Timothy Leary Chaos & Cyber Kultur Verlegt durch: NACHTSCHATTEN-VERLAG Solothurn © 1997 Nachtschatten-Verlag für die deutsche Ausgabe Übersetzung: Heinz Martin ISBN 3-907080-13-0 Alle Bilder & Illustrationen sind der amerikanischen Originalausgabe entnommen, Copyrights bei Ronin Publishing, Berkeley. Nachweise unter Quellen-Verzeichnis. Titel der Original-Ausgabe: "CHAOS & Cyber Culture" by Timothy Leary Erschienen bei: Ronin Publishing Inc., P.O. Box 1035, Berkeley California Ein Teil dieser Ausgabe wurde für "Werner Pieper's MedienXperimente" in der Edition Rauschkunde verlegt, und enthält im Anhang einen Nachruf von Werner Pieper. Diese Ausgabe ist unter der ISBN-Nr. 3-930442- 19-1 erhältlich. BEMERKUNG DES VERLEGERS DER AMERIKANISCHEN AUSGABE Die meisten Texte dieses Buches sind zuerst in ungewöhnlich unterschiedlichen Publikationen erschienen: in obskuren Untergrund-Blättern genauso wie in Universitäts-Zeitschriften, in New Age/New Edge-Periodikas wie in Sonntagsbeilagen der grossen Tageszeitungen oder in Mode-, Computer- und Rock- Magazinen. Die darin enthaltenen Ideen, verbreitete Timothy Leary auch in seinen Vorträgen an hunderten von Schulen und Universitäten, über seine „Whole Life Expo-Workshops", auf der „Lollapaloo Rock 'n' Roll-Tournee", bei seinen Auftritten im Fernsehen, in den Kabaretts des Sunset-Strip oder auf den grossen Raves der Punk- und Technoszene. Dabei benutzte er oft Computer-Multimedia-Präsentationen von Künstlern, deren Abbildungen z. T. in diesem Buch benutzt wurden. Einige dieser Texte wurden in der Art des Samisdat als dissidente Untergrund-Publikationen im Versand vertrieben. Wobei ein Cyberdelikatessen-Versand namens „KnoWare" diese Aufgabe übernahm. Fast das gesamte geschriebene und gesprochene Werk Timothy Learys seit den sechziger Jahren - das meiste davon während der düsteren Reagan-Bush Ära veröffentlicht - ist von einem ketzerischen Nonkonformismus durchdrungen, der, von Humor unterstützt, neuartige Perspektiven eröffnet. Willkommen beim cyberdelischen Be-In! Michael Horowitz „Wir mutieren immer wieder zu einer neuen Spezies - erst: von der Wasserwelt: zur Landwelt und jetzt in den Cyberspace. Wir sind Kreaturen, die sich zum Zentrum einer kybernetischen Welt hin bewegen. Kybernetik ist der Stoff", aus dem die Welt besteht. Materie ist gefrorene Information... Die Kritiker des Informations-Zeitalters sehen alles negativ, so als ob eine yrosse Menge Information automatisch zu einem Verlust an Bedeutung führen müsste. Dasselbe wurde schon von Gutenbergs Erfindung behauptet... Noch nie zuvor besass das Individuum soviele Möglichkeiten. Doch im Informations- Zeitalter bist du es, der die Signale erkennen und werten muss. Popolarisierung bedeutet Zugänglichkeit für alle. Die Rolle der heutigen Philosophen ist es, die Computer-Ideen auf eine Weise zu individualisieren, zu popularisieren und dem Menschen nahe zu bringen, so dass sich alle dabei wohlfühlen können... Tatsache ist, dass nur einige wenige von uns sahen, was geschah und wir dem CIA die Kraft des LSD entrangen und nun IBM die Macht der Computer, genauso wie wir die Psycholoyie aus den Fängen der Doktoren und Analysten befreiten. In jeder dieser Generationen war ich ein Teil jener Gruppe von Menschen, die wie Prometheus darum kämpften, die Macht wieder in die Hände des Individuums zurückzugeben." TIMOTHY LEARY, Pataphysics Magazine (1990) Vorwort: Die Philosoph des ewigen Chaos 1. Bildschirme Wie ich zum Amphibium wurde Massgeschneiderte Bildschirm-Wirklichkeiten Bildbearbeitung 2. Kybernetik, Chaos-Technik Ein Gespräch mit William Gibson Künstliche Intelligenz - Hesses prophetisches Glasperlenspiel Unser Gehirn Wie starte ich meinen Biocomputer auf? Persönliche Computer, Persönliche Freiheit Quantensprünge, dein Macintosh und du 3. Gegenkulturen Die Woodstock-Generation Von den Yippis zu den Yuppies Der Cyberpunk Die neue Generation Elektronische Kulturen Die nächsten zwanzig Jahre Der Pate: Gespräch mit Winona Ryder 4. Info-Chemikalien und Drogenkriege Ein Gespräch mit William S. Burroughs Die Soziologie von LSD Sag „Wisse": Ewiges Gegengift zum Faschismus Zar Bennet und der heilige Krieg gegen Drogen MDMA - Droge der achtziger Jahre Ein Fall von intelligentem Drogengebrauch 5. Cyberotik Der hormonale Holocaust Suche nach dem wahren Aphrodisiakum Operation Geschlechtsumwandlung Digitale Aktivierung des erotischen Bewusstseins 6. Guerilla-Kunst Streiche: ein Interview Keith Haring - Die archaische Zukunft Robert Williams - Alle Macht der Pupille Über William Gibsons „Interzone" William Gibson - Das Quark. des Jahrzehnts Wie publiziert man Häresie in Massenmedien Reproduzierte Authentizität - Die Magie des David Byrne Ein Gespräch mit David Byrne 7. Stillegung - Wiederbelebung Verständliche Alternativen zum unfreiwilligen Tod (Co-Autor: Eric Gullichsen) Andy im Winterschlaf 8. Der Jahrtausend-Wahnsinn Rückwärtsgewandte christliche Soldaten - Kurze Geschichte der Kriegerkaste in Amerika Gott als Präsidentschafts-Kandidat der Republikaner Wem gehört das Jesus-Werk? High-Tech Heidentum (Co-Autor: Eric Gullichsen) Epilog Brillig im Cyberland von Wim Coleman und Pat Perrin Quellen Liste der Hauptwerke von Timothy Leary Bibliographische Daten Liste der Illustrationen DIESES BUCH HANDELT VON EINEM NEUENTWURF DES CHAOS UND VOM GESTALTEN UNSERER PERSÖNLICHEN UNORDNUNG AUF BILDSCHIRMEN, MIT KYBERNETISCHEN WERKZEUGEN, AUS DER PERSPEKTIVE DER GEGENKULTUR, MIT ERKENNTNIS-CHEMIKALIEN (CHAOS-DROGEN) WÄHREND WIR UNS AN KYBEROTIK ENTZÜCKEN, ALS GUERILLA-KÜNSTLER ENTSEELTE ALTERNATIVEN ERKUNDEN, WÄHREND WIR AUF DEN WELLEN JAHRTAUSENDE-ALTER VERRÜCKTHEIT SURFEN, UM DIE WUNDERVOLL WILDEN UNMÖGLICHKEITEN UND UNWAHRSCHEINLICHSTEN DES KOMMENDEN JAHRHUNDERTS ZU ERHASCHEN. Geniess es! Es gehört uns, damit wir damit spielen! Die Philosophie des ewigen Chaos Während ein paar Tausend ]ahren Menschheitsgeschichte schien es offensichtlich, dass die grundlegende Natur des Universums eine extreme Komplexität, eine unerklärliche Nichtordnung sei - jene geheimnisvolle und verwirrende Herrlichkeit, die man allgemein Chaos nennt. Die poetischen Hindus glauben, dass das Universum ein verträumter Tanz der Illusion (Maja) sei. Die das Paradoxe vorziehenden, psychologisierenden Buddhisten sprechen von einer Leere, die milliardenmal zu komplex sei, um vom menschlichen A-B-C-1-2-3 Textverarbeitungssystem, dem Denken, erfasst werden zu können. Der chinesische Philosoph und Poet Laotse erinnert uns sarkastisch daran, dass das „Tao" die sich unaufhörlich mit Lichtgeschwindigkeit ändernden Komplexitäten darstellt; schwer fassbar und unzugänglich für unsere Finger und Daumen, die so arbeitsam Buchstaben in alphanumerische Tastaturen und Denkverarbeitungssysteme tippen. Sokrates, der stolze und selbstsichere athenische Demokrat, liess ziemlich taktlos das gefährliche Geheimnis platzen, als er folgendes formulierte: „Das Ziel menschlichen Lebens ist es, sich selbst zu erkennen." Das ist sicher eine der subversivsten T-Shirt-Aufschriften, die während Jahrhunderten von den Humanisten stolz herumgetragen wurde. Sie war sozusagen der herausfordernste Kleber auf ihren Neuro-Automobilen. Eigenständiges, individuelles Denken wird sowohl im Judentum und Islam, wie auch im Christentum als die ursprüngliche Sünde dargestellt. Weil es alle Anstrengungen der Autoritäten, Ordnung in das Chaos zu bringen, sabotiert. Die erste Regel jedes Systems von Recht und Ordnung heisst: Trivialisiere und dämonisiere die gefährlichen Konzepte der persönlichen, individuellen Ziele und des Wissens! Für sich selbst zu denken ist ketzerisch, verräterisch und blasphemisch, denn nur Teufel und Beelzebub tun es. Kreatives Denken, lautstark vertreten, wird zum Kapitalverbrechen. Während der Inquisitionsfeldzüge des römisch-katholischen Papsttums galt für Hunderttausende von Protestanten: Lass dich dreimal erwischen, und du bist draussen. Dabei darf man die Hexenverbrennungen, die die Protestanten ihrerseits bei der Übernahme der Chaos-Kontroll-Zentrale veranstalteten, nicht vergessen. Für die Kontrolleure von Recht und Ordnung gestaltete sich alles ganz einfach: Da gibt es einerseits die unsterblichen Götter und Göttinnen oben im abgesicherten Olympviertel. Und andererseits gibt es uns, bedeutungslose Sterbliche, malochend hier unten im Flachland der Billigbauten. Das Konzept von Individuen, ausgestattet mit Wahlfreiheit und eigener Identität, scheint der totale Wahnsinn zu sein, der absolute Alptraum - nicht nur für die autoritären Bürokraten, nein, auch für Liberale mit „gesundem Menschenverstand". Das Chaos muss unter Kontrolle gebracht werden! Die übliche Vorgehensweise, um die unmögliche Komplexität, die uns umgibt, zu unterwerfen und zu domestizieren, besteht darin, ein paar Wunder vollbringende Götter (je infantiler desto besser) zu erfinden und dazu einige kindische Regeln festzulegen wie etwa: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren usw. Die Regeln sind einfach und logisch: Du gehorchst passiv, du betest, du opferst, du arbeitest, du glaubst. Und dann, gelobt seien die Langweiler, möge es nie zu den beängstigenden Vorstellungen von Individuen kommen, die nur zu einem Zweck in diesem bedeutungslosen Universum herumhängen, nämlich dem, sich Gedanken zu machen, wie sie sich ein individuelles Selbst gestalten könnten. CHAOS TECHNIK Die ersten Chaostechniker waren wohl jene Hindu-Weisen, die eine Methode der Gehirn-Bedienung entwickelten, welche als Yoga bekannt geworden ist. Die Buddhisten stellten eines der besten Do-it-yourself-Bücher zur Gehirnbedienung her: „Das Tibetanische Totenbuch". Chinesische Taoisten entwickelten die Lehre von der Bewegung im Fluss der Dinge - die nicht an Ideen-Strukturen festhält, sondern sich verändert und entwickelt. Ihre Botschaft lautet: Sei gelassen, lass dich nicht erschrecken. Das Chaos ist gut, denn es schafft eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten. Die verrückte sokratische Idee des Do it yourself, welche die moderne Demokratie begründete, ist eine praktische, allgemeinverständliche Version des Hindu- Buddhistisch-Taoistischen Yogas. Und erinnerst du dich, wohin diese Verrücktheit Indien, Tibet und China brachte? Nirgendwohin! Die gefährlichste Idee ist diese närrische, megalomane Vorstellung des „WISSE!", die den leibeigenen Menschen als Denker definiert. Eine unerhörte Frechheit! Der Sklave wird ermutigt, zum Philosophen zu werden, und der Leibeigene strebt danach, Psychologe zu werden! Ein potentieller Yoga-Weiser. Diese Ketzerei führte dazu, dass spätere atheistische Evolutionsvertreter wie Linnäus und Darwin unsere Superschimpansenart als Femina (Homo) sapiens sapiens bezeichneten. DAS ÄUSSERE CHAOS Während Jahrhunderten bestand ein fanatisches Verbot für das wissenschaftliche Verstehen. Warum? Aus Furcht vor dem Chaos! Die Tatsache unserer offensichtlich unbedeutenden Stellung im intergalaktischen Tanz ist so beleidigend für die Kontroll- Freaks, die (so männlich, so emsig und so ernsthaft) versuchen, das Chaos zu verwalten, dass sie sämtliche intelligenten Versuche, hinauszuschauen und die wunderbare Komplexität zu verstehen, unter Verbot stellten. Zu einer bestimmten Zeit wurde die Verwendung bewusstseinserweiternder Geräte wie des Mikroskops und des Teleskops aus denselben Gründen kriminalisiert, wie zu anderen Zeiten psychedelische Pflanzen verboten wurden. All dies erlaubt uns nämlich, in die kleinsten und grössten Bereiche des Chaos zu spähen. Galileo Galilei kam in den Knast, und Giordano Bruno steckte man in die Vatikanische Mikrowelle, denn beide vertraten die Ansicht, dass die Sonne nicht um die Erde kreiste. Religiöse und politische Chaosphobische hingegen wünschen nichts mehr, als von einem hübschen, netten und gemütlichen Universum verhätschelt zu werden. Im letzten Jahrhundert hat die Wissenschaft technische Erweiterungen der menschlichen Wahrnehmung entwickelt, die die wahrhaft spukhafte Natur der Komplexitäten, in denen wir leben, zu beschreiben erlauben. Die übliche Vorgehensweise, um die unmögliche Komplexität, die uns umgibt, zu unterwerfen und zu domestizieren, besteht darin, ein paar Wunder vollbringende Götter (je infantiler je besser) zu erfinden und dazu einige kindische Regeln festzulegen wie etwa: Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren usw. Die Regeln sind einfach und logisch: Du gehorchst passiv, du betest, du opferst, du arbeitest, du glaubst. Die Astronomie beschreibt ein Universum von fantastischer Vielfalt: hundert Milliarden winziger Sternensysteme in unserer kleinen Galaxis, hundert Milliarden Galaxien in unserem jugendlichen Universum. DAS INNERE CHAOS Während der letzten jahrzehnte des 20. Jh.s begannen Wissenschaftler, die Komplexität im Inneren des menschlichen Gehirns zu untersuchen. Reden wir über das Chaos! Es zeigt sich nun, dass das Gehirn ein galaktisches Netzwerk, bestehend aus hundert Milliarden Neuronen, ist. Jedes Neuron stellt ein Informationssystem mit der Komplexität eines Mainframe-Computers dar. Jedes Neuron ist mit zehntausend anderen Neuronen verbunden, jeder Mensch ist mit einem komplexen, neuralen Universum ausgerüstet, das unserem alphanumerischen Geist unermesslich erscheint. Diese Gehirnstärke ist einerseits das erniedrigendste Indiz für unsere Ignoranz und andererseits der spannendste Hinweis auf eine uns mögliche „Göttlichkeit" - falls wir zu lernen begännen, wie wir mit unserem Gehirn umzugehen haben. HUMANISMUS - DER STEUERBARE SPIELPLAN Die Chaostheorie erlaubt uns, unsere Anteilnahme zu erkennen: das Verstehen, die Freude und das Feiern der köstlichen Natur des ganzen Universums - mit eingeschlossen die total verrückten Widersprüche in unseren Gehirnen. Die Aktivierung der sogenannten rechten Gehirnhälfte bringt eines der letzten Tabus über das Verstehen des Chaos zum Verschwinden und verschafft uns eine anwendbare wissenschaftliche Grundlage für eine humanistische Philosophie, die uns dazu ermutigen kann, uns mit anderen zusammenzutun, um unsere eigenen, persönlichen Versionen des Chaos zu entwerfen. Galileo Galilei Kam in den Knast, und Giordano Bruno steckte man in die Vatikanische Mikrowelle, denn beide vertraten die Ansicht, dass die Sonne nicht um die Erde kreiste. Religiöse und politische Chaosphobische hingegen wünschen nichts mehr, als von einem hübschen, netten und gemütlichen Universum verhätschelt zu werden. Dieses Buch vereint, wie ihr sehen werdet, ein Jahrzehnt des Schreibens. Wenn ich nun dieses ehemals verbale Durcheinander betrachte, das von Michael, Vicky, Carolyn, Sebastian, Aidan, Ginger und Judy so elegant zusammengestellt wurde, dann verspüre ich diesen speziellen, angenehmen Schwindel, der von uns Chaossüchtigen so gepriesen wird. Während der letzten paar Monate bedrückte mich die überall herrschende extreme Komplexität. Wir wissen weder wer, warum, wo, was oder wann wir sind. Wie furchtbar! Wir sind unwissende, entfremdete Agenten auf einer Mission ohne Anweisungen. Meine aufgeregte Bestürzung über das grosse Durcheinander (Chaos) entspricht natürlich den drei Symptomen der Senilität, die ich fleissig entwickelt habe: 1. Der Verlust des Kurzzeit-Gedächtnisses bedeutet, dass man gerade das vergisst, was geschieht, und auch, warum man hier ist. 2. Gewinn an Langzeit-Gedächtnis, der einem den doppelsinnigen Ausblick auf die Errungenschaften erschliesst, die unseren Kulturen zu den verdrehtesten Lösungen für das Geheimnis verhalfen. 3. Dieses Buch handelt von einem Neuentwurf des Chaos und vom Gestalten unserer persönlichen Unordnung auf Bildschirmen, mit kybernetischen Werkzeugen, aus der Perspektive der Gegenkultur, mit Erkenntnis-Chemikalien (Chaos-Drogen) während wir uns an Kyberotik entzücken, als Guerilla-Künstler die entseelten Alternativen erkunden, während wir auf den Wellen jahrtausendealter Verrücktheit surfen, um die wundervoll wilden Unmöglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten des kommenden Jahrhunderts zu erhaschen. Geniess es! Es gehört uns, damit wir damit spielen! Gezeichnet in Liebe Timothy Leary BILDSCHIRME Wie ich zum Amphibium wurde 1980 wurde die Bildschirmpersönlichkeit Ronald Reagan Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Zur selben Zeit wurde das Fernsehbild eines persischen Mullahs, Führer einer überaus reizbaren fundamentalistischen Sekte, zum Mittelpunkt der islamischen Welt. Im selben Jahr zeigten Untersuchungen, dass der durchschnittliche Amerikaner sich während mehr als vier Stunden pro Tag von den künstlichen Wirklichkeiten und aufbereiteten Nachrichten-Dramen des Fernsehens neuro-narkotisieren lässt. - Das ist mehr Zeit, als für jede andere Aktivität während der Wachzeit. Damals bemerkte ich auch an mir nach und nach eine beinahe unmerkliche Wandlung in eine amphibische Form (das Wort „amphibisch" kommt vom griechischen und setzt sich aus amphi (doppell und bios (Leben) zusammen). Ich begann damit, während etwa vier Stunden pro Tag Bilder für meinen eigenen Bildschirm zu produzieren, dafür Drehbücher zu schreiben und sie schliesslich wie ein Regisseur umzusetzen. Ein Teil dieser digitalisierten Worte und Bilder waren meine eigenen. Einige waren auf Disketten kodiert abgespeichert, und wieder andere wurden mir von Freunden und Kollegen beinahe mit Lichtgeschwindigkeit per Modem übermittelt. Auf diese Weise lernte ich, meine digitalisierten Gedanken in Dateien zu erfassen, diese zu organisieren, zu überarbeiten, zu speichern, zu archivieren, wiederzufinden und, geformt in Worte und Bilder, zu übermitteln. Dieses Üben im Übersetzen von Gedanken in digitale Codes und Bilder auf dem Bildschirm hat mir geholfen zu verstehen, wie mein Gehirn arbeitet, wie sich das Universum, ausgedrückt in den Informationsalgorithmen, entwickelt. Ausserdem lernte ich auf äusserst praktische Weise: 1. Wie wir die Diktatur des Fernsehens vermeiden können. 2. Wie wir die Cyberscreen (kybernetische Bildschirm)-Politik der Zukunft demokratisieren können. Meine Erfahrungen sind weder besonders originell noch einzigartig, doch sie scheinen Teil einer grossen kulturellen Umwälzung zu sein. Wie Millionen andere bin ich dahin gelangt, mich drüben, im Cyberspace, im Bildröhrenland, genauso ungezwungen zu verhalten, wie ich es im begrenzten Terrarium der materiellen Welt tue. Mein oder dein Gehirn braucht dabei nur, ausgerüstet mit Cyberbekleidung, schwimmend und sich treiben lassend, durch die Ozeane elektronischer Daten zu steuern. Natürlich sind wir entschuldigt, wenn uns all dies verwirrt. Organismen, die sich im Zustand der Umwandlung befinden, sind dazu gezwungen, die Metaphern des vergangenen Zustandes zur Beschreibung des zukünftigen zu verwenden - ein offensichtlich riskantes Unternehmen. Nie bringen die mich mit diesem Ding in die Luft, sagte die Raupe zum Schmetterling. Nun, lasst mich ein paar aufrüttelnde Allegorien entwerfen. VON DER WASSERWELT ÜBER DIE LANDWELT ZUM CYPERSPACE In unseren frühen Lebensformen, existierten wir unter Wasser. Beschränkt auf die Wasserwelt konnten wir nur durch die Wasseroberfläche auftauchen, um eine andere, weite Welt darüber zu spüren. Im Devon, vor 400 Millionen Jahren, begannen wir jene Technik zu entwickeln, die es brauchte, um den Strand zu erobern. Die damals modernste Terraware lässt sich etwa so beschreiben: Hautenge trockene Anzüge, die es einem erlauben, sich frei in der Landwelt zu bewegen. So wurden wir zu Amphibien, fähig in beiden Welten, im Wasser und auf dem Land, zu leben.