Biophysik des FlieBgleichgewichts Ludwig von Bertalanflv Walter Beier Reinhard Laue Biophysik des FlieBgleichgewichts von Prof. Dr. Ludwig von Bertalanffy t Prof. Dr. sc. nat. Walter Beier Direktor des Institutes fUr Biophysik des Bereichs Medizin der Karl-Marx-UniversWit Leipzig Dr. sc. nat. Reinhard Laue Institut fUr Biophysik des Bereichs Medizin der Karl-Marx-UniversWit Leipzig 2., bearbeitete und erweiterte Auflage mit 26 Abbildungen und 7 Tabellen AKADEMIE-VERLAG· BERLIN 1977 ISBN-13: 978-3-528-08360-1 e-ISBN-13: 978-3-322-89409-0 DOl: 10.1007/978-3-322-89409-0 Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger StraBe 3-4 © Akademie-Verlag, Berlin und Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig, 1977 Softcover reprint of the hardcover 2nd edition 1977 Lizenznummer: 202 . 100/553/77 Einband und Schutzumschlag: Karl Salzbrunn Gesamtherstellung: VEB Druckerei .. Thomas MiintzerU, 582 Bad Langensalza Bestellnummer: 7622288 (6336) . LSV 1315 DDR35,-M Vorwort zur 2. Auflage Ende der dreiBiger Jahre unseres Jahrhunderts gelangte Ludwig von BERTA LANFFY zu einer wesentlichen Erkenntnis iiber biologische Systeme: Er erkannte als Erster die allgemeine und bedeutsame Eigenschaft lebender Organismen, wahrend der Dauer ihrer Existenz als lebende Wesen sich in einem Zustand des FlieBgleichgewichts zu befinden und diesen aufrecht zu erhalten. Ein Zustand, der von den aus der unbelebten Natur bekannten Gleichgewichtszustanden ver schieden ist und durch einen fortwahrenden Energie- und Materieaustausch zwischen dem biologischen System und seiner Umwelt realisiert wird. Die Er fahrung an biologischen Systemen hat gezeigt, daB fUr aIle Lebewesen, solange ihre Existenz als solche nicht total oder zeitlich-partiell aufgehoben wird, ihr innerer Zustand des FlieBgleichgewichts ein charakteristisches Kennzeichen dar stellt (auch wenn nicht aIle Systeme, die sich in einem Zustand des FlieBgleich gewichts befinden, Lebewesen sind). Aber das Verdienst Ludwig von BERTA LANFFYS fUr die biologischen Wis'senschaften liegt nicht allein in der Erkenntnis dieses singularen Tatbestandes, sondern in weitaus groBerem AusmaBe in der Herausarbeitung der Konsequenzen dieser Entdeckung fUr gewisse bis dahin unverstandliche oder vitalistisch erklarte Verhaltensweisen biologischer-Systeme. Man kann heute, mehr als 30 Jahre nach demErscheinen der wichtigsten Arbeiten Ludwig von BERTALANFFYS zu diesem Problemkreis, wohl mit Recht behaupten, daB seine Pionierarbeit unser gegenwartiges naturwissenschaftliches Verstandnis biologischer Systeme in wesentlichen Teilen mitgeformt und mitbestimmt hat. Das findet nicht zuletzt in der Tatsache seinen Ausdruck, daB der Begriff des FlieBgleichgewichts heute in unzahlbaren Publikationen Verwendung findet, ohne daB zu seiner Erklarung oder Begriindung ein Riickgriff auf die Originalarbeiten v. BERTALANFFYS erforderlic4 ware. Es darf wohl als der schonste Lohn fUr miihe volle Detailarbeit, fUr ein arbeitsreiches Leben im Dienste der wissenschaftlichen Erkenntnis angesehen werden, wenn dies dazu fUhrt, daB die gewonnene Er kenntnis in dem BewuBtsein und den Gedanken der Zeitgenossen und der Nach welt weiterlebt und weiterwirkt. 1m Jahre 1952 gab Ludwig von BERTALANFFY seine Arbeiten zu dem angefUhrten Problemkreis in monographischer Form unter dem Titel "Biophysik des FlieB gleichgewichts" heraus, das inzwischen zu einem vielzitierten Buch geworden ist. Eine zweite Auflage des Buches wurde Anfang der sechziger Jahre wiinschenswert, v ohne daB Prof. v. BERTALANFFY selbst die Zeit fand, eine solche zu bearbeiten. Auf seinen personlichen Wunsch hin fanden sich die Mitautoren der 2. Auflage bereit, unter seiner Mitarbeit eine solche vorzubereiten. Bedingt durch die raum liche Trennung zwischen dem Erstautor und den Mitautoren, zwischen denen der Atlantik lag, machten die 1964 begonnenen Arbeiten an der 2. Auflage weniger rasche Fortschritte als wiinschenswert gewesen ware. SchlieBlich wurde die ge meinsame Arbeit durch lange schwere Krankheit v. BERTALANFFYS und seinen bedauerlichen Too vollig unterbrochen. So sind seit der Konzeption einer 2. Auflage noch einmal reichlich 10 Jahre vergangen, bevor diese endgiiltig zum Druck fertiggestellt werden konnte. Das Ableben unseres hochverehrten Kollegen Ludwig von BERTALANFFY erJegt uns die moralische Verpflichtung auf, die begonnene Arbeit in seinem Sinne nach besten Wissen und Vermogen zu Ende zu fUhren. Wir hoffen und wiinschen, daB uns dieses Vorhaben wenigstens zum Teil gelungen ist. Es konnte trotz der raschen und imposanten Entwicklungen der biologischen Wissenschaften in den letzten zwei Jahrzehnten nicht das erklarte Ziel unserer Arbeit an der 2. Auflage der "Biophysik des FlieBgleichgewichts" sein, ein vollig neues Buch unabhangig von der I. Auflage zu schreiben. Es wurde im Gegenteil versucht, die urspriingliche Konzeption in groBen Ziigen beizubehalten, das Bewahrenswerte der 1. Auflage zu bewahren und zu erganzen, sowie gewisse Entwicklungstrends, die das Ganze in einen allgemeinen Rahmen stellen, sichtbar werden zu lassen. 1m Gegensatz zur I. Auflage waren wir bemiiht, durch eine detaillierte Gliede rung des Stoffes dem Leser bereits mit Hilfe des Inhaltsverzeichnisses eine leichte Orientierung in dem Stoff zu ermoglichen, so daB auf ein Sachwortverzeichnis verzichtet werden konnte. Es ist uns ein echtes Bediirfnis, an dieser Stelle unserem hochverehrten Kollegen Prof. L. v. BERTALANFFY postum fUr die stete Anteilnahme am Fortgang unserer Arbeit zu danken. Durch eine Vielzahl von Anregungen und Bemerkungen, gezielte Hinweise und die Obersendung zahlreicher wissenschaftlicher Publi kationen hat er die Arbeit an dem Manuskript wesentlich gefOrdert und den Inhalt mitgestaltet. Herrn Dr. G. FRITZSCH sind wir fUr die Erarbeitung eines Manuskripts, das die Grundlage des Kapitels 4 bildet, dankb ar verbunden. SchlieBlich mochten wir die Bemiihungen unseres Kollegen Prof. Dr. A. LOCKER, Wien, urn die inhaltliche Gestaltung des Buches dank bar erwahnen. Wenn auch die geplante gemeinsame Arbeit an dem Manuskript nicht zu Stande kam, so haben doch die gefiihrten Gesprache und Diskussionen unsere Arbeit mitbestimmt und beeinfluBt. Leipzig, im Januar 1975 Walter BEIER und Reinhard LAUE VI INHALTSVERZEICHNIS I. Einfiihrung................... 1.1. Die Entwicklung der Theorie der ofTen en Systeme. . 1.2. Sinn und Probleme der Modellbildung in der Biologie 7 1.2.1. Modelle in der Biologie . . . . . . . . . 7 1.2.2. Original-Modell-Angleichung . . . . . . . . . II 1.3. GrundbegrifTe der allgemeinen Systemtheorie . . 14 1.3.1. Die Forderungen der allgemeinen Systemtheorie . 14 1.3.2. Zur BegrifTsbestimmung "System". . . 16 1.3.3. Die Eigenschaften allgemeiner Systeme. . . . . 19 1.3.4. Relationale und metrische Systeme. . . . . . . 22 1.4. Der Organism us als ofTenes System im Flie3gleichgewicht . 23 2. Theorie der ofTenen Systeme . . . . . . . . 29 2.1. Der SystembegrifT in den Naturwissenschaften . 29 2.2. Biologische Systeme als n-stellige Relationen . 33 2.2.1. Allgemeine Formulierung. . . . . . . . . . 33 2.2.2. Ein Beispiel. . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.3. Systembeschreibung mit Hilfe von DifTerentialgleichungen 41 2.3.1. Der Weg zu Systemen gewohnlicher linearer DifTerentialgleichungen erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.3.2. Losungsmethode und Eigenschaften der Losungsfunktion. . . . . . 44 2.4. Spezielle Probleme der Systeme von linearen DifTerentialgleichungen . 47 2.4.1. Eigenwertprobleme der Koeffizientenmatrix . 50 2.4.2. Nichtnegative Losungsfunktionen . . . . 52 2.4.3. Systeme mit nichtkonstanten Koeffizienten . 52 2.5. Die Eigenschaften ofTener Systeme. . . . . 54 2.5.1. Allgemeine Gleichungen der ofTenen Systeme 54 2.5.2. FlieBgleichgewicht . . . . . . . . . . 54 2.5.3. Zwei einfache Modelle ofTener Systeme. 56 2.5.4. Overshoot und falscher Start 62 2.5.5. Aquifinalitiit . . . . . . . . . . . . 63 3. Anwendungen der Theorie der ofTenen Systeme in der Biologie. . . . . . . . . . 67 3.1. StofTwechselgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.1.1. Hierarchische Ordnung des StofTwechsels und der Energiebedarf zu seiner Aufrecht- er,haltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 VII 3.1.2. StofTwechsel als Netzwerk von Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.1.3. Kompartmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3.1.4. Die organischen Grundphlinomene als Konsequenzen des FlieBgleichgewichts des Organism us. . . . . 77 3.2. Wachstum..... 80 3.2.1. Wachstum in der Zeit 80 3.2.2. Zellwachstum . . . . 86 3.2.3. Wachstum von Geweben 92 3.2.4. Wachstum des Gesamtorganismus . 93 3.2.5. Computerisation der BERTALANFFy-Gleichungen . 96 3.2.6. Relatives Wachstum (Allometrie) 103 3.2.7. Wachstum von Populationen ..... . 113 4. Zur Thermodynamik biologischer Systeme . . . . . 122 4.1. Prinzipien der T-hermodynamik irreversibler Prozesse. 122 4.2. Prinzipien der Thermodynamik ofTener Systeme . 124 4.3. Beispiele aus der Biologie. . . . . . . . . . . . . 130 5. Das Verhiiltnis der Theorie der ofTenen Systeme zu anderen Systembeschreibungen. 140 6. Literatur................................. 148 VIII "Unsere Gefiihlefur Vergangenes oder Kunftiges sind schwieriger Na/ur, nur die Gegenwart kann man einfach liehen oder hassen."l) 1. Einftihrung 1.1. Die Entwicklung der Theorie der offenen Systeme Die im Folgenden abzuhandelnde Problematik ist uralt und zugleich hochst modern. Aus den Anfangen der griechischen Philo sophie sind uns die Ausspriiche des HERAKLIT von EPHESUS iiberliefert: mlvra PBI und JlBrafJaAAov avanauBraz - was in der Natur von Dauer ist, ist nichts Ruhendes, sondern das, was HERAKLIT den AOYO( nannte und was wir iibersetzen mogen als das Naturgesetz, das den ewigen FluB der Erscheinungen beherrscht. Es ware ein sehr fesselndes Unter nehmen, die Geschichte des HERAKLITschen Gedankens durch die verschiedenen Epochen der westlichen Philosophie und Naturwissenschaft zu verfolgen. Hier geniige es zu sagen, daB das, was HERAKLIT vor etwa 25 lahrhunderten gedacht hat, eines der Hauptprobleme der heutigen Wissenschaft darstellt. Innerhalb der Naturwissenschaften der Neuzeit war die Biologie oder praziser die Biophysik das erste Gebiet, in dem sich die Notwendigkeit einer Erweiterung der Begriffe der konventionellen Physik und physikalischen Chemie zeigte. Ais physikalisches System betrachtet, entspricht ein lebender Organismus nicht den Systemen und Gleichgewichten, wie sie in der konventionellen Kinetik und Ther modynamik behandelt werden. Der Organismus ist kein geschlossenes System, das stets die identischen Bestandteile enthalt; die elementare Tatsache des Stoff wechsels erweist ihn vielmehr als ein offenes System, das sich in einem standigen Austausch von Substanzen erhalt. Der Organismus ahnelt eher einer Flamme als einem Kristal\. Fiir die Vorgange im Organismus benotigt man daher eine Theorie, die offene Systeme und deren Eigenschaften beschreibt. Seit CLAUDE BERNARD und DUBOIS-REYMOND hat man den Organismus mit dem etwas vagen Ausdruck "dynamisches Gleichgewicht" gekennzeichnet, der der Einsicht entsprang, daB hier eigenartige Probleme vorliegen. "Das Gesetz von GULDBERG und WAAGE beherrscht die chemische Statik und die chemische Dynamik. In den Organismen haben wir nun chemische Systeme vor uns, die schon vor langer Zeit als bewegliche, als dynamische Gleichgewichte bezeichnet worden sind. Heute schwebt das Problem des dynamischen Gleich gewichts der Organismen nicht mehr vollig in der Luft, sondern es laBt sich als 1) BRANDYS, K., Briefe an Frau Z. Berlin 1%4 der SchluBstein und die Kronung eines hohen und kuhnen Gebaudes betrachten. Die Fundamente fUr den Bau sind durch die Physiko-Chemiker schon gelegt; das Weiterbauen ist Sache der Physiologen, ebenso wie die Erprobung der alten Werkzeuge und deren Umformung oder Neuschaffung fUr die speziellen Zwecke, denen mit einer automatischen Anwendung der alten Mittel nieht immer gedient sein wird. "2) Indessen waren der Zustand des "dynamischen Gleichgewichts" und die ihn beherrschenden Gesetze niemals genau definiert worden. Niemand schien die notwendigen SchluBfolgerungen zu ziehen, daB namlich eine Erweiterung der Theorie auf offene Systeme erforderlich war. Eine derart verallgemeinerte, kine tische und thermodynamische Theorie sollte geschlossene Systeme als Grenzfall enthalten, wenn die Ausdrucke fUr den Materialtransport zu Null werden. Gewisse Spezialfalle offener Systeme wurden etwa seit dem Jahre 1930 aufver schiedenen Gebieten erortert. So betonte HILL (1931), unter Hinweis auf die Erhal tung des osmotischen und Ionen-Ungleichgewichts im Organismus, daB dieser nicht ein System im Gleichgewicht, sondern in einem "steady state" sei. Die Permea tion von Substanzen in die Zellen, die zu einer vom AuBenmedium verschiedenen Zusammensetzung des Zellsaftes, zu selektiver Akkumulation von Salzen und zu Wachstum fUhrt, wurde von OSTERHOUT und seinen Mitarbeitern (1932, 1933) an groBen Pflanzenzellen und physikalischen Modellen untersucht; das Modell und dessen rechnerische Behandlung von LONGWORTH (1934) entspricht einem Sonderfall offener Systeme. Auf einem anderen Gebiet bedeuten HECHTS (1931) Theorie der vi sue lien Empfindungen, sowie die Theorien von Reizvorgangen von POTTER (1918 bis 1920) gleichfalls Sonderfalle der Theorie offener Systeme. Er wahnt sei, daB ahnliche Problemstellungen in einem wichtigen medizinisch biologischen Spezialgebiet, der Pharmakodynamik, auftreten. LOEWE (1928) hat eine dem Begriff der offenen Systeme gleichartige Betrachtungsweise angewendet und die quantitativen Beziehungen fUr die Wirkung von Pharmaka im Organism us ("Einhiinge-, Eintropf-, Ausschaltsysteme") abgeleitet. Auf dem Gebiete der Thermodynamik verwendete DEFAY (1929) als erster den Begriff des offenen Systems in seinen Arbeiten. Von BERTALANFFY (1934, 1940, 1950a) hat als einer der ersten das Problem der Erweiterung der Theorie auf offene Systeme in allgemeiner Form aufgezeigt. V. BERTALANFFY und BURTON (1939) gaben eine Reihe von Prinzipien der Kinetik physikalisch-chemischer Systeme an. Daruber hinaus zeigte v. BERTALANFFY, daB die Theorie solcher Systeme zu grundsatzlich neuen Prinzipien, zur Ableitung fund amen taler Eigenschaften lebender Systeme und zu quantitativen Gesetzen fUr biologische Phanomene fiihrt. Die Ergebnisse der Isotopentechnik, die zeigten, daB sich der Auf- und Abbau der Baustoffe des Korpers weit rasche( als fruher angenommen vollzieht, haben die Vorstellung vom Organismus als einem System im "steady state" oder "FlieBgleichgewicht" besonderen Nachdruck verliehen. 2) HOBER, R., Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. Berlin, 1926 2 Dies gilt eben so fUr den Organismus als Ganzes, wie fUr seine einzelnen Gewebe und Zellen und wahrscheinlich bis hinunter zu den Chromosomen, die gleichfalls nicht als ruhende Gebilde, sondern als stiindig in Regeneration und Stoffwechsel befindliche Systeme aufzufassen sind (v. BERTALANFFY, 1944, 1949a). Theoretisch scheint die Lehre von den offenen Systemen berufen, in der Bio physik an die Stelle einer Aneinanderreihung von physikalisch-chemischen und biologischen Prinzipien eine in sich geschlossene biophysikalische Theorie zu setzen. Der Begriff der offenen Systeme tritt in so verschiedenartigen Gebieten auf wie dem Netzwerk von Reaktionen in der Zelle, dem Gesamtstoffwechsel des Organismus, der Proteinsynthese, der Sekretion und Resorption, dem Wasser haushalt, dem Wachstum, der Regulation, der Sinnesempfindung, der Nerven erregung, den neurologischen Grundlagen der Wahrnehmung (KRECH, 1950) usw., daB die Erwartung berechtigt scheint, in der Theorie offener Systeme einem allgemeinen Prinzip nahe zu sein, das die Synthese friiher getrennter Gebiete ermoglicht und als deren Spezialflille und Anwendungen verschiedenartige Einzel phanomene betrachtet werden konnen. Unabhan,gig von der Problemstellung der Biologie, aber zu gleichartigen Vor stellungen und Losungen fUhrend, sind die Entwicklungen in der chemischen Kinetik. Hier besteht die Tendenz zu einer Verallgemeinerung und Formalisierung, deren Ausdruck SKRABALS Simultankinetik (SKRABAL, 1941) ist. Sie formuliert die Gesetze nicht fUr Einzel- und Bruttoreaktion, sondern fUr Reaktionssysteme und fUr die Zwischenprodukte, die im Laufe der Reaktion auftreten. In komplizierteren Reaktionssystemen sind solche Zwischenprodukte in Zustanden des "laufenden" oder "FlieBgleichgewichts" vorhanden. So kommt SKRABAL zu Systemen simul taner Gleichungen, die formal den bei offenen Systemen auftretenden entsprechen. Dies hangt damit zusammen, daB es vom Standpunkt, oder, wenn man will, von der Perspektive abbangt, welches System wir als "geschlossen" oder "offen" an nehmen. So ist z. B. der Organismus als solcher ein offenes System par excellence; der Organismus einschlieBlich eines passend gewahIten Umweltausschnitts kann als geschlossenes System betrachtet werden. Eine Folgerung daraus ist z. B., daB der Zustand des Organismus nicht durch maximale Entropie ausgezeichnet ist, wahrend fUr den Organismus einschlieBlich seiner Umwelt das Prinzip der Zu nahme der Entropie gilt. Ahnlich konnen in einem geschlossenen chemischen System Teilakte als offene Systeme betrachtet werden, die dann nicht als echtes, sondern als FlieBgleichgewicht zu charakterisieren sind. Abermals unabhangig tritt das Problem in der angewandten Chemie auf. In der modernen technischen Chemie erlangen neben Prozessen in geschlossenen Reaktionssystemen kontinuierliche Reaktionen in offenen Systemen mit Zu- und AbfluB an Bedeutung. Dies fUhrt naturgemaB zOr Notwendigkeit einer Theorie solcher Systeme, urn die Vorziige von Reaktionen im geschlossenen oder im offenen System, die optimalen Reaktionsbedingungen fUr letztere usf. festzustellen. Dies fUhrt zur Kinetik offener Systeme und zu entsprechenden mathematischen Formulierungen, wie sie in der Biophysik auftreten. 3