10.2.2014). wiesen. SWP Berlin Chinas »neue« Seidenstraßeninitiative Juni 2014 8 Xi Jinpings Seidenstraßeninitiative und die außenpolitische Ausrichtung Chinas 2014 Die Bedeutung des Expertendiskurses für die Analyse chinesischer Außenpolitik Xi Jinpings Rede über die neue Seidenstraßen- akademischen Kreisen diskutieren zu lassen und initiative für den Großraum Eurasien enthielt dann einige Vorschläge aufzunehmen und umzuset- keine klaren Äußerungen über spezifische Inhalte zen. Oft wird dieser Prozess von Konferenzen, akade- des Kooperationsvorhabens oder konkrete Vor- mischen Workshops, Track-2- oder Track-1,5-Dialo- schläge zu dessen Umsetzung. Die indifferenten gen und Publikationen der partei- und staatsnahen Formulierungen sind durchaus charakteristisch für Forschungseinrichtungen direkt begleitet. Dabei die chinesische (Außen-)Politik. Das zeigen zum Bei- stellen die offiziellen Ausführungen häufig den spiel auch Konzepte wie die »freundliche Nachbar- Orientierungspunkt dar, an dem sich die chinesi- schaftspolitik«, »harmonische Gesellschaft« oder schen Experten in ihren Debatten dann abarbeiten. neuerdings der »chinesische Traum«. Die Bezugnah- Die Analyse des chinesischen Expertendiskurses me auf den historischen Handelsweg der »Seiden- ist daher wichtig. Denn dadurch lässt sich nach- straße« ist ähnlich schwierig zu interpretieren. Die vollziehen, in welche Richtung sich neue Konzepte Metapher kann für vieles stehen und nur weniges oder Initiativen entwickeln könnten und welche wird von offizieller Seite angeboten. Dies ist durch- Haltbarkeit sie haben. Auch wird sie in der Regel zu aus beabsichtigt, wie William Callahan für das der Erkenntnis führen, dass es in China nicht eine Leitbild des »chinesischen Traums« herausgearbei- Außenpolitik gibt, sondern viele Nuancierungen tet hat.a Denn die Unklarheit solcher Konzepte und gar abweichende Deutungen. Für chinesische ermöglicht es der chinesischen Führung, sie in Experten ist es manchmal einfacher, Inhalte und Ziele chinesischer Außenpolitik zu artikulieren, die a Vgl. William Callahan, China Dreams: 20 Visions of the von offizieller Seite so nicht formuliert werden Future, Oxford 2013. können. werden sollte.10 Gleichzeitig ist dieser Schritt auch politisch stärker der westlichen Nachbarschaft zu- eine Antwort auf die wachsenden russischen Ambitio- zuwenden. Besonders ist daran vor allem der Versuch, nen in Asien, genauer gesagt auf Wladimir Putins Chinas Politik gegenüber Zentralasien und dem Groß- Vision einer »eurasischen Integration«, die zukünftig raum Eurasien unter ein gemeinsames Label zu unter dem Dach der für 2015 avisierten Eurasischen stellen. Union umgesetzt werden soll.11 Die neue Seiden- straßeninitiative dient Peking somit dazu, sich aktiver gegenüber der Außenpolitik anderer Großmächte, besonders der USA und Russlands, zu positionieren und eine alternative Politik anzubieten. Außerdem belegt Xis Ankündigung des Silk Road Economic Belt die Bereitschaft der Volksrepublik, sich wirtschaftlich und 10 Chinesische Experten vertreten die Ansicht, dass die New Silk Road Strategy der USA bereits eine Reaktion auf das chinesische Engagement in Zentralasien darstellt und dass dieser US-Initiative bisher kaum ernstzunehmende Integra- tionsbemühungen gefolgt sind, Gespräche der Autorin in Peking im November 2012. 11 Mitglieder der Zollunion (die Vorläufer und zukünftiger Bestandteil der Eurasischen Union sein soll) sind bis jetzt Russland, Weißrussland und Kasachstan; Beobachterstatus haben Armenien, Kirgisistan und Tadschikistan. Im Fall der Ukraine wird über einen möglichen Beitritt diskutiert. Am 29. Mai 2014 unterzeichneten Russland, Kasachstan und Weißrussland in Astana den Gründungsvertrag für die Eurasische Wirtschaftsunion, die ab 1. Januar 2015 in Kraft treten soll. SWP Berlin Chinas »neue« Seidenstraßeninitiative Juni 2014 9 China und Zentralasien China und Zentralasien Wenn in Deutschland und Europa die Rede von Zentral- haier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), in der asien ist, sind damit meistens die fünf postsowjeti- neben den zentralasiatischen Staaten (außer Turk- schen Republiken Kasachstan, Kirgisistan, Tadschiki- menistan) auch Russland Mitglied ist.16 Ziel der SOZ stan, Turkmenistan und Usbekistan angesprochen.12 ist es, die wirtschaftliche Kooperation zwischen China Diese klare Vorstellung von den Grenzen der Region und den anderen Mitgliedstaaten voranzubringen, ist insofern bemerkenswert, als die betreffenden fünf aber auch die Zusammenarbeit im Bereich der nicht- Staaten bis heute kein klares Konzept von ihrer Region traditionellen Sicherheitsbedrohungen auszubauen, entwickelt, geschweige denn eine gemeinsame regio- zum Beispiel durch einen koordinierten Kampf gegen nale Organisation gegründet haben. Die wenigen die sogenannten »drei bösen Kräfte« (Terrorismus, Versuche, eine zentralasiatische Union zu schaffen, Extremismus und Separatismus) oder im Rahmen von die in erster Linie von Kasachstan initiiert wurden, gemeinsamen Militärübungen.17. Im Gegensatz zur scheiterten vor allem an internen Rivalitäten, beson- Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit ders an denen zwischen Kasachstan und Usbekistan.13 (OVKS) ist die SOZ aber kein Militärbündnis und be- Außerdem war es nach der neugewonnenen Unabhän- sitzt auch keine schnelle Eingreiftruppe. Pekings gigkeit für die einzelnen Staaten zunächst wichtig, ihr Beziehungen zu den zentralasiatischen Nachbar- nationales Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken, staaten sind aber nicht nur auf die SOZ beschränkt. bevor ernsthaft über eine regionale Kooperation nach- So hat die Volksrepublik mit jedem Land (inklusive gedacht werden konnte. Turkmenistan) auch bilaterale Kooperationsmechanis- Welcher Staat zur Region Zentralasien gehört, wird men etabliert. somit in erster Linie von Außenstehenden – wie zum Nach der Unabhängigkeit der fünf zentralasiatischen Beispiel von China, der EU, Indien, Russland oder den Staaten im Jahr 1991 stand China vor der Herausforde- USA – bestimmt. Wie David Kerr treffend hervorhebt, rung, seine Rolle gegenüber der unmittelbaren west- gibt es neben Zentralasien keine weitere Region in lichen Nachbarschaft neu zu definieren und eine ge- Asien, die ausschließlich deshalb als Einheit angesehen meinsame Kooperationsbasis zu schaffen. Grund- wird, weil andere sie so definiert haben.14 Die von legend dafür war zum einen die zügige Lösung von außen wahrgenommene Zusammengehörigkeit spie- gelt sich auch darin wider, dass Staaten wie China und Russland ihre Beziehungen zu den Ländern in diesem Großraum in eigenen regionalen Mechanismen in- stitutionalisiert haben.15 China ist Initiator der Shang- die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft (EAWG) und auf die seit 2010 bestehende Zollunion zwischen Russland, Weiß- 12 Vgl. zum Beispiel die Zentralasienstrategie der EU, »The russland und Kasachstan. Die Zollunion unterstreicht bereits European Union and Central Asia: The New Partnership in Putins Ambitionen, ein umfassendes regionales Integrations- Action«, Brüssel, Juni 2009, <http://eeas.europa.eu/ projekt im Rahmen der Eurasischen Union zu etablieren. central_asia/docs/2010_strategy_eu_centralasia_en.pdf> 16 Beobachter sind Afghanistan, Indien, Iran, Mongolei und (Zugriff am 28.4.2014). Pakistan; Dialogpartner Weißrussland, Sri Lanka und die 13 Hierbei geht es auch um die Frage der regionalen Vor- Türkei. machtstellung, die traditionell beide Staaten für sich be- 17 Die sogenannten SOZ-Friedensmissionen, die theoretisch anspruchen, Kasachstan als stärkste Wirtschaftsmacht und alle Mitglieder der SOZ mit einbeziehen (praktisch aber mei- Usbekistan als bevölkerungsreichster Staat in Zentralasien. stens vor allem aus chinesischen und russischen Truppen- 14 Vgl. David Kerr, »Central Asian and Russian Perspectives einheiten bestehen), kamen zum ersten Mal im Jahr 2005 on China’s Strategic Emergence«, in: International Affairs, 86 zum Einsatz. Die letzte Übung fand im August 2013 in Russ- (Januar 2010) 1, S. 127–152 (133). land statt. Konstantes Ziel dieser Militärübungen ist offiziell 15 Russland kann hierbei auf ein ganzes Netzwerk von Orga- immer die Antiterrorbekämpfung, vgl. Joshua Kucera, nisationen zurückgreifen: Militärisch steht dabei die Organi- »Chinese Troops Exercise in Russia, But Where’s Rest of the sation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) im SCO?«, Eurasianet (online), 6.8.2013, <www.eurasianet.org/ Mittelpunkt. Wirtschaftlich stützt sich Moskau vor allem auf node/67350> (Zugriff am 15.2.2014). SWP Berlin Chinas »neue« Seidenstraßeninitiative Juni 2014 10

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