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Biographie und Technikgeschichte PDF

261 Pages·1998·13.744 MB·German
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ISBN 978-3-8100-1597-6 ISBN 978-3-322-97340-5(eBook) DOI 10.1007/978-3-322-97340-5 ZEITSCHRIFT FUR BIOGRAPHIEFORSCHUNG UNO ORAL HISTORY Sonderheft 1998 Biographie und Technikgeschichte Herausgegeben von Wilhelm Fufil und Stefan Ittner Einfiihrung ................................................................................................................... 3 I. Historiographische Fragen R. Angus Buchanan Biography and the History of Technology ................................................................ 11 Eberhard Wachtler Historiographie der Technikerbiographie in der DDR .............................................. 19 Ulrich Troitzsch Technikerbiographien vor 1945: Typologie und Inha1te ........................................... 30 II. Methoden und Anslitze Helmuth Trischler 1m Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft. Aufgaben, Themenfelder und Probleme technikbiographischer Forschung .............. 42 Wilhelm Fufil Zwischen Mythologisierung und Dekonstruktion: Die Funktion des Biographen .................................................................................... 59 Michael Segre Die friihe Biographie in der Geschichte der Mathematik .......................................... 70 Barbara Orland Autobiographien von Technikern im 19. und 20. Jahrhundert .................................. 78 Wolfgang Konig Nachrufe als Quellen fUr eine Sozialgeschichte der Technik .................................... 92 Christina Schachtner "AIso in Mathe, da sind mir die Einser zugeflogen ... " Zur Professionalisierung von Software-Entwicklerinnen aus psychohistorischer Sicht ................................................................................... 103 lkfaria Osietzki " ... unser Ohr dem Nichtgesagten Offnen ... " Anmerkungen zu einer kulturhistorischen Ingenieurbiographik .............................. 112 Alexander von Plato HeIden des Fortschritts? Zum Selbstbild von Technikern und Ingenieuren im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit... ............................................... 127 III. Fallbeispiele Pavia Vosahlfkowi Der Weg vom Handwerk zur Industrie in den Augen der Zeitgenossen. Der alltagshistorische Ansatz in der technikhistorischen Biographieschreibung .... 166 lkfargot Fuchs Frauenleben fUr Mrumertechnik. LebensentwOrfe der ersten Studentinnen der Technischen Hochschule Milnchen konstruiert und rekonstruiert ..................... 174 Andreas Knie Technik-und industriepolitische Probleme hochvermachteter Branchen, verdichtet in Biographien von Erfindem: Das Beispiel Felix Wankel .................... 189 Paul Erker Wirtschaftsgeschichte und Technikerbiographie: Das Beispiel Ernst Heinkel ..................................................................................... 198 lkfichael Allen The Homogeneity of Technical Managerial Communities ...................................... 219 Arno lkfietschke Der unbekannte Techniker: LebensverUiufe und Werkzeugmaschinenbau in der Zwischenkriegszeit... ............. 234 Stefan Ittner Technikerbiographien als Schlussel zur "Unternehmenskultur"? ........................... 247 Auswahlbibliographie ............................................................................................. 256 Autoren dieses Heftes .............................................................................................. 259 Einfiihrung In der deutschen Technikgeschichtsschreibung ist die Biographieforschung im Gegen satz zu anderen historischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen ein Desiderat. Biographien tiber Techniker sind haufig einem stark personenzentrierten Blickwinkel verhaftet und leisten nur selten die Einordnung in einen technik-, industrie-, gesell schafts- und kulturhistorischen GesamtprozeB. Einschlfigige Bibliographien nennen schwerpunktmfiJ3ig Autobiographien und Biographien einiger weniger beriihrnter Techniker und Ingenieure. Gleichzeitig dominieren populfire Biographien, die nicht immer wissenschaftlichen Anspriichen genilgen. Hinzu kommt, daB in den letzten Jahrzehnten von Seiten der Sozialwissenschaften die Rolle der Personlichkeit in der Geschichte zugunsten struktureller Untersuchungen zeitweise in den Hintergrund gedrfiugt wurde. Immerhin lfiBt sich seit der Mitte der 1980er Jahre rur die Ge schichtswissenschaft allgemein ein deutlich verstfirktes Interesse an der Biographik konstatieren. Dieses konjunkturelle Hoch der Biographik lfiJ3t sich im Bereich der deutschen Technikgeschichtsschreibung hOchstens bei populfiren Biographien erkennen. Wissen schaftlich wirklich fundierte Biographien sind in den letzten Jahren nicht erschienen. Das Grundproblem scheint zu sein, daB ein Methodendiskurs tiber das historische Individuum und tiber die Funktion der Biographie in der Technikgeschichte bisher kaum stattgefunden hat. In der Technikgeschichte hat die Biographie trotz geringer methodischer Reflexion eine lange Tradition. An prominenter Stelle muB hier Conrad MatschoB genannt wer den, seine biographische Sammlung "Mfinner der Technik" (1925) und seine Arbeiten zu Ernst Alban, Werner Siemens, Robert Bosch und Julius Robert Mayer. MatschoB sab Technikgeschichte in erster Linie als Erfolgsgeschichte, die sich am besten an herausragenden Personlichkeiten fixieren lieB. Sein angesprochenes Buch "Mfinner der Technik" ist durchdrungen von der Intention, diesem Personenkreis die vermeint lich fehlende gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen. Die Glorifizierung der Personlichkeit prfigt die deutsche Technikgeschichte bis in die 1960er Jahre. Umso heftiger traf die technikhistorische Forschung der sozialhisto rische Trend in der Geschichtswissenschaft, die Ablosung von der Ereignisgeschichte und die Hinwendung zu sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungen auf der Basis neuer, meist quantifizierender Methoden. Die Diversifizierung der For schungsansfitze in den 1980er Jahren, vor allem die Hinwendung zu alltagshistori schen Fragestellungen, leitete eine Trendwende ein. 1m April 1995 veranstaltete das Forschungsinstitut fUr Technik- und Wissen schaftsgeschichte des Deutschen Museums unter der Leitung von Wilhelm FiiBl und BIOS, Jg. 11 (1998), Sonderheft © Verlag Leske + Budrich GmbH 4 Einfiihrung Stefan Ittner einen Workshop zum Thema "Biographie und Technikgeschichte". Ein geladen waren 29 Technikhistoriker und Historiker verwandter Disziplinen aus dem In-und Ausland. Die Vortrlige dieses Workshops bilden die Grundlage fUr den vorlie genden Sammelband. Die Tagung hatte sich zum Ziel gesetzt, die biographische Forschung in der deut schen Technikgeschichte zu thematisieren, Methoden aufzuzeigen und Impulse fUr entsprechende Forschungen zu geben. Gleichzeitig sollte fiber die Biographie im en geren Sinn hinaus der "biographische Ansatz" als Erkllirungsmodell diskutiert werden. Er dient dabei ais Versuch, historische Strukturen mit Blickwinkel auf Einzelpers5n lichkeiten verstehend zu analysieren. Dabei werden Handiungsspielriiurne von Per s5nlichkeiten auf der Folie gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und techni scher Prozesse untersucht. 1m modemen Sinn wird der biographische Ansatz nicht mehr ausschlieBlich auf eine Einzeiperson, sondem auch auf ein m5glichst homogenes Team oder Kollektiv, eine Gruppe, Schicht oder Klasse bezogen. Durch die Untersu chung der Einzelperson oder einer Gruppe wird eine individualisierende Geschichts betrachtung mit einer fibergreifenden gesellschafts- oder sozialgeschichtlich ausge richteten Geschichtsdarstellung verknOpft. Dabei geht es insgesamt weniger urn eine Neubelebung der historisierenden Position von "MiinnerlFrauen machen Geschichte" ais urn eine Diskussion fiber Erkilirungsmodelle technikhistorischer Prozesse im ge samtgesellschaftlichen Zusammenhang auf der Basis biographischer Fragestellungen. Die kurz als "Technikerbiographie" bezeichnete Gattung untersucht dabei nicht den Berufszweig des "Technikers" im engeren Sinn; vielmehr urnfaBt die sprachlich ungenaue Bezeichnung eine breite Palette biographischer Forschung. Wir verstehen unter "Technikerbiographie" die Erforschung historischer Personlichkeiten im Bereich der Technik in ihrem soziokulturellen Kontext: Untersuchungsfeld sind Ingenieure, Techniker, Erfmder, Entdecker, Technikmacher, Untemehmer etc. Ausgeschiossen ist terminologisch die Wissenschaftlerbiographie. Der vorliegende Sammelband gliedert sich in drei Bereiche. In einem ersten Teil wird eine historiographische Bestandsaufuahme der technikhistorischen Biographik im deutschen und angloamerikanischen Raurn versucht. Der zweite Teil versammelt Beitrlige zur Methodik einer modemen Techniker-Biographik, primlir unter dem Ge sichtspunkt der hliufig problematischen Quellenlage. AbschlieBend werden in ver schiedenen Fallbeispielen aktuelle biographische Ansiitze vorgestellt. Die drei Beitriige des ersten Abschnittes greifen historiographische Fragen auf. Stand und Intensitat der technikbiographischen Forschung sind in Westeuropa und Nordamerika durchaus unterschiedlich ausgepriigt. R. Angus Buchanan, University of Bath, zieht eine Zwischenbilanz der technikhistorischen Biographik in England und in Amerika. Seine Ausfilhrungen verdeutlichen, daB die Grundprobleme - Quellenman gel bei Technikem, wenig Autobiographien, Probleme technischen Verstiindnisses bei Durchschnittslesem von Biographien - durchaus mit Deutschland vergleichbar sind. 1m besten Fall existieren Quellen zur Untemehmensgeschichte. Am Beispiel von In genieurbiographien in GroBbritannien konstatiert Buchanan einen Rfickzug auf einige wenige bekannte und quellenmliBig gut erforschbare Pers5nlichkeiten, so auf das eng lische Eisenbahntriurnvirat I. K. BruneI, Robert Stephenson und Joseph Locke; ihre Zeitgenossen finden fast kaurn Beachtung. Die Konzentration von Ingenieur- Einfuhrung 5 Biographien auf das "heroic age for British industrialization" zwischen 1760 und 1860 kann durchaus als kulturelles Phanomen einer fortbestehenden ldealisierung des briti schen Empire-Gedankens interpretiert werden. Die deutschen Veroffentliehungen von Technikem und liber Techniker vor 1945 versucht der Hamburger Professor flir Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Ulrich Troitzsch typologisch zu fassen. Gemeinsam ist seinem Sample von rund 100 Auto biographien, Biographien und Biographiesammlungen deren Konzipierung als Ent wicklungsgeschichte mit entelechischem Charakter. Dabei wird in diesen Quellen das Kriterium "Erfolg" ahnlich der von Buchanan gezeigten britischen Tradition beson ders betont. Gegenliber einigen mit wissenschaftlichem Anspruch verfaBten Biogra phien dominieren in Deutschland allerdings die popuUiren Sachblicher von Hans Do minik, Richard Henning oder die romanhaften Erinnerungen von Max Eyth. Sie aIle erzielten eine enorme Breitenwirkung und prligten Generationen von Lesem und deren Technikverstandnis. Ais durchaus parteiischer Technikhistoriker schildert Eberhard Wachtler - bis 1989 neben Rudolph Ludloff und Rolf Sonnemann ein wichtiger und einfluBreieher Wissenschaftler in der DDR -die Entwicklung der Technikerbiographie in der DDR. Als Grundthese formuliert er, daB diese Gattung liber lahrzehnte hinweg unbeeinfluBt blieb von der Politik, von marxistisch-leninistischer Weltanschauung und Geschichts schreibung, von technikhistorischen Arbeiten, die in der UdSSR gefertigt wurden, unbeeinfluBt aber auch von den bedeutenden DDR-Biographien aus dem Bereich der politischen Historiographie (Ingrid Mittenzwei liber Friedrich II. und Ernst Engel bergs Biographie liber Bismarck). Wahrend in den ersten 15 lahren der DDR kaum Bedarf an Technikerbiographien bestanden habe, fiihrte die Institutionalisierung des Faches Technikgeschichte ab 1952 zu einer verstarkten Forschung in diesem Bereich. Mit den seit 1953 erscheinenden Freiberger Forschungsheften stand ein Forum zur Verfligung, in dem zahlreiche Technikerbiographien veroffentlicht werden konnten. Allerdings - dies darf nicht nur fUr die DDR-Technikgeschichte gelten - blieben die erarbeiteten Biographien in dem Sinne unkritisch, als sie die okologische Problematik und Technikfolgenabschlitzung nieht behandelten. Der notwendigen historiographischen Bestandsaufhahme der Techniker-Biogra phie laBt Helmuth Trischler zu Beginn des Abschnitts "Methoden und Ansiitze" einige grundslitzliche Uberlegungen zur aktuellen Diskussion liber die Bedeutung von Theo rie- und Methodenfragen flir die Biographieforschung folgen. Dabei steht besonders die allgemeine Verknlipfung von Individuum und Gesellschaft als Kemproblem der Geschichtswissenschaft im Vordergrund. Gemeint ist dabei die Frage nach Hand lungs- und Entscheidungsspielrliumen von Individuen in Systemen, besonders in tech nischen Systemen. Daran anschlieBend erortert Trischler - unter besonderem Rekurs auf amerikanische Forschungen -zentrale Aufgaben und Themenfelder des biographi schen Ansatzes in der Technikgeschichte. Trischlers Ziel ist, die Bedeutung der Bio graphie flir eine "multiperspektivisch verstandene Technikgeschichte" zu evaluieren. Die Diskussion um die sozialgeschichtliche Dimension von Biographien hat einen wesentlichen Aspekt dieser Gattung in den Hintergrund treten lassen: den Biographen selbst. Ihn rUckt Wilhelm Fiilll in seinem Aufsatz in den Vordergrund. Die Darstellung historischer Personlichkeiten der Technikgeschiehte durch den Autor interpretiert 6 Einfohrung Hilll auf der Folie eines sich verlindemden Technikverstlindnisses. Seine These geht dahin, daB durch den jeweiligen Autor von Biographien bewuBt (besonders durch brancheninteme Verfasser) oder unbewuBt zu der Stilisierung, ja zu der Mythologisie rung der Antagonisten von Technik beigetragen wird. FOOl fordert, daB sich modeme Biographen nicht nur mit den Quellen auseinandersetzen mtissen, sondem daB sie einen differenzierten Umgang mit frUheren Biographen und ihrem jeweiligen Tech nikverstlindnis leisten mtissen. Moglich wird dies allerdings nur durch vergleichende Gruppenbiographien oder durch Biographien zu Personlichkeiten, die zu verschiede nen Zeiten eigene Wfudigung erfahren haben. Ausgehend von FOOls Mythologisierungsthese exemplifiziert Michael Segre den EinfluB von Biographen auf die Darstellung der Lebensgeschichte bedeutender Per sonlichkeiten anhand von Mathematiker-Biographien. Segre sieht diese bis weit in das 18. Jahrhundert hinein gepdigt vom Typus der K1instlerbiographie der Renaissance. Analog zur K1instlerbiographie folgt die Mathematikerbiographie bestimmten Struk turkomponenten: Betonung der Geniehaftigkeit, zufallig entdecktes Talent, praktische Hihigkeiten der Antagonisten. Interessant ist, daB durch die Verlinderung, ja Fal schung historischer Tatsachen eine Kontinuitat wissenschaftlicher Tradition suggeriert wird, so z.B. durch die Zusammenlegung des Todestages von Michelangelo und des Geburtsdatums von Galileo Galilei bei Vincenzio Vivani. Segre kann anhand von ausgewahlten Beispielen nachweisen, daB sich bestimmte Topoi in Mathematiker Biographien nicht nur in Italien, sondem seit der zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts auch in England (John Aubrey: Brief Lives) und in Frankreich (Louis Moreri, Bernard Le Bouyer de Fontenelle) wiederfmden. Diese Tradition, die sich bei entsprechenden erganzenden Forschungen schon vor der Renaissance spurenhaft in antiken Biogra phien eruieren lassen w1lrde, weist auf den durchaus engen Spielraum historischer Biographik vor dem Hintergrund des Erwartungshorizontes der Leserschaft hin. Barbara Orland thematisiert in ihrem Beitrag den Wert von Autobiographien fUr die Technikerbiographik. Gestlitzt auf rund 80 gedruckte Beispiele analysiert sie In halt und Struktur dieser Quellen. Trotz der Heterogenitat des Samples gelingt es ihr, einige konstituierende Elemente von Technikerbiographien herauszuarbeiten: die fast ausschlieBliche Berufsorientierung bei Minimierung des privaten und politischen Lebens, die Idealisierung der Herkunftsfamilie mit starker geschlechtsspezifischer Rollenzuweisung oder das extreme Bem1lben urn Sachlichkeit. Ais Musterbeispiel fUr die ausschlieBlich von mannlichen Autoren bestimmte Quellengattung zieht Orland die Erinnerungen von Albert Speer heran. Speers Bestreben, die Technik wahrend der NS-Zeit als unpolitisch zu schildem und damit eine Rechtfertigung seines eigenen Lebens zu liefe m, ist symptomatisch fiir den Umgang mit personlicher Geschichte in der Nachkriegszeit. Den Nutzen gedruckter Nachrufe fiir die Individual- und Kollektivbiographie von Ingenieuren sowie fiir Arbeiten zum Selbstbild der technischen Intelligenz diskutiert der Berliner Technikhistoriker Wolfgang Konig in seinem Beitrag tiber "Nachrufe als Quellen fiir eine Sozialgeschichte der Technik". Konig raurnt dabei Nachrufen kaurn Bedeutung fUr die Individualbiographie ein, da sie nur wenige Fakten beinhalten, die fiir diese verwendbar sind. Anhand eines Samples von 433 Nachrufen aus dem Be- Einfohrung 7 reich der Elektrotechnik im Zeitraurn von 1883 bis 1975 kommt KOnig zu einigen allgemeinen Aussagen 1lber den Wandel des Berufsbildes dieses Ingenieurzweiges. In den letzten Jahren hat sich die Biographik neuen methodischen Ans!tzen zuge wandt. Besonders in den Vereinigten Staaten wurde dabei die ,,Psychohistorie" als Instrument herangezogen. Die Marburger Professorin Christina Schachtner analysiert in ihrem von der Psychohistorie bestimmten Beitrag den Zugang von Frauen zu tech nischen Berufsfeldem und deren Akzeptanz in diesem Bereich. Kernkategorien ihrer Untersuchung sind die theoretischen Begriffe "Geschlecht", "Professionalisierung" und der von dem franzOsischen Soziologen Pierre Bourdieu formulierte Ansatz des "professionellen Habitus". Indem Schachtner in ihrer Untersuchungsgruppe, "Soft ware-Entwicklerinnen", eine enge Verkntipfung zwischen lebensgeschichtlichen Er eignissen und Erfahrungen mit Ausbildung und Sozialisierung nachweisen kann, for muliert sie ihre Kemthese dahingehend, daB Art und Umgang der Auseinandersetzung mit diesem durchaus als widersprftchlich erfahrenen ProzeB die Professionalisierungs und Karrierechancen der Software-Entwicklerinnen bestimmten. Ebenfalls auf Pierre Bourdieu und dessen Habitus-Konzept greift Maria Osietzki in ihrem Beitrag " ... unser Ohr dem Nichtgesagten Offnen" zurftck, das sie bin zu einer "Strukturgeschichte des Subjektiven" erweitem will. Das Anregende dieses Beitrages liegt darin, daB die Nutzung sozialkonstruktivistischer Methoden empfohlen wird, ohne aus der Dezentrierung des Subjekts ein Postulat zu machen. Ais Vertreter der Oral History schildert Alexander von Plato, Leiter des Instituts fUr Geschichte und Biographie an der Femuniversitat Hagen, anhand von sechs, teil weise ausfiihrlichen Interviews das Selbstbild von Technikem und Ingenieuren in der Nachkriegszeit. Seine Interviewpartner stammen aus verschiedenen bftrgerlichen Mi lieus. Trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft kann von Plato gemeinsame Argumenta tionsmuster nachweisen, wenn es urn die Beschreibung ihrer NS-Vergangenheit und urn ihre Einbindung in das NS-System geht. Ein wesentlicher Rechtfertigungsgrund ist die deutliche Betonung des anti-ideologischen Moments ihres Handelns; auch Technik wird als ideologiefrei geschildert. Gemeinsam ist den interviewten Akteuren eine hohe Fortschrittsgl!ubigkeit bei Ausblendung der Okologischen Konsequenzen modemer Technik. Platos kritische Distanz in den Gespr!chen ist dabei durchaus selbstkritisch. BewuBt ist ibm auch, daB durch die Haltung der Alliierten in Ost und West, als in der Nachkriegszeit die intellektuelle Potenz der Techniker, Ingenieure und Untemehmer ohne R1lcksicht auf ihre nationalsozialistische Verstrickung fUr den Wiederaufbau oder fUr die Weiterentwicklung von Technologien benOtigt wurde, den geschilderten Rechtfertigungsmechanismen Vorschub geleistet wurde. PavIa Vo sahlikovcl, Tschechische Akademie der Wissenschaften, beschreibt in ih rem Beitrag tiber den alltagshistorischen Ansatz in der technikhistorischen Biogra phieschreibung das Erfahrungswissen in Handwerk und Industrie, aufbauend auf tschechischen Autobiographien und Reiseberichten von Handwerkem und Technikem des sp!ten 19. und frtihen 20. Jahrhunderts. Sie zeichnet ein Alltagsbild des techni schen Forschrittes, wobei sich interessante Parallelen aufiun; so wird die traditionsbe haftete Walz der Handwerker mit den Studienfahrten der Absolventen technischer Hochschulen parallelisiert. In beiden FaIlen wird neben den unmittelbaren Erfahrun gen und Erkenntnissen auf technischem Gebiet auch eine neue, differenziertere Per- 8 Einfiihrung spektive gewonnen - vielleicht ein Grund, weshalb dieser Lebensabschnitt in den als Quellen herangezogenen Erinnerungen von Handwerkern und Technikern gegenOber den spateren Lebensetappen sehr ausfilhrlich behandelt wird. Der Wanderschaft bzw. den Studienfahrten kommt damit eine sehr wesentliche Rolle bei der Bewertung der technischen Entwicklung eines Landes zu; die SchluBthese besagt, daB die Wander schaft ein Mittel des technischen Fortschrittes war. In ihrem Aufsatz rekonstruiert Margot Fuchs die Biographien einer Reihe frOher Studentinnen der Ingenieurwissenschaften der Technischen Universitat MUnchen anhand von Interviews. Untermauert von statistischem Datenmaterial wird diese Art der Quellenanalyse als "eine der wichtigsten empirischen Arbeitsformen" fOr die Frauen- und Geschlechtergeschichte beschrieben. Die Autorin untersucht die soziale Herkunft, die Schulbildung, die Motive zum technikwissenschaftlichen Studium, und - in Anlehnung an Pierre Bourdieu - die Aneignung des beruflichen Habitus durch die Probandinnen und schliel3lich deren Arbeitsfelder. Der erhebliche Anteil der sozial gesellschaftshistorischen Rahmenbedingungen am Emanzipationsprozel3 an den Tech nischen Hochschulen und insbesondere an den individuellen Entscheidungsprozessen wird durch die Analyse der Erinnerungsinterviews bekraftigt; ebenso wird das Span nungsfeld zwischen Berufen mit "manDlichem Image" und dem gesellschaftlich vor herrschenden Frauenbild der Zeit beleuchtet. Am Beispiel der Biographie Felix Wankels und der Geschichte des Wankelmotors untersucht Andreas Knie einen Innovationsverlauf innerhalb einer "hochvermachteten Branche", namlich der Automobilindustrie. Dieser Industriezweig zeichne sich durch brancheninternes Beharrungsvermogen aus, welches nicht zuletzt im erfolgten "Schliel3ungsprozel3" bei der Auslegung und Konfiguration von Automobilen resultie reo Seitens der von Knie vertretenen sozialwissenschaftlichen Technikforschung stellt die Innovation des Wankelmotors, welcher Ober einige Jahre tatsachlich als Alternati ve zum Hubkolbenmotor mit erheblichem Aufwand weiterentwickelt wurde, ein be merkenswertes Beispiel dafOr dar, wie eine Einzelperson bzw. eine kleine Akteurs gruppe unter Ausnutzung aller Handlungsspielraume langst entschieden geglaubte technische Systementscheidungen wieder offnen konnen. Das neuartige Motorkonzept stellte einen "Meilenstein in der Ausweitung eines bislang starren Konzeptes" dar, wenngleich es zu keiner grundlegenden Neuinterpretation des bestehenden Automo bilkonzeptes ftihrte. Knie ilberschreitet bewul3t und provokant die Grenze des biogra phischen Ansatzes. Er lost dabei individuelle "Erfmder"-Geschichte auf, die sich bei der Untersuchung der Arbeitsweisen von Industrieunternehmen als wenig gangbare Methode erwiesen habe. Paul Erker hingegen gesteht dem biographischen Ansatz in der Technikgeschichte, insbesondere innerhalb der FrOhphase einzelner Branchen, erheblichen Wert zu. Am Beispiel Ernst Heinkels untersucht er eine Technikerbiographie im Spannungsfeld zwischen innertechnischem Fortschritt und wechselnden politischen und wirtschaftli chen Rahmenbedingungen. Heinkel geMrt zu denjenigen charismatischen Akteuren, die nicht nur innerhalb ihrer eigenen Firmen, sondern auch auf politischer Ebene Ge wicht hatten. Erker niltzt Heinkels Biographie als "Perspektive und analytischen Zu gangsweg", urn den Zusammenhangen zwischen der jungen Luftfahrtindustrie und dem Typus des Erfinder-Unternehmers nachzugehen. 1m Rahmen dieser Fallstudie der

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