KÖLN ER ZEITSCHRIFT FÜR SOZIOLOGIE UND SOZIALPSYCHOLOGIE Herausgegeben von Prof. Dr. Rene König. Universität zu Köln Redaktionssekretär: Dr. Fritz Sack, Universität zu Köln ISBN 978-3-663-00436-3 ISBN 978-3-663-02349-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-02349-4 C 1968 Springe< Facbmedien WieSbaden UrsprUnglieh encbiecen bei Westdeutseber Verlag, Köln und Opladen 1968 Softcoverreprint of tbe hatdeover 1st edition 1968 REDAKTIONELLE BEMERKUNGEN Die Kölne r ZeitachriEt für Soziologie und Sozialpaychologie iat eine neue Folge der bia zum Jahre 1934 erachienenen Vierteljahre&• hefte für Soziologie. Der 20. Jahrgang (1968) der .,Zeitachrift" bildet in der Reihenfolge der .,Vierteljahreabefte" den 32. Jahr gang. Alle redaktionellen Zuacbriften und Sendungen bitten wir nur an die Redaktion der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpayehologie, 5 Köln-Sülz, Zülpieher Straße 182, zu richten. Geaehäftliehe Zuachriften, Anzeigenanfträge uaw. nur an den Weotdeutachen Verlag, 567 Opladen, Ophovener Str. 1-3, Telefon (02171) 4031, Fernachreiber 08515859, erbeten. Wir bitten, Beopreehungaexemplare neu enebienener Werke der Soziologie und aua dem engeren Kreia der Naehbarwiaaenaehaf ten nur an die Redaktion zu aenden. Die Auswahl der Arbeiten zur Rezension behält sich die Redaktion vor. Rücksendungen unverlangter Bücher k6nnen nicht vorgenomm.nn werden.-Jährlich erscheinen vier Hefte im Gesamtumfang von ca. 700 Seiten. Der Bezugapreio beträgt DM 20,-fdr daa Einzelheit, J ahreabezugapreia ohne Sonderheft DM 72,-. Bei Vorauszahlung bis zum 1. Februar dea lfd. Jahrgengel DM 64.,80. Die angegebenen Bezugsgebühren enthalten den gültigen Mehrwertateueraatz von 5,21 %• Die Sonderhefte werden je nach Umfang berechnet und den Jahrgangaabonnenten mit einem Nachlaß von 50% dea jeweila ermittelten Ladenpreises abgegeben. Die Hefte Bind zu beziehen dureh jede Buehhandlung oder direkt vom Verlag. Bei Abbeatellung gilt eine KündigungoCrist von 6 Woehen vor Quartalaende, bei Halbjahres-oder Jahreabozug jeweila 6 Woehen vor Halbjahre•- bzw. Jahreaende.-Für alle Beiträge behält oieh der Verlag alle Reehte vor, aueh die dea Nachdrucko, der tl"heraetzung in &emde Sprachen aowic der fotomechaniaehen Wiedergabe, jedoeh wird gewerblichen Unternehmen die Anferti gung einer fotomeehaniachen Vervielfältigung (Fotokopie, Mikrokopie) für den innerbetrieblieben Gehrauch naeh Maßgabe des zwischen dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und dem Bundeaverband der Deutschen Industrie abgeschlos senen Rahmenabkommens gestattet. Werden die Gebühren durch Wertmarken entrichtet, so iat eine Marke im Betrage von DM-,10 zu verwenden. Druck: Dr. Friedrich Middelhauve GmbH., Opladen. SONDERHEFT 12 BEITRÄGE ZUR MILITÄRSOZIOLOGIE BEITRÄGE ZUR MILITÄRSOZIOLOGIE herausgegebenvon RENE KÖNIG unter Mitarbeit von KLAUS ROGHMANN WOLFGANG SODEUR ROLF ZIEGLER SPRINGERFACHMEDIEN WIESBADEN GMBH Inhaltsübersicht Vorwort. Einige Bemerkungen zu den speziellen Problemen der Begrün dung einer Militärsoziologie. Von Prof. Dr. Rene König, Universität zu Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Allgemeiner Teil Einige Ansatzpunkte der Militärsoziologie und ihr Beitrag zur soziolo- gischen Theorie. Von Dr. Rolf Ziegler, Universität zu Köln . . . . . . . . . . 13 li. Teil: Militär und Gesellschaft Die militärische Bewährung eines sozialen Systems: Die SChweizer Eid genossenschaft im 14. Jahrhundert. Von Prof. Dr. Karl W. Deutsch, Harvard University, Boston, Mass., und Dr. Hermann Weilenmann, Zürich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Politische Stellung und Kontrolle des Militärs. Von Prof. Dr. Rudolf Wildenmann, Universität Mannheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Armee und Technokratie in den Ländern der drei Kontinente. Von Dr. Anouar Abdel-Malek, Centre National de Ia Recherche Scientifique, Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Sozio-politische Besonderheiten und Funktionen von Streitkräften in sozialistisChen Ländern. Von Prof. Dr. ]erzy ]. Wiatr, PolnisChe Aka demie der Wissenschaften, Institut für Philosophie und Soziologie, Warschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Rekrutierungsmodelle im demokratischen Gesellschaftssystem. Von Dr. Reinmar Cunis, Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6 Inhaltsübersicht Militär und Gewerkschaften. Berufsproblematik und Interessenartikula- tion der westdeutschen Berufssoldaten. Von Diplom-Soziologe Dietmar Schössler, Universität Mannheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 III. Teil: Interne Probleme der Militärischen Organisation "Career-Management": Formen organisatorischer Anpassung an den tech nischen Wandel in den amerikanischen Streitkräften. Von Prof. Dr. Kurt Lang, State University of New York, Stony Brook, N. Y. . . . . . . 157 Rangsysteme im amerikanischen Militär. Von Prof. Dr. Roger W. Little, University of lllinois at Chicago Circle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Eigeninteresse, Primärgruppen und Ideologie. Eine Untersuchung der Kampfmotivation amerikanischer Truppen in Vietnam. Von Prof. Dr. Charles C. Moslws, ]r., Northwestern University, Evanston, lll. . . . . . . 199 Führerschaft im Militär. Von Prof. Dr. Klaus Roghmann, University of Rochester, N. Y., und Dipl.-Kfm. Wolfgang Sodeur, Universität zu Köln 221 IV. Teil: Forschungsberichte Wirtschaftliche und soziale Probleme der Auf- und Abrüstung. Volkswirt schaftliche Konsequenzen der Rüstung in der Bundesrepublik Deutsch- land. Von Dr. Hans D. Klingemann, Universität zu Köln . . . . . . . . . . . . 239 Einstellungen von Rekruten zum Militärdienst. Von Dipl.-Volksw. Hans Benninghaus, Universität zu Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Determinanten und Konsequenzen informeller Ränge von Rekruten. Von Alois Rosner und Hans-Dieter Weger, Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Führungsstile, Spannungen und Spannungsbewältigung in militärischen Gruppen. Von Dipl.-Kfm. Wolfgang Sodeur, Universität zu Köln . . . . 300 Die Interaktionsanalyse als Instrument zur Auswahl militärischer Führer. Von Dr. Hans Koerdt, Technische Akademie der Luftwaffe, Mündlen Neubiberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 V. Teil: Bibliographie Ausgewählte Literatur zur Militärsoziologie. Zusammengestellt von Dr. Rolf Ziegler, Universität zu Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Sachindex zur Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Vorwort EINIGE BEMERKUNGEN ZU DEN SPEZIELLEN PROBLEMEN DER BEGRÜNDUNG EINER MILITÄRSOZIOLOGIE Von Rene König Wie die meisten anderen Teildisziplinen der Soziologie hatte auch die Mili tärsoziologie lange zu kämpfen, bis sie sich aus vorwissenschaftliehen Betrach tungsweisen befreien konnte. Sie hatte es sogar aus Gründen, die weiter unten und auch an anderen Stellen in dem vorliegenden Bande noch erörtert werden sollen, teilweise wesentlich schwerer als ihre Schwesterdisziplinen, einen im strengen Sinne wissenschaftlichen Charakter zu erreichen, weshalb sie vielleicht auch noch immer nicht über den gleichen Reifegrad wie jene verfügt. Sie war und ist in der Tat in allerhöchstem Maße abhängig von mächtigen Außen gesichtspunkten, wie etwa von den jeweils zufälligen Konstellationen auf dem politischen Felde, so daß etwas, das eben noch einer weiteren und eingehen deren Diskussion bedürftig erschien, von einem Tag zum anderen der Geheim haltungspflicht unterliegt. Sonder- und Extremzustände sind in diesem Falle nicht etwa ein besonders wichtiges Forschungsobjekt, sondern sie auferlegen auch der Forschung besondere Bedingungen, die z. B. die Publizität der For schungsresultate empfindlich beeinträchtigen können. So sagte mir Samuel A. Stouffer, als ich ihn im Herbst 1952 in Cambridge, Mass., besuchte, ganz unum wunden, der American Soldier sei gerade noch im letzten möglichen Moment erschienen; denn bei der unmittelbar nach Erscheinen ausgebrochenen Korea krise und überhaupt der neuen politischen Konstellation hätte die Sicherheits behörde zweifellos ein Veto gegen die Publikation ausgesprochen. Die V er öffentlichung anderer wichtiger Werke der Militärsoziologie provozierte jeweils ähnliche (wenn auch anders begründete) Kontroversen, insbesondere wieder von seiten der Militärbehörden, gelegentlich auch bei einer weiteren Öffentlich keit, wie schon unmittelbar nach dem zweiten Weltkriege das Buch von S. L. A. Marshall (1947) oder später das Sammelwerk von Eli Ginzberg u. a. (1959) über den unbrauchbaren Soldaten. Eine scharfe Diskussion mit erfreulichen Resul taten lösten die Arbeiten von Albert D. Biderman (seit 1959) über die amerika nischen Kriegsgefangenen im Koreakriege aus; sie zerstreuten die billige An schuldigung gegen eine "verweichlichte" Jugend und zeigten die Mechanismen der "Gehirnwäsche" auf, denen jene erlegen waren und die zu den bekannten 8 Rene König öffentlichen Selbstbeschuldigungen dieser Soldaten in Nord-Korea geführt hatten. Im übrigen wurde damit eine schwere Verlegenheit der obersten Armee leitung gelöst, was nun mit diesen Leuten nach ihrer Rü<.kkehr nach Kriegs ende zu geschehen habe. Es war klar geworden: Landesverräter waren sie zweifellos nicht. Ein anderes Beispiel für diese delikate Problematik stellt im vorliegenden Bande die Abhandlung von Charles C. Moskos, ]r., über die ameri kanischen Kampfeinheiten in Vietnam dar. Der Stein des Anstoßes liegt hier in der offenen Bewunderung der amerikanischen Truppen für den Gegner aus Nord vietnam und den Viet Cong, während sie für Südvietnam, den vermeintlichen Bundesgenossen, bestenfalls Verachtung empfinden. Ein solches Ergebnis muß einfach für die oberste Truppenleitung ein ständiges Ärgernis darstellen, so daß man die Tendenz verstehen (wenn auch nicht billigen) kann, die Veröffent lichung oder Verbreitung solcher Darstellungen möglichst zu unterdrücken. Immerhin muß zugestanden werden, daß das letztere Forschungsprojekt für die Publikation vorgesehen ist und auch von zwei großen amerikanischen Stif tungen finanziert wurde. So ist man heute weit abgekommen von den Zuständen um 1950. Es wäre wohl heute nur noch ausnahmsweise möglich (etwa unter Voraussetzung eines nicht mehr lokal begrenzten Krieges), daß man Ergebnisse, die der Heeresleitung unwillkommen sind, einfach von der Veröffentlichung ausschließen wollte. Das bezieht sich etwa auch auf das Auftreten bestimmter politischer Einstellungen in der Armee insgesamt oder im Offizierskorps, die den herrschenden Wertvorstellungen in Staat und Gesellschaft widersprechen. Jüngstens gab es eine diesbezügliche Kontroverse in der Bundesrepublik, als Gerüchte über eine vermeintliche überdurchschnittliche Partizipation an der NPD in der Armee laut wurden. Die ungeschi<.kte Reaktion der Regierungs organe hatte damals nur eine Folge, nämlich das Unbehagen in der deutschen Öffentlichkeit zu verstärken, und wurde damit einzig zn einem weiteren Symptom (neben vielen anderen) für die seit Jahren schwelende Führungskrise in der Bundesrepublik. Eine sofortige, kommentierte Veröffentlichung der damaligen Untersuchung hätte dagegen das Unbehagen augenbli<.klich zum Verschwinden gebracht. Allerdings hätte das auch gezeigt, daß die strukturelle Bedrohung der Bundesrepublik nicht aus dieser Splitterpartei, sondern in viel stärkerem Maße von den klassischen Parteien der CDU und der SPD herrührt. und das wollte damals wie heute keiner zugestehen. Es ist ungemein bezeichnend für die erwähnte Problematik, daß man- von den besonderen Schwierigkeiten der Begründung einer Militärsoziologie spre chend - sofort auf weiterreichende und zum Teil recht fragwürdige Vorgänge stößt, die mit der Sache offensichtlich gar nichts zu tun haben und sich trotz dem einer unbefangenen Diskussion hindernd in den Weg stellen. Abgesehen davon, daß dies Verhalten der Öffentlichkeitspflicht aller wissen- Vorwort 9 schaftlid1en Forsdmng in teilweise hochbedenklicher Weise widerspricht, was an sich schon ein schwerwiegendes ethisches Problem darstellt, spricht daraus ein weiteres wesentliches Mißverständnis. Man gerät nämlich ständig in die Gefahr, die Anwendung von Mitteln der Sozialforschung im Rahmen der direlr ten oder indirekten Verfolgung militärisdwr Zielsetzungen mit der Anwendung von Mitteln der Sozialforschung auf die Struktur, die Organisationsformen und die Verhaltensweisen der Armee und des militärischen Establishments insge samt, um einen Ausdruck von Morris ]anowitz (seit 1958) zu benutzen, zu verwechseln. Dann wird Soziologie des Militärs einzig als Hilfsmittel im Dienste des militärischen Entscheidungsprozesses verstanden. Diese Gefahr besteht von Haus aus auch in einem anderen Zweige der Soziologie, nämlich der Industrie- und insbesondere der Betriebssoziologie, so daß Militärsoziologie oft als eine Art ungewandter Betriebssoziologie ange sprochen worden ist, welche die Voraussetzungen erarbeitet, unter denen die Effizienz des Instruments Armeeorganisation maximiert werden kann. Der gleiche Mißbrauch, der dort mit der Forschung getrieben wurde, insbesondere bei der Human Relations-Schule, indem man sie etwa einsetzte, um die sozialen Voraussetzungen für eine höhere Produktivität der Arbeiter herauszufinden, tritt aucli in unserem Falle ein. Im Grunde ist bei der Militärsoziologie diese Fragwürdigkeit sogar noch viel größer, wenn man die Zielsetzung der mili tärischen Organisation bedenkt, nämlich die Androhung und im Ernstfall der planmäßige Einsatz von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele, der notwen digerweise mit der organisierten Tötung von Menschen verbunden ist. Da uns diese Sruwierigkeit unauflösbar erscheint, lehnen wir für uns jedenfalls die Beteiligung an solcher Art von Forschung grundsätzlich ab. Das ist wohl aucli der Tenor des Buches von lrving L. Horawitz (1967) über das Projekt "Cam elot", das mit Recht soviel Aufsehen in der Welt erregt hat. Insbesondere haben Dinge dieser Art nichts mit rechtverstandener Militärsoziologie zu tun. Man hüte sich nur vor der Illusion zu meinen, Mißbräuche dieser Art gebe es einzig bei "anderen", wobei speziell bei den anti-demokratischen deutschen Kritikern von heute zumeist einzig und allein an die Vereinigten Staaten gedacht wird, während der Ausdrud'- vom "Ingenieur der Seele" im sozialistischen Teil der Welt erfunden wurde und dort auch eine eigene augewandte Betriebsdisziplin hervorgebracht hat, welche die ständige Bereitschaft zur politischen Aktion wachhält. Daß letztere im Verborgenen blüht, spricht nicht gegen ihre Existenz, wie gerade z. B. die hochentwickelten und raffinierten Techniken des "brain washing" und überhaupt der konsequenten Indoktrinierung beweisen. Hierher gehören auch die planmäßig eingesetzten Techniken zur Vorbereitung von Staatsstreichen, Auslösung von Bürger- und Guerillakriegen, inklusive anderer Formen der gewaltsamen Einschüchterung und Bedrohung, wie sie die Welt 10 Rene König 1956 in Budapest und 1968 in Prag erlebt hat. Einzig penetrante Dummheit oder böser Wille können das übersehen. Die oben erwähnte mißverständliche Anwendung der Sozialforsclmng in der Militärsoziologie beschränkt sicll aber nicht nur auf den Binnenaspekt der inneren Organisation der Armee, um ihre Effizienz zu erhöhen, sondern hat aucll einen gesamtgesellschaftlicllen Aspekt, der nicllt immer gesehen zu werden pflegt. So wird etwa beim Thema "Militär und Gesellschaft" zumeist einzig an die eventuelle dominante Rolle des Militärs in der Bestimmung politischer Ziele gedacllt, was eine wesentliclle Voraussetzung des "Militarismus" darstellt. Aber man vergißt darüber leicht, daß es daneben ganz andere gesamtgesell schaftliche Kontrollmöglichkeiten der Armeeorganisation über die Gesellschaft als die politische gibt; dazu gehören etwa die wirtschaftlichen Auswirkungen im Sinne einer konjunkturfördernden Aktion. Um sich ein Bild davon zu machen, bedenke man nur die Folgen einer weltweiten Abrüstung. Diese würde sich zunächst als eine ebenso weltweite Wirtscllaftskrise auswirken, die mindestens für eine Übergangsperiode einschneidende Notmaßnahmen erfordern würde. Wir heben noch hervor, daß neben dem nationalen heute ein internationaler Militarismus entstanden ist, der ebenfalls gesamtgesellschaftliclle Folgen hat. Während wir auf nationaler Ebene über parlamentarische und andere Kontroll instanzen gegenüber einem uneingeschränkten Militarismus verfügen, ist das auf internationaler Ebene zweifellos nicht der Fall - und zwar sowohl im Osten als auch im Westen. Ein unkoutrollierter und selbstherrlicher nationaler Militarismus findet sich heute nur noch bei einer Gruppe wirtschaftlich unter entwickelter Gesellschaften, wofür etwa Ägypten ein gutes Beispiel darstellt, während bei den Industriegesellschaften die internationale Verflechtung schon längst ganz andere Verhältnisse geschaffen hat. Wenn wir von einer gesamtgesellschaftlicllen Ausrichtung der Militärsoziologie im politischen Gebraucll sprechen, so denken wir jedocll primär an andere Probleme als an die des Militarismus, der uns irgendwie der Vergangenheit anzugehören scheint. Wir denken hier vielmehr an jenen Einsatz der Militär soziologie, der aus ihr im Grunde einen Zweig des militärischen Nacllricllten dienstes macht und sicll um die Ergründung der respektiven Kampffähigkeit ganzer Gesellschaften bemüht. Das wäre, um es rundheraus und vielleicht aucll allzu direkt zu sagen, Sozialforscllung im Dienste der Spionage. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß manche internationalen Forschungsvorhaben - wie das Projekt "Camelot", aber aucll andere - mindestens einem doppelten Zwecke dienen, nämlich außer der Forschung noch der Identifizierung neural gischer Punkte in der gesamtgesellschaftlichen Organisation einzelner Nationen, die potentielle Feinde sind, um dort militärische Aktionsziele auszumachen. Dazu gehört z. B. sicller ein großer Teil der Großstadtforschung und der Analyse Vorwort 11 der Bevölkerungsverteilung sowie der Lokalisierung der Industrien auf dem Gebiet der Großstadt, was bei atomaren Schlägen, aber auch bei konventioneller Kriegsführung zweifellos von eminenter militärischer Bedeutung sein dürfte. Es liegt auf der Hand, warum diese Möglichkeiten der Sozialforschung zumeist nicht öffentlich besprochen zu werden pflegen. Sie müssen auch nicht immer aggressive Motive haben, sondern können unter Umständen nur zum Schutze der eigenen Bevölkerung eingesetzt werden, um etwa bei atomarer Bedrohung eine schnelle Evakuierung großer Bevölkerungsmassen aus eigentlichen Konge stionszonen zu garantieren. Diese Begrenzung der Ziele der Militärsoziologie bedeutet aber nicht nur eine Klarstellung der Grenzen nach außen, sondern gleichzeitig eine Strukturierung nach innen, die vielleicht eine Art von Einseitigkeit zur Folge hat, wie gleich zu zeigen sein wird. Wir sind aber bereit, diese Einseitigkeit um der Klärung des Forschungszieles willen in Kauf zu nehmen, solange man sich ihrer nur bewußt bleibt. Außerdem hat sie insofern gewisse Vorteile, als sie es erlaubt, die Militär soziologie näher an andere wohlausgebaute Disziplinen heranzurücken wie ins hesondere die Organisationssoziologie. Dann würde Militärsoziologie vorwie gend als Zweig der Organisationssoziologie verstanden, wobei es vor allem darauf ankommt, ihre Besonderheiten herauszustellen. Es mag vielleicht sein, daß man später eine andere Definition vorziehen wird. Für den Augenblick, und auch in ganz pragmatischer Hinsicht, finden wir angesichts der vorhandenen Forschungsmaterialien diesen Zugang am fruchtbarsten. Im vorliegenden Bande werden mindestens drei Organisationstypen erwähnt: der Typ der alten Schweizer Milizarmee (der heute in der israelischen Armee sein Gegenstück findet), der Typ der feudalen Armeen mit oder ohne Aushebung, der Typ der hochmechanisierten modernen Armeen. Natürlid1 ist das nur eine grobe Gliede rung, aber sie zeigt doch schon deutlich, in welchem Maße sich die Organisa tionsformen in den verschiedenen Fällen bis in alle Einzelheiten hinein von einander unterscheiden. Im Rahmen der allgemeinen Organisationssoziologie erhebt sich hier die Frage, ob diese Typologie irgendwie anderen parallel gelagert ist, z. B. im Vergleich zu bürokratischen Organisationen. Denn es zeigt sich, gerade im Vergleich zu letzteren, daß die militärische Organisation offen sichtlich eine ganz besonders ausgeprägte Tendenz znr Bürokratisierung beweist, was leicht erklärt werden kann. Das Ziel der Militärorganisation liegt ja in der Tat in der planmäßigen Ausbildung einer großen Anzahl von Menschen für den Einsatz im "Ernstfall", von dem im übrigen jedermann hofft, daß er nicht eintreten wird. Einfach ausgedrückt, bedeutet das insofern eine Besonderheit für die militärische Organisation, als das Organisationsziel (ohne das keine Organisation bestehen kann) gleichzeitig da ist nnd auch wieder nicht da ist. Dieser Umstand verleitet notwendigerweise als Ersatzhandlung zu einer über-