BLÄTTER FÜR GESCHICHTE DER TECHNIK ÖSTERREICHISCHES FORSCHUNGSINSTITUT FÜR GESCHICHTE DER TECHNIK IN WIEN BLÄTTER FÜR GESCHICHTE DER TECHNIK FÜNFTES HEFT SCHRIFTLEITUNG: 0. Ö. PROF. DR. K. HOLEY MIT 92 ABBILDUNGEN SPRINGER-VERLAG WIEN GMBH 1938 ISBN 978-3-7091-2348-5 ISBN 978-3-7091-2366-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-7091-2366-9 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Atelier Setzer, n·un DR. ING. E. H. LUDWIG ERHARD Seiner tiefen Einsicht in das Wesen der technischen Entwicklung verdanken wir die klare Anschaulichkeit der Sammlungen des Technischen Museums für Industrie und Gewerbe in Wien und sein forschender Geist schuf das Forschungsinstitut für Geschichte der Technik. Zu seinem 75· Geburtstag sind ihm die vor liegenden Beiträge zur Technikgeschichte in dank barer Verehrung von seinen Freunden gewidmet. Der Arbeitsausschuß des Forschungsinstitutes für Geschichte der Technik Hochverehrter Herr Hofrat! Es ist mir sehr schmerzlich, daß mich eine Fülle drängender Verpflichtungen hindert, mich zur Feier der Vollendung Ihres fünfundsiebzigsten Lebensjahres mit einer wissenschaftlichen Gabe als Gratulant einzustellen. Wie ich Sie kenne, werden Sie auch ein bescheidenes Wort der Huldigung und Verehrung, die ich für Sie empfinde, mit Ihrer gewohnten Güte aufnehmen, um so mehr, da ich in Ihrem Fall im Namen der deutschen Geschichtswissenschaft Österreichs sprechen darf. Ich sehe in Ihrer Person die ideale Verkörperung jenes Zusammenklanges der technischen Wissenschaften und der Geschichtswissenschaft, der dem Techniker nicht minder wie dem Historiker am Herzen liegen sollte; ich sehe in Ihnen in hohem Maße jene große Einheit aller Wissenschaft verwirklicht, die dem Wesen unserer geistigen Kultur eigen ist und die zum Nachteil der Einzelwissenschaften allzulange außer acht gelassen wurde und auch heute noch oft außer acht gelassen wird. Sie selbst, der Schöpfer des Österreichischen Forschungsinstituts für Geschichte der Technik, haben in Ihrem gedankenreichen Aufsatz im ersten Heft der Blätter für Geschichte der Technik über die Entwicklung der Technik und die technische und historische Denkweise geistvolle Ausführungen niedergelegt. Auch die Geschichtswissenschaft, die sich anderen Zweigen menschlicher und nationaler Entwicklung zuwendet, begrüßt dankbar die innige Verbundenheit, in der sie mit Ihrem Lebenswerk, mit Ihrer Schöpferkraft steht. Mögen dem vornehmen Menschen und bedeutenden Kulturhistoriker LunwiG ERHARD viele Jahre ungetrübten Glücks und wertvollster Arbeit beschieden sein! Das ist der von Herzen kommende Wunsch der deutschen Geschichtsschreiber im Lande Österreich, wie es gewiß auch der Wunsch der Historiker im ganzen großdeutschen Reich und darüber hinaus ist. In unverbrüchlicher Ver ehrung Ihr Heinrich Ritter von Srbik. Technische Kulturdenkmale als Quellen zur Geschichte der Technik. Von Prof. Dr. phil. h. c. Dr.-Ing. E. h. Conrad Matschoß VDI, Berlin. Die Geschichte als Wissenschaft, die uns Kunde von dem Geschehen gibt, gehört zu den ältesten Wissenschaften, denn immer haben sich die Kulturvölker für ihre Vergangenheit interessiert und immer fanden sich Männer, die die Geschichte ihres Volkes oder bestimmte Abschnitte daraus, so gut sie es vermochten, darzustellen versuchten. Nur primitive Völker haben keinen ausgeprägten Sinn für den Ablauf ihres Geschehens, für ihre Geschichte. WILHELM VON HUMBOLDT hat si~h einmal über die Aufgabe des Geschichts schreibers geäußert; darnach ist seine "Aufgabe die Darstellung des Geschehenen. Je reiner und vollständiger ihm diese gelingt, desto vollkommener hat er jene gelöst. Die einfache Darstellung ist zugleich die erste, unerläßliche Forderung seines Geschäfts und das Höchste, was er zu leisten vermag. Von dieser Seite betrachtet, scheint er nurauffassendund wiedergebend, nicht selbsttätig und schöpferisch. Das Geschehene aber ist nur zum Teil in der Sinnenwelt sichtbar, das übrige muß hinzuempfunden, geschlossen, erraten werden." Die Bausteine des Geschichtsschreibers, die Quellen, aus denen er seine Dar stellung vom Geschehenen "rein und vollständig" formen soll, können mannigfacher Art sein; sie reichen von der mündlichen Überlieferung über die schriftlichen Quellen aus Papier, Pergament, Papyrus, Stein oder Bronze bis zu den zwar stummen, aber doch oft so deutlich sprechenden Quellen, den aus einer vergangenen Zeit zu uns überkommenen Zeugen früherer Menschengeschlechter und ihres Schaffens, seien es nun Tonscherben, die aus dem Boden gegraben wurden, oder Pyramiden, oder alte Brücken und Straßen, Waffen oder Schmuck oder ein verfallener Bergwerkstollen. Auch der Geschiehtschreiber der Technik hat es mit allen diesen Arten von Quellen zu tun; auch für ihn gilt das Wort HUMBOLDTs, daß er in den Quellen nicht alles findet, was er sucht, sondern daß das übrige hinzuempfunden, geschlossen, erraten werden muß. Viele Zeugen alter Zeiten, die früher als Quellen der allgemeinen Kulturgeschichte, der Kunstgeschichte, der Kriegsgeschichte oder der V argeschichte betrachtet wurden, sind uns heute gleichzeitig wichtige Quellen der Technik geschichte. Wenn diese Quellen heute noch erhalten sind, so dankt das die Technik geschichte den Nachbarwissenschaften, der Kunstgeschichte, Kriegsgeschichte, Vorgeschichte, die diese Gegenstände mit viel Fleiß sammelten und vor der Ver nichtung schützten, lange bevor die Techniker daran dachten, die noch bestehenden Früchte des Schaffens ihrer Berufsvorfahren richtig zu würdigen und vor dem end- Geschichte der Technik, 5. Heft. 1 2 CONRAD MATSCHOSS gültigenVerfall zu retten. So hat auch die Technik in den Museen Eingang gefunden, schon lange ehe der Begriff Technik in das Bewußtsein der Museumsleiter und der Besucher trat, so die Waffen in den Zeughäusern und zahllose andere Gegenstände, die schon in den Raritätenkabinetten der Fürsten gesammelt wurden. Technische Museen, die bewußt die Zeugnisse früherer technischer Arbeit sammeln, gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert, im deutschen Kulturgebiet sogar erst seit Beginn unseres Jahrhunderts. OsKAR VON MILLER.schuf nach den Vor bildern des Science Museum in South Kensington bei London und des Conservatoire National des Artset Metiers in Paris das Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik in München, das größte Museum seiner Art. Un abhängig davon, aber in engster Zusammenarbeit mit ihm, wurde in Wien das Technische Museum für Industrie und Gewerbe ins Leben gerufen, das heute von jedem Kenner hoch geschätzt wird und einen kulturell wertvollen Stein in der großen Krone der ausgezeichneten Museen Wiens bildet. Es liegt im Wesen der Technik, daß ihr immer nur das Neueste als wertvoll erscheint, daß das Ältere, das seinem Zweck nicht mehr voll entspricht, an Wert stark verliert. Es ist hier nicht so, wie beim reinen Kunstwerk, das mit dem Alter nicht nur nichts von seinem Wert verliert, sondern sogar noch gewinnt. Die Gefahr, daß das technische Erzeugnis von seinem Schöpfer, dem Techniker selbst, wieder vernichtet wird, wenn es seine Aufgabe erfüllt hat, um durch etwas Neues ersetzt zu werden, ist daher sehr groß. Um so mehr ist es notwendig, wenigstens einiges als technische Kulturdenkmale vor dem drohenden Untergang zu retten und der Nach welt zu erhalten. Die Museen, vor allem die technischen Museen, sind berufen, diese Quellen für die Technikgeschichte zu sammeln und vor dem Verfall zu schützen. Es kann natürlich nicht der Zweck eines technischen Museums sein, jedes Erzeugnis früheren technischen Schaffens wahl- und kritiklos zu erfassen und für alle Zeiten aufzustapeln. Es kann sich vielmehr nur darum handeln, einmal das für eine be stimmte Zeit oder Landschaft oder für ein Volk Kennzeichnende aufzubewahren, zum andern aber aus der Aufeinanderfolge der Erzeugnisse einer bestimmten Art die Entwicklungslinien aufzuzeigen. In dem nun glücklich wieder mit dem Reich verbundenen Deutschösterreich, der alten Ostmark, mit ihrer alten, hochentwickelten Kultur, bestehen neben dem Technischen Museum in Wien eine bedeutende Zahl größerer und kleinerer Museen, Heimatmuseen, die, meist landschaftlich gebunden, mehr und mehr dazu über gehen, nicht nur Gegenstände der Kunst und des Kunsthandwerks zu sammeln und zu betreuen, sondern auch den Wahrzeichen technischen Schaffens den ge bührenden Platz zu geben. Erfreulich ist es, daß manche dieser Museen, so das Heimatmuseum in Graz, den Begriff Museum, der so leicht etwas Kirchhofartiges annimmt, zu einem Heimathaus mit sehr aktiver Betätigung umgewandelt haben, wo man die schönen Erzeugnisse der Heimatkunst, die an Hand alter Originale unter der Leitung des Museums von begabten Handwerkern nachgebildet werden, käuflich erwerben kann. Nicht nur die Museen sind berufen, technische Kulturdenkmale der Nachwelt zu bewahren, oft ist es gar nicht möglich oder auch nicht erwünscht, einen an einem bestimmten Ort befindlichen Gegenstand in ein Museum zu bringen, sondern es Technische Kulturdenkmale als Quellen zur Geschichte der Technik. 3 liegt im Interesse der Sache, daß er an dem Ort, wo er entstand oder wo er in Tätig keit war, auch dann noch verbleibt, wenn er nicht mehr in Betrieb steht. Ein alter Bergbau, hoch oben im Gebirge, kann nicht in ein Museum verpflanzt werden und auch eine Windmühle oder ein Wasserrad verlieren an wahrem Wert, wenn sie in einem Museumssaal, wenn auch noch so naturgetreu aufgestellt werden. OsKAR VON MILLER hat im Jahre 1914 im .Anschluß an seine Reisen nach Skandinavien, wo er die großen Freilichtmuseen kennen lernte, die .Anregung gegeben, in Deutschland in den Ländern und Städten technische Kulturdenkmale an Ort und Stelle zu er halten, an dem Platz, wo sie immer standen, oder an einem anderen hierzu geeigneten Ort oder sie in Freilichtmuseen zu vereinen. Sein großer Plan ist leider durch den Ausbruch des Krieges damals nicht zur Ausführung gelangt und er ist auch heute noch nicht durchgeführt. Es wäre eine wundervolle Aufgabe, alle wirklichen Kultur denkmale, also auch die technischen, bodenständig zu erhalten. In Deutschösterreich bestehen dafür die gesetzlichen Grundlagen, da hier seit dem Jahre 1923 ein Denkmal schutzgesetz besteht, um das die Männer des Heimatschutzes im Altreich den kleineren Bruderstaat immer beneidet haben. Nach diesem Gesetz ist es möglich, alle Gegenstände, die von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung sind, unter gesetzlichen Schutz zu stellen, so daß sie ohne Bewilligung des staat lichen Denkmalamtes nicht vernichtet oder auch nur verändert oder von ihrem Standort entfernt werden können. Unter diesen Schutz fallen auch alle technischen Gegenstände von Bedeutung, und manche Windmühle oder Holzbrücke, manche Maschine, manches Wasserrad oder mancher Holzkohlenmeiler konnten mit Hilfe dieses Gesetzes schon gerettet werden. Leider fehlt es oft an den Mitteln, um diese Denkmale in Betrieb zu erhalten oder wieder in Betrieb zu nehmen, aber an manchen Orten gelang es auch, über diese Schwierigkeiten hinwegzukommen. Das· Wesen der technischen Kulturdenkmale ist es, nicht einzelne Teile zu er halten, nicht ein Modell nachzubauen, sondern den ganzen Gegenstand, wenn möglich betriebsfähig, zu bewahren. Nicht nur die konstruktive Anordnung, sondern auch das organische Entstehen einer solchen technischen Schöpfung wird auf diese Weise dem späteren Beschauer und Forscher klar und deutlich, worüber ihm sonst meistens keine anderen Quellen Auskunft geben könnten. In allen Kulturstaaten ist es heute selbstverständlich, Urkunden und andere Schriftstücke über staatliche und wirtschaftliche Ereignisse, Handschriften großer Männer aller Berufe, Bilder großer Meister in Archiven und Sammlungen und Büchereien zu sammeln und so lange als möglich vor der Vernichtung zu schützen. Für die Technikgeschichte ist es dringend notwendig, auch die technischen Kultur denkmale, die Schöpfungen bekannter oder unbekannter Ingenieure oder Handwerker zu erhalten. Immer ist aber dabei zu bedenken, daß es nicht darauf ankommt, mög lichst alles zu erhalten, sondern das Wesentlicheund Kennzeichnende der Nachwelt zu bewahren, getreu dem Spruch, der im Heimatmuseum in Hamburg-Altona ange bracht ist: 'S ist gut, das Alte treu zu ehren, Aber will es das Heute beschweren, Verdirb ihm die Lust, nimm ihm das Licht, Zerschlag es frisch und fürcht dich nicht. 1•