H. BISCHOFF BIOLOGIE DER HYMENOPTEREN BIOLOGISCHE STUDIENBÜCHER HERAUSGEGEBEN VON WALTHER SCHOENICHEN· BERLIN =================V================= BIOLOGIE DER HYMENOPTEREN EINE NATURGESCHICHTE DER HAUTFLÜGLER VON DR. H. BISCHOFF KUSTOS AM ZOOLOGISCHEN MUSEUM DER UNIVERSITÄT BERLIN MIT 224 ABBILDUNGEN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1927 ISBN 978-3-642-50535-5 ISBN 978-3-642-50845-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-642-50845-5 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER OBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1927 BY JULIUS SPRINGER IN BERLIN. Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1927 Vo rwort des Verfassers. Wenn im folgenden eine Hymenopterenbiologie einem größeren Leserkreise geboten werden soll, so ergeben sich dabei von vornherein gewisse Schwierigkeiten. Gestattet einerseits der umfangreiche Stoff keine Vollständigkeit, so müssen andererseits auch Verallgemeinerungen möglichst vermieden werden. Die Einpassung der Arten in ihre Umwelt läßt immer wieder neue Beziehungen erkennen, die für Formen, welche der Systematiker als nahe verwandt auffaßt, nicht zu gelten brauchen. Im vorliegenden Buche mußte daher eine Auswahl getroffen werden. Eine Einschränkung auf die mitteleuropäische Fauna hätte ein durch aus einseitiges Bild gegeben und kam daher nicht in Betracht. Da gegen treten Forschungsgebiete, über die eine zusammenfassende und leicht zugängliche Literatur. bereits besteht, wie Arbeiten über die Lebensweise der Ameisen und der Honigbiene, bei der Behandlung des Stoffes etwas zurück. Neuere Forschungsergebnisse aus den letzten Jahren wurden dagegen berücksichtigt. Die Auswahl aus der Fülle der Arbeiten auf dem Gebiete der angewandten Entomologie, die sich mit der Biologie von parasitären Hymenopteren beschäftigen, wurde in der Weise vorgenommen, daß hier neben besterforschten Formen solche Arten behandelt werden, die durch ihre abweichenden Lebensverhältnisse ein Bild von der großen Mannigfaltigkeit der Lebensweise der parasitären Wespen ergeben. Einige Kapitel, wie besonders die Brutpflege im weiteren Sinne bei den aculeaten Hymenopteren haben aber eine aus führlichere Darstellung erfahren, um so dem Leser wenigstens einen Einblick in diese besonders interessanten, abwechslungsreichen Lebens äußerungen geben zu können. Überall in unseren Kenntnissen von der Biologie der Hymenopteren klaffen noch große Lücken. So manche von diesen wäre mit Leichtig keit auszufüllen - nur fehlt es an den nötigen Arbeitskräften. Aber gerade die große Abwechslung, die das Studium der Hymenopteren biologie bietet, sollte zu Beobachtungen besonders anregen. In diesem Sinne möchte das vorliegende Buch wirken. Mag eine Feststellung, die bei der Beobachtung im Freien, bei der Zucht oder beim Experiment gewonnen wurde, zunächst unscheinbar dünken - sie bildet doch einen weiteren Baustein zu dem gewaltigen Gebäude der Biologie. Nimmt nun das vorliegende Buch in gediegener Ausstattung seinen Weg in die Öffentlichkeit, so gebührt der Dank des Verfassers hierfür ganz besonders dem Herausgeber und dem Verleger. Berlin, im Februar 1927. DR. H. BISCHOFF. Inhaltsübersicht. Kapitel Seite 1. AllgemEl.iner Bauplan des Hymenopterenkörpers; systema tische Ubersicbt; stammesgeschichtliche Verwandtschaft; Verbreitung; Variabilität. . . . . . . • . . . . . . . .. 1-24 Allgemeine Morphologie 1-10; System 10-15; Stammesgeschichte und Verwandtschaft 15-18; Verbreitung 19-21; Variabilität 21-24. 2. Bewegung und Ruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25-66 Flügel und Flug 25-38; Beine und Lauf der Imagines 38-45; Springen 45; Unter-Wasser-Bewegung 46; Bewegung einzelner Körperteile der Imagines 46-50; .J..arvenbewegung 51-56; Puppenbewegung 56-57; Ruhestadien 57; Uberwinterung 57-61: Schlafg ewohnheiten 61-64; Sommerruhe 64-65; Nachtleben 65-66. 3. Ernährung ..............•.......... 67-126 ImaJrinale Mundteile 67-75; Vorderdarm, Kropf und Pumpmagen 75-79: Mittel- und Enddarm der Imagines 79-80; Mundteile und Darmkanal der Larven 80-83; Nahrung der Imagines 83-86; Ernte ameisen 87-88; pilzzüchtende Ameisen 88-91; Ameisen als Pflanzen fresser 91-92; Jagdameisen 93; Weitergabe der Nahrung an Volks genossen 94; an Larven 95; Trophallaxis 95; Myrmekophilie 96-98; Blütenbesuch und Nektaraufnahme 98-104; Nahrungsspeicherung 104 bis 107; Ernährung der Holz- und Blattwespenlarven 107-114; Gall erzeuger und Gallen 114-120; phytophage Chalcididenlarven 120-121; Ernährung der Honigbienenlarve 121-122; Parasitismus (allgemein; s. 10. Kapitel) 122-126. 4. Respira tion und Zirkulation .....••........ 127-144 Respirationssystem , Kokondurchlüftung , Atmungsbedürfnis 127-135; Atmung entoparasitärer Larven 136-137; Blut, Herz, Blutbahnen 138-142; Fettspeicherung 142-142; Exkretion 143-144. 5. Nervensystem und Sinnesleben ............. 145-184 Zentralnervensystem 145-146; Gehirn 146-149; viscerales Nerven system und Sympathikus 150; Fühlersinnesorgane 150-153; Ge schmackssinnesorgane 153-154; Geruchssinn 154-162; Gehör 163-165; Tastsinn 165-168; Temperatursinn 169; Schmerzempfinden, Gleich gewichtssinn 169; Augen und Gesichtssinn 170-178; Orientierung 178-181; Verständigung der Bienen und Ameisen 181-183; Urteils vermögen 183-184. 6. Die Bauten der solitären aculeaten Hymenopteren •.. 185-248 Das Fehlen eigener Brutnester bei Aculeaten 185-186; Einteilung der Bauten 186-187; Grabtätigkeit 188-191; Vorbauten 191-193; Zellen- und Nestverschluß 193-195; Wegwespen 195-196; Grab wespen 197-211; Faltenwespen 211-218; Bienen 219-248. 7. Die Bauten der sozialen Hymenopteren ......... 249-307 Faltenwespen 249-275; Honigbiene 275-286; Meliponen 286-294; Hummeln 294-298; Ameisen 298-307. Inhaltsübersicht. VII 8. Eier und Eiablage. ........... . ...... 308-349 Eier 308-315; weibliche Keimdrüsen 315-317; Stachel 318-325; Ei ablage bei Aculeaten 325-333; Eiablage bei Parasiten 333-341 und 344 -349; Eiablage bei Blatt- und Holzwespen 341-344. 9. Brutfürsorge. . . . .. " ....... . .. 350-387 Unterbringung der Eier, Bedeutung der Bauten 350-353; Dauer fütterung bei solitären Aculeaten 353 -356; Nährtiere und J agd instinkte bei Falten-, Grab- und Wegwespen 356-374; Brutpflege der Masariden 374; Pollensammeln der Bienen 374-382; Ernähruug der Larven der sozialen Wespen 383-384; Pflege der Ameisenlarven und -puppen 384-387. 10. Parasitismus ........................ 388-433 Körpersäfte als Nahrung von Imagines 389-390; Arbeitsparasitismus bei Aculeaten 390-403; Sozialparasitismus 403 - 405; Bethyliden, Mutilliden, Ohrysididen, Sapygiden 406-415; Phytophagie und Nekro phagie bei Parasiten 414-416; Wirkung des Stiches 416-417; In fektionstypen, Hyper- und Ooparasitismus 418-420; Wirte der para sitären Hymenopteren 420-422; Wasserhymenopteren 422-423; Be ziehungen zwischen Parasit und Wirt 423-430; Imaginalparasiten 430-431; Ursprung des Parasitismus und Ableitung der parasitären Hymenopteren 431-433. 11. Staatenleben . . . . . . . . . . . . . ....... 434-471 Vergesellschaftung 434-435; Grundlagen des Staatenlebens 435-439; Arbeitsteilung bei solitären Aculeaten 439; Faltenwespen 440-442; Polygynie 442-445; Trophallaxis 445-446; Bienen 446-454; Diffe renzierung der Kasten bei Ameisen 454-457; Volks gründung bei Ameisen 458-463; gemischte Ameisenvölker 464-466; sklavenhaltende Ameisen 466-468; parasitäre Ameisen 468-469; künstlich gemischte Völker 470; Ameisenkämpfe 471. 12. Geschlechtsleben ..................... 472-505 Zahlenverhältnis der Geschlechter 472-474; primäre Geschlechts charaktere der Männchen 474-477; sekundäre Geschlechtscharaktere der Männchen 482-486; Polymorphismus 487 -488 (u.495); Generations wechsel 488-4\:10; Parthenogenese 490-492; Geschlechtsbestimmung 492-494; Paarung 496-501; Hochzeitsflüge 502-504; Proterandrie 504-505; Spermatozoen 505. 13. Entwicklung.. . .................... 506-542 Embryogenese 506-513; Polyembryonie 508-509; Symphytenlarven 514-516; Parasitenlarven 516-517; Primärlarven 518-520; Häutung der Larven 520-522; Kokons 522-531; Spinntätigkeit 531-533; Ruhelarve, Entwicklung zur Puppe 533-535; Puppe 536-538; Aus bildung der Imago und Schlüpft!n 538-542. 14. Besondere Anpassungsformen; Krankheiten; wirtschaftliche Bedeutung. . .. . ................... 543-571 Hygiene 543-548; AbwehrmiUel 548- 552; mimetische Erscheinungen 552-556; regionale Konvergenz 557-558; Krankheiten 558-560; Milben, Strepsipteren und andere Parasiten 560-565; wirtschaftliche Bedeutung 570-571. Literaturverzeichnis .... 572-583 Verzeichnis der Gattungen. 584-590 Sachverzeichnis ..... . 591-598 Druckfehlerberichtigung. Seite 212: lies unter der Abbildung "coarctatus" statt "coxretatus". 213 Z. 7 v. 0.: "Paramischocyttarus" statt "Paramischocyttaer"Us". Erstes Kapitel. Allgemeinrr Bauplan des Hymenopterenkörpers; systematische Übersicht; stammesgeschichtliche Ve)'wandts(~haft; Verbreitung; Variabilität. Die ll!fmenopll'ra oder Hautflügler stellen eine scharf begrenzte Insektenordnung dar, HO daß Zweifel über die Zugehörigkeit eines Insekts zu dieser Ordmmg nie auftauchen können. Schon die H('harft' Trennung von Vorderkörper und Hinterleib ("Wespentaille") gibt dt'n höheren Hymenopteren und damit der großen Mehrzahl ('in charaktt'ristisches Merkmal, das in keiner anderen Ord nung in diesem Maße wiederkehrt. Aber auch die niederen Familien, die hauptsächlich (lie Blatt- und Holzwespen umfassen, weisen so viele auffällige Eigentümlichkeitt'n auf, daß ihre Hymenopterennatur nie zu verkennen ist. Im folgenden Holl zunächst kurz der allgemeine Bauplan des Körpers eines ausgebildeten Hautflüglers gegeben werden. Die weitgehenden Differenzierungen, dit' in den einzelnen Familien zu beobachten sind, werden in Verbindung mit den biologischen Beziehungen erörtert werden. Der frt'i Ritzendt> Kopf ist mit der Nackenregion des ersten Brust abschnitte!! häutig verbunden und besitzt daher eine große Beweglich keit. Seine Form kann außerordentlich mannigfaltig sein. Gewöhnlich ist er mehr oder wt'niger linsenförmig mit rundlichem Umriß. Er kann aber auch kuglig aufgt'trieben oder scheibenförmig plattgedrückt und im Umriß quer- oder langgestreckt sein. Auch sein Größenverhältnis zu den übrigt'Jl Körperahs('hnitten ist außerordentlich schwankend. In extremen Fällen iHt er größer als der ganze übrige Körper. Seitlich an ihm sitzen die meist gilt entwickelten zusammengesetzten Augen, auf der Stirn Ktt>hen dTt'i Nebenaugen (Ocelli). Die Gestalt der Augen unter liegt recht. erheblichen ~chwankungen. Gewöhnlich von elliptischem bis rundlichem UmriJS, "011 flacher bis mehr als halbkugliger Wölbung, können sie auch IUl der Inllenseite tief ausgebuchtet sein, so daß sie nierenförmig erscheinen. Die Ocellen weisen nicht so große Verschieden heit auf, doch körnlen Hie bt'i Reduktion verschiedene Gestaltsverände rungen erfahren. Hchließlich gibt es auch ganz blinde Formen, denen Augen und Ocell('Jl vollständig fehlen. Die Fühler sind stets gut ent wickelt. Hit' sind entweder dicht über dem hinteren Rand des Kopf- BiROhoff, /liologie <I~l Hymenopteren. 1 2 Allgemeines. schildes (Clypeus) eingelenkt, können aber auch auf die Mitte des Ge sichts un,d darüber hinaus nach hinten rücken. Ursprünglich werden sie homonom vielgliedrig gewesen sein, haben aber weitgehende Spezia lisierungen erfahren; oft sind sie sexuell dimorph, wobei dann der männ liche Fühler differenzierter zu sein pflegt. Gelegentlich ist der Schaft (das Wurzelglied) besonders gestreckt, wodurch die "geknieten" Fühler entstehen. Eine recht große Mannigfaltigkeit herrscht im Bau der Mundwerk zeuge. Die Mandibeln sind meist zangenförmig gebaut, zeigen aber, Gnl GI \ 11. b. Abb.1. Lambiomaxillarkomplex von CIMBEX. a. Von unten; b. von oben. Gl = Glossa; Pgl = ParagSloms s=a ; SGubaml =en tGuamle ;a ;G dL p= =C Ta"r~dhoi;n lLp"alcpl l=' :L Macpi n=ia ;M Labxri·l l=ar pLaalbpruusm; M; tG =el ' M=e Sntcuhmlu;n Sdtp l=a ttSet.i pes; je mehr sie ihre Bedeutung als Kauapparate verlieren und andere Funk tionen übernehmen, vielfache Umgestaltungen. Sehr selten werden sie rückgebildet. Der Labiomaxillarkomplex (Abb. 1 u. 2) setzt sich aus den 1. und 2. Maxillen zusammen. Während erstere immer getrennt bleiben, verwachsen, die Stammstücke (Stipites) der 2. Maxillen zum Mentum. Sowohl die Stipites der 1. wie der 2. Maxillen tragen eine äußere und innere Kaulade (Galea und Lacinia bzw. Paraglossa und Glossa), wobei die Glossen als innere Laden der 2. Maxillen, miteinander, wenigstens basal, verschmelzen,. Außerdem sind an beiden Maxillenpaaren, und zwar distal an der Außenseite, Taster (Maxillar- und Labialpalpus) ein- Allgemeiner Bauplan des Hymenopterenkörpers. 3 gelenkt, die ein bis mehrgliedrig sein können. Durch Streckung von Stammstücken und Laden werden Saugrüssel gebildet. Gewöhnlich ist der Kopf Henkrecht zur Körperlängsachse gestellt, so daß die Mund. öffnung nach unten gerichtet ist. Seltener liegt die Mundöffnung in der geraden Verlängerung dieser Achse nach vorn; noch seltener ist sie unter gleichzeitiger Vorwölbung des Kopfes nach hinten gerichtet. Am Kopf sind mehrere morphologisch nicht scharf zu umgrenzende Regionen zu unterscheiden. Die sich zwischen Augen und Mandibel. einlenkung einschiebenden Chitinspangen werden als Wangen "Genae" bezeichnet. Seitlich von den Augen und hinter denselben liegen die Schläfen. Die Region hinter den Ocellen wird als Scheitel, nach Über. schreitung der Wölbung als Hinterhaupt bezeichnet. Von der Fühler einlenkung bis zu den Ocellen reicht die Stirn. Davor liegt das Unter· gesicht. All diesE' Ausdrücke sind aber, wie schon erwähnt, morpho logisch nicht scharf zu fass{'n und werden daher auch von den einzelnen Lbr Moe I I St Abb. 2. Labiomaxillarkomplex von Cnmn:. Seitenansicht. Moe 0=. ~Iundöffnung; die übrigen Abkürzungen wie in Abb. 1. Autoren in verschiedenem Sinne angewendet. Wichtig ist aber der zum Untergesicht gehörige Clypeus oder Kopfschild, der eiD.e meist scharf abgesetzte Platte darstellt und in Gestalt und Skulptur je nach Familien, Gattungen und Arten große Verschiedenheiten aufweist. Die Oberlippe oder das Labrum mit dem unter ihr entwickelten Epipharynx, der nur tiefstehenden Formen fehlt, wird an ihrer Basis oder auch weiter vom Vorderrand des Clypeus überdeckt, ist mitunter von oben kaum sichtbar, kann aber in anderen Fällen auch sehr groß sein. Labrum und Epi. pharynx bilden das dorsale Dach der Mundhöhle. TreIl,llt man den Kopf eines Hymenopterons ab, so sieht man ein rundes Loch, das Hinterhauptsloch, an dem die Intersegmentalhäute ansetzen, die die Verbindung mit dem Thorax herstellen und in denen eingelagerte Zer· vikalsklerite (kleine Chitinil:!ierungen) vorkommen können. Der erste Brustring (Prothorax) (Abb.3) trägt keine Flügel, sondern nur die Vorderbeine und ist dementsprechend einfacher gebaut als die bei. den folgenden Thoraxsegmente ; namentlich zeigt sein dorsaler Abschnitt 1*