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Beobachtungen der Moderne PDF

214 Pages·1992·4.723 MB·German
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Niklas Luhmann Beobachtungen der Moderne Niklas Luhmann Beobachtungen der Moderne Westdeutscher Verlag Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. Alle Rechte vorbehalten © 1992 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt Umschlagbild: PeterTreu, Hamburg Satz: ITS Text und Satz GmbH, Herford Gedruckt auf säurefreiem Papier ISBN 978-3-531-12263-2 ISBN 978-3-322-93617-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-93617-2 Inhaltsverzeichnis Vorwort...................................... 7 I. Das Moderne der modernen Gesellschaft ... 11 11. Europäische Rationalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 111. Kontingenz als Eigenwert der modernen Gesellschaft .............................. 93 IV. Die Beschreibung der Zukunft ............. 129 V. Ökologie des Nichtwissens ...... . . . . . . . . . .. 149 5 Vorwort Die Proklamation der "Postmoderne" hatte mindestens ein Verdienst. Sie hat bekannt gemacht, daß die moderne Gesellschaft das Vertrauen in die Richtigkeit ihrer eige nen Selbstbeschreibungen verloren hat. Auch sie sind jeweils anders möglich. Auch sie sind kontingent gewor den. Wie in der risikoreichen Welt des New Yorker U-Bahn-Netzes drängen sich jetzt die, die darüber reden wollen, an dafür bestimmten Plätzen unter heller Be leuchtung und bei laufenden Fernsehkameras zusammen. Es scheint ums intellektuelle Überleben zu gehen. Aber offenbar nur darum. Und währenddessen geschieht, was geschieht, und die Gesellschaft evoluiert im Ausgang von dem, was erreicht ist, in eine unbekannte Zukunft. Vielleicht hatte das Stichwort der Postmoderne nur eine andere, variantenreichere Beschreibung der Moder ne versprechen wollen, die ihre eigene Einheit nur noch negativ vorstellen kann als Unmöglichkeit eines meta recit. Aber das ließe dann möglicherweise zu viel zu angesichts zahlreicher aktueller Dringlichkeiten, die auf fallen. Wir mögen gern konzedieren, daß es keine ver bindliche Repräsentation der Gesellschaft in der Gesell schaft gibt. Aber das wäre dann nicht das Ende, sondern der Beginn einer Reflexion der Form von Selbstbeob achtungen und Selbstbeschreibungen eines Systems, die im System selbst vorgeschlagen und durchgesetzt werden 7 müssen in einem Prozeß, der seinerseits wieder beob achtet und beschrieben wird. Die im folgenden publizierten Texte gehen von der Überzeugung aus, daß darüber etwas ausgesagt werden kann; ja daß Theoriematerialien schon verfügbar sind, die nur auf dieses Thema der Beobachtungen der Mo derne hingeführt werden müssen. Beobachtungen der Moderne - der Titel ist bewußt zweideutig gefaßt, denn es handelt sich um Beobachtungen der modernen Ge sellschaft durch die moderne Gesellschaft. Es gibt keinen metarecit, weil es keinen externen Beobachter gibt. Wenn wir Kommunikation benutzen, und wie sollte es sonst gehen, operieren wir immer schon in der Gesell schaft. Aber genau das hat eigentümliche Strukturen und Konsequenzen zur Folge, die verdeutlicht werden können. Und diese Absicht schließt die folgenden Über legungen zusammen. Es handelt sich um Ausarbeitungen von Vorträgen, die zunächst ohne schriftlich fixierte Textgrundlage ge halten worden sind. Über "Das Moderne der modernen Gesellschaft" habe ich auf dem Frankfurter Soziologen tag 1990 vorgetragen. Die hier vorgelegte Fassung ist gegenüber der in den Verhandlungen des Soziologenta ges publizierten nur geringfügig revidiert. "Europäische Rationalität" war das Thema eines Beitrags zu einer Tagung über "Reason and Imagination", die im August 1991 in Melbourne von den Herausgebern der Zeitschrift "Thesis Eleven" veranstaltet wurde - ohne weltverän dernde Intention, wie ich vermute. Zur gleichen Zeit hatte die Monash University zu einer Vortragsveranstal tung mit Agnes Heller eingeladen. Mein Beitrag ent sprach dem Titel dieser Veranstaltung: "Kontingenz und Moderne". Der Anlaß für den Vortrag "Die Beschrei- 8 bung der Zukunft" war die Gründung eines Forschungs instituts im Februar 1991 in Lecce, das sich mit den komplexen Problemen des italienischen Südens befassen soll. Der abschließende Beitrag über "Ökologie des Nichtwissens" skizziert Forschungsperspektiven für noch nicht identifizierte Geldgeber. Inhaltliche Überschneidungen in diesen Beiträgen habe ich stehen lassen. Sie können auch dazu beitragen, Zusammenhänge zu verdeutlichen, die sich einer hier archischen oder linearen Darstellung nicht fügen. Bielefeld im November 1991 Niklas Luhmann 9 J. Das Modeme der modernen Gesellschaft J. Ich beginne die hier auszubreitende Analyse der Mo dernität der modernen Gesellschaft mit der Unterschei dung von Sozialstruktur und Semantik. Meine Präferenz für diesen Anfang - eine Präferenz, die am Anfang nicht schon gerechtfertigt sein kann - hat mit einer verwir renden Eigenschaft dieser Unterscheidung zu tun, näm lich damit, daß sie sich selber enthält. Sie ist selbst eine semantische Unterscheidung. So wie ja auch die Unter scheidung von Operation und Beobachtung, von der sie abstammt, selbst die Unterscheidung eines Beobachters ist. Ich muß es bei diesem Hinweis belassen und bei der schlichten Behauptung, daß diese logische Form die Grundlage der Fruchtbarkeit von Analysen ist, die ihre Paradoxie entfalten.1 Außerdem enthält dieser Aus gangspunkt im Kern schon die gesamte Theorie der Mo- 1 Diese Annahme entspricht dem Formenkalkül von George Spencer Brown, das mit einer verdeckten Paradoxie beginnt, nämlich mit der Anweisung, ein "distinction" zu setzen, das aus distinction und indication besteht, aber als ein einziger Operator zu handhaben ist; und mit der offenen Paradoxie eines "re-entry" der Unterscheidung in das Unterschiedene endet. Siehe: Laws of Form (1969), Neudruck New York 1979. 11 derne. Denn die Analyse beginnt nicht mit der Aner kennung bewährter Naturgesetze, auch nicht mit Ver nunftprinzipien, auch nicht mit bereits festgestellten oder unstrittigen Tatsachen. Sie beginnt mit einer Paradoxie, die dann auf die eine oder andere Weise aufzulösen ist, will man unendliche auf endliche Informationslasten re duzieren. Die Analyse reklamiert damit für sich selbst die Merkmale ihres Gegenstandes: Modernität. Fängt man mit der Unterscheidung von Sozialstruk tur und Semantik an, muß dem Soziologen auffallen: der Diskurs über die Moderne wird weitgehend auf se mantischer Ebene geführt.2 Seitdem die Rede von der "kapitalistischen Gesellschaft" erläuterungsbedürftig ge worden ist und die Diskussion über "Differenzierung", weil zu allgemein ansetzend, stagniert, fehlt eine adäqua te strukturelle Beschreibung von Modernitätsmerkmalen. Seine aktuelle Konjunktur verdankt der Begriff der Mo derne denn auch einer Schwerpunktverschiebung von Wirtschaft auf Kultur, die jedoch selbst der Erklärung bedürfte. So werden in Versuchen, die Moderne zu cha rakterisieren, Merkmale genannt, die aus dem Repertoire gesellschaftlicher Selbstbeschreibungen stammen. Das gilt zum Beispiel für die Assoziation des Begriffs der Moderne mit der Vorstellungswelt der Vernunftaufklä rung. Es gilt ebenso, wenn man meint, die Modernität der Gesellschaft sei bestimmt durch die Bedeutung, die sie dem sich selbst bestimmenden Individuum zuweise. 2 Siehe als ein bekanntes Beispiel: Jürgen Habermas, Die Mo derne - ein unvollendetes Projekt, in: ders., Kleine politi sche Schriften I-IV, Frankfurt 1981, S. 444-464; oder jetzt Stephen Toulmin, Cosmopolis: The Hidden Agenda of Mo dernity, New York 1990, dt. Übers. Frankfurt 1991. 12 In beiden Hinsichten werden heute lange Enttäuschungs listen geführt. Jacques Derrida hat kürzlich von einem "gout de fin sinon de mort" dieses "discours traditionel de la modernite" gesprochen.3 Entsprechend leichtfüssig wird die Beschreibung von modern auf postmodern um gestellt. Damit verändert sich das Zukunfts bild. Während die, sagen wir: klassische, Moderne die Erfüllung ihrer Erwartungen in die Zukunft auslagerte und damit alle Probleme der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung der Gesellschaft sich durch das "noch nicht" der Zukunft abnehmen ließ, ist ein Diskurs der Postmoderne ein Diskurs ohne Zukunft. Und hier muß folglich dasselbe Probleme der Paradoxie der Beschreibung des Systems im System (der sich selbst mitbeschreibenden Beschrei bung also) anders gelöst werden - und das geschieht, wie wir sehen, in der Form des Pluralismus, wenn nicht des anything goes. Rein begriffs geschichtliche Analysen führen, so be lehrend sie im Einzelfall sein mögen, für sich allein genommen über diesen Sachstand nicht wesentlich hin aus. Das gilt auch dann, wenn man sie mit Quentin Skinner auf soziale und politische Situationen bezieht, die mit innovativem Begriffseinsatz bewältigt werden sollten4; und selbst dann, wenn man mit Dtto Brunner, Joachim Ritter oder Reinhart Koselleck Veränderungen des Begriffsgebrauchs oder begriffliche Neuschöpfungen von gesellschaftsgeschichtlichen Umbrüchen her inter- 3 So in "L'autre cap", Liber 5 (1990), S. 11-13 (11), zit. nach der Ausgabe Le Monde vom 29. Sept. 1990. 4 Siehe die Diskussion in: Terence Ball / James Farr / Russell L. Hanson (Hrsg.), Political Innovation and Conceptual Change, Cambridge England 1989. 13

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