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Bis ans Ende der Welt PDF

173 Pages·2011·1.96 MB·German
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ISBN 978-3-649-60995-7 (eBook) eBook © 2011 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG, Münster Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise ISBN 978-3-8157-2302-9 (Buch) © 2011 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG, Münster Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise Lektorat: Nicola Dröge Satz: Sabine Conrad, Rosbach www.coppenrath.de Als Oskar an diesem Morgen die Augen aufschlug, malte ein Sonnenstrahl ein helles Karo auf seine Bettdecke. Mitten darin lag eine kleine rote Schachtel mit einer gelben Schleife drumherum. Verdutzt setzte Oskar sich auf. Hatte er etwa Geburtstag? »Die Schachtel ist von Mathilda!«, ertönte Henriette Habermicks Stimme aus der Wohnküche. Oskar zuckte zusammen. Er würde wohl nie dahinterkommen, woran seine Mutter es merkte, dass er aufgewacht war. Offenbar konnte sie durch Wände schauen. Oder sie hatte Ohren wie ein Luchs und hörte an der Art, wie seine Bettdecke raschelte, ob er sie zurückschlug oder sich nur im Schlaf wälzte. »Sie hat sie vor einer Viertelstunde gebracht, in der Hoffnung, dass du vielleicht schon wach wärst.« »Hm«, machte Oskar. Er hatte irgendwelchen komischen Murks geträumt, von Toiletten, die mit Unmengen von Klopapier verstopft waren, und fühlte sich noch immer ein wenig benommen. Außerdem hatte er einen Druck auf der Blase, dass es schon nicht mehr feierlich war. Hastig schob er die Schachtel ans Fußende, schlüpfte aus dem Bett und sprintete an seiner Mutter vorbei ins Bad. »Wie spät ist es denn?« »Viertel nach neun!«, rief Henriette Habermick. Das waren drei mal fünf Minuten nach neun geteilt durch drei gleich drei, überschlug Oskar blitzschnell, während er auf der Kloschüssel hockte. Eine gute Zeit für ihn, um aufzustehen. Punkt neun wäre allerdings noch einen Tick besser gewesen! Die kleine Rechenaufgabe hatte ihm gutgetan und das Entleeren der Blase ebenfalls. Nun war Oskar putzmunter, und ihm war inzwischen natürlich längst klar geworden, dass er heute keinen Geburtstag hatte. Mit der kleinen roten Schachtel musste es also etwas anderes auf sich haben. Oskar überlegte, ob er sie jetzt gleich öffnen oder sich erst mal die Zähne putzen sollte. »Sie hat gesagt, dass sie auf dich wartet«, rief Henriette Habermick. »Du wüsstest schon, wo.« Oskar richtete seinen Blick zur Decke und grinste. – Und wie er das wusste! Mathilda befand sich in diesem Augenblick nämlich ziemlich genau über ihm auf dem Dachboden des Gartenhäuschens, wo sie sich hinter einer stinkenden Wolldecke ein Geheimquartier eingerichtet hatte. Oskar spürte eine leichte Ungeduld in sich aufsteigen. Er seufzte leise und beschloss, mit den lästigen Dingen zu beginnen. Dazu gehörten: dreimal drei Ladungen eiskaltes Wasser ins Gesicht spritzen, drei Minuten Zähne putzen und Klamotten anziehen, in denen insgesamt drei Farben vorkamen. Heute waren es Grün, Jeansblau und ein leuchtendes Rot, das in Form eines schmalen Ringels den Rand seiner grasgrünen Socken schmückte. »Es ist doch viel zu warm für Strümpfe«, sagte seine Mutter, als er an ihr vorbei ins Schlafzimmer zurücklief. »Wir haben jetzt schon dreiundzwanzig Grad im Schatten.« Oskar fand nicht, dass es zu warm war. Er besaß tolle blaue Turnschuhe mit roten Schnürsenkeln, die das T-Shirt, die Jeans und die Socken perfekt ergänzten. Die Socken konnte er später immer noch ausziehen, ohne dadurch etwas an der Anzahl der Farben zu ändern. Er band sich die Schuhe zu, angelte die rote Schachtel von der Decke und hockte sich auf die Bettkante. »Was ist es denn?«, wollte Henriette Habermick wissen. »Keine Ahnung«, murmelte Oskar. Behutsam zog er das gelbe Schleifenband auf, rollte es über drei Fingern zusammen und legte es zur Seite. Bestimmt konnte seine Mutter es noch einmal verwenden. Dann hob er den Deckel ab und stutzte. Als wäre es ein besonders kostbares Kleinod, lag auf einem dicken, nach Veilchen duftenden Wattebausch ein einzelnes Rad, das Mathilda offensichtlich von einem Spielzeugauto abmontiert hatte. Vorsichtig nahm Oskar es heraus, drehte es hin und her und betrachtete es von allen Seiten. Mathilda war Oskars beste Freundin. Sie wusste genau, wie viel ihm an der Drei lag. Eine Zeit lang hatte Oskar sogar zusätzlich zu den Schuhen, in denen seine beiden Füße steckten, noch einen einzelnen Gummistiefel mit sich herumgetragen, weil er davon überzeugt gewesen war, dass ihm das irgendwie Glück brachte. Ein einzelnes Rad konnte also nur eines bedeuten: An irgendeiner anderen Stelle mussten noch zwei weitere davon sein! – Vielleicht ja bei Mathilda im Geheimquartier. Oskar legte das Rad in die Schachtel zurück. Als er sie wieder schließen wollte, bemerkte er, dass Mathilda etwas auf die Innenseite des Deckels gekritzelt hatte. Feierlich frage ich Dich, Oskar Habermick: Bist Du bereit? Wenn nein, dann lege die Schachtel zu Deinen Habseligkeiten und wir verschieben das Ganze auf später. Wenn ja, dann mach hinne und sieh zu, dass Du zu unserem Treffpunkt kommst. Aber ich warne Dich, Oskar: Diese Entscheidung ist unumkehrbar. Es gibt kein Zurück. Oskars Herz fing an zu pochen. Es pochte laut und schnell, so schnell, dass er nicht mehr klar denken konnte. »Kommst du jetzt frühstücken?« Henriette Habermick hatte ihren Kopf durch die Tür gesteckt und sah ihren Sohn lächelnd an. »Ich hab dir auch eiskalten Kakao angerührt.« Ihr Blick fiel auf die offene Schachtel. »Was ist denn das?«, fragte sie verwundert. »Ein Autoreifen?« »Nein, ein ganzes Rad«, erwiderte Oskar. Er hörte sich nicht besonders glücklich an. »Deine Freundin hat wirklich seltsame Einfälle«, sagte seine Mutter. »Oder kannst du mir sagen, was dieses Geschenk zu bedeuten hat?« »Nein«, antwortete Oskar wahrheitsgemäß und war froh, dass er sich nicht herausreden musste. Wenn er es gewusst hätte, hätte er es zwar sagen können, aber bestimmt nicht sagen wollen. »Sie wartet auf mich«, sagte Oskar stattdessen. Er legte den Deckel über die Schachtel und erhob sich langsam von der Bettkante. Seine Beine zitterten, als ob sie aus Vanillepudding wären. »Ja, das tut sie«, bestätigte seine Mutter. »Mathilda hat eine Menge Sitzfleisch. Sie hält es locker noch ein weiteres Viertelstündchen an eurem Treffpunkt aus – bis du in Ruhe gefrühstückt hast.« Im letzten Punkt irrte Henriette Habermick sich. In der Tat hatte Mathilda eine ganze Weile in ihrem Geheimquartier verbracht, Schrauben nach Größe und Taue nach Länge und Dicke sortiert und neue verrückte Bart-, Perücken-und Hutkombinationen ausprobiert, aber schließlich war ihr die Zeit doch zu lang und die Warterei zu nervenaufreibend geworden. Und deshalb war sie um kurz vor halb zehn schließlich unter dem Tisch mit der Stinkedecke hindurchgekrochen, die Klappleiter in den Schuppen hinuntergeklettert und zum Wohnhaus hinübergeflitzt. Opa Heinrichen saß vor seiner Haustür auf den ausgetretenen Steinstufen und putzte seine Schuhe. Vier Paar waren bereits fertig. Sie standen blitzsauber und glänzend auf der rechten Seite der Treppe, links warteten noch sechs weitere Paare auf ihre Verschönerungskur. Mathilda setzte sich neben Opa Heinrichen und sah ihm eine Weile zu. Nach einigen Minuten kam ihr die Idee, dass es nicht schaden könnte, sich schon mal an Plan 2 heranzutasten, obwohl Plan 1 noch gar nicht unter Dach und Fach war. »Sag mal …«, begann sie. »Wozu brauchst du eigentlich den Dachboden und den Schuppen?« »Um Sachen zu lagern«, sagte Opa Heinrichen. Er hielt den braunen Wildlederstiefel, den er gerade abgebürstet hatte, in die Höhe und begutachtete ihn kritisch. Schließlich stieß er ein zufriedenes Grunzen aus, stellte den Stiefel zwischen seine Füße auf die Steinstufe und griff sich den zweiten. »Und die Sachen?«, bohrte Mathilda weiter. »Brauchst du die alle noch?« »Das kann man nie wissen«, erwiderte Opa Heinrichen. Einerseits hatte Mathilda viel Verständnis für diese Antwort. Tatsächlich waren der Schuppen und der Dachboden des Gartenhauses bis in den letzten Winkel angefüllt mit im Grunde völlig überflüssigen Dingen, die man wunderbar gebrauchen konnte. Andererseits war es nicht die Antwort, die für Plan 2 in irgendeiner Weise nützlich sein konnte. »Wie wäre es, wenn du sie dir mal anschaust?«, schlug Mathilda deshalb vor. »Ausmisten hat ja noch nie geschadet.« Opa Heinrichen schüttelte unwillig den Kopf. »Du siehst doch, dass ich keine Zeit für so was habe.« »Es muss ja auch nicht sofort sein«, meinte Mathilda. »Du kannst deine Schuhe ganz in Ruhe fertig putzen.« Wieder schüttelte Opa Heinrichen den Kopf. »Keine Lust.« Mathilda schluckte. So etwas hatte sie befürchtet. Opa Heinrichen ging nur sehr ungern in den Schuppen, weil er dort nie fand, was er gerade suchte. Und auf dem Dachboden war er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gewesen, weil seine alten Knochen für die wackelige Klappleiter inzwischen viel zu brüchig waren. »Und wenn ich es täte?«, stellte Mathilda als Möglichkeit in den Raum. Opa Heinrichen brummte. »Wieso solltest du?« »Um Platz zu schaffen«, erklärte sie wie aus der Pistole geschossen. »Etwa für neue Sachen?«, entgegnete Opa Heinrichen und auf seiner Stirn bildete sich eine skeptische Steilfalte. »Ja … nein …« Mathilda druckste. Sie wollte nicht alles auf einmal verraten. »Was denn nun?«, fragte Opa Heinrichen ungeduldig. Er hatte den Stiefel in seinen Schoß fallen lassen und die Bürste beiseitegelegt. Mathilda sah ihn an. Sie bemerkte das schelmische Funkeln in seinen braunen Augen und entschied, auf volles Risiko zu setzen. Sie hielt ihm ihre Hand hin und meinte: »Sagen wir, für einen kleinen Umbau.« Opa Heinrichen schlug sofort ein.

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