JJ_Ti-C-KleinArmin_15469-5 20.12.2007 15:59 Uhr Seite 1 Armin Klein Besucherbindung im Kulturbetrieb JJ_Ti-C-KleinArmin_15469-5 20.12.2007 15:59 Uhr Seite 3 Armin Klein Besucherbindung im Kulturbetrieb Ein Handbuch 2. Auflage Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1.Auflage 2003 2.Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2008 Lektorat:Frank Engelhardt Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Umschlagbild:Pinakothek der Moderne,München Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15469-5 Inhaltsverzeichnis 1. „Damit Sie gerne wiederkommen!“...................................................................7 2. Was bedeuten „Besucherorientierung“ und „Besucherbindung“?..............15 2.1 Kundenorientierung in der Wirtschaft.........................................................17 2.2 Besucherorientierung und Besucherbindung im nicht-kommerziellen Kulturbetrieb...............................................................................................20 2.3 Von der Gebundenheits-zur Verbundenheitsstrategie.................................29 2.4 Zur Systematik von Besucherbindung.........................................................36 2.5 Die Dimensionen eines Besucherbindungsprogramms...............................38 3. Wer sind unsere Besucher? ..............................................................................45 3.1 Besucherforschung.......................................................................................47 3.2 Strukturelle und einstellungsbezogene Besuchermerkmale........................54 3.3 Verhaltensmerkmale der Kulturnachfrage...................................................65 3.4 Front-End-Evaluation und Produktplanung.................................................77 4. Was bietet die Kultureinrichtung ihren Besuchern wie an?.........................87 4.1 Das Produkt und seine Nutzendimensionen................................................87 4.2 Die Produkt- und Programmpolitik.............................................................95 4.3 Produktprogramm und Value-Added-Services............................................97 4.4 Besucherfreundlicher Service....................................................................102 5. Welche Bedeutung haben die Mitarbeiter für die Besucherbindung?....... 115 5.1 Die Motivation der Mitarbeiter in einer Kultureinrichtung....................... 117 5.2 Führung durch Zielvereinbarungen ...........................................................127 5.3 Besucherorientierte Organisationsstruktur und -kultur .............................136 6. Traditionelle Besucherbindungsinstrumente................................................147 6.1 Das Abonnementsystem ............................................................................147 6.2 Die Besucherorganisationen......................................................................162 6.3 Der Förderverein........................................................................................171 7. Innovative Instrumente der Besucherbindung.............................................181 7.1 Die Besucherkarte......................................................................................182 7.2 Der Besucherclub.......................................................................................194 7.3 Memberships..............................................................................................207 7.4 Der zufriedene Besucher als Besucherwerber...........................................216 8. Was tun, wenn etwas schiefgeht?...................................................................221 8.1 Aktives Beschwerdemanagement..............................................................222 8.2 Besucher-Rückgewinnungsstrategien........................................................241 9. Database-Marketing und Virtuelle Kundenbindung...................................249 9.1 Database-Marketing...................................................................................251 9.2 Virtuelle Kundenbindung...........................................................................260 Literaturverzeichnis.............................................................................................279 1. „Damit Sie gerne wiederkommen!“ „Es ist schon eigenartig mit dem Theaterpublikum. Ist es da, interessiert sich keiner dafür. Bleibt es weg, sprechen alle von ihm. Erst wenn es sich verweigert, ist es wieder wer. Ein ‚Phänomen‘. Ein Problemfall. Jetzt ist es wieder wer. Und nicht mehr nur eine Art besseres Bühnenzubehör“ (Jörder 2001). Was hier unlängst der Theaterkritiker Gerhard Jörder in der Wochenzeitung DieZeitt speziell für das Theaterpublikum fest- stellte, kann für das Kunst- und Kulturpublikum insgesamt gelten. Lange, allzu lange standen und stehen bei Kunst- und Kulturproduzenten nahezu ausschließlich das eigene künstlerische Produkt, die eigene Kulturorganisation, der eigene Kulturbetrieb im Mittelpunkt des Interesses und der Aufmerksamkeit, wurde und wird dem Besucher, dem Publikum viel zu wenig Beachtung geschenkt. Und die- se Feststellung bezieht sich nicht nur auf die aktuellen Besucher (bzw. Nicht-Besu- cher), sondern viel mehr noch auf die möglichen, die zukünftigen Besucher. Ein syste- matisches Audience Development, also eine vorausschauende, strategisch orientierte Entwicklung der „Besucher von Morgen“ (in den USA in den meisten Museen und anderen Kultureinrichtungen längst gang und gäbe und in eigenen Abteilungen insti- tutionalisiert), steckt bei uns allenfalls noch in den Kinderschuhen. Diese für die deutschen Kultureinrichtungen so typische „Organisationszentrierung“ (Klein 2001: 64-68), also die vorrangige Konzentration auf den eigenen Kulturbetrieb und dessen Produktion(en) und somit eine Sichtweise, die die eigene Umwelt mehr und mehr ausblendet, kommt indes keineswegs von ungefähr. Denn erstens sind Auf- gabe und vielbeschworener „Auftrag“ öffentlich getragener bzw. geförderter Kultur- arbeit im sog. Non-Profit-Bereich im Kern ja gerade, zu „fördern, was es schwer hat“ (so seit vielen Jahren das Motto des Kultursekretariates Nordrhein-Westfalen). Die öffentlich getragene bzw. geförderte Kultureinrichtung widmet ihre Anstrengungen und Bemühungen hauptsächlich jenen künstlerischen und kulturellen Hervor- bringungen, die sich nicht dem Publikumsgeschmack anpassen und sich somit nicht ohne weiteres auf dem (Kultur-)Markt behaupten können. Und gerade durch diese Nichtangepasstheit gewinnen sie erst die Legitimation, öffentlich gefördert zu wer- den. Dies ist richtig und wichtig und muss auch in Zukunft so bleiben. Doch die nahezu ausschließliche Konzentration auf das künstlerische Produkt und dessen Qualität führt in der Praxis leider viel zu häufig dazu, dass sich viele Kultureinrichtungen im Laufe der Jahrzehnte zunehmend vom „Markt“ – und dies sind nun einmal ihre Besucher – abkoppeln konnten. Neben der Marktabkoppelung auf Grund des öffentlichen Auftrages (und hiermit verbunden großzügiger öffentlicher Zuwendungen) führte eine zweite, häufig überse- hene Ursache in den zurückliegenden Jahren dazu, dass die einzelne Zuschauerin, der einzelne Zuschauer in vielen öffentlichen Kulturbetrieben allzu sehr aus dem Blick 8 1. „Damit Sie gerne wiederkommen!“ gerieten bzw. viel zu wenig über Besucherbindung nachgedacht wurde. Eine ehrgeizi- ge und sich am Gebot der Demokratisierung der Kulturrorientierende Neue Kulturpo- litikk wandte sich seit Mitte der siebziger Jahre mit besten Absichten und in feinster aufklärerischer Tradition mit ihren Angeboten unter dem Schlagwort einer Kultur für alleausdrücklich anjedeBürgerin, an jeden Bürger. In der mittlerweile klassischen Formulierung von Hilmar Hoffmann aus dem Jahre 1979 heißt es dazu: „Jeder Bürger muß grundsätzlich in die Lage versetzt werden, Angebote in allen Sparten und mit allen Spezialisierungsgraden wahrzunehmen, und zwar mit (einem) zeitlichen Aufwand und einer finanziellen Beteiligung, die so be- messen sein muß, daß keine einkommensspezifischen Schranken aufgerichtet werden (...) So verstandene Kultur ist zum einen natürlich für alle da, weil grundsätzlich alle durch ihre Arbeit zu ihrer Verwirklichung beitragen und die Teilhabe an der Kultur eine Form sinnvollen Konsums gesellschaftlichen Reichtums ist. Zum anderen ist Kultur für alle da, weil sie für den gesamtgesellschaftlichen Diskussions- und Entwicklungs- prozeß von großer Bedeutung ist“ (Hoffmann 1981: 29). Was als normative Zielsetzung eines demokratieorientierten, kulturpolitischen Konzeptes einer Kultur für alle sicherlich nach wie vor zu begrüßen und weiter zu verfolgen ist, hat in der kulturmanagerialen Praxis paradoxerweise fatale Konsequen- zen für die Besucherorientierung. Denn wer sich mit seinen Angeboten explizit „an alle“ wendet, ist von der Aufgabe (und der Pflicht!) entbunden, konsequent über „die Einzelnen“ und deren Rezeptionsverhalten von Kunst und Kultur nachzudenken. Ja, er muss noch nicht einmal Kenntnis dieses Publikums haben, denn angesprochen sind ja ausdrücklich alle! Wahrscheinlich ohne dass die Akteure sich dessen überhaupt bewusst sind (und von daher zumeist verbunden mit den allerbesten Absichten), treten so neben die oben angesprochene rein qualitativ begründete Produkt- bzw. Organisa- tionsorientierung alle negativen Konsequenzen eines Massenmarketings, das sich ziel- und wahllos an alle richtet! Doch auch für den spezifischen Kulturmarkt lässt sich feststellen, was für die Markt- situation in westlichen Industrieländern generell gilt: • Der Massenmarkt der sechziger und siebziger Jahre ist längst weitgehend in ein Mosaik von Teilmärkten zerfallen. • Viele Märkte, insbesondere im Freizeitbereich, sind gesättigt und die Produkte oftmals austauschbar. • Der Mensch hat eine (neue) Entscheidungsfreiheit – Stichwort Multioptions- gesellschaft(Gross 1994) – gewonnen. Dadurch „rückt das Publikum in eine stra- tegische Position auf dem Erlebnismarkt“ (Schulze 1993: 516), wie der Kultur- soziologe Gerhard Schulze schreibt – es hat die große Auswahl und es trifft sie – zum Verdruss vieler Kulturanbieter manchmal gnadenlos! • Allgemeine Informationen an die Masse werden vom Individuum immer weniger wahrgenommen; der und die Einzelne fühlen sich subjektiv informationsüberlastet. • Informationen an die Masse können daher keine individuellen Bedürfnisse an- sprechen. • Informationen an die Masse sind gleichartig und austauschbar. • Folglich: Das Massenmarketing hat seine Effizienz verloren (Gündling 1997: 232). 1. „Damit Sie gerne wiederkommen!“ 9 Lange, viel zu lange wurde von vielen, allzu vielen Kultureinrichtungen der fatale Fehlschluss gezogen, dass es ausschließlich auf die Qualität des eigenen Produktes ankomme und man sich um den einzelnen Besucher, die einzelne Besucherin nur we- nig kümmern müsse, ganz nach dem Motto: „Im Mittelpunkt aller unserer Bemühun- gen steht der Mensch – und da steht er uns gehörig im Weg!“ Also behandelte man die Besucher, wie oben beschrieben, als eine „Art besseres Bühnenzubehör“. Oder man betrachtete ihn – im aufklärerischen Konzept einer Kultur für alle – mehr oder weni- ger als ein defizientes Subjekt, das durch kulturpädagogische Bemühungen erst „grund- sätzlich in die Lage versetzt werden (muss), Angebote in allen Sparten und mit allen Spezialisierungsgraden wahrzunehmen.“ Diese unglückliche Konstellation lässt viele öffentliche Kultureinrichtungen – trotz aller ihrer Nöte – ein den besonderen Bedingungen angepasstes Kulturmarketing nach wie vor vehement ablehnen. Statt dieser undifferenzierten Verweigerung müsste die Losung freilich heißen: „Kunst für alle – aber viel mehr noch für den einzelnen“ (Plotzek 1997: 98-109)! Gerade weil öffentlich getragene bzw. geförderte Kunst und Kultur dem Zuschauer auf der künstlerisch-inhaltlichen Ebene so viel zumuten (und zumuten sollen, um sich zu legitimieren), müssen diese Kulturbetriebe alle Kraft darein setzen, den Besucher auch für das Schwierige und das Neue, das im wahrsten Sinne des Wor- tes „Unerhörte“, zu gewinnen. Sie sollten somit den – wie Bertold Brecht sagt – tradi- tionell kleinen Kreis der Kenner zu einem großen Kreis machen, die Besucher hegen und pflegen, und versuchen, sie möglichst langfristig an die jeweilige Institution zu binden, um so ihre Bereitschaft zu wecken, sich auch auf Neues und Schwieriges ein- zulassen. In den neunziger Jahre entwickelte sich bezüglich des Kulturmarketings – nicht zuletzt hervorgerufen durch die seinerzeit begonnene Umorganisation der Öffentli- chen Verwaltung insgesamt (vgl. z. B. Bandemer 1998; Kommunale Gemeinschafts- stelle 1997; Richter u. a. 1995) unter den Stichworten der Dezentralen Ressourcen- verantwortung und der Budgetierungg – unübersehbar ein Umdenkungsprozess. „Ein verändertes Selbstverständnis – weg von der Kulturbehörde, hin zum Dienstleistungs- unternehmen Kultur – begreift Bürger als Partner und mögliche Kunden der eigenen Angebote“ (Schmidt 1998: 11). Endlich wurde erkannt: „Auch der Kulturbereich ist auf den regelmäßigen Austausch mit den Nutzern und Nicht-Nutzern angewiesen, um Resonanz auf durchgeführte Maßnahmen bzw. um Angebotslücken festzustellen“ (Pröhl 1996: 6). DieKommunale Gemeinschaftsstelle – ein wissenschaftliches Beratungsgremium der deutschen Städte und Gemeinden – und die Bertelsmann-Stiftungg unterstützten diesen Reformprozess und trieben ihn stetig voran. In einer entsprechenden Ent- scheidungshilfe heißt es, etwas technokratisch formuliert: „Die Zufriedenheit der Kun- den (=direkte Abnahme von Leistungen) und Bürger einer Kommune kann über Be- fragungen ermittelt werden. Dazu ist es notwendig, Fragebögen zu entwickeln, diese bei Vergleichen mit anderen Kommunen abzustimmen und die Ergebnisse in die Produktdaten einfließen zu lassen. Bei den meisten Produkten im Bereich Kultur ist eine direkte Zuordnung der Kundenzufriedenheit möglich. Wenn keine direkte Aus- weisung erfolgen kann, sollten diese Informationen produktübergreifend (Produkt- 10 1. „Damit Sie gerne wiederkommen!“ gruppe oder Produktbereich) ausgewiesen werden. Umfassende Erfahrungen mit Kundenbefragungen hat die Bertelsmann-Stiftungg gesammelt. Entsprechende Unter- lagen können dort angefordert werden“ (KGSt 1997: 23). Diese Umorientierung im Kulturbetrieb hin zu mehr Besucherorientierung hat sicherlich in gewisser Weise Auswirkungen auch auf das Produkt bzw. die Programm- politik der Kultureinrichtungen. Michael Spock, der Direktor des Boston Children Museums, hat dies knapp und präzise für den Museumsbereich auf die Formel ge- bracht: „A museum is rather for somebody than about something“; dem entsprechend fordert er ein konsequentes Denken nicht von der Sammlung, sondern vom Besucher her. Hermann Schäfer, der Direktor des seit seiner Gründung konsequent besucher- orientiert arbeitendenHaus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlanddin Bonn, formuliert es (für die Arbeit der Museen) so: „Die Kernkompetenz der Museen verla- gert sich von der Wissensvermittlung – wenn sie denn je einseitig hier gelegen hätte – auf die Fähigkeit zur Kommunikation (...) Die ‚Ausstellungsmacher‘ müssen jedes- mal aufs neue der spezifischen Grenzlinie der ‚Alltagsmenschen‘ zwischen Wissen und Nichtwissen nachspüren. Sie müssen Themen erahnen, potentielle Unklarheiten antizipieren und vorab zu erwartende Fragen in ihr Konzept einbeziehen (...) Bei all diesen Unterfangen steht wiederum der Besucher im Zentrum“ (Schäfer 1997: 92f.). Was hier für das Museum gesagt wird, kann für alle anderen künstlerischen und kultu- rellen Sparten gelten. Gott sei Dank sind die Zeiten einer aktiven „Publikumsbeschimpfung“ (so der Ti- tel eines Theaterstücks von Peter Handke aus den sechziger Jahren) durch die Theater bzw. ihre Schauspieler vorbei. Doch auch eine passive „Publikumsverweigerung“ (((Jörder) können sich die Kultureinrichtungen heute weniger denn je leisten, denn man braucht das Publikum – und zwar „dringender denn je! Die elitären Jahre, in denen sich Theaterleute, bei Bedarf und frei nach Brecht, ein ‚besseres‘ Publikum als das real existierende ausdachten, sind längst vorbei. Das öffentlich subventionierte Thea- ter hat hohen Legitimationsbedarf. Bis tief hinein in die bürgerliche Klientel hat sich, Herz über Kopf, ein beängstigendes Desinteresse an dieser Institution breitgemacht; immer stärker wird die Unterhaltungskonkurrenz, immer weiter rutscht das Theater im Bewusstsein der städtischen Kulturgesellschaft an die Peripherie (...) Nichts ist mehr selbstverständlich“ (Jörder). Was hier für das Theater gesagt wird, kann sicherlich pars pro toto für weite Bereiche des öffentlichen Kunst- und Kulturbetrieb insgesamt gelten. Eine richtig verstandene, konsequente Orientierung am Besucher, am Zuschauer, am Kursteilnehmer usw. stößt allerdings in vielen Kunstsparten und Kultureinrichtungen noch auf Widerstand. Dies nicht nur bei den Kunst- und Kulturschaffenden selbst, sondern auch viele Feuilletons spielen weiter ihre Rolle, als habe sich in der Welt nichts verändert. So wird beispielsweise in einem aktuellen Zeitungsartikel großzügig zugestanden, „dass mehr Marketing-Know-How den Theatern nicht schaden würde.“ Im gleichen Atemzug wird allerdings die – künstlerisch weitgehend gelungene – Idee im Bochumer Schauspielhaus Harald Schmidt eine Schauspielerrolle in Becketts Warten auf Godottzu übertragen, so gekontert: „Kommt demnächst also Verona Feld- 1. „Damit Sie gerne wiederkommen!“ 11 busch als ‚Fräulein Julie‘ und Thomas Gottschalk als ‚Cyrano de Bergerac‘, die in der Pause dann auch noch werben könnten für Blubber-Spinat und Haribo? Wird Wolf- gang Clement gar selbst den Don Carlos geben? Oder eröffnet er einen Themenpark zu Tschechow und ein Goethe-Wunderland? Klar, vieles wäre möglich: Promis in Klas- sikern, Luder in Ausziehrollen, Quiz-Shows auf der Bühne...“ (Theater muss wie Fern- sehen sein 2002). Angesichts des „Tiefgangs“ und der „Ernsthaftigkeit“ dieser Auseinandersetzung mit Fragen des Theatermarketings – immerhin im Feuilleton der Süddeutschen Zei- tungg – sollte sich niemand wundern, wenn die Theaterschaffenden selbst für Marketing- überlegungen kaum offen sind. „Das Reizwort der Branche heißt Marketing“, resü- mierte noch 1999 die Stuttgarter Zeitungg in ihrem Bericht zu einer Tagung mit dem Thema Das Theater und sein Publikum. Auf diesem Kongress verkündete unter – großem Beifall der Theatermacher – ein renommierter Theaterleiter, Marketing im Theater sei schlichtweg „Quatsch“ (Müller 1999). Doch dies gilt für die anderen Kunstsparten ebenso. „In Deutschland“, heißt es noch 1992 in einer Darstellung der Marketingaktivitäten von Museen in Europa, „ist Museumsmarketing kein wesentliches Thema der Diskussionen – zumindest nicht der Museen selbst, bei denen man häufig das Gefühl hat, ‚Marketing‘ würde nicht nur als ‚schmutziges Wort‘ möglichst vermieden, sondern auch, die dahinter stehenden Kon- zepte würden als unmoralisch und sittenverderbend empfunden (...) In der Bundes- republik Deutschland gibt es kein klares Marketingbild; der klarste Eindruck ist der, dass Marketing noch immer als ein ‚verpöntes Wort‘ gilt und man sich dem sich lang- sam aufbauenden Druck auf Seiten der Museen so weit wie möglich entziehen will (...) Das Museum jedoch ziert sich. Es scheint die deutlichste Bastion eines deutschen asketischen Kulturverständnisses zu sein (...) Wer kommt, kommt – und damit sind die meisten Museen zufrieden“ (Schuck-Wersig / Schuck 1992: 8 bzw. 124ff.). Doch steht nichts weniger als die (Wieder-)„Entdeckung des Zuschauers“ (Fischer- Lichte 1997) auf der Tagesordnung. Aber wie kann dies gelingen, „wie kann man das Publikum zurückgewinnen – und doch nicht zum Quotennarren werden? Wie kann man Zuschauerbindungen erneuern, ohne den Spielplan in den Windkanal der Markt- forschung zu hängen und die Kunst an Bedarfsprofile zu verraten? Wie kann dieser Spagat gelingen?“, fragt Gerhard Jörder. In diesem Buch wird davon ausgegangen, dass dieser Spagat durchaus gelingen kann, mehr noch: dass sich auch inhaltlich-ästhetisch anspruchsvolle Kunst durchaus entsprechender Publikumsgunst erfreuen kann. Dies erreicht man allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der jeweilige gesamte Kulturbetrieb konsequent besucher- orientiert arbeitet. Und dass der Spagat gelingen kann, beweist die Arbeit ambitionier- ter Häuser wie z. B. die bereits zum dritten Mal in Folge als Opernhaus des Jahres ausgezeichnete Staatsoper Stuttgart. Und dieses positive Beispiel macht auch deut- lich, dass der Erfolg nicht von alleine kommt. „Genauso wichtig wie die Breitenarbeit nach außen nimmt das Stuttgarter Führungs- duo die hausinterne Kommunikation“, schreibt hierüber Der Spiegel. „Alle sechs Wochen setzen sich Leute aus der Chefetage mit jenen Verkäufern zusammen, die an Telefon und Billettschalter den Kontakt zwischen Haus und Publikum herstellen. Auch