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Bildmacht und Sozialanspruch: Studien zur Kunstsoziologie PDF

236 Pages·1997·4.682 MB·German
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Hans Peter Thurn Bildmacht und Sozialanspruch Hans Peter Thum Bildrnacht und Sozialanspruch Studien zur Kunstsoziologie Stadtbibliothek (00899635:12.03.98) T:00344255 Leske + Budrich, Opladen 1997 Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier. ISBN 978-3-322-93315-7 ISBN 978-3-322-93314-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-93314-0 © 1997 Leske + Budrich, Opladen Softcover reprint ofthe hardcover 1st edition 1997 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Bildmacht und Sozialanspruch .... .................................................... .... 7 Die Kunst in der Gesellschaft Zur Standortbestimmung der Kunstsoziologie ................................. ... 9 Gesellschaftstheorie und Kunstbegriff Entwicklungslinien ihres Wechselverhältnisses .................................. 27 Jean-Marie Guyau Ein Klassiker der Kunstsoziologie .................................................. .... 43 Kunst als Beruf ................................. ................................................... 57 Die Sozialität der Solitären Gruppen und Netzwerke in der Bildenden Kunst 81 Die "Gruppe 53" und ihre Künstler Eine Fallstudie ..................................................................................... 123 Freundschaftskult und Geschäftsinteresse Männerbünde in der Bildenden Kunst 135 Zwischen Reform und Restauration Kultur und Kunst um 1900 .................................................................. 149 Im Kampf für das Neue Zur Entstehung des modernen Kunsthandels zwischen Kaiserreich und Diktatur ... ............... ................................................... 167 6 Inhalt Literatur und Alltag im 20. Jahrhundert .............................................. 179 Können Künstler die Welt verändern? ............ .................................... 215 Probleme der ästhetischen Erziehung aus soziologischer Sicht ........... ..... .... ......................................................... 229 Drucknachweise .......................................................... ........................ 244 Bildmacht und Sozialanspruch Bildmacht und Sozialanspruch: um die Spannung zwischen diesen beiden Polen kreisen die Studien des vorliegenden Bandes. Sie messen das Feld, auf dem Kunst entsteht und wirkt, zugleich historisch und systematisch aus. Wie auch immer dabei der Standpunkt der Darstellung je nach dem angeschnittenen Thema wechselt, so wird doch deutlich, daß seit jeher Künstlerinnen und Künstler sich an der Frage rieben, wie weit die Wir kung ihrer Werke reicht und ob die Art der erlangten Geltung ihrer Er wartung entspricht. Denn mit jedem Gemälde, jeder literarischen oder musikalischen Hervorbringung verbindet sich die seit frühesten Zeiten bezeugte Hoffnung, imaginativen Einfluß auf die Vorstellungswelt ande rer Menschen zu erlangen, deren Denken und Fühlen in Bann zu ziehen, wenn nicht gar ihr Handeln mitzuleiten. Der Wunsch nach solcher Bildmacht, der aller Profanisierung zum Trotz moderner Kunst kaum weniger eignet als der religiösen vergange ner Epochen, ist insofern von mancherlei Sozialanspruch durchtränkt. Mag dieser sich im Einzelfall nur versteckt äußern, dem Urheber selbst verborgen bleiben, gar geleugnet werden: die These, daß jedwede Kunst äußerung von einer mehrschichtigen und auch deswegen oft wider sprjchlichen Sozialität durch waltet wird, findet in den Darlegungen die ses Buches durchgehende Aufmerksamkeit und Bestätigung. Der Kunst soziologie stellt sich dementsprechend die Aufgabe, diese innere Soziali tät des Schaffens wie der Werke zu durchleuchten, ihre Anlässe und Möglichkeiten ebenso wie ihre Ausdrucksmittel und Grenzen erkennbar zu machen. Die hier vorgelegten Abhandlungen über Kunst als Beruf, über künstlerische Gruppen- und Netzwerkbildungen oder über die Wech selbezüge zwischen Literatur und Alltag unternehmen Versuche in dieser Richtung. Neben ihrer inneren Sozialität haben jedoch Kunst und Künstler äu ßere Sozialansprüche zu bewältigen. Wo und wie immer sie sich zur Wirkung bringen wollen, treffen sie auf Definitionen, Konventionen, 8 Bildmacht und Sozialanspruch Traditionen und dergleichen mehr, die ihnen anzeigen, was sie dürfen oder sollen, welche Erlaubnisse oder Zwänge sie erwarten. Ihr Geltungs anspruch wird von Freunden wie Gegnern, von Normen und Institutionen in stärker oder schwächer ersichtliche Bahnen gelenkt. Häufig haben Maler die Ambivalenz, das Schwanken zwischen Faszination und Skep sis, dem die Kunst beim Publikum begegnet, ins Bild gerückt. Auch Ho nore Daumier betont es in den Mienen und Koptbaltungen der Atelierbe sucher auf jener Darstellung, die dem vorliegenden Band als Frontispiz dient. Auf diesem Terrain mag die Kunst sich entfalten oder verdorren, sich mit den Duldungen abfinden oder sie sprengen. In jedem Fall aber muß sie sich solchen Anmutungen stellen, muß versuchen, mit Beifall, Gleichgültigkeit oder Ablehnung zurechtzukommen, kann auch mehr oder weniger kämpferisch danach streben, die äußerlich erfahrenen So zialansprüche mit der erwünschten Bildrnacht in Einklang zu bringen. Auf welche Weise dies konkret betrieben wird, mit welchen Absichten, Mitteln und Ergebnissen, wo die Risiken und Grenzen der dabei einge setzten Strategien liegen: solchen und damit verwandten Problemen widmen sich in diesem Buch unter anderem die Studien über Künstler gruppen und Männerbünde, über Kultur und Kunst um 1900, über die Entstehung des modemen Kunsthandels. Welche Konstellationen auch immer aus der Spannung zwischen äs thetischer Produktion und soziokultureller Aneignung erwachsen mögen, in ihnen (die vor allem es soziologisch zu beschreiben und zu deuten gilt) of fenbart sich das symbolisch wie handlungsmäßig komplizierte Mehrebe nenverhältnis zwischen Künstlern, Kunstwerken, Vermittlern und Publi kum. In solchen Geflechten wirken nicht selten praktische Interessen, gar pädagogische Absichten mit. Auf welche Weise derartige Aspekte ins Spiel kommen und bis wohin sich ihnen das künstlerische Ereignisfeld fügt, erkunden die beiden abschließenden Aufsätze über die Veränder barkeit der Welt durch die Künstler und über Probleme der ästhetischen Erziehung. Wie sehr mit alldem nur Anstöße zu weiteren Überlegungen und Forschungen gegeben werden können, dessen ist sich der Verfasser ebenso bewußt wie der Tatsache, daß das unautbörliche Vexierspiel von Bildrnacht und Sozialanspruch mit jeder erteilten Antwort neue Fragen gebiert. Die Kunst in der Gesellschaft Zur Standortbestimmung der Kunstsoziologie 1. Probleme des Kunstbegriffs Daß künstlerische Werke auf mannigfache Weise zu menschlicher Le benswirklichkeit in Beziehung stehen, daß sie Zeugnisse kultureller Um gebungsverhältnisse ebenso wie gesellschaftlicher Zustände sind, daß sie mithin kaum je nur auf sich selbst verweisen, sondern stets auch über sich hinaus: diese Einsicht begleitet in Europa von den frühesten Anfängen an das Nachdenken über die Eigenart der Kunst. Schon in der Antike setzt dementsprechend die systematische Reflexion über die mit dieser Er kenntnis verbundenen Fragen ein und gelangt, etwa in Aristoteles' Be schreibung der Kunst als gleichermaßen selbstbestimmend und außenge leitet, als autopoetisch und soziopoetisch, zu wegweisenden AntwortenI• Blieb fortan diese Doppelgestalt aller Kunst zumal im Hinblick auf ihre inhaltlichen und formalen Erscheinungsweisen immer wieder aufs Neue erörterungsbedürftig, so bekundet sich in den diesbezüglichen Debatten zugleich jene weitere, anhaltende Schwierigkeit, die sich über die philo sophische Ästhetik den Kunstwissenschaften und noch der Kunstsozio logie mitteilt: die definitorische Unsicherheit, die dem Kunstbegriff seit je und bis heute eignet. Ästhetik und Kunstwissenschaft haben auf dieses, dem Kunstgesche hen selbst entstammende Problem einer stets nur vorläufig, annäherungs weise und ausschnitthaft möglichen Deskription künstlerischer Ereignis felder höchst produktiv reagiert. Immer wieder der Notwendigkeit kon frontiert, neu hinzutretende künstlerische Ausdruckstechniken dem zuvo rigen Kunstverständnis einzugliedern sowie künstlerische Inhaltserobe rungen und Formentdeckungen schöpferisch zu erfassen, hielten sie den Kunstbegriff und das ihn umlagernde semantische Feld (mit Kategorien wie Schönheit, Häßlichkeit und dgl.) in einem stetigen Fluß definitori scher Neuformulierung und Erweiterung. Der in diesem Bemühen zutage tretende Umstand, daß sich ein Großteil aller Kunst als semantische Ver- 10 Die Kunst in der Gesellschaft wandlungsgestalt darbietet, die sich letztgültigen Fixierungen entzieht, bedarf angemessener Berücksichtigung auch bei der Analyse von deren sozialen Konnotationen. Ein Wesensmerkmal aller Kunst ist zudem in allen Epochen ihre Er scheinungsvielfalt. Entsprechend weit ist der thematische Horizont der Kunstsoziologie: er reicht (in einigen der üblichen, doch fragwürdigen Ter mini ausgedrückt) von der Hoch-, Künstler- und Elitenkunst über Ge brauchs-, Industrie- und Handwerkskunst bis hin zur Volkskunst, den vie len Derivatbildungen und Trivialisierungen, zum Kitsch und dergleichen mehr2 • Angesichts dieser Palette von Erscheinungen kann, soziologisch be sehen, der Singular des Wortes allenfalls als gedankliche Konstruktion ak zeptiert werden, deren Allgemeinheitsgrad jedoch den Plural der tatsächli chen Kunstäußerungen nicht vergessen machen darf. So wenig es je die ei ne, uniforme Kunst gab oder gibt, so kaum auch je ihre Eindeutigkeit und einzige Nutzbarkeit. Vielmehr geht die Erscheinungsvielfalt der Künste und ihrer einzelnen Gattungen mit semantischer und funktionaler Polyvalenz einher. Dieser multiplen Bedingtheit, Verfasstheit und Eignung entspre chend gibt sich das einzelne Kunstwerk als ein Mehrebenenprodukt und Mehrebenenanspruch zu erkennen, dessen Sinnesstatus kombinatorisch ist, indem an seiner Entstehung körperlich, geistig und seelisch stets mehrere Produktionsorgane beteiligt sind, und das seiner Wirkungsabsicht nach eine ähnlich vielfältige Aneignungsbetätigung seitens des Rezipienten erheischt. Wie der Konturoffenheit des Kunstbegriffs die Nichtfestlegung der künst lerischen Geltungswirklichkeit korrespondiert, so entspricht der äußeren Mehrfachbedingtheit und Vielgestaltigkeit der Kunstwerke ihre operationa le und sinnhafte Binnenkomplexität. Zugleich ist diese Struktur die Bedin gung für die Möglichkeit sowohl des historischen Überlebens als auch des Austauschs von Kunstwerken über sozialweltliche Grenzen hinweg, für ih re transepochale wie für ihre translokale Adaptabilitäe. 2. Anfänge der Kunstsoziologie Einer solchermaßen als vielschichtig erkannten Kulturwirklichkeit gegen über voreilige Reduktionen zu vermeiden, galt als intellektuelle Selbst verpflichtung schon jenen frühesten Kunstforschern, die sich auch für die sozialen Begleitumstände ihres Sujets interessierten. Diese Haltung drückt sich jahrhundertelang bei Philosophen, Enzyklopädisten, Reiseschriftstel lern und Amateuren aller Art aus, denen die Kunst des eigenen Volkes wie diejenige fremder Landstriche als ein "mirabile" galt, als eine Errun- Die Kunst in der Gesellschaft 11 gen schaft, die zu sehen, zu studieren und zu achten sich jederzeit lohne. Indem sie die Kunst als Kronzeugin für die bemerkenswerte Mannigfal tigkeit menschlicher Kulturwelten entdeckten und emstnahmen, wurden sie ihrer als eines Globalphänomens und als einer anthropologischen Konstante inne: kein Volk, das nicht in der einen oder anderen Weise Kunst hervorbrächte, kein Mensch, der nicht mit ihr umginge oder umge hen solle. Mit dieser Einschätzung verband sich der Glaube an eine hohe Bedeutung von Literatur, Musik, Bildender Kunst für die Entfaltung ei nes menschenwürdigen Lebens, verstärkte sich die argumentative Imprä gnierung des Kunstbegriffs als einer humanistischen Wertidee. Die Verschiedenartigkeit und Reichhaltigkeit künstlerischer Aus drucksformen, die soziokulturelle Varianz der Universalie "Kunst", von der Pilger und Reisende, Weltumsegler und forschende Mönche als Zeu gen einer frühen Kunstethnographie kündeten, intensivierte vom 16. und 17. Jahrhundert an die Diskussion über die Modalitäten, unter denen die se Vielfalt zustandekam. Hatte zuvor schon die lange Reihe der Künst lerbiographen von Duris von Samos und Plinius Secundus d. Ä. über Lo renzo Ghiberti und Giorgio Vasari bis zu Carel van Mander und Joachim von Sandrart die Aufmerksamkeit fort von alleiniger Werkbetrachtung auf die Kenntnisnahme auch der äußeren Umstände, der Seelenverfas sungen und Geisteshaltungen gelenkt, aus denen heraus die Schöpfungen mehr oder weniger großer Meister entstanden, so erweiterte sich die dabei gleichwohl vorherrschende Individualorientierung von der Frühaufklä rung an um eine zunehmende Sicht auf allgemeinere Vorgänge und Ver hältnisse4• Indem die reisenden Forscher die Gesamtkulturen fremder Völker studieren, lenken sie den Blick auch über die ästhetischen Gren zen Europas hinaus. Sie registrieren die Kunst jener Völker, sammeln sie, vergleichen sie mit den Errungenschaften ihrer heimischen Zivilisation, bewerten sie. Durch derartige Bestandsaufnahmen bereichert und verfei nert sich die Perspektivik, ist die Kunstsoziologie des 18. Jahrhunderts in hohem Maße Kunstethnologie und ästhetische Komparatistik, wie sie sich in den Berichten von Joseph-Franc;ois Lafitau, Louis Antoine de Bou gainville, Georg Forster und vielen anderen bekundets. Diese durchaus schon komplexe, weil gleichermaßen psychologische, soziologische und kulturvergleichende Betrachtungsweise wird an der Schwelle zum 19. Jahrhundert von aufklärerisch gesonnenen Geistern ge wissermaßen nach Europa zurückübertragen, auf die sowohl innergesell schaftliche als auch internationale Analyse europäischer Kunst-Verhält nisse angewandt. Schon mit ihrer wegweisenden Schrift "De la litterature consideree dans ses rapports avec les institutions sociales" (1800) stellt Germaine de Stael der Kunstsoziologie die programmatische Aufgabe,

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