Martin Birke Betriebliche Technikgestaltung und Interessenvertretung als Mikropolitik Martin Bilke Betriebliche Technik gestaltung und Interessenvertretung als Mikropolitik Fallstudien lum arbeitspolitischen Umbftlch 1"[Yl1:\r7 DeutscherUniversitats Verlag ~ GABLER·VIEWEG·WESTDEUTSCHERVERLAG Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Birke, Martin: Betriebliche Technikgestaltung und Interessenvertretung als Mikropolitik : Fallstudien zum arbeitspolitischen Umbruch / Martin Birke. - Wiesbaden : Dt. Univ.-Verl., 1992 (DUV : Sozialwissenschaft) Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 1991 Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. © Deutscher Universitats-Verlag GmbH, Wiesbaden 1992 Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge schOtzt. Jede Verwertung auBerhalb der. engen Grenzen des Ur heberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fOr Vervielfaltigungen, Ober setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Ver arbeitung in elektronischen Systemen. ISBN-13: 978-3-8244-4101-3 e-ISBN-13: 978-3-322-85420-9 001: 10.1007/978-3-322-85420-9 INHALTSVERZEICHNIS Vorwort 5 1. Neue Techniken und arbeitspolitischer Umbruch a1s gewerkschaftliches HandlungsdiIemma und industriesoziologischer Forschungsgegenstand 10 2. Die handlungspolitische Lucke in der westdeutschen Industriesoziologie 19 2.1 Technisierung als sozialer und politischer ProzeB 20 2.2 Organisation betrieblicher Arbeit und Technik als Strategie und Dilemma 26 2.3 (Mikro-)Politik als Konstitution betrieblicher Rationalisierung und Reorganisation 34 3. Zur Rekonzeptualisierung des Betriebs als soziales System und arbeitspolitische Arena 40 3.1 Betriebliche Handlungsanalyse als Gegenstand sozial- wissenschaftlicher Diskussion 41 3.2 Die Konzeption kollektiven Handelns in der "strate- gischen Organisationsanalyse" von Crozier und Friedberg 52 3.3 Die Strukturierung betrieblicher Arbeitspolitik durch "innerbetriebliche Handlungskonstellationen" 63 3.4 Betriebliche Interessenvertretung im Umbruch: Innovationsdilemma und Perspektive einer mikropolitisch orientierten Interessenvertretung 69 4. Das arbeitspolitische Terrain der Druckindustrie 79 4.1 Persistenter Strukturwandel und flexible Spezialisierung als arbeitspolitische HerausforderJng 81 4.2 Ausbalancieren und Offenhalten disponibler Rationali- sierungskonzepte: Unternehmerische Technik- und Arbeits- gestaltung als Such- und AushandlungsprozeB 90 2 4.3 Gestaltung von Arbeit und Technik als gewerkschafts- politische RestgroBe: Anmerkungen zur Arbeitspolitik der IG Druck und Papier / IG Medien 103 s. Die Disparitiit zwischen sektoralem Strukturwandel und 'qualitativem Rationalisierungsschutz' (Fallstudie A) 110 5.1 Betriebliche Anwendung von tarifvertraglichen Maschinen- besetzungsregelungen unter Krisenbedingungen 114 5.2 Betriebliche Aushandelungsprozesse als interessen- vertretungspolitischer Abwehrkampf 122 5.3 'Verbetrieblichung' und Komplementaritiit betrieblicher und iiberbetrieblicher Interessenvertretungsarbeit als gewerkschaftspolitische Herausforderung 129 6. Technikgestaltung als Besitzstandserhalt (Fallstudie B) 139 6.1 Die Installation der neuen Zeitungstechnik in einem mittelstiindischen Zeitungs- und Verlagsunternehmen 142 6.2 Arbeitspolitische Strategien des Managements, der Belegschaft und der betrieblichen Interessenvertretung bei der Umsetzung des RTS-Tarifvertrages 156 6.3 Anforderungen einer 'Tarifierung' der Technikgestaltung an die betriebliche und gewerkschaftliche Interessen- vertretung 172 7. Betriebliche Technikgestaltung als arbeits- politischer Innovationsproze8 (Fallstudie C) 188 7.1 Mittelstiindische Reorganisationsprobleme und Produktions- konzepte 188 7.2 Innerbetriebliche Handlungskonstellationen der Technik- gestaltung 193 7.3 Neue Techniken und Partizipation: Veriinderungsgrenzen innerbetrieblicher Handlungskonstellationen 202 3 7.4 Innovation betrieblicher Interessenvertretung als Strategie und Prozefi 220 8. Interessenvertretungspolitische Innovation als kollektiver und organisatorischer Lernprozess? 235 8.1 Interessenkoordination und Interessenrepriisentation 237 8.2 Qualiflkation 241 8.3 Eigen-Interessenvertretung und innerbetriebliche Kommunikation 243 8.4 Institutionelle Gesamtverhandlung des Betriebsrats und gewerkschaftliche "Hilfe zur Selbsthilfe" 248 Literatur 254 5 VORWORT "Was kommt nach den technischen Revolutionen -soziale Innovationen" (Ulrich 1984). Derart verheillungsvolle Ankiindigungen sind seit 1984, seitdem die Sozialwissenschaft iiber das Ende der Arbeitsteilung diskutiert, eher selten geworden. Dennoch ist die so zialwissenschaftliche Diskussion der Zukunft der Arbeit nicht von zunehmender Abge kliirtheit sondem eher von neu belebtem Erkenntnis-und Analyseinteresse gepriigt. Brei te, Tiefe und Heterogenitiit der Interpretation und Erkenntnisse zum Verhaltnis von Ar beit, Technik und Gesellschaft haben zugenommen und die Industriesoziologie auf die Analyse und Erklii.rnng von uneinheitlichen und nicht-linearen Entwicklungstendenzen verpflichtet, deren Uniibersichtlichkeit, Widerspriichlichkeit und Optionalitiit neue An forderungen an Theorie, Methode wie Analyse stellen. Angesichts des paradigmatischen Wandels sozialwissenschaftlichen Technikverstiindnis ses besteht AnlaB fUr die Erwartung, daB diese zunehmende Kontingenz, Pluralitiit und Diversifikation des Forschungsgegenstandes als wissenschaftliche Herausforderung aner kannt und nicht als "postmodeme Inkommensurabilitiit" ausgespart wird. Nachdem bis in die siebziger Jahre "technischer Fortschritt als Motor sozialen Fort schritts" und bis Mitte der achtziger Jahre insbesondere die negativen Folgen des "tech nischen Wandels" untersucht wurden, verliert in der fachintemen Technikdiskussion Technik zunehmend an positiv oder negativ konnotiertem Subjektcharakter. Die Analyse heterogener und widerspriichlicher Technikfolgen zum einen und das Leitbild von der "Technisierung als sozialer Prozefi" zum anderen gewinnt an Bedeutung. Die damit in den Vordergrund geriickte Interdependenz von Technik und Gesellschaft impliziert eine Orientierung auf die vielfaltigen Wechselbeziehungen zwischen technischen Systemen, sozialem Handeln und menschlichen Verhaltensweisen und somit eine (Riick-)Besinnung auf originar sozialwissenschaftliche Analyse(-gegenstiinde). Die Neuorientierung indu striesoziologischer Forschungsperspektiven auf Interessen, Handlungen und Handlungs systeme sozialer Akteure bleibt fachintem trotz des sich vollziehenden Paradigmawech sels sozialwissenschaftlicher Technikdiskussion strittig: Die Erforschung akteurbe- 6 zogener, subjektiver und sozialer Aspekte der Rationalisierung und Techoikprozesse ent wickelt sich ebenso wie der Versuch, die Dichotomie zwischen strukturlogischem Deter minismus und arbeitspolitischem Voluntarismus zu iiberwinden, eher quer zu den zen tralen industriesoziologischen (Instituts-)Ansatzen. Technik und die Gestaltung von Ar beit und Technik wird primlir in der Perspektive auf unternehmerische Rationalisie rungsstrategien analysiert; vergleichsweise minoritlir erscheinen die in den letzten zehn Jahren neu entwickelten arbeitspolitischen und handlungsorientierten Analysekonzepte, in denen nicht nur Betriebsriite sondern auch Beschliftigte als eigenstlindige Akteure be griffen werden, die vermittelt iiber interessenbezogene Handlungsprozesse Technik mit gestalten. Dieser paradigmatische WandlungsprozeJ3 und Streit in der sozialwissenschaftlichen Technikdiskussion hat nicht nur fachinterne Auswirkungen. Die Technikdiskussion in den Gewerkschaften, deren Technikverstlindnis in den letzten dreillig Jahren sehr stark von dem (Wandel des) industriesoziologischen Technikparadigma(s) geprligt war, wird seit Mitte der achtziger Jahre zunehmend von einem sich lang sam entwickelnden "Ge staltungsdiskurs" bestimmt, der eine tiefgreifende Neubestimmung bzw. Erweiterung gewerkschaftlicher Funktionen und gewerkschaftlichen Selbstverstlindnisses impliziert. Auch in den Gewerkschaften verallgemeinert sich die Erkenntis, daJ3 der Anspruch so zialvertrliglicher Technikgestaltung nicht mittels der elementar-klassischen Schutzfunk tion und in der traditionellen Rolle des Preisverfechters der Ware Arbeitskraft einzulo sen ist. Diese Erkenntnis wird jedoch flankiert von einem Konglomerat ungeloster Pro bleme, die eine gewerkschaftspolitische Neuorientierung mit sich bringen: Die Konzep tionierung von technisch und okonomisch ausgewiesenen Alternativkonzepten der Ar beits-und Technikgestaltung aufbetrieblicher wie sektoraler Ebene, der Transfer tradi tioneller gewerkschaftlicher Gegenmachtpolitik in neue Formen des betrieblichen "Co Managements", die Erweiterung der instrumentellen Lohnarbeiterperspektive urn einen intrinsischen Bezug auf Arbeit und die Subjekt-und Produzentenperspektive, die Inte gration der mikropolitischen Prozesse der Interessenbildung und Handlungskalkiile unter den Beschliftigten in die institutionelle Interessenvertretungsarbeit etc. 7 Die programrnatisch-konzeptionellen wie alltliglichen Transforrnationsproblerne gewerk schaftlicher Technikpolitik und gewerkschaftlicher wie betrieblicher Interessenvertre tungspolitik sind Fokus dieser Arbeit. Konzentriert auf die Druckindustrie und die Ar beitspolitik der Industriegewerkschaft Druck und Papier wird untersucht, wie sich Tech nikgestaltung und eine sich darauf einlassende Interessenvertretungspolitik als (rnik ro)politischer Prozefi vollziehen. Mit fallbezogenen, handlungsorientierten und qualitati yen Analysen rnikropolitischer Wirkungszusamrnenhange und Feinstrukturen betriebli chen Handelns wird versucht, die Moglichkeiten und Grenzen, die Innovationspotentiale wie Innovationsblockaden irn arbeitspolitischen Paradigrnawechsel der Gewerkschaften analytisch zu erfassen und zu erkHiren. Urn das analytisch-diagnostische Potential der Industriesoziologie differenziert einschiit zen zu konnen, wird, nachdern in Kapitell Zielsetzung, Untersuchungsansatz und Un tersuchungsgegenstand expliziert werden, die industriesoziologische Diskussion urn neue Techniken, Rationalisierungsformen und Produktionskonzepte nachgezeichnet. Diese Diskussion wird als Referenzpunkt genornrnen, urn die handlungspolitische Liicke in der Industriesoziologie als eines der zentralen sozialwissenschaftlichen Problerne des ar beitspolitischen Paradigrnawechsels zu verdeutlichen. Es wird aufzuzeigen versucht, daB die Grenzen eines ausschliefilich technisch-okonornischen Rationalisierungsbegriffes theoretisch und analytisch nur iiberwunden werden konnen, indern (Arbeits-)Politik als konstitutive Variable fiir Technik und Organisation konzipiert wird (KapiteI2). In Kapitel 3 werden die in den letzten Jahren diesbeziiglich neu entstandenen sozialwis senschaftlichen Forschungsansiitze diskutiert und rniteinander verglichen. Aufbauend auf diese Diskussion wird unter Riickgriff auf das Konzept der strategischen Organisations analyse von Crozier, Friedberg einerseits und das Konzept der innerbetrieblichen Hand lungskonstellationen von Weltz u.a. andererseits ein Konzept des betrieblichen Handelns entworfen, das strukturtheoretische und handlungstheoretische Positionen zu verrnitteln und die Spannung zwischen Akteur- und Systernperspektive als produktive analytische Ressource zu verstehen versucht. In Kapitel4 wird das arbeitspolitische Terrain des Untersuchungsfeldes der Druckindu strie analysiert. Als Konkretion zur Technikdiskussion in Kapitel2 werden die Dynarnik 8 und Intensitiit des (inbesondere durch die Mikroelektronik induzierten) Strukturwandels in diesem Wirtschaftssektor, die unternehmerische Technikgestaltung und die Hand lungsdilemmata einer traditionellen gewerkschaftlichen Arbeitspolitik detailliert heraus gearbeitet, urn den nachfolgenden drei betrieblichen Fallstudien in Kapitel 5, 6 und 7 eine ausreichende Interpretationsfolie vorauszustellen. Die Fallstudien spiegeln nicht nur branchentypisch die aktuelle arbeitspolitische Umbruchsituation und die sich entfalten den arbeitspolitischen Dilemmata und Handlungsperspektiven der betrieblichen Akteure in mehrfacher Hinsicht wider: Es werden drei verschiedene Technikimplementationsfor men untersucht, die kennzeichnend sind fiir das Spektrum gegenwartiger unternehmeri scher Rationalisierungsstrategien; die unterschiedlichen Reaktionsweisen der betrieb lichen Interessenvertretungen exemplifizieren zum einen die Moglichkeiten und Grenzen einer tarifvertraglichen Rationalisierungsschutzpolitik und zum anderen den auf be trieblicher Ebene naturwiichsig entstehenden ProzeB interessenvertretungspolitischer Neuorientierung. Ob und wie mikropolitische und handlungsstrategische Fundierung und Differenzierung diesem ProzeB interessenvertretungspolitischer Innovation eine Perspek tive verleihen kann, ist Gegenstand der zur Diskussion gestellten SchluBfolgerungen im abschlieBenden Kapitel 8. Indem die (1989 abgeschlossene) Arbeit den Verlauf und vorHiufigen SchluBpunkt der industriesoziologischen und arbeitspolitischen Diskussion der 1980er Jahre dokumentiert und an Fallbeispielen exemplifiziert, werden auch Konturen einer neuen Arbeitspolitik deutlich. Absehbar werden in den 90er Jahren die okologischen Problemlagen und die im neuen Ost-West-Verhiiltnis angelegten Konfliktlinien einfacher und reflexiver Moder nisierung die Arbeitspolitik bestimmen. Eine (nicht nur auf den Industrie-und Dienstlei stungsbetrieb beschriinkte) Analyse der Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Mikro-, Meso- und Makrostrukturen wird deshalb an Bedeutung gewinnen, jedoch auf die mi kropolitische Untersuchungsperspektive angewiesen bleiben. Grundlage und Ausgangspunkt dieser Arbeit, die von der Fakultiit fiir Soziologie der Universitiit Bielefeld als Dissertation angenommen wurde, waren zwei mehrjiihrige For schungsprojekte am ISO-Institut Koln (vgl. Birke, Krahn, Schwarz 1985 und Birke, Schwarz 1989). Die von mir in diesem Kooperationszusammenhang eigenstiindig verfaB-