Boris Lemmer Bis(s) ins Innere des Protons Ein Science Slam durch die Welt der Elementarteilchen, der Beschleuniger und Supernerds Bis(s)insInneredesProtons Boris Lemmer Bis(s) ins Innere des Protons Ein Science Slam durch die Welt der Elementarteilchen, der Beschleuniger und Supernerds BorisLemmer II.PhysikalischesInstitut Georg-August-UniversitätGöttingen Göttingen,Deutschland [email protected] ISBN978-3-642-37713-6 ISBN978-3-642-37714-3(eBook) DOI10.1007/978-3-642-37714-3 DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbibliografie; detailliertebibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. SpringerSpektrum ©Springer-VerlagBerlinHeidelberg2014 DiesesWerkeinschließlich allerseinerTeileisturheberrechtlichgeschützt.JedeVerwertung,dienicht ausdrücklich vomUrheberrechtsgesetz zugelassenist, bedarfder vorherigenZustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungenund dieEinspeicherungundVerarbeitunginelektronischenSystemen. DieWiedergabevonGebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungenusw.indiesemWerkbe- rechtigtauchohnebesondereKennzeichnungnichtzuderAnnahme,dasssolcheNamenimSinneder Warenzeichen-undMarkenschutz-Gesetzgebungalsfreizubetrachtenwärenunddahervonjedermann benutztwerdendürften. PlanungundLektorat:Dr.VeraSpillner,AnjaGroth Einbandentwurf:deblik,Berlin Einbandabbildung:Foto:©KonradGös Korrektorat:RedaktionALUAN,Köln GedrucktaufsäurefreiemundchlorfreigebleichtemPapier. SpringerSpektrumisteineMarkevonSpringerDE.SpringerDEistTeilderFachverlagsgruppeSpringer Science+BusinessMedia www.springer-spektrum.de Vorwort „Die Lokführer streiken am Wochenende“ lese ich in der Zeitung. Was ein Lokführer macht, kann ich mir recht gut vorstellen. Und was passiert, wenn er seine Arbeit nicht macht, auch. Auf den Bahngleisen wird nichts los sein, dafür aber in den Bahnhöfen umso mehr. Vielleicht sollte ich für den Be- suchbeimeinenElterneinpaarStundenmehreinplanen.Vielleichtsollteich ihn auch ganz bleiben lassen. Es gibt aber auch Menschen mit Berufen, von denen wir im Alltag eher weniger mitbekommen. O.k., ein Wissenschaft- ler forscht. Vielleicht macht er dabei Dinge und benutzt Formeln, die man nicht so leicht versteht. Wenn zum Beispiel ein Mediziner forscht, wird er vielleichteinmal Medikamente und Therapieformenerfinden, die Menschen heilen. Das versteht man. Es gibt da aber noch so eine ganz besondere Spe- zies der Wissenschaftler: die Teilchenphysiker. Die kennt man jetzt aus dem Alltageher nicht so sehr.Teilchenphysiker sind Menschen, die nachts inden HimmelschauenunddabeiinsStaunenkommen.TausendevonSternen,und dannauchnochsovieldrumherum,dasmannichtsehenkann.Dafragensie sich:„AuswasbestehtunserUniversumeigentlich?Wiefunktioniertes?“Und das,obwohlsieselbstimVergleichdazusowinzigsind.Teilchenphysikersind Menschen, die sich morgens beimSchmieren ihres Wurstbrots auf die Hand schauenundzusichsagen:„MillionenvonZellenmitMillionenwinzigerMo- leküle,dieihreArbeiterledigen.Worausdiewohlbestehenundwas siewohl zusammenhält?“TeilchenphysikerhabenihrekindlicheNeugierdezumBeruf gemacht und gehen dabei an die Grenzen unserer Vorstellung und vielleicht noch darüber hinaus. Sie wollenan jede Frage ein „Und woraus besteht das? Und das dann wiederum?“ dranhängen. Für ihre Experimente gehen sie an dieGrenzendestechnischMachbaren.UndbeiihrerArbeitüberschreitensie jedeGrenzevonKultur,Herkunft undPolitik. Der typische Physiker ist nicht gerade eine Rampensau, die die Bühne sucht, hinaufrennt und sagt: „So, ich erzähl euch jetzt mal was über Phy- sik! Ist gar nicht schwer, könnt ihr alle verstehen! Und witzig wird’s auch!“ Noch dazu geht der typische Nicht-Physiker auch nicht gerade abends mit Freundenin einen Hörsaal, wo vorne eine Handvoll Physiker auf der Bühne stehen, um sich dann erzählen zu lassen, was die Jungs so forschen. So weit die Vorurteile. Die hatte ich auch. Doch im Februar 2011 musste ich mich VI Bis(s)insInneredesProtons eines Besseren belehren lassen. Meine Freunde leiteten mir eine Mail weiter undschriebendazu:„Machdaauchmalmit!“EsgingumeinenScienceSlam. Das isteine Veranstaltung, bei dertatsächlich eine Handvoll junger Forscher auf die Bühne geht und die Jungs dann in zehn Minuten auf unterhaltsame und verständliche Weise erzählen, was sie so forschen. Im Publikum sitzen ganz normaleMenschen, jung und alt. Und die wollenetwas lernenund da- beilachen.Tunsieauch.ZusolchenScienceSlamskommensogarüber1000 Menschen, trinken Bier und haben Spaß. Und am Ende darf das Publikum danneinenSiegerbestimmen, derdenschönsten Vortraggehaltenhat. Dazu gibt’s dann noch einen symbolischen Preis. In Münster ist das z.B. ein Plas- tikhirnimEinmachglas.Zugegeben,ichfanddasKonzeptdesScienceSlams an sich schön und interessant. Aber selbst auf die Bühne gehen? Nee, nee. Zum Glück blieben meine Freunde und Kollegen hart und haben mich da- zu gedrängt, selbst mitzumachen. Am 2. Februar 2011 stand ich dann zum ersten Mal auf der Bühne, beim Science Slam der IdeenExpo in Hannover. Boah,warichnervös. Ich sprachzehnMinuten überTeilchenphysikund die Mengehatgetobt.Totalirre.IndenVortraghatteichvielArbeitgestecktund mich gefragt: „Was ist denn besonders spannend?“ Und eigentlich habe ich versucht, alldas,was indiesemBuchsteht, inzehn Minutenzuerklären. Als TitelbrauchteicheinenWortwitz,ambesteninVerbindungmiteinemFilm, denjederkennt.Kommtimmergut.UndsokamesdannzuElementarteilchen – Bis(s)insInneredesProtons.DennimProton,dapassiertsoeiniges.Und es ist verrückt, total verrückt. Daher werden wir in diesem Buch auch mal tief insProtonreinbeißenundbisinseinInnerestes schauen–undnochweiter! Zugegeben,TeilchenphysikersitzenauchnichtunbedingtbeiStefanRaab oder Günther Jauch auf dem Sofa und plaudern munter drauf los, was sie so tun: Wie sie rausfinden, woraus wir gemacht sind. Wie sie 27km lange Tunnel graben, eine gigantische Maschine hineinbauen, Teilchen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und zur Kollision bringen. Wie sie da- beiausdemNichtspureEnergieinMaterieumwandeln,vonderzuvornoch keinMenschwusste,dasssieexistiert.WiesieMaschinenentwickeln,dievon diesen Kollisionen Fotos machen müssen, und zwar 40 Millionen Mal pro Sekunde. Wie sie mit 3000 Kollegenaus allen Ecken der Weltan einem Ex- perimentarbeiten,amTag,inderNachtundamWochenende.Ohnebezahlte Überstunden,getriebennurvonihrerNeugierde.Undwiesiedabeiganzbei- läufigDingewiedasWorldWideWebentwickeln undandenRestderWelt völligselbstverständlichweitergeben,auchohneBezahlung. Wer jetzt denkt, dass solche Leute durchaus mal bei Raab oder Jauch auf dem Sofa sitzen könnten und dass er selbst gerne mehr davon hören würde, den lade ich herzlich ein, weiterzulesen. Wer jetzt denkt, dass all die Sachen, die Teilchenphysiker machen, unverständlich sind und man sowieso nichts Vorwort VII verstehen werde, den lade ich ebenso herzlich ein, weiterzulesen. Denn auch die kompliziertesten Dinge lassen sich immer durch praktische Beispiele aus demAlltagdarstellen:dieGrundlagederKernfusionbeispielsweisedurchzwei ÄffchenaufSkateboards,diesicheinenMedizinballzuwerfen.Also:Bereitfür eineReisedurchdieWeltderElementarteilchen?Bereit,selbsteinExpertezu werden?Dannmallos! Hier rasch noch ein paarnützliche Informationen: An einigenStellen des Buches befinden sich Links zu Websites und Videos, die einige Dinge an- schaulich erklären. So kann man zum Beispiel ein Stück eines Teilchenbe- schleunigers am CERN direkt anschauen, nachdem man gelernt hat, wie er funktioniert.FürsolcheLinkswerdensogenannteQR-Codesverwendet.Man kannsiemitdemHandyundeinementsprechendenProgrammscannenund direktzum Link gelangen. Alternativ sind aber auch noch mal alle Links auf folgenderSeitegesammelt:http://buchlinks.borislemmer.de Während die Links Dinge oft besonders anschaulich darstellen, gibt es manchmal Erklärungen, die etwas in die Tiefe und ins Abstrakte gehen. Da brauchtmandannauchschonmal echte Formeln.SolcheAbschnitte sindin den„Schlauboxen“ untergebracht. Man erkennt sie leicht und muss sie auch nicht unbedingt lesen, um zu verstehen, wie es weitergeht. Aber alle Interes- siertensindherzlicheingeladen,einenBlickdaraufzuwerfen. MeinherzlicherDankgiltandieserStellealldenMenschen,diemirbeider Entstehung des Buches behilflich waren. Anja Groth und Vera Spillner von Springer Spektrum danke ich für die hervorragende Zusammenarbeit. Bes- tenDankauchanalldiefreundlichenBild-Spender,dieunterdenjeweiligen Abbildung erwähnt werden. Sie halfen, dieses Buch so lebendig zu machen. Insbesonderedanken möchte ichichDana Burghardt, CERN,Matthias Ge- orge,JohnJowett,AndreaKnue,AlexanderWastlsowiedenFoto-ModelsLisa Brück,JuliaGeller,LindaPfaffundJoanaSchulze. Inhaltsverzeichnis 1 KindlicherSpieltrieb:MotivationundLebenderTeilchenphysiker . . . . . . 1 1.1 Jederzeit,überallundinternational:einMeeting . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 Teamwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.3 ÜberallaufderWeltzuHause . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.4 CERN–einDorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2 Zutaten:dieWelt,zerlegtinEinzelteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 KuhgasundWurstatom:dieFrage,wasElementarteilchen vonAtomenunterscheidet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Kleinundgeladen:dasElektron . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.3 MurmelspielundRosinenkuchen:dasheitereRatespiel umdieStrukturderAtome. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.4 NeutralerKollege:dasNeutronalsweitereZutat. . . . . . . . . . . . . . 27 2.5 MitderNadelindieKnetkugel:dieStrukturderAtome . . . . . . . . . 34 2.6 MaterieausEnergiedankEDmc2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.7 Antimaterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.8 Leih dir was, solange niemand zuschaut: die Heisenbergsche Unschärferelation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.9 EinunsichtbarerneuerFreund:dasNeutrino. . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.10 WahreAlleskönner:dievierGrundkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2.11 Sagen,wasnieverlorengeht:Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . 86 2.12 BastelkastenfürTeilchenphysiker:Feynman-Diagramme . . . . . . . . 92 2.13 KernfusionzumMitmachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3 BauplanfüreinUniversum–oderwasPhysikeramLHCuntersuchen . . . 97 3.1 EinseltsamerneuerFreund:dasStrange-Quark. . . . . . . . . . . . . . . 98 3.2 EinvollerBastelkasten:dasStandardmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.3 GottundseineWürfel:Wirkungsquerschnitte. . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.4 Kaputteszusammenbauen:Teilchenrekonstruktion . . . . . . . . . . . . 115 3.5 EvolutiondesUniversumsnachdemUrknall . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3.6 Wo’simWeltbildnochklemmt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 3.7 Problemelösen,Teilchenbesorgen!. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 X Bis(s)insInneredesProtons 4 AufdemProtonen-Highway:mehrüberTeilchenbeschleuniger . . . . . . . . 145 4.1 WiesoTeilchenbeschleunigen?–KollisionenundhoheDichte . . . . 146 4.2 TeilchenaufZackbringen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4.3 DasPferdunddasLasso:starkeMagnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4.4 DenStrahlbändigen:Protonenoptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 4.5 DasvolleProgramm:einBeschleunigungszyklus . . . . . . . . . . . . . . 171 4.6 WenschickenwirambestenaufdieReise?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5 AugenfürsUnsichtbare:mehrüberTeilchendetektoren . . . . . . . . . . . . . 195 5.1 DetektoralsKamera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 5.2 Spurenhinterlassen,wennauchwinzigkleine. . . . . . . . . . . . . . . . 197 5.3 DasDingmitderÜberlichtgeschwindigkeit:Cherenkov-Detektoren. 205 5.4 Stopp,Teilchen!–Kalorimeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5.5 WirbaueneinenDetektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 5.6 KonkurrentenmitgleichemZiel:ATLASundCMS . . . . . . . . . . . . . 226 5.7 Unsichtbaressichtbarmachen:Transversalimpulserhaltung. . . . . . . 228 5.8 Schnell,nimmdas!–DerTrigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 5.9 EineNachtaufSchicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 6 Lernen,wiedieWeltfunktioniert:mehrüberDatenanalyse . . . . . . . . . . 237 6.1 UnserePuzzlestücke:ObjekteimDetektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 6.2 Schauen,wasloswar:SelektionundRekonstruktion . . . . . . . . . . . 244 6.3 Monte-Carlo-Simulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 6.4 Wievieldarf’sdennsein?–AnsprücheandieEDV. . . . . . . . . . . . . 253 6.5 Wasmansoallesmessenkann:Analysebeispiele . . . . . . . . . . . . . . 256 6.6 MitPechgemessen:Überlichtgeschwindigkeit,diekeinewar . . . . . 267 7 TeilchenphysikimAlltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 7.1 CERN,GeburtsortdesWorldWideWeb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 7.2 TeilchenfüreinengutenZweck:Strahlentherapie . . . . . . . . . . . . . 275 7.3 Gehtdanochwas? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 8 Undweitergeht‘s!–Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 1 Kindlicher Spieltrieb: Motivation und Leben der Teilchenphysiker ©BorisLemmer In meinem Alter falle ich ja nicht mehr auf Tricks rein. Vor allem nicht als Physiker. Jeder von uns kennt es: das Süßigkeitenregal im Supermarktdirekt vor der Kasse. Als kleine Belohnung für den anstrengenden Einkauf soll ich mir etwas gönnen. So hätte der Supermarkt das vielleicht gerne. Aber nein, nicht mit mir. Brauche ich nämlich gar nicht. Dann aber fällt mein Blick auf etwas, was mich ergreift. Gerade als Physiker. Es weckt meine innersten Instinkte. Ichmusseseinfachkaufen. Es ist ein Überraschungsei. Es ist ja so viel mehr als nur eine in Eiform gepressteSchokolade.Es enthält einGeheimnis inseinemInneren. „Na,was meinstduwohl,wasinmirdrinist?“,scheintesmirzuzurufen.UnddasGe- B.Lemmer,Bis(s)insInneredesProtons,DOI10.1007/978-3-642-37714-3_1, ©Springer-VerlagBerlinHeidelberg2014