LEHRBUCH DER PFLANZENPHYSIOLOGIE ERSTER BAND J ZWEITER TEIL BIOCHEMIE UND PHYSIOLOGIE DER SEKUNDAREN PFLANZENSTOFFE VON DR.KARL PAECH PROFESSOR AN DER UNIYERSITXT TUBINGEN MIT 18 ABBILDUNGEN SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1950 ISBN 978-3-662-27790-4 ISBN 978-3-662-29290-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-29290-7 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER UBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1950 BY SPRINGER-VERLAGBERLINHEIDELBERG URSPRUNGLICHERSCHIENENBEI SPRINGER-VERLAG, BERLIN, GOTTINGEN AND HEIDELBERG 1950 SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1ST EDITION 1950 MEINEM LEHRER WILHELM HUHLAND PROFESSOR DR. ZU SEINEM 70. GEBURTSTAG IN AUFRICHTIGER VEREHRUNG UND DANKBARKEIT Vorwort. Die meisten Pflanzen riechen oder schmecken eigenartig, viele enthalten giftige, heilende oder technisch nutzbare Stoffe. Die Pflanzen sind duroh ihre Inhaltsstoffe wahrsoheinlioh ebenso eindeutig zu oharakterisieren wie duroh ihre Gestalt und Anatomie. Keinem einzelnen von uns ist es aber heute mehr möglich, die Literatur über Pflanzenstoffe vollständig zu sammeln oder gar zu verarbeiten, um etwa das Werk von CZAPEK in einem ähnliohen Umfang fortzusetzen. Das hier gewagte Unternehmen, die Überschau zu behalten, die für ein tieferes Verständnis der sog. sekundären Pflanzenstoffe unerläßlich ist, und dazu dooh nur eine sehr knappe Aus wahl von ihnen heranzuziehen, hat noch keinen Vorgänger in der Literatur. Es ist daher fast selbstverständlich, daß sich subjektive Bevorzugungen, einseitige Blickrichtungen, Fehlgriffe und andere Unzulänglichkeiten ein geschlichen haben. . Die Ungunst der äußeren Bedingungen, die sich vor allem in der schwierigen Beschaffung der ausländischen Literatur des letzten Jahrzehnts bemerkbar machten, trug weiter dazu bei, daß dieser erste Versuch mit einer Reihe erkannter und unerkannter Mängel be haftet ist. Ich halte aber die Zeit für gekommen, die Aufmerksamkeit einmal von einem zentralen Standpunkt aus auf dieseE! ungeheuer weite und mannigfaltige Gebiet des pflanzlichen Stoffwechsels zu lenken, dessen verständnisvolles Studium eine ähnliche Fülle großartiger Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten zu enthüllen verspricht, wie sie die vergleichende Morphologie für die Formbildung der Pflanzen aufgedeckt hat. Einer vergleiohenden Biochemie und Physiologie der Pflanzen soll also der Weg geebnet werden. Die Ausgangspunkte sind so ungleichwertig und zufällig, wie sie bei dem meist zu rein praktischen Zwecken gesammelten Material sein müssen. Das sinnlich Auffallende oder das technisch Brauchbare ist sicher nicht immer auch das physiologisch Aufschlußreiche. Die Absicht der vorliegenden Arbeit ist also, nicht nur ein Lehrbuch über unsere Kennt nisse zu bieten, sondern auch anzuregen, dieses weite Feld pflanzlicher Lebenstätigkeit mit biologisohen Blicken zu mustern. Es ist keine Frage, daß die dabei zu erwartenden Einsichten und Ergebnisse sich rückwirkend für die Gewinnung pflanzlicher Rohstoffe als vorteilhaft erweisen werden. Nicht nur dem Biologen, sondern auoh dem Pharmazeuten und Chemiker und jedem, der an dem Reichtum der Pflanzenprodukte teilhat, wollen die hier zusammengestellten Tatsachen und Gedanken dienen. Mit diesem Wunsch und in dieser Hoffnung übergebe ich das zunächst freilich frag mentarische Werk, bei dem einiges zutreffend sein mag, anderes revidiert und manches vielleicht ganz verworfen werden muß, der Öffentlichkeit, nachdem ich bereits vor einigen Semestern an der Technischen Hochschule Stuttgart und an der Universität Tübingen über dieses Thema gelesen habe. Die Einfügung in das "Lehrbuch der Pflanzenphysiologie", die zunächst nicht beabsichtigt war, kann nur sehr locker sein, da die Be arbeitung des allgemeinen Stoffwechsels, der die Grundlage für die hier behandelten Vorgänge abgibt, noch aussteht. VI Vorwort. Einige botanische Leser muß ich vielleicht wegen der zahlreichen Formeln im Text beschwichtigen. Da die Naturstoffe nur einen eng be grenzten Ausschnitt der organischen Chemie einnehmen, schließen die hier gebrauchten Formeln längst nicht alle Komplikationen ein, denen man bei der Struktur organischer Verbindungen begegnen kann. Die geringe Mühe, die es kostet, sich mit der F~~melschrift vertraut zu machen, wird meist sehr bald durch eine klarere Ubersicht über die Gestalt und eine tiefere Einsicht in die Zusammenhänge der Naturstoffe belohnt. Bei der Auswahl der Literaturzitate ließ ich mich davon leiten, neben den wichtigsten grundlegenden Untersuchungen auf den einzelnen Teil gebieten möglichst viele neueste Arbeiten nachzuweisen, auch wenn es sich dabei nur um ganz spezielle Probleme handelt, weil man von da aus sich leicht zu früheren Untersuchungen zurücktasten kann. Bei der Umgestaltung der Vorlesungsniederschrift zum Buch habe ich mich mancher Hilfe erfreuen dürfen. Einen hervorragenden Anteil daran hat Herr Professor Dr. W. RUHLAND, der sich der Mühe unterzog, das ganze Manuskript zu lesen, das er mit wertvollen Anmerkungen versah. Herr Dr. phil. habil. J. WOLF hat den Abschnitt über die niederen Carbon säuren ebenfalls kritisch durchgesehen, und Herr Studienreferendar W. HEILIGMANN hat mich beim Lesen der Korrekturen unterstützt. Herr Professor Dr. E. BÜNNING nahm mich, nachdem ich 5 Jahre ganz der Botanik entfremdet war, mit großem Entgegenkommen in sein Institut auf. Ihnen allen möchte ich auch an dieser Stelle meinen herzlichen Dank zum Ausdruck bringen. Dem Verlag, der auf die technische Ausgestaltung des Buches große Mühe und Sorgfalt verwendet hat, bin ich ebenfalls zu Dank verbunden. Tübingen, Januar 1950. K. PAECH. Inhaltsverzeichnis. Seite 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . 1 H. Allgemeine Formen des Stoffwechsels 5 A. Einheitlichkeit und Mannigfaltigkeit 5 B. Kettenprozesse . . . . . . . . . . 6 C. Ausscheidung aus dem Stoffwechsel 9 D. Die Gruppenübertragung 15 1. Übersicht. . . 15 2. Glykosidbildung 17 a) Allgemeines 17 b) Glykosidasen . . . . . . . . . . 20 c) Senfölglykoside und Nucleinsäuren 23 d) Transglykosidierung 24 e) Entgiftung . . . . 27 f) Glykosidhaushalt . 29 E. Die Häufigkeitsregel . . 29 IIl. Die niederen Carbonsäuren . 31 A. Überblick . . . . . . . .31 B. Der diurnale Säurerhythmus 33 C. Chemische Zusammenhänge der pflanzlichen Säurebildung 40 1. Die C -Dicarbonsäuren . . 41 4 2. Die Tricarbonsäuren . . . . . 44 a) Der Citronensäureabbau .. 44 b) Der Tricarbonsäurekreislauf . 47 c) Die Anwendung auf den diurnalen Säurerhythmus . 51 3. Die Essigsäure ..... . 52 4. Die ltakonsäure. . . . . . . . . . . . . . . . 54 5. Die C.-Monocarbonsäuren ........... . 55 6. Die Oxalsäure. . . . . . . . . . . . . . . . . 60 7. Weinsäure, Milchsäure und einige weitere Säuren. 62 D. Fruchtreifung und Säureumsatz . . . . . . . . . . 64 E. Die physiologische Bedeutung der Säuren für die Pflanzen. 66 IV. Der Fettstoffwechsel der Pflanzen 71 A. Allgemeine Eigenschaften der Fette . . . . 71 B. Die Bedeutung des Fettes für die Pflanzen 74 C. Fettbildung in reifenden Samen ..... . 75 D. Die Mobilisierung des Fettes in keimenden Samen 76 E. Fette in anderen Organen und in Mikroorganismen 80 F. Der Chemismus der pflanzlichen Fettsynthese . 83 G. Die pflanzlichen Wachse 85 H. Cutin und Suberin .. 87 V. Die Terpenverbindungen . . 88 A. Allgemeiner Überblick : 88 B. Der chemische Aufbau der Terpene 91 1. Die offenen Terpene . . . . 91 a) Mono- und Sesquiterpene .. 91 b) Diterpene . . . . . . . . . 95 c) Tri- und Tetraterpene . . . . 97 d) Kautschuk, Guttapercha usw. 99 VIII Inhaltsverzeichnis. Seite 2. Die cyclischen Terpene 100 a) Monoterpene . . . . 100 b) Bicyclische Monoterpene . 105 c) Sesqui- und Diterpene. 107 d) Triterpene . . . . . . . HO e) Tetraterpene . . . . . . H7 C. Der Anschluß der Terpenbildung an den allgemeinen Stoffwechsel 124 1. Die Isoprenhypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Andere Vorstellungen über die Genese der Terpene. . . . 126 D. Die Entstehung der Terpenverbindungen in der Einzelpflanze 12S 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12S 2. Ätherische Öle und Harze . . . . . . . . . . . . 130 3. Der Exkretionsvorgang ............. 133 4. Die Physiologie der Polyterpene (Kautschukbildung) 137 E. Die Bedeutung der Terpenverbindungen für die Pflanze 141 1. Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . 141 2. Die Äthylenwirkung . . . . . . . . . . 143 3. Die Wirkung ätherischer Öle und Harze. 145 4. Die Saponine, Digitahsglykoside u. ä. . . 147 VI. Die stickstofff reien aromatischen Verbindungen. 148 A . .Allgemeines . . . . . . . . . . . . 148 B. Die hydroaro~atischen Verbindungen 150 1. Inosit. . . 150 2. Chinasäure 153 C. Die Phenole . 154 1. Phloroglucin . 155 2. Die Gerbstoffe. 156 3. Zweiwertige Phenole . 160 4. Polyphenolasen . .. .. . 162 5. Phenol und andere einfache Benzolderivate 164 D. Die Phenyl.Propan-AbkömmIinge . . . 164 1. Die Zimtsäure und ihre Verwandten 165 2. Ligninbildung . . . . . . . . . . 169 a) Der chemische Bau des Lignins . 169 b) Der Vorgang der Verholzung. . . 171 3. Vanillin und ähnliche natürliche Benzolderivate 173 E. Verbindungen mit kondensierten Benzolkernen 173 1. Naphthalinderivate . . . . . . . . . . . . 173 2. Anthrachinonderivate. . . . . . . . . . . 174 F. Die Flavanabkömmlinge (Flavone, Anthocyane, Katechingerbstoffe) . 176 1. Das Hesperitin und andere Flavanone . 176 2. Die Chemie der Anthocyane . . . . . 178 3. Die Chemie der Flavone und Flavonole 182 4. Die Chemie der Katechine . . . . . . 185 5. Die natürlichen Farbtönungen . . . . . . 186 6. Synthese und Umsatz der Flavanderivate in Pflanzen. 189 7. Die Verankerung der Flavanderivate an Genen. . . . . . . 199 8. Die Bedeutung der Anthocyane und Flavone für die Pflanze 201 VII. Die stickstoffhaitigen sekundären Pflanzenstoffe. (Die Verwandten der Amino- säuren) ....... . 203 A. Allgemeiner Überblick . . . . . . . . . . 203 Inhaltsverzeichnis. IX Seite B. Die biogenen Amine und die Betaine 204 1. Allgemeines . . . . . . . . 204 2. Betaine ............ . 206 3. Einige aromatische Amine . . . . 207 C. Die heterocyclischen N-haltigen Verbindungen. 209 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Die Entstehung und Verbreitung der Alkaloide. 211 a) Die Verbreitung im Pflanzenreich . . . . . 211 b) Die Bildung von Alkaloiden in den Wurzeln 212 3. Die Hauptgruppen von Alkaloiden 216 a) übersicht. . . . . . . . . . . . . 216 b) Die Purinderivate . . . . . . . . . 217 c) Pyrrolidin-Abkömmlinge ..... . 220 d) Piperidin- und Pyridin-Abkömmlinge 220 e) Einige Alkaloide mit dem Tropangerüst ...... . 223 f) Einige Alkaloide mit Chinolin- und Isochinolinringen . 227 g) Die Steroidalkaloide .............. . 231 h) Die Alkaloide des Mutterkorns und einige Pilzgifte 232 4. Die Vergesellschaftung von Haupt- und Nebenalkaloiden am Beispiel der Tabakalkaloide . . . . . . . . . . . . . . . . 233 5. Die Verwandten des Tryptophans. . . . . . . . 238 6. Versuche zur Biogenese der Alkaloide . . . . . . 245 7. Einige einzelnstehende N-haltige sekundäre Stoffe 248 D. Die Blausäureverbindungen 250 E. Die Senföle 252 VIII. Rückblick 254 Literatur 258 Sachverzeichnis. 264 I. Einleitung. Der allgemeine Stoffwechsel (Kohlenhydratabbau, Eiweißumsatz) ver läuft im tierischen und im pflanzlichen Organismus in ganz ähnlichen Bahnen, auf weite Strecken hin sogar völlig identisch. Die Differenzierung setzt erst im Anschluß an diese primären Vorgänge ein. Das Tier bringt ne.ue chemische Verbindungen meist nur in winzigen Mengen, in erster Linie zur Steuerung seiner Lebensvorgänge, hervor und ist dabei oft noch aUf die Zulieferung ziemlich komplizierter Bausteine aus dem Pflanzenreich angewiesen. Die Pflanzen hingegen, vor allem die autotrophen, schaffen vermöge von Fähigkeiten und Eigenheiten, die wir noch nicht ganz durch schauen, eine üppige Fülle verschiedenartiger chemischer Verbindungen zum Teil in so großen Mengen, daß sie noch bis in unsere technisch hoch entwickelte Zeit als wohlfeile Rohstoffe für be~eutende Industrien genutzt werden, wie Kautschuk, Harze, ätherische OIe, Gerbstoffe, Farbstoffe, Kork, Holz, Alkaloide, Vitamine usw. Bisher stand der Nutzen für das menschliche Leben bei allen diesen Pflanzenstoffen so stark im Vordergrund, daß deren Einteilung und nähere Untersuchung meist mit solchen praktisch-technischen, pharmakologischen oder kommerziellen Absichten und seltener mit Rücksicht auf ihre Funktion in den Pflanzen vorgenommen wurden. Dieses technische Interesse führte zu einer hemmenden Verengung der Gesichtswinkel und ist sicher zu einem grüßen Teil schuld daran, daß uns diese Stoffe trotz der schon sehr weit getriebenen Aufklärung ihrer chemischen Konstitution doch bisher noch recht rätselhaft in ihrer Rolle im pflanzlichen Stoffumsatz geblieben sind. Das mangelhafte Wissen über Herkunft und Umsetzung dieser bunten Schar von Verbindungen hat gewiß auch andere weniger willkürliche Gründe. Solange primäre Stoffwechselvorgänge wie die Kohlensäureassimilation in der grünen Pflanze noch ungeklärt sind, oder der Abbau der Kohlen hydrate im Zuge der Atmung erst auf langwierigen Umwegen hat aufgehellt werden müssen, solange mußten diese abgeleiteten Stoffe naturgemäß zurückstehen. Da sich viele von ihnen durch Geruch, Farbe oder andere Reizwirkungen als physiologisch besonders aktiv bekunden, haben die Biologen mit Vor liebe ihre Aufmerksamkeit auf Zweck und Nutzen dieser Stoffe im pflanz lichen Leben gelenkt und deren tatsächliche oder vermeintliche ökologische Bedeutung gewürdigt. Ihre Entstehung hingegen ist meist noch in Dunkel heit gehüllt. Sie stellen ein weites Gebiet vernachlässigter Stoffwechsel beziehungen dar, und selbst wenn es zuträfe, daß viele von ihnen nur Abfallprodukte, "Hobelspäne", beim Aufbau des Organismus sind, so würden sie kein geringeres physiologisches Interesse verdienen, denn auch dann könnte die Kenntnis ihrer Entstehung Einblicke in das komplizierte Ge triebe der wesentlichen Stoffumwandlungen vermitteln, Der große Reich tum an Naturstoffen ist ein Charakteristikum der pflanzlichen Organismen, und erst die Aufdeckung der Genese all dieser Verbindungen und ihre Einordnung in das Spiel des Stoffwechsels kann die ganze Weite der synthetischen Fähigkeiten zeigen, über die die Pflanzenzelle verfügt. Wenn auch nicht alle Pflanzen in gleichem Ausmaß daran teilhaben, so sind diese P~h, Pflanzenphysiologie, Ib. 1