KALUSSIS· BETRIEBSLEHRE DES EINZELHANDELS BETRIEBSLEHRE DES EINZELHANDELS von DR. DEMETRE KALUSSIS Professor der Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Welthandel in Wien WESTDEUTSCHER VERLAG· KÖLN UND OPLADEN 1960 ISBN 978-3-663-03116-1 ISBN 978-3-663-04305-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-04305-8 Alle Redlte vorbehalten © 1960 Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen Softcover reprint of!he hardcover 1st edition 1960 VORWORT Verhältnismäßig lange ist der Betrieb des Kleinhandels ein Stiefkind wissen smaftlimer Erforsmung geblieben. Die angelsächsisme Literatur mit ihren Autoren, wie unter anderem die Engländer R. K. Philp, W. B. Robertson, der Amerikaner Paul H. Nystrom, smrieben im wesentlimen ratgebende Kunstlehren fUr den "Retailer". Die betriebswirtsmaftlime Durmleumtung des Erfahrungsobjektes "Einzelhandelsbetrieb" im deutschen Sprambereim setzte faktisch erst mit der 1928 erfolgten Gründung des Einzelhandelsinstitutes und der Forschungsstelle für den Handel in Köln ein. Unter Führung ihres Leiters Rudolf Seyffert ersmien 1932 erstmalig ein auf Erkenntnisse der damals nom remt jungen allgemeinen Betriebs wirtschaftslehre gegründetes "Handbum des Einzelhandels". Der vorwiegend auf Rezeptur besmränkte zeitliche Vorsprung des Westens, insbesondere der USA, fin det offenbar in den dort relativ früh entwickelten Großbetriebsformen sowie einem traditionsfreien, einem scharfen Wettbewerb ausgesetzten, aufgesmlossenen Berufs stand seine Erklärung, während der europäische aum in unseren Tagen noch vielfam überholten Methoden der Betriebsführung einer womöglim rentabilitätsfremden Wirtschaftsgesinnung verhaftete Einzelhändler einer Steigerung der Wirtschaftlim keit nur unzureimendes Verständnis entgegenbrachte. Eine pfleglime Gewerbe gesetzgebung trug mancherorts nodl das Ihre dazu bei, während mangelhaftes Remnungswesen und Angst vor Lüftung von Betriebsgeheimnissen die Erhebung von Betriebsdaten ersmwerten und selbst heute nom vielfam ersmweren. Der Verfasser der vorliegenden "Betriebslehre des Einzelhandels" hat es als erster österreimer unternommen, dieses Sondergebiet unter Anwendung theoreti scher Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre geschlossen zu behandeln, ni mt ohne schon 1949 Vorstudien hierzu in seinem "Betriebsvergleich im Handel" ver öffentlicht zu haben. Untersumung und Darstellung beschränken sich nicht auf Stellung und Beziehungen der verschiedenen Einzelhandelsbetriebsformen in den Märkten der Beschaffung und des Absatzes, erstrecken sich vielmehr auf die interne Betriebsorganisation und die Leistungsvorgänge innerhalb derselben, auf das Rem nungswesen einschließlim der Planung und des Betriebsvergleimes. Das Bum be gnügt sim keineswegs mit bloßer Lehrstoffvermittlung und Denksmulung des Studierenden der Wirtsmaftswissensmaften, versucht vielmehr seine aufwand leistungsdynamisme Gedankenführung absmließend dem Einzelhandel Rationali sierungswege zu weisen und damit aum dem Praktiker die FrUchte wissenschaft limer Erkenntnis zugänglim zu machen. Wien, im Frühjahr 1960 Kar! Oberparleiter INHALT I. Begriff ..................................................... 11 II. Die Aufgaben des Einzelhandels ................................ 13 III. Träger der Einzelhandelsleistungen .............................. 15 IV. Der Einzelhandelsbetrieb ...................................... 17 V. Einteilung der Einzelhandelsbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 22 1. Sphäre der Beziehungen des Einzelhandelsbetriebes zum Kunden '" 24 a) Art der Kontaktnahme mit dem Kunden ............... , .. ... 24 b) Form der Abwicklung des Kaufabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 26 1) Das Bedienungssystem .................................. 26 2) Das Selbstbedienungssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 28 3) Der Supermarket ..................................... 30 4) Der Warenautomatenbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 33 5) Die Betriebsstruktur der Selbstbedienungsbetriebe . . . . . . . . . .. 35 6) Die Versandbetriebe ................................... 36 7) Die Bedeutung der Versandbetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 39 2. Art und Umfang der Funktionen. .... .. .. .. .. ................. 39 a) In bezug auf das Sortiment ................................ 39 1) Spezialeinzelhandelsbetriebe ............................. 39 2) Mehrbranchige Handlungen ........ :.................... 42 b) In bezug auf die Stufe .................................... 46 c) In bezug auf die wirtschaftlich-funktionale Selbständigkeit ..... 47 d) Der Filialbetrieb ......................................... 48 VI. Der Standort ................................................ 52 a) Allgemeines ............................................. 52 b) Die Bestimmung des Standortes ............................ 54 c) Der Einfluß des Standortes auf die Struktur des Einzelhandelsbetriebes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 56 1) Die Ausgestaltung der Verkaufsräumlichkeiten ............. 57 2) Die Zusammensetzung des Sortiments... . . . . . . . . . . . . . . . . .. 57 3) Der Kapitalbedarf ..................................... 58 4) Die Kostenstruktur .................................... 58 d) Die Standortrisiken ...................................... 60 8 Inhalt VII. Raumbedarf und Raumökonomie im Einzelhandel ................. 62 a) Raumbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 62 b) Raumökonomie .......................................... 66 VIII. Die Betriebsstruktur des Einzelhandelsbetriebes .................... 67 1. Der Kapitalbedarf .......................................... 67 2. Das Vermögen und seine Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 69 3. Die Kosten ................................................ 71 a) Allgemeines ............................................. 71 b) Die Gesamtkosten ........................................ 73 c) l3etriebsgröße und Kosten ................................. 78 d) Betriebstypus und Kosten ................................. 80 e) Betriebsleistung und Kosten ................................ 80 f) Die Kostenarten ......................................... 82 g) Morphologie der Kosten .................................. 86 4. Das Sortiment .................................. ".......... 87 a) Allgemeines ............................................. 87 b) Zusammensetzung des Sortiments. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . .. 91 c) Sortimentsschwankungen .................................. 92 d) Sortimentsrisiken ........................................ 92 5. Die Personalleistung ........................................ 93 IX. Die betrieblichen Leistungsbereiche .............................. 103 1. Der Einkauf ............................................... 103 a) Allgemeines ............................................. 103 b) Einkaufswege ........................................... 105 c) Gemeinschaftseinkauf ..................................... 107 1) Direkter Gemeinschaftseinkauf .......................... 107 2) Indirekter Gemeinschaftseinkauf ......................... 110 2. Die Lagerung ............................................. 112 a) Allgemeines ............................................. 112 b) Die Lagerkosten ......................................... 113 c) Der Lagerumschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 115 d) Die Bedeutung des Lagerumschlages ........................ 119 3. Der Absatz ................................................ 122 a) Allgemeines ............................................. 122 b) Die Marktforschung ...................................... 124 c) Die Werbung im Einzelhandel ............................. 126 1) Allgemeines .......................................... 126 2) Einteilung der Werbung im Einzelhandel .................. 127 3) Ober die Problematik und Entwicklung der Werbung im Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133 Inhalt 9 d) Absatzschwankungen ..................................... 135 1) Entstehungsursachen ................................... 135 2) Die betrieblichen Auswirkungen der Absatzschwankungen .... 137 3) Behebung der ungünstigen Auswirkungen .................. 138 e) Das Verkaufszeitproblem im Einzelhandel ................... 139 4. Das betriebliche Rechnungswesen .............................. 145 a) Buchführung ............................................ 145 b) Kalkulation ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 153 1) Einleitung ........................................... 153 2) Die Preiskalkulation ................................... 153 3) Die Wirtschaftlichkeitskalkulation ........................ 157 c) Statistik ............................................... 158 1) Die Absatzstatistik .................................... 160 2) Die Lagerstatistik ..................................... 164 3) Die Personalstatistik ................................... 165 4) Die Kostenstatistik .................................... 166 5) Die Vermögens- und Kapitalstatistik ..................... 167 d) Betriebsvergleich ......................................... 170 1) Finanzierungsvergleiche .......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 171 2) Wirtschaftlichkeitsvergleiche ............................. 171 3) Leistungsvergleiche .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 172 e) Planung • . .............................................. 174 X. Die Rationalisierung der Einzelhandelsleistungen .................. 178 1. Allgemeines ............................................... 178 2. Rationalisierungswege ....................................... 179 a) Steigerung der Betriebsgröße .............................. , 179 b) Loslösung des Einzelhandelsbetriebes vom Konsumenten ........ 180 c) Leistungsabbau .......................................... 181 3. Markenartikel und Rationalisierung ........................... 182 XI. Die zukünftige Entwicklung des Einzelhandels ..................... 188 XII. Literaturverzeichnis ........................................... 193 1. BEGRIFF Vor allem ist die Unterscheidung zwischen Einzelhandel und Einzelhandels betrieb von Bedeutung. Einzelhandel ist eine wirtschaftliche Tatigkeit, die das Ziel verfolgt, Ge- oder Verbrauchsgiiter an den Letztverbraucher in der von ihm ge wiinschten Form und Zusammensetzung abzugeben. Diese Leistung kann entweder von einem Betrieb, welcher sich ausschliemich oder zumindest iiberwiegend mit dieser Tatigkeit befafh, also dem Einzelhandelsbetrieb erbracht werden oder die Teilleistung eines einer anderen Stufe angehorenden Betriebes bilden. Demzufolge kann auch ein Produktionsbetrieb oder GroBhandelsbetrieb Einzelhandelsleistungen iibernehmen und durchfiihren. Den Einzelhandelsbetrieb charakterisiert daher einerseits die Erfiillung von Ein zelhandelsleistungen, anderseits das Vorhandensein einer wirtschaftlich-organisa torisch selbsrandigen Einheit, die mit der Ausiibung der Einzelhandelsfunktionen betraut ist, wobei diese wirtschaftlich-organisatorische Selbstandigkeit keine ab solute, d. h. nicht auf aIle Spharen des Wirtschaftens ausgedehnt zu sein braucht, um als Kriterium gelten zu konnen. Von dies em Standpunkt aus gesehen stellen z. B. auch Verkaufsfilialen von Produktionsbetrieben im weiten Sinne Einzelhan delsbetriebe dar, da Ste beide oben erwahnten Merkmale aufweisen. Um die Berechtigung dieser Auffassung zu erklaren, brauchen wir nur an die Moglichkeit des wirtschaftlichen Zusammenschlusses zwischen GroBhandler und selbstandigen Einzelhandelsbetrieben hinzuweisen, der derartige Formen annehmen kann, daB in wirtschaftlich-organisatorischer Hinsicht zwischen dies en zu einer freiwilligen Kette zusammengeschlossenen Betrieben und den Verkaufsfilialen eines Produktionsbetriebes kein wesentlicher Unterschied besteht. Wir wollen daher un sere vorliegende Untersuchung nicht auf den Einzelhandels betrieb im engeren Sinne beschranken, sondern auch den Aufbau und die Proble matik aller mit der Hervorbringung von Einzelhandelsleistungen betrauten orga nisatorischen Einheiten untersuchen. Der Grund liegt allein in dem Umstand, daB die betriebswirtschaftlichen Grundprobleme die gleichen sind, ohne Riicksicht auf den finanziellen und rechtlichen Grad der Selbstandigkeit der Einzelhandelszellen der Wirtschaft. Mag nun ein Einzelhandelsbetrieb ein selbstandiger Organismus oder Teil eines Ganzen sein, der mit der Erfiillung der Einzelhandehleistung be traut ist, die betriebswirtschaftliche Problematik, die nicht von der Selbstandigkeit, sondern vor allem von der Art und der Intensitat der Einzelhandelsleistung be einfluBt wird, bleibt die gleiche. Der Begriff "Einzelhandel" hat sich im deutschen Sprachraum erst in der letzten Zeit endgiiltig durchgesetzt, obwohl wir auch heute noch sowohl in der Theorie wie 12 Begriff auch in der Praxis den Begriffen "Kleinhandel" oder "Detailhandel" häufig be gegnen. Uns kommt es aber nicht so sehr darauf an, wie man diese wirtschaftliche Tätigkeit bezeichnet, sondern vielmehr auf den Inhalt, d. h. was man darunter ver steht, und darüber bestehen kaum noch nennenswerte Meinungsverschiedenheiten. Der vielfach vertretenen Meinung, daß der Einzelhandel dem Binnenhandel zuzu ordnen ist, können wir aber nicht zustimmen, zumal es belanglos ist, ob der Einzel handelsbetrieb bei Erfüllung seiner Beschaffungs- und Absatzleistungen sich aus schließlich auf den Binnenmarkt beschränkt oder auch andere Märkte erfaßt. Das trifft besonders bei den Großbetriebsformen des Einzelhandels zu, wie z. B. bei Warenhäusern, Versandbetrieben, Supermarkets usw., die in vielen Fällen Waren direkt aus dem Auslande beziehen und auch an ausländische Letztverbrau cher bzw. Letztverwender absetzen. 11. DIE AUFGABEN DES EINZELHANDELS Wenn wir nach Erich Schäfer1 es als Aufgabe der Wirtschaft betrachten, "die Naturordnung in die von der Kultur geformte Bedarfsordnung überzuführen", dann stellt die Absatzwirtschaft im Rahmen dieser Gesamtaufgabe eine Teilauf gabe dar, und zwar die "stufenweise Umgruppierung oder Umordnung der Sach mittel in Richtung auf die Bedarfsordnung" . Im Rahmen dieser Umgruppierungs- oder Umordnungsarbeiten, die erforderlich sind, um dem Bedarfsträger die Ware so zu präsentieren, wie sie von ihm gewünscht wird, stellt der Einzelhandel das letzte Glied dar. Seine Aufgabe weist gegenüber den anderen in den Absatzprozeß eingeschalteten Wirtschaftssubjekten insofern eine Besonderheit auf, als er am Ende des Absatzweges dazu berufen ist, den Kon takt mit einem völlig heterogenen Partner herzustellen, mit einem Partner, dessen Haltung und Denken nicht nur große Unterschiedlichkeiten aufweist, sondern dar über hinaus völlig uneinheitlich ist. Im Rahmen dieses Kontaktes findet aber gleich zeitig eine gel;enseitige Befruchtung statt. Der Konsument stellt Anforderungen und zwingt den Einzelhändler, seine Leistungen zu steigern. Der Einzelhändler sucht immer neue Wege, um eine Differenzierung seiner Leistungen zu erzielen, um damit höhere Erfolge für sich zu verbuchen. Für viele Konsumenten trägt diese qualitativ-werbliche Leistungssteigerung zur Verfeinerung des Geschmacks und der Haltung bei. Selbst die höfliche und zuvorkommende Haltung des Verkäufers ver leitet den einfachen Konsumenten zur Nachahmung. Geschmackvolle Einrichtung der Verkaufsräume, schöne Anordnung der Waren usw. lassen den Kunden auch an eine Atmosphäre gewöhnen, die er nicht mehr vermissen will. Auch dort, wo der Einzelhändler die neuen Errungenschaften der Technik einzuführen bemüht ist, speziell in landwirtschaftlichen Gebieten mit ihrer traditionsgebundenen Be völkerung, hat seine Aufgabe eine besondere Bedeutung. Der Einzelhandel übernimmt aber auch die Aufgabe der Weiterleitung der Kon sumentenwünsche an die Produktion, die infolge des fehlenden Kontaktes mit dem Konsumenten nicht in der Lage ist, die Strukturveränderungen im Absatz unmit telbar zu erkennen. Der Einzelhändler, der die Möglichkeit hat, die Bedarfswünsche aufzuspüren, kann diese entweder in Zusammenarbeit mit dem Produzenten oder in seinem Auftrag an ihn weiterleiten. Die Bedeutung der unmittelbaren Fühlungnahme mit dem Bedarfsträger hat viele Produzenten dazu bewogen, eigene Verkaufsfilialen zu gründen, die neben anderen Aufgaben auch die der Meinungsforschung innehaben. 1 Erich Schäfer, Die Aufgabe der Absatzwirtschaft, Köln und Opladen 1950, S. 12.