Susanne Krüger Brasilien zwischen Multikulturalismus und Transkulturalität Mestiçagem als transkultureller Sonderweg Brasilien zwischen Multikulturalismus und Transkulturalität Susanne Krüger Brasilien zwischen Multikulturalismus und Transkulturalität Mestiçagem als transkultureller Sonderweg Susanne Krüger Regensburg, Bayern, Deutschland Diese Arbeit wurde im Jahr 2020 von der Fakultät für Philosophie, Kunst-, Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften der Universität Regensburg als Dissertation ange- nommen. ISBN 978-3-658-30849-0 ISBN 978-3-658-30850-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30850-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. 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Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Für Maria Anna Ida Danksagung An erster Stelle möchte ich mich bei meinem Betreuer und langjährigen Mentor Prof. Dr. Karlfriedrich Herb bedanken. Der Dank gilt ihm, weil er sowohl diesem Promotionsprojekt als auch meiner persönlichen Entwicklung buchstäblich beim „Wachsen“ geholfen hat. Und dies auf eine sehr weitsichtige, vertrauensvolle und wohlwollende Art und Weise. Der offene und interessierte Blick auf Brasilien wäre mir ohne ihn verwehrt geblieben. Gerade bei diesem letzten Punkt spielt auch Prof. Dr. Gerson Brea für mich eine entscheidende Rolle. Seine Leidenschaft für die Wissenschaft, sein unermüd- liches Engagement sowie seine herzliche Hilfsbereitschaft haben das Dis- sertationsprojekt zu wundervollen 5 Jahren werden lassen. Der Dank für Input und Kritik muss aber unbedingt auch an die Professoren und Professorin des Bayerischen Promotionskollegs Politische Theorie und die promovierenden Mitstreiter gehen. Von Herzen aber in tiefer Trauer bedanke ich mich besonders bei Prof. Dr. Clemens Kauffmann. Sein wissenschaftliches Erbe wirkt nach und trotz des Schmerzes über seinen Verlust wollen wir ihn als Mensch tief in unseren Herzen weitertragen. Unendliche Dankbarkeit gilt meinen Eltern Marianne und Klaus, die mit bedingungslosem Vertrauen jeden Schritt in meinem Leben ermöglicht und unter- stützt haben. Ebenso danke ich für die Unterstützung und Liebe meines Ehe- manns Witold und unserer wundervollen Tochter Anna. Auch die Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls für Politische Philosophie an der Universität Regensburg waren eine entscheidende Stütze. Besonders Cornelia Besand durch ihre gutmütige und aufopfernde Art sowie Dr. Martin Lang durch unsere bizarre, lebhafte und doch tief verbundene Freundschaft. Zuletzt gilt auch der Dank an die vielen vermeintlich unsichtbaren Stimmen, die aber im Hintergrund den langen Atem erst ermöglichten. VII Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................. 1 1 Kontext Brasilien ........................................ 1 2 Kontext Kulturkonzept .................................... 5 3 Kontext Politische Philosophie .............................. 8 4 Design der Arbeit ........................................ 10 2 Brasiliens Weg von der Rasse zur Kultur: Ein Kulturverständnis ...................................... 25 1 Definition und Einordnung ................................. 25 2 Begriffshistorie und Umfeld ................................ 33 3 Kulturbegriff ............................................ 43 4 Position Gilberto Freyres .................................. 54 5 Kritik .................................................. 57 3 Kugel vs. Netz: Zwei philosophische Kulturbegriffe .............. 63 1 Johann G. Herder: Die Dialektik von Einzelkultur und Gesamtmenschheit ....................................... 63 1.1 Mannigfaltigkeit als kulturanthropologische Grundannahme ...................................... 66 1.2 Herders ganzheitliches Geschichts- und Gesellschaftsbild .... 70 1.3 Philosophische Antinomie: Universalismus vs. kultureller Eigenwert .......................................... 77 1.4 Mestiçagem im Sinne Herders .......................... 84 2 Ludwig Wittgenstein: Das Netz aus Ähnlichkeiten .............. 85 2.1 Anthropologie des zeremoniellen Tieres: Wittgensteins Sprachphilosophie ................................... 87 2.2 Praxisorientierung: Kultur als Lebensform ................ 92 IX X Inhaltsverzeichnis 2.3 Zerfranste Ränder, offene Grenzen: Netz der Familienähnlichkeiten ................................ 98 2.4 Mestiçagem im Sinne Wittgensteins ..................... 104 2.5 Zusammenfassung ................................... 106 3 Universalismus als gemeinsamer Gegner? ..................... 110 3.1 Abgrenzung von Universalismus und Relativismus ......... 110 3.2 Herder als Universalist, der er nie sein wollte? ............. 115 3.3 Wittgenstein als hoffnungsloser Relativist? ................ 116 4 Zuordnung vs. Verwendung: Die Konzeptionen von Kultur ....... 119 1 Kulturelle Identität als horizontales Mosaik: Der Multikulturalismus ....................................... 122 1.1 Vorbedingungen ..................................... 122 1.2 Definition und Eingrenzung ............................ 127 1.2.1 Hinführung .................................. 127 1.2.2 Multikulturalismus als Theorie ................... 128 1.2.3 Multikulturalismus als politisches Programm ....... 130 1.3 Diskussionshistorie .................................. 132 1.4 Kulturbegriff ....................................... 139 1.4.1 Kultur und Differenz ........................... 139 1.4.2 Kultur und Rasse .............................. 143 1.4.3 Kultur und Herder ............................. 145 1.5 Mestiçagem und der totalitätsorientierte Kulturbegriff ....... 150 1.6 Strömungen und Positionen ............................ 154 1.6.1 Der liberale Multikulturalismus .................. 156 1.6.2 Die Politik der Anerkennung als Antwort ........... 164 1.7 Kritik ............................................. 174 1.8 Alternativmodelle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2 Kulturelle Identität als subjektinternes Mosaik: Die Transkulturalität ......................................... 181 2.1 Situation der Moderne ................................ 183 2.2 Kennzeichen und Merkmale ........................... 186 2.3 Begriffsgeschichte ................................... 193 2.4 Kulturbegriff ....................................... 207 2.4.1 Kultur ohne statische Bedingungen ............... 207 2.4.2 Kultur ohne kulturellen Rassismus ................ 210 2.4.3 Kultur ohne Herder ............................ 216 Inhaltsverzeichnis XI 2.5 Mestiçagem und der transkulturelle Kulturbegriff ........... 220 2.6 Gegenposition als Selbstverständnis ..................... 225 2.6.1 Transkulturalität als Gegensatz zu Multikulturalismus ............................. 225 2.6.2 Transkulturalität in der Universalismusdebatte ....... 228 2.7 Kritik ............................................. 232 2.8 Mestiçagem und Transkulturalität unter dem Deckmantel der Rasse? ......................................... 238 5 Fazit ..................................................... 241 Bibliographie ................................................. 255 1 Einleitung 1 Kontext Brasilien Como efeito, todo momento parece propício para colocar esse tipo de tema [da identidade national] em questão: planos de governo, mudanças de regime, partidas de futebol (sobretudo quando ganhamos). É como se a cada momento os brasileiros se perguntassem sobre “Que país é esse?” ou o que faz do “Brazil, Brasil”. (Schwarcz 2000b: 109) Mit diesem Zitat spricht die brasilianische Anthropologin Liliana Schwarcz ein Gefühl an, das weit mehr ist als nur ein Stereotyp. Das Hinterfragen der eigenen Identität scheint ein Teil der brasilianischen Selbstwahrnehmung zu sein. Nicht zufällig greifen in den 1990er Jahren Autoren wie Darcy Ribeiro und Roberto DaMatta mit ihren Standardwerken O Povo Brasileiro. A formação e o sentido do Brasil (1995) und O que faz o brasil, Brasil? (1997) die Frage nach kolonialer Vergangenheit und moderner Identität auf. Im Laufe des 20. Jahrhunderts kristallisierte sich ein Kulturverständnis heraus, das bewusst die Trennschärfe zwischen Eigenem und Fremden verwischt und versucht, die unterschiedlichen Einflüsse in der brasilianischen Gesellschaft zu einem harmonischen großen Ganzen zusammenzuführen. Der Ethnologe Arthur Ramos aus Bahia fasste dies bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts folgendermaßen zusammen: Acho que somos felizes porque o nosso destino é brando nossa natureza não tem vulcões, nossa história é uma página aberta de tolerância. A nossa cultura é, portanto, uma cultura ‘apolínea’, a nossa filosofia humanística, de uma cordialidade singular. (Ramos 1944: 74) © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch 1 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 S. Krüger, Brasilien zwischen Multikulturalismus und Transkulturalität, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30850-6_1