Biblisch-talmudische Medizin Beiträge zur Geschichte der Heilkunde und der Kultur überhaupt. Von Dr. Julius Preuss Arzt in Berlin. Dritte unveränderte Auflage. BE R LI N 192~. VERLAG VON S. KARGER KARLSTRASSE 15. Alle Rechte vorbehalteil DEM ANDENKEN MEINER ELTERN. Inhalt. Vorwort. Einleitung. S. 1. Erstes Kapitel: Der Arzt und das übrige Heilpersonal. S. 10-43. D er Ar z t. Umfang seiner Tätigkeit 10. Spezialisten 13. 1\iilitär iirzte 14. Beamtete Aerzte 15. Methodik 16. Vorbildung 17. In Bibel und Talmud erwähnte Aerzte 18. Stellung im Weltsystem 23. Verantwortlichkeit 29. Honoral'e 1!4. - Der Ader l a s s er 37. D e r B e s c h u e i d er 3!l. D i e H e b a m m e 40. T i e 1' - heile J' 43. Die Zweites Kapitel: Teile des Körpers und ihre Verrichtungen. (Anatomie und Physiologie.) S. 43--157. Quellen der Anatomie. Obduktionen 43. Die äusse1·e Leibesform 48. Die 248 Glieder 6ti. Die Sinnesorgaue 74. Die Eingeweide: 01·gane der Verdauung 93, der Atmung 112. des Blutumlaufes 115. Uro genitalsystem 121. Nervensystem 148. Schlaf 151. Tl'iiumfl 15G. Drittes Kapitel: Die Krankheit und ihre Heilung. (Allgemeine Pathologie und Therapie.) S. 157-171. Viertes Kapitel: Die Krankheiten und ihre Behandlung. (Spezielle Pathologie und Therapie.) S. 172.-217. Seuchen 172. DieKrankheit der Philister 175. A.~kdrd 179. Fieber 182 . .Jeraq6n 187. Hydrops 190. Podagra 191. Hitzschlag 192. -Krank heiten dt:lr M\tndhöhle 194. Halskrankheiten 197. Krankheiten der Lunge 197, des Herzens 204. des Magendarmkana.ls 205: Dysen terie 208, Bulimie 209, die Krankheit .Jo&.UlS. des ANTIOCHUS und H~~RODES 210. Hämorrhois 212. Hehnint.hen 214. Krank heiten der Galle 215, der Milz 216. Diversa 217. Fünftes Kapitel: Verletzungen und Verbildungen. (Chirurgie.) s. 218-300. Instrwnente 219. Arten der Verletzungen 220. Verletzungen durch Tiere 224. Riesen tmd Zwerge 231. \'erlotztmgen des Kopfes 222. Missbildungen desselben 237. Rückenmark 239. Mundhöhle 240. "Der Stich in die Seite JEsv" 241. Eingeweide-Chi r n r g i e 242. Tracheotomie 243. Chirurgie der Speiseröhre 244. des Magen darmkanals 245. der Milz 249. der Leber 249. der Gallenblase 250. der Nieren 250, des Penis 251. · Kastration 254. Zwitter 262. Haru blase 264. Der Lahme 266. Untere Extremität 267. Prothesen 27:!. Narkose 276. \YWidbehandlung 277. Anhang: 1. Die Beschneidung 278. II. Der Ader- 1 a s s 289. Sechstes Kapitel: Augenheilkunde. S. 300. Krankheiten 300. Blindheit 313. Thempie 32(l. Sehgliiset· 324. Augenschminken 325. Diätetik 328. Siebentes Kapitel: Zahnheilkunde. S. ~29. Krankheiten 329. Extraktion 330. Pflege 331. Technik 332. Achtes Kapitel: Ohrenheilkunde. S. 333. Krankheiten 333. Der Taube und Taubstmume 337. Neuntes Kapitel: Krankheiten der Nase. S. 339. Zehntes Kapitel:. Nervenkrankheiten. S. 34.1. Epilepsie 341. Sonstige Krämpfe 345. Hysterie 346. Kopfschmerzen 348. Plet.hora 349. Liihnnmgen 351. Ischias 355. Elftes Kapitel: Geisteskrankheiten. S. 356. SAlTL und N1muKA D~EZAR 356. Besessene .'l60. :Morbus cardiacus 368. Zwölftes Kapitel: Die Erkrankungen der Haut. S. 369. J>ie qara;ath-Krankheit 369. Die Krankheit .<<chec!Jin 390: HIOB 390. Hr;;KIA 394. Der Aussatz A.egypt.ens 39j. Die 1m·ale rathan 401. ::;oustig:e Hautkrankheiten 405. l. Anhang: Gonorrhoe 409. II. Anhang: Kosmetik 414: Haar-lmd Ba.rttrH.Cbten 414. Depilatorien 427. Schminken 428. Oeleinreibtmgen 4 29. Seifen 430. Pa.rfiims .J31. Dreizehntes Kapitel: Gynäkologie. S. 434. Vierzehntes Kapitel: Geburtshilfe. S. 440. 1. Te i I: P h y s i o I o g i e. Schwangeri'!chaft 440. Die Frucht 448. Geburt 457. X achgehurt 462. Wochenbett 464. Das Neugeborene 466. Säugen 470. II. Te i 1: Pa t h o 1 o g i e. Unfruchtbarkeit 476. Abort 480. Embryotoroie 488. Kaiserschnitt 490. Jo('e d6plten 492. Die Geburtsgeschichten der Bibel 500. Fünfzehntes Kapitel: Die Heilmittel. S. 505. Pflanzliche 506. Tierische 508. Nichtarzneiliche &10. Diät 513. Gerokomie 51il. Krankenpflege 515. Krankenhäuser 518. Sechzehntes Kapitel: Gerichtliche Medizin. S. fl19. Keuschheit 523. Ehe 526. Debitum conjugale 529. Coitus inter rnptus 534. Aphrodisia<'a 538. Eheverbote 542. Incest 547. Levirats-Ehe 550. Ehebruch 552. Stupnun ö54. Virginität 558. - Prostitution 562. Jus primae noctis 570. Masturbation 573. Pädi eatio 575. Sodomie 583. Tribadie 585. Ba'al Pe•ör 586. Siebzehntes Kapitel: Gesundheitspfiege. S. 588. Speisegesetze 588. Reinheitsgesetze 595. Der Tote und seine Be st.ltttung 601. Selbstmord 603. \Vaschlmgen tmd Bädflr 617. Be schueidwtg 642. Sahbath 643. \Vasserversorgtmg 644. Aborte 645. Städtercinigtmg !151. Achtzehntes Kapitel: Diätetik. S. 65!J. E><sl·cgelu 653. Kahrungsmittel: Brot 654. Fleisch 656. Fische 661. Eier ü62. Milch 663. Honig 666. Oel66i. Vtlgetahilien 66!:!. Obst 671. Getränke: Was,;Pr. Bier 673. ·wein 674. - Stuhl 680. Fasten 681. Makrobiotik 686. Neunzehntes Kapitel: Schriften über Medizinisches in Bibel und Talmud. (Bibliographie.) S. 688. Register: 1. Verzeichnis der aus Bibel und Talmud zitierten Stellen. S. 70!). 2. Namen von KörperteilAll tmd Krankheiten. S. 729. H. .Sachregister. S. 7 31. Abkürzungen. S. 7.35. Die vorliegende Arbeit ist die erste über das Gesamtgebiet der biblisch-talmudischen Medizin, die von einem Arzte verfasst und unmittelbar aus den Quellen geschöpft ist. ~WUNDERBAR, der 1860 seine "Bibl.-talm. ~edizin" beendigte, war Laie, EBSTEIN, dessen Schriften 1901 und 1903 erschienen sind, ist auf die Benutzung der_ vorhandenen Bruchstücke von Uebersetzungen angewiesen. Weitere Werke über das Ge~amtgebiet der bibl.-talm_ Medizin existieren nicht. Ueber die talmudische Medizin allein haben wir nur die kleine Exzerptensammlung von RABBINOWICZ (Paris 1880) und das Schriftehen von BEBGEL (Lpz. 1885). Schon aus diesem Grunde ist es nicht wahrscheinlich, dass ro e i n e erstmalige Bearbeitung des Themas frei von Mängeln sein wird. Trotzdem unterlasse ich die übliche Bitte um Nachsicht; denn so angenehm ein liebevolles Uebersehen von Fehlern auch für den Autor sein mag, die historische \Vahrheit, auf deren Er mittlung es doch allein ankommen sollte, kann nur durch den Widerspruch gefördert werden. I c h wer d e daher a u c h in Zukunft für jeden Hinweis auf Lücken und Irr t ü m er a u fr i <' h t i g da n k b a r s e i n. Die Zahl der Kommentare, Lehrbücher und Einzelarbeiten iiber die Bibel ist sicherlich sehr viel grösser, n.ls sie selbst Buch staben hat; niemand wäre imstande, alles zu lesen, selbst wenn er das Alter der Urmenschen erreichte, selbst wenn er aller Sprachen mächtig wäre und jede Minute seines Lebens diesem Studium widmete. Es ist \\ohl als sicher anzunehmen, rlass man keinen Gedanken über irgendeinen biblischen Gegenstand aussprechen, keine Erklärung geben kann, die nicht bereits in ü·gendeiner dieser zahllosen Schriften enthalten ist. Was hier von der Bibel gesagt ist, gilt, wenn auch in sehr viel gflringerem Masse, auch vom Talmud. Ich verzichte daher feierliehst auf jeden Prioritätsanspruch, sei es auf sachlichem, sei es auf sprachlichem Gebiet, zumal der Ent deckerruhm doch eigentlich dem gehört, der einen Gedanken zuerst gedacht, nicht dem, der ihn zuerst durch Drneker:c~chwlirze fixiert hat. Andererseits übersehe man auch nicht., dass für den, der in diesem Schrifttum lebt und zu Hause i!!t, vieles obenauf liegt 1 was dem, der das Revier nur gelegentlich betritt, als grosse Ent deckung imponiert. Dass ich nirgends bewu:"st ein Plagiat be gangen habe, ist selbstverständlich. .:\Ian hat von meinen friiheren Arbeiten gesagt, sio seien "kühl bis ans Herz hinan" und ihnen diese Eigenschaft zum Vor wurf gemacht. Ich h o f f e .u n d ;v ü n ~ c h c , d a s s ru an v o n d i e s e m B u c h e das Hc l b e s a g e n kann. Freilich kann man bei keiner .Arbeit auf die Dauer der Liebe entraten, freilich hat auch mich die Zuneigung zur Sache niemals Yerlassen ·--ich hätte sonst wahrlich nicht mehr als zwanzig Jahre hindurch alle 1\Iussestunden, die der ärztliche Beruf mir liess, diesen Studien gewidmet - auer niemals habe ich die I~ehre des R. ScHDIEON BEN ELAgR aus del! Augen \'erloren, dass "die Liebe die gerade Linie krumm macht"\ das klare Urteil trübt. Diese Leidenschaftslosigkeit und stete Sh'tlpsis ist wohl einer der Gründe, weshalb ich selbst vicleH nicht verstanden habe, was meinen Vorgängern völlig klar war! dass ich nur zu einem non liquet. komme, wo andere mit grosser Sicherheit eine Ent scheidung treffen zu können glaubten. Grundlage und erstes Erfordernis geschichtlicher Forschung aus dem Altertum ist philologischer Kleinkram; "jedes Verst.ändnis der Quellen beginnt mit dem Studium der Worte", sagt schon der alte EPICTET. Leider bringt der ;}Iediziner philologischen Unter suchungen ebenso geringe Sympathien entgegen, wie mathe mn.tischen .Formeln, Grammatik und Logarithmentafeln stossen ihn in gleicher vVeise ab, und die gelehrteste Abhandlung über aramäische Pflanzennamen oder den Gebrauch des Aorists lässt ihn ebenso kalt, wie die genialste Studie über ilTationale Zahlen und die Quadratur des Parabelsegments. Ich habe daher die rein sprachlichen Bemerkungen auf das zum Beweise Notwendige be schränkt, sie auch in Kleindruck gegeben, damit sie der Mediziner bequem überschlagen kann. Der Fachmann wird wissen, dass sie den wichtigeren und schwierigeren 'l'eil der ganzen Arbeit dar stellen. Für die Revision eiues grossen Teiles des ~{anuskriptes bin ich den Herren Ober rabbinern Dr. RIT'l'ER in Rotterdam uud Dr. Löw i n S z e g e d i n z u h e r z 1 i c h e m ]) an k v e r p f 1 i c h t e t. He rl i u, am 25. Jahres J. P. tage moine1· Promotion. 1) Ssnh. 105 h; Gn. r. 55,8 statt dessen: P.. ScHIM~~o:-< B~:~ ,Jomu.r. Einleittmg. I. Die a.ltjüdische Literatur beginnt mit. dem Pentateuch (der Thora), dem sich die übrigen Bücher der Bibel in Form von Chro· niken oder Dichtungen anschliessen. Ich habe den überlieferten, f;og. masoretischen Bibeltext allent.hA!bcn zugrunde gelflgt. Das mag heute unwisst>nschaftlich sein, fiir unsere Zwecke halte ich es für dAs allein Prakt.ische, An Vcnnutnngen unrl Fragezeichen ist in diesem Buche ohnedies kein Mangel. Neben der Bibel, "der schriftlichen Lehre", geht "die münd liche" als Erläuterung und Ergänzung der ersteren einher, die, wie gelehrt wird, dem :r-.Iose gleichfalls auf Sinai offenbart wurde. Sie pflamt sich von Geschlecht zu Grsf:!h)ccht durch mündliche Ueberlieferung fort, ·Schriftauslegungen und rabbinischo Ver ordnungen aufnehmend, bis zu Ende des 2. JahrhundertR n. Chr. Rabbi JERUDA HA-NASI das umfangreiche Material unter Be nutzung bereits vorhandener Privatsammlungen Einzelner, unter dem Namen M1:sch'fl«· sammelt und ordnet. Eine andere derartige Sammlung ist als 'l'osephtha auf uns gekommen. An diese Schriften schliessen sich ausführliche Diskuss'ionen mit Abschweifungen auf alle Gebiete des Wissens, der Sage und Legende, wie sie die diskutierte Gesetzesbestimmung gerade veranlasste, die dann ihrer· seits wieder im Anschluss an die einzelnen Sätze der Misclma ge ordnet und unter dem Namen Gernara vereinigt wurden. Als Redaktor der früher abgeschlossenen Sammlung, der palästinen sischen Gemara, kurz Jeruschalmi genannt, gilt R. JocHANAN im Anfang des dritten, als der des babylonischen Talmuds, des Bahli, R. AscHE im 5. Jahrhundert. Mischna und babylonische Gernara zusammen heissen Talmud. Andere Sammlungen, die .111 idra8cltim genannt werden, enthalten nur Schriftauslegungen nach der Reihenfolge der Bibelsätze geordnet, und zwar über wiegend Auslegungen des Gesetzes (halacltiscke ~!.) als ursprüng liche Form der Halacha-Lehren, oder ethisch-erbauliche Be trachtungen nach Art von kurzen Predigten (agadische ~!.). Sie sind in den verschiedensten Zoiten angelegt, ihr Inhalt stammt aus den verschiedensten Ländern und Zeiten und ist zum Teil sehr hohen Alters. Von den alten Bibeliibersetzungen sind die bekanntesten die aramäischen (Targumim) und die griechische, die Septuaginta, Preu ss, Bibllech·t&JmndiscJ•e :Medizin. 1 Einleitung. beide älter als die Gemara, zu denen später die lateinische, die Vulgata, kommt. Ich habe diese Uebersetzungen durchweg ver glichen, ebenso wie die Schriften des Jos~rHUS, weil sie alle wert volle Aufschlüsse über die Auffassung des Bibeltextes zu jener Zeit geben, mich sonst. aber ausschliesslich an den Urtext gehalten, schon weil "eine vollständig genügende Uebcrsetzung der 'l'hora nicht möglich ist" 1• Von den alten Bibel-und.Talmuderklärern sind die wichtigsten R. SALOMO JIZCHAKl (RAscm) aus Troyes in Frankreich (gest. 1105), der sich noch auf direkte Ueberlieferungen aus den b9,bylonischen Hochschulen stützt, R. CHANANEL zu Kairuan in Nordafrika (etwa 1015-1050), von den Spaniern ABRAHAM IBN EsRA um 1174, R. MosE BEN NACHMAN (NACIDIANIDES), Arzt in Girona 1194--1260, und MosE BEN MAIMON (MAIMONIDES), 1131-1205, der auch den J\Iedikohistorikern wohlbekannt i.st. Die Stellennachweise beziehen sich a:1f folgende Ausgaben: Bibel mit Ta.rgumim und Ko\nmtmt·aren: .-"fiqraoth gedoloth, \Varschau 1885 ff. Apocryphon, Sept.uaginta und Vulgata: Polyglotten-Bihol von STIER und THEILE5• Bielefeld tmd Leipzig 1891 ff. Das neue Testament. Griechisch und deutseh. St,uttgart 1853, Bibelanstalt. Mischna ed. ÜRGELDRAND. Wa.rschmt 1878 ff. Tl)sefta ed. ZucKERM.A,NDE!.. Pascwalk 1881. Babyl. Talmud ed. Rol!om. Wilna 1880 ff. Paläst. Tahnud ed. Krotoachin 1866. Die Kommentare dazu nach ed. Piet.ri.Kow 1897. Mekiltha ecl. FRITW!I-IANN. Wien 1870. Sifra ed. "\VEiss. Wien 1862. Si(re ed. FRIED!11ANN. Wien 1864, Midraseh r&bba ed. Ro~ur. Wilua 1885. Midrasch Ta;qcht.nna. Pesiqtha de Rah Kaha!Uh 1\-lidrasch Tehillim Eid. BUBER. Jalqut ed. '\\rarschau 1876. ,, Die Buchstaben n :::l p 0 y tt; ~· t"' ~ sind durch s h eh k q z s c sch th t wiedergege hf"n. Eine Schrift rein ärztlichen Inhalts aus dem jüdischen Altertum existiert dagegen nicht, nicht einmal ein naturhistorisches Sammel werk, wie etwa das des PLINIUS. Thora und Talmud sind in erster Reihe (Jcsetzbücher, dit} ärztliche Dinge in der Hauptsacl}e nur insoweit behandeln, als sie dem Gesetz unterstellt waren. Im: Talmud werden allerdings bei den Erörterungen dieser Gesetze ärztliche An gelegenheiten etwas eingehender besprochen; immer aber bleibt 1) Soferim I, 7.