Georg Tumheim Chaos und Management Georg Tumheim Chaos und Management 2. Auflage GABLER Prof. Dr. Georg Tumheim ist Geschäftsführer der Ale Management Consulting Gesellschaft m.b.H. in Wien Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Turnheim, Georg: Chaos und Management / Georg Tumheim. - 2. Auf!. - Wiesbaden: Gabler, 1993 © Manzsche Verlags-und Universitätsbuchhandlung, Wien 1993 Softcover reprint ofthe hardcover 1st edition 1993 Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen der VerJagsgruppe Bertelsmann International. © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1993 Lektorat: Ulrike M. Vetter Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlieh geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für VervieWiltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Höchste inhaltliche und technische Qualität unserer Produkte ist unser Ziel. Bei der Produktion und Verbreitung unserer Bücher wollen wir die Umwelt schonen: Dieses Buch ist auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die Einschweißfolie besteht aus Polyäthylen und damit aus organischen Stoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlag: Scbrimpf und Partner, Wiesbaden Datenaufbereitung und -übernahme: Manz Computersatz, Wien ISBN 978-3-322-93120-7 ISBN 978-3-322-93119-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-93119-1 Einführung in das Buch Nach dem zweiten Weltkrieg erlebten Europa, die USA und Japan etwa 25 Jahre lang ein stetiges Wirtschaftswachstum, gekennzeichnet unter anderem dadurch, daß sich damals die Wirtschaftsforscher in ihren Prognosen höchstens um einige Zehntel Pro zentpunkte für Perioden von 1-2 Jahren irrten. Der erste Ausschlag einer Diskontinuität erfolgte Anfang der 70er Jahre (Energiekrise) und führte zu einer bis heute wirkenden generellen Veränderung im Wirtschaftsgeschehen, sodaß sich nunmehr Wirtschaftsfor scher nicht selten um einen ganzen Prozentpunkt in ihren Wirtschaftswachstumsvor aussagen irren, und dies in einem Zeitraum von 2-3 Monaten (manchmal erfolgt eine Korrektur innerhalb von 4 oder 6 Wochen). Das Unternehmensumfeld von heute ist also durch eine hohe Dynamik, und zwar in globalem Maßstab, gekennzeichnet. Mit dieser globalen Dynamik ist auch das Ver ständnis für Unordnung (Turbulenzen, Chaos, Fluktuation) gewachsen, sodaß wir nun einen Wandel in der Unternehmenslogik am Ende dieses Jahrhunderts verzeichnen können. Worin unterscheidet sich unsere Gegenwart von den 30 Jahren Aufschwung nach dem zweiten Weltkrieg, also von der Situation Mitte dieses Jahrhunderts? Der russische Ökonom Nikolai KONDRATIEFF (1892-1930) hat eine Theorie langer Konjunkturzyklen aufgestellt, die auch andere führende Ökonomen wie z. B. SCHUM PETER verwenden. Nach KONDRATIEFF werden die kurzen und mittleren Konjunk turzyklen durch lange Zyklen überlagert, die etwa einen Zeitraum von 50 Jahren umfassen und sich zusammensetzen aus ca. 20 Jahren relativen Abstiegs und 30 Jahren relativen Aufstiegs. 20 Jahre Abstieg (Stagnation) charakterisieren eine Phase der wirt schaftlichen Instabilität, in der aufgrund großer Umfeldveränderungen ein technologi scher Anpassungsprozeß vor sich geht. Untersucht man nun Innovationen und ihre zeitliche Wirkung, so entdeckt man eine erstaunliche Korrelation mit den KONDRA TIEFF-Zyklen. In Phasen der Stagnation (geringes Wirtschaftswachstum) kann man ein überdurchschnittliches Wachstum an Innovationen (Kreativität) feststellen und umge kehrt, in der Phase des wirtschaftlichen Aufstiegs, eine Periode der "kreativen Stagna tion", wo im wesentlichen Weiterentwicklungen und Vertiefungen der vorangegange nen Innovationen bzw. deren Implementierung in der praktischen Anwendung (also Effektivitätserhöhung) vonstatten gehen. Über eine Periode von rund 200 Jahren ergibt dies ein trügerisches Bild der Kontinuität (Bild 1). Trügerisch insofern, als man dazu neigen würde, diese Logik auch in die Zukunft zu projizieren. Aber bereits ALTSCHUL und SCHUMPETER haben darauf hingewiesen, daß diese anscheinende Kontinuität im Wechsel zwischen Abstieg und Aufstieg bzw. Kreativität und Effektivität einen Bruch, eine Diskontinuität bzw. Turbulenz erleiden kann, nämlich dann, wenn ein grundsätz licher technologischer Wandel stattfindet, wie er z. B. heute beim Übergang von der 6 Einführung in das Buch nd ? • T u?• EI S- Z Bild 1: Die langen Konjunktur-und Innovationszyklen KONDRATIEFF-Theorie Horizont: 200 Jahre ?? . . / "'. 20 + ca. Jahre STAGNATION (Phase der Instabilität Kreativität) . Übergang zur / / / -+ + ca. 30 Jahre AUFSTIEG (Phase der Stabilität Effektivität) DIENSTLEISTUNGca. / 20 ......... ~ ca. .... 30 50 ca. Jahre KONJUNKTURZYKLUS INFORMATIONS-ca. 20 GESELLSCHAFT ca. 30 ca. 20 ca. 30 i Cl Clca. 20 ,S! GI ';:: ca. 30 .ii ;s ~ ~ ,..; 91 N 1800 1950 1850 2000 2050 1900 I ~: ~ I I I .PharmaindU~ ... (Chinin) _ Glühlampe "'e ... Lokomotive -. Radar -Turbine Neopren -Telegraph I .. Telefon -,-.I?? ·Laser"'-.... ' /, • TV/Radio Fotografie -'--Ottomotor ./ • Robotics Kernreaktion -• Elektromagnet -Dynamit Mikroprozessor -bedeutender Elektronenmikroskop --Tiegelschmelz-') -Aluminium Gentechnologie -Katalytischer Cracker -technologischer verfahren -Transformator Penicillin -bemannter Raumflug -Wandel Kunstdünger -Si-Solarzellen -?? ca. 50 Jahre I I Jahre, , ca. 50 i ca. 50 Jahre I ca. 50 Jahre i i I i I i Dampfmaschine Eisenbahn Elektrotechnik Automobil Informationstechnik Baumwolle Stahl Chemie Petrochemie Selbstlernende Systeme TUR chs) .. ON achs) KONJUNK (Wertzuwa + Cf) J: ~ :J N Cf) Z W Cf) Cf) i 'tI C :1 j! a: w :: + INNOVATI (Ideenzuw m S' Ö' ., :J-c: ::::s ca S· §-CO c: n :J- '" Industriegesellschaft zur Dienstleistungs- und/oder Informationsgesellschaft angenom men wird (siehe dazu NEFIDOW). Die Innovationen "Mikroprozessor" und "Gen-Tech nologie" sind beide Schlüsselinnovationen der Informationstechnologie und können damit ein begründeter Hinweis darauf sein, daß wir vor dem "Übergang" in die I nformationsgesellschaft stehen. Ist also heute die globale Dynamik im Umfeld unserer Unternehmen der Ausdruck jener Turbulenzen und jenes Chaos, die darauf deuten, daß aus der sogenannten gegenwär tigen Unordnung eines bedeutenden technologischen Wandels eine höhere Ordnung der Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft im Entstehen begriffen ist? Es spricht vieles dafür, daß wir - geschichtlich gesehen - an einer Weggabelung, einer Verzweigung oder, in der Terminologie der Chaosforschung, an einer Bifurka tion stehen. Entsprechend der Chaosforschung (chaos, griech. = ungeordnete Masse, nach ARISTOTELES jedoch: "Chaos als der alles in sich fassende Raum") sind vor einer derartigen Weggabelung hohe Turbulenzen, Schwingungen, Fluktuationen, Brechungen in Gestalt und Form (Fraktale) und Selbsterneuerung (Autopoiese) zu beobachten. Dieser Wirrwarr an neuen Begriffen, die zum Teil Wortschöpfungen darstellen, wie z. B. fraktal durch MANDELBROT, was man mit Selbstähnlichkeit übersetzen könnte (entstanden aus dem lateinischen Wort frangere = brechen und Fragmente), oder Autopoiese von MATU RANA (als Eigenschaft von Systemen, sich selbständig zu erneu ern), ist für die Unternehmenspraxis von heute nicht von Bedeutung, jedoch sehr wohl ist die Kenntnis wichtig, wie man zum Nutzen des Unternehmens mit einer globalen und turbulenten Umwelt kommunizieren kann. Dort, wo ich Begriffe aus der Chaos forschung verwende, sind jeweils ihre Deutung aus der Anwendung in der Unterneh menspraxis hinzugefügt worden. Am Ende dieses Buchteiles sind darüber hinaus die Chaos-Termini aus industrieller Sicht und im Zusammenhang mit dem Buchinhalt kurz erläutert. Für die oben erwähnte geschichtliche Weggabelung spricht vieles. Wir sind bereit, heute zwei wesentliche Paradigmata der letzten Jahrhunderte, das Kausalitätsprinzip und den Determinismus, "über Bord" zu werfen. Wir sind gerade dabei, die lineare Kausalität durch eine zirkulare Kausalität zu ersetzen und eine Nichtlinearität in rückgekoppelten deterministischen Systemen zu akzeptieren. Das heißt, wir sind gerade dabei, die Theorie des Chaos in die klassische Physik zu integrieren, so schwer es uns auch fällt. 8 Einführung in das Buch Bild 2: Technologischer Wandel und neue Identität Bedeutender technologischer Wandel BIFURKATIONEN (Verzweigungen) FRAKTALE (Brechungen in Gestalt, Form) NEUE IDENTITÄT Einführung in das Buch 9 Chaosforscher sind Wissenschaftler, die im Chaos nach Mustern suchen, nach ei ner Ordnung höheren Grades. Die Erkenntnisse der Chaostheorie in ihren vielfältigen Interpretationen sind heute deshalb so aktuell und eine "Managementmode", weil daraus eine Reihe von Hilfestel lungen zur Bewältigungdes dynamischen Umfeldes, in dem die Unternehmen arbeiten, abgeleitet werden kann. Dies gilt sowohl für große als auch für kleine Unternehmen, sowohl für Industrie- wie auch für Handels- und Dienstleistungsunternehmen. Die Turbulenz in unseren Märkten, die Unvorhersagbarkeitder Kundenwünsche (gesteiger te In divid ual ität) und das hohe Tempo der Innovationen und dam it des tech nologischen Wandels sind in fast allen Branchen zu beobachten und erfassen somit viele Unterneh men, egal ob sie nun große Konzerne oder mittelständische Familienbetriebe sind. Vereinfacht dargestellt, bedeutet die Akzeptanz eines "bedeutenden technologischen Wandels" (SCHUMPETER) auch das Akzeptieren ständiger Verzweigungen, sowohl in der Technologie und Struktur des eigenen Unternehmens als auch des relevanten Marktes (Bild 2). Damit verbunden sind verschiedenartige Turbulenzen und räumliche Verschiebungen, die einen Selbsterneuerungseffekt haben können, sodaß die daraus resultierenden Veränderungen der Unternehmensorganisation, Unternehmensidentität und sogar Eigentümerstruktur einen "chaotischen" Eindruck erwecken. Nur ist dies keine "Spinnerei", sondern eine Notwendigkeit zum Überleben in turbulenten Zeiten. Ich möchte daher aus der Praxis berichten und jene speziellen Erfahrungen vermitteln, die in Unternehmen der industrialisierten Welt bei der Bewältigung ihres dynamischen Umfeldes bereits gesammelt wurden. Der erste Teil des Buches ist als Anregung für die "tägliche" Arbeit, alternativ zu denken und zu managen, gedacht und der zweite Teil (Spielanleitung, von hinten zu lesen) als experimenteller Teil und Ermunterung zum selbst Verwirklichen. Beide sollen Anstoß geben, durch Selbststudium der weiterführenden Literatur und eigene Innovation im Unternehmen (Team-Spiele) diese Anregungen zu vertiefen und umzusetzen. Kehren wir zurück zu den langen Konjunktur- und Innovationszyklen (Bild 1). Bis weit in die 70er Jahre galt noch immer die Managementregel, ständiges Umorganisieren des Unternehmens führe zu seinem Untergang. Heute - und erst recht in den 90er Jahren wird es jedoch heißen: "Wer sich nicht schnell genug dem Umfeld anpaßt, geht unter." "Struktur de jour" - die täglich neue Struktur - ein Scherz oder bereits Realität? Wir werden die bereits in den 80er Jahren begonnene Wende in der Management Logik in den 90er Jahren vollziehen. Diese Wende wird in der Literatur als die Abkehr 10 Einführung in das Buch Bild 3: Management-Logik LINEARE LOGIK SYSTEMISCHE LOGIK der der MASSENPRODUKTION INNOVATION * Stabile Wachstumsraten und .. Instabile Wachstumsraten und feste Ziele (Zieldenken) Zieldynamik (Prozeßdenken) .. Klare Organisationsstruktur * Flexible Strukturen in lebens- (Maschinen-Modell) fähigen Organisationen (Organismus-Modell) * Kostenreduzierungsprogramme * Schnelligkeit im Markt .. Strategische Planung * Synergetische Planung * Betonung der vertikalen * Betonung der horizontalen Kommunikation und Kommunikation + Zusammen- funktionalen Zusammenarbeit arbeit im Netzwerk * Geringe Veränderungen in der .. Strukturanpassungen durch Grundordnung der Unter- Rückkopplungen nehmen (elitäre Struktur) (föderalistische Struktur) .. Suche nach Stabilität .. Akzeptanz der Instabilität GESTERN HEUTE/MORGEN Einführung in das Buch 1 1