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Beiträge zur Kriegsheilkunde: Aus den Hilfsunternehmungen der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz Während des Italienisch-Türkischen Feldzuges 1912 und des Balkankrieges 1912/13 PDF

1131 Pages·1914·54.184 MB·German
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BEITRÄGE ZUR KRIEGSHEILKUNDE ArS IH~N HILFSUNTER~EHlUlJNGEN DEli DEUTSCHEN VEREINE YOlU ROTEN KREUZ \VÄHREND DES ITALIENISCH-TÜRI\:JSCHEN FELDZUGES 1912 lTND DES BALKANJ\JliEGES 1912/13 llERAUSUI<~GEIJEN VOl\I CE~TI{AlrKOl\H'L'EE DER DEUTSCH~:X VEREI~E VOlll ROTEN IUU~CZ l\11 '1' (i07 A B B 1 I .. D U N G 1~ N Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH l!l14 ISBN 978-3-642-51920-8 ISBN 978-3-642-51982-6 (eBook) DOI 10.100/978-3-642-51982-6 Alle Rechte, inslwsmHlero da.s dnr ÜlH'rRntznng in fromd!l Spra.c!Jnn, vorhnhaltPJL Copyright Ull4 by Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Ursprünglich erschienen bei Julius Springer, Berlin 1914. Mit dem .Jahre 1914 trat das Rote Kreuz in die Jubiläumszeit seines 50jährigen Besteheus ein. Was nach den ergreifenden Erlebnissen auf der blut getränkten Ebene von Solferino der Schweizer Henry Dunant mit unermüdlicher Ausdauer erstrebt, und was sein weitblickender und wohl unterrichteter Landsmann, der Rechtsgelehrte Gustav Moynier mit seinen Genfer Mitarbeitern in geschickter \Ve ise angebahnt und erreicht hat: die Vereinigung der Völker zu gemeinsamen Beratungen (1863) über das Los der Verwundeten und Kranken im Kriege und deren völkerrechtlicher Schutz durch die Genfer Konvention vom 22. August 1864, hat nicht bloß zu einer erfreulichen Vervollkommnung des Militär-Sanitätswesens, sondern auch zur Gründung von "Vereinen zur Pflege im Felde erkrankter und verwundeter Krieger" geführt, des heutigen Roten Kreuzes. Sein Ausbau zu einer leistungsfähigen Ergänzung des Kriegs-Sanitätsdienstes bildete die Sorge von fünf Dezennien. Allenthalben in den zivilisierten Staaten sind Vereine vom I~oten Kreuz entstanden, haben sich zu den verantwortlichen amtlichen Organen der Kriegs-V crwundetcn- und -Krankenpflege Frauen und Männer gesellt, die aus freiem Entschluß die Verbindlichkeit übernommen haben, alles das in geordnete Bahnen zu leiten, was Vaterlands- und Nächstenliebe, Opferwilligkeit und Schaffensfreude den Männern entgegenbringen, die für den Schutz der Heimat Leben und Gesund heit einsetzen : "Militi aegroto et pro patria vulnerato". Schon im Jahre 1863 war der "Württembergische Sanitätsverein" ge gründet worden, der aber erst im März 1864 seine Statuten veröffentlichte und sich auch formell konstituierte. Ihm folgte das Rote Kreuz im Großherzogtum Oldenburg am 2. Januar 1864; vom 6. Februar 1864 datiert die Bildung des Preußischen landesvereins, und weiterhin schließt sich die Entstehung vieler, nach gleichen Grundsätzen handelnder Vereinigungen an, deren jetzt in Deutsch land 26 bestehen. Sie gehen Hand in Hand mit den Deutschen Frauenvereinen vom Roten Kreuz. Komitees, aus erfahrenen, im Staatsleben und in sonstigen wichtigen Lebensstellungen tätigen oder tätig gewesenen Mitgliedern zusammen gesetzt, führen die oberste Leitung der Geschäfte. Ihnen zur Unterstützung dienen die Vorstände der Provinzial- etc. Vereine, in der Regel die Oberpräsidenten und andere, in Staats- und Gemeindeämtern befindliche hohe Beamte, inaktive Offiziere und Sanitätsoffiziere, Kaufleute und Industrielle. Und an der Spitze der Kreis-. IY Vorwort. Zweig- und Ort:wereine, als der letzten, feim;ten Fäden de:-; großen Yereimmetze~, wirken Landräte, Bürgermei::;ter und andere angm;ehene, in prakti~cher .Arbeit bewährte Bürger, die ihre Sachkenntnif'se und ihr gereifte::; l'rtcil in den Dicn~t dieser Wohlfahrtsunternehmung stellen. Ganz ähnlich - ent~precbend der politi schen Einteilung der Länder - f'ind die LandeR-Frauen-Vereine organiRiert, deren führenden Damen Schriftführer, Herren mit großer (ieRchäft~kenntnis und reichen Erfahrungen, helfend zur Seite f'tchen. Im Friedens-Wohlfahrtsdienste wirken die Frauen-Vereine vollkommen selbständig. Ihre Kriegsvorbereitung geschieht in Überein::;timmung mit den Vereinen vom Roten Kreuz, und im Kriege selbst üben sie unter Oberleitung de::; verbündeten Landesvereins vom Roten Kreuz, aber unter Beibehaltung ihrer eigenen Organi sation, ihre Tätigkeit aus. In drei Beiträgen ZU dem Seiner Majestät dem Deutschen KaiRer vVilhelm II. anläßlich der Beendigung der ersten 25 Jahre seiner segen,;reichen Regierung ge widmeten Gedenkwerk "Soziale Kultur und Volkswohlfnhrt" 1) ist die Entwickelung des Deutschen Roten Kreuzes in dem Umfange ge:-;childert worden, in dem die ~.\nlage dieses Werkes es zuließ. Daraus soll heute hier über Umfang und Tätigkeit der Gesamtorganisation nur kurz angeführt werden, daß die in Deutschland vorhandenen Landesvereine vom Roten Kreuz im ,Jahre H)12 2) 1021 Zweigvereine mit 177 776 Mitgliedern umfassten, wozu noch 200!! Sanitätskolonnen mit 6fl :~05 Mann, 77 \'er bände der Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger im Kriege vom Roten Kreuz mit ll OH5 Mann und H Samaritervereine vom Roten Kreuz mit 132!) Angehörigen kamen. Das sind also 3llß, größtenteils auR Männeru zusammengesetzte Organi sationen mit 255 506 Mitgliedern. Die Zahl der unter dem Roten Kreuz tätigen Frauenvereine betrug zn dem selben Zeitpunkt 2670 mit 682 OD3 Mitgliedern. Dazu treten 4!1. den beiden Gruppen angehörige Schwestern- und Mutterhäuser vom Roten Kreuz, die rund 5fl00 Sclrwe stern umschließen und nicht bloß zahlreiche eigene Krankenhäno;er, Sanatorien und dergleichen unterhalten, sondern auch in fremden Hospitälern, Kliniken, Erholungs heimen, in der Landkrankenpflege und an vielen anderen Stellen segensreiche Dienste leisteiL Die Zahl der Krankenhänser, die von den .Franenvereinen vom Roten Kreuz verwaltet werden, betrug 1 !Jl2 schon 61 mit :3241 Betten; mit 2106 Gerneindepflegestationen, 143 :Mutterberatungs- und Säugling,;-Fürc;orgec;tellen, 7 Entbindungsanstalten und vVöchnerinnenheimen, 1:32 1\..rippen. Kindergärten und Kinderhorten, 4 SäuglingskrankenhäuO'ern, ß Lungenheilstätten, ß37 Au~­ kunfts- und Fürsorgestellen für Tuberkulöse, 20 \Valdcrholungt<:-;tättcn. i3Jfl Haus haltungsschulen und W an der-Ham;haltungskursen, Koehkm:-;en und dergleichen, 441 Handarbeitsschulen, 101 Erziehungsanstalten für \'erwai:-;te und Yerwahrloste, 65 Siechen- und Altersheimen, 158 VolkRküchen, Milch- und Kaffeeansschänken 1) DaR Rote Krem;- Allgemeinps- von nmlCral der ArtilkriP z. ll. Hoihe. Die Vereine vom Roten Kreuz - von Oberstabsarzt a. n. Prof. llr. K i mml<'. Hote,; Kreuz - Frauen-Vereine - \-on Oberverwaltung,;geriehtsrat I lr. jnr. K ii h 11 e. (\-erlag \'mt Georg Stilke in Berlin, l!ll:3.) 2) Eine neuere Statistik liegt noeh nicht vor. Yorwort. V und vielem j.Jmlichen gereichen unsere Frauenvereine dem Land zu großem NutzeiL Ihr Get-lamtvermögen in Geld und Geldwerten bezifferte sich 1912 schon auf :J81 /~ Millionen Mark. Diesen Frit>dens-Institutionen der Frauen für das allgemeine Wohl reihen sich 7862 ständige Sanitätswachen und Unfallstationen, Unfallmeldestellen und ähnliche Einrichtungen an, die von Sanitätskolonnen, Genossenschaftsverbänden und Sama ritervereinen vom Roten Kreuz bereits im Jahre 19111) errichtet waren, und deren Zahl inzwischen erheblich gewachsen ist. In demselben Jahre schon betrug die Zahl der Krankenautomobile und bespannten Krankenwagen 265, und die sonstigen Tran::;porteinrichtungen und -geräte beliefen sich auf ll 440. In 351 878 J:i'ällen \\·urde er::;te Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen gebracht, 66 871 mal von den Unfall meldestellen und Alarmeinrichtungen Gebrauch gemacht. Bei festlichen Ver anstaltungen, besonderen Notständen (Feuersbrünsten, Eisenbahnkatastrophen, Explosionen, Grubenunglücksfällen etc.) traten geschlossene Trupps oder einzelne Mitglieder 25 !l78mal in Tätigkeit (Hll1). Nicht in kindil-leher Selbstgefälligkeit blickt das Deutsche Rote Kreuz jetzt auf ::;olche Au::;delmung ::;eines vor 50 Jahren entschlossen, aber dennoch mit einer gewist-len Beklommenheit begonnenen Werkes hin. Nur zu gut wissen alle Ein sichtigen, wie weit entfernt dat-l Ziel noch liegt, das uns gesteckt ist, und wieviel der _-hbeit es noch bedarf, bü;; jene relative Höhe erreicht ist, die wir bei der Unvoll kommenheit alles Menschlichen ja nur erreichen können. Aber zu einer gewissen Genugtuung berechtigt der Anblick solcher Zahlen doch. Vor allem werden sie die jenigen Frauen und Männer empfinden dürfen, die einst den ersten Anfängen des großen Plane8 gegenüber8tanden und auH eigener Wahrnehmung die Schwierigkeiten erkannten, die sich ihren zwar 8chönen, aber auch riesengroßen Aufgaben entgegen türmteiL Für andere, die nur zu leicht verzagt und verzweifelt die Hände sinken lassen, wenn sie nicht bald den Erfolg vor Augen sehen oder gar zunächst einen Fehlschlag erleben, kann die Kenntnis der geschichtlichen Entwickelung und Ent faltung ein .\nt-lporn sein, auch in der Zukunft zuversichtlich in ihrer Arbeit fort zufahren. So wird ein Blick in die Vergangenheit sie gewiß ermutigen und zur Ausdauer entflammen. Ihnen gilt der nachstehende Überblick: Bei lO großen Katastrophen, Kriegen und Notständen außerhalb Deutschlandt-l hat das Deutsche Rote Kreuz unter der Mitwirkung gebefreudiger Menschen seine Kräfte eingesetzt. So verlangt es der Geist des Roten Kreuzes, der zu internationalen Vereinbarungen nach dieser Richtung geführt hat; so fordert e8 die allgemeine Menschenpflicht und erheischen es die Beziehungen der Völker unter sich. Im russisch-türkischen Kriege (1877), im serbisch-bul garischen Kriege ( 1885), im türkisch-griechischen Feldzuge ( 1897), während der Kämpfe zwischen den Buren und Engländern (1899/1900) hat das Deutsche Rote Kreuz mit Freuden seine Hilfe dargeboten. 1902 nach dem verheerenden Erdbeben auf der französischen Insel Martinique und 1904 nach der großen Feuersbrunst in der Stadt _\alesund sind Geldmittel und Materialien in beträchtlichen Mengen an die Betroffenen überwiesen worden. 1904/05 leistete das Rote Kreuz mit einer 1) Aus diesem Jahre stammt die letzte allgemeine Zu~ammenslellnng. VI Yorwort. Abordnung von Ärzten, Schwestern, Pflegern, Krankenträgern und einer reichen Sendung an Material und Lebensmitteln den verwundeten RusRen und ,Japanern Beistand. Ein Lazarett für 100 Kranke mit vollkommener Ausstattung Rowie eine Hilfslazarettzug-Einrichtung und Tragen zur Beförderung von 200 Mann wurde nach Charbin in der Mandschurei geleitet. Nach Tokio (.Japan) reiste eine Expedition von zwei deutschen Ärzten und einer Schwester mit beträchtlichem Material. In den ersten Tagen des JahreR 1!!00 eilte eine Abordnung von Ärzten, Schwestern und Krankenpflegern zu den durch das Erdbeben in Süditalien und Sizilien so schwer heimgesuchten Bewohnern, und viele Wagenladungen von Kleidern, Wäsche, Nahrungsmitteln und transportablen Baracken folgten ihnen auf dem Fuße. 1912 sahen wir in dem italienisch-türkischen Feldzuge eine .Abordnung von Ärzten und Krankenpflegern mit einem Lazarett für ßO Kranke auf dem ·we ge nach Tripolitanien, wo sie unter eigenen großen Gefahren - mehr als die Hälfte der Ärzte und Pfleger erkrankte selbst - der verwundeten und namentlich der von Typhus befallenen militärischen und bürgerlichen Bevölkerung sich opfer freudig annahmen (vgl. S. 52-54). Als im Oktober 1912 auf der Balkanhalbinsel der blutige Streit entbrannt war, wurden vom Deutschen Roten Kreuz - wie von anderen SchweRtergesell schaften - Ärzte, männliches und weibliches HilfsperRonal und die nötigen Yer bandmittel und Instrumente zur Unterstützung gesandt. I :3 Expeditionen - z\\·ei für Bulgarien, fünf für Serbien, eine für Griechenland, fiinf für die Türkei - haben sich dort der Verwundeten und Kranken angenommen, im ganzen ;~(\ Ärzte, 20 freiwillige Krankenpfleger und 48 Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz, wozu noch fünf andere, außerhalb der Vereinsorganisation stehende Personen kommen (vgl. S. 18 u. 19). Die Internationalität der Hilfe if;t der Ausfluß der Nächstenliebe, der d<tR Rote Kreuz seine Entstehung und das sichere Fundament verdankt, von dem es heute getragen wird. Sie fragt nicht, welcher Nation, welchen Glaubens, welcher Gesinnung der ist, den das Schicksal auf fremden Beistand angewiesen hat, sie sieht in dem Bedrängten den Bruder, der im Augenblick der Gefahr nicht verlassen werden darf. Wie oft schon ertönte, namentlich in dem letzten Jahrzehnt, der Mahnruf zur Verständigung der Völker, zum Abschluß des "allgemeinen Weltfriedens"! Ob er bei dem schweren Interessenkampf der Nationen, bei dem unerbittlichen Muß, das jeden zum Selbsterwerb der ExiRtenzmittel für sich und für die Seinen gebieterisch zwingt, jemals eintreten wird, mag dahingestellt bleiben. Soviel ist sicher, daß nichts die Menschheit so leicht zusammenführt und fest aneinander kittet, als das Gefühl der gegenseitigen UnterRtützung, die Erkenntnis von dem Wert des Anderen, wie sie im Augenblick der Gefahr sich Bahn bricht, das Ver trauen auf den Nachbarn bei künftigen ähnlichen Mißgeschicken und Notlagen. Deshalb ist vom Gesichtspunkt einer großen internationalen Verständigung, wenn sie bei dem rücksichtslosen Rollen des Weltenrades überhaupt denkbar ist, die internationale Hilfe der Völker der beste Weg, den wir einRehlagen können, und den zu wählen unR um so leichter wird, weil er dem Zuge um;eres mitfühlenden Vorwort. VII Herzen,; entspricht. Das Deutsche Rote Kreuz hat sonach zu Förderung des ·Weltfriedens. soweit e,.; an ihm lag, sein ehrliches Teil beigetragen. Jedenfalls hat die weitau:-; größte Mehrzahl unsere:-; Volkes es nie an Opferwilligkeit und Gebefreudigkeit fehlen la,.;sen, wenn es galt, in schweren Stunden dem Nächsten, und sei er auch in fernHten Gegenden, beizuspringen. Freilich fand und findet Holehe Auffassung nicht immer ungeteilten Beifall. Oft genug sind auch in unHerer Heimat Stimmen laut geworden, die es für unzu läHsig erklärten, für Fremde erhebliche Summen aufzuwenden, solange im eigenen Lande Arme und Notleidende die entkräfteten Arme zu uns erheben. - Aber werden wir überhaupt jemalH auf den Höhepunkt des Volksglückes gelangen, in dem wir keinen HilfHbedürftigen mehr im eigenen Lande haben?! Und ist dieser Zustand in anderen Staaten anders ? ! Vergißt man ganz, daß in der Bedrängnis, die der gewaltige KriegHsturm des Jahres 1870/71 über uns Deutsche heraufbe schworen, da!:' Ausland mit vollen Händen beisteuerte, daß ganze Scharen von fremden Ärzten, Pflegern und Pflegerinnen mit Verbandmaterial und kostbaren Instrumenten warmherzig zu uns eilten? ! Auch bei ihnen gab es damals Kranke, Verletzte und 1'\olche, die unter dem Ungemach des täglichen Lebens litten; und doch hinderten Rück!:'ichten auf sie Mitleidige und Entschlossene nicht, an die Seite derjenigen zu treten, die in jenen Stunden von größerem Leid betroffen waren und der Unterstützung vor allen anderen bedurften. ·würden solche Ta,tsachen mehr Berücksichtigung finden als es zuweilen zu ge schehen :-;cheint, so fänden unKere Maßnahmen eine andere, gerechtere Beurteilung. Man ist überhaupt nur zu leicht geneigt, es dem Roten Kreuz als Fehler anzurechnen. wenn man nach irgend einem Aufsehen erregenden folgenschweren Ereignis, einer Katastrophe in entlegenen Ländern, bald zu einem mehr oder weniger umfangreichen Hilfsunternehmen schreitet. Allzuwenig -leider-scheint man bisweilen zu beachten, daß häufig genug das Rote Kreuz nichts anderes ist als das wohl bewährte Werkzeug der öffentlichen Meinung, jenes Volkswillens, der bald in Tau:,::enden von Zeitungsstimmen, bald in Dutzenden von Vorschlägen zur Hilfe sich äußert. So bedachtsam es auch im allgemeinen seine Beschlüsse faßt, bei vielPn Gelegenheiten tut es in der Tat nichts anderes, als daß es das in ge eigneter Form vermittelt, was andere in ihrem Mitleid und in dem Wunsche, zu helfe11. freiwillig ihm darbieten. Bei unseren heutigen weitverzweigten Handels beziehungen, bei dem engen Verkehr, den dieAngehörigen aller Nationen, begünstigt durch ausgezeichnete und rasche Verbindungen zu Wasser und zu Lande, fortdauernd untereinander pflegen, bei der großen Reiselust, die gerade unsere Gutsituierten veranlaßt. jährlich einige freie Wochen in anderen Ländern zu verbringen, hat die strenge Abgeschlo!:'senheit der Nationen längst ihr Ende erreicht, spielen geschäft liche, freundRchaftliche, verwandtschaftliche Rücksichten mehr als je eine Rolle im Leben der Völker; und wenn nach vernichtenden Schicksalsschlägen oder während opferreicher Kriege die erschütternden Schilderungen der Presse Tausenden vor Augen treten, die mit den heimgesuchten Gegenden durch Beziehungen irgend welcher Art verbunden sind, dann bedarf es nicht erst eindringlicher Bitten um Hilfe, dann werden die Gaben zu tausenden geboten und das Rote Kreuz zum VIII Vorwort. Vorgehen förmlich gedrängt. Bei solcher Sachlage wäre es geradezu unverständlich und unverantwortlich, wollte eine Vereinigung, die sich die Hilfe des Nächsten zur Aufgabe gemacht hat, nicht aus den Quellen schöpfen, die sich ihm erschließen, und nicht den Strom der Liebe denen zuleiten, die sehnsüchtig danach verlangen. Mit Genugtuung und Freude kann ja festgestellt werden, daß die öffentliche Meinung mehr und mehr davon durchdrungen wird, daß bei allen großen Notlagen, sei es in der Heimat, sei es im Auslande, das Rote Kreuz diejenige Vereinigung ist, die durch ihre Verbindung mit den staatlichen und kommunalen Verwaltungs behörden und mit gleichnamigen und gleichgesinnten Schwestergesellschaften am ehesten in der Lage ist, die wirkliche Hilfsbedürftigkeit nach Art nnd Umfang festzustellen, die ferner durch ihre eigenen personellen und materiellen Ein richtungen das Erforderliche so rasch und so gut als möglich an den rechten Ort zu bringen vermag. So haben nach Beginn der kriegerischen Unternehmungen in Tripolitanien und während des Balkankrieges opferfreudige Frauen und Männer ihre Gaben dem Roten Kreuz überwiesen, ohne daß in den breiten Schichten unseres Volkes die Werbetrommel gerührt, ohne daß geräuschvoll zu Sammlungen aufgerufen wurde, und haben in dankenswerter Weise uns in den Stand gesetzt, sachgemäß zusammengestellte und ausgerüstete Expeditionen zu Hilfe zu sendeiL Den nachstehenden Schilderungen des Geleisteten aus der Feder der be teiligten Ärzte mögen die freundlichen Spender entnehmen, ob mit dem Geschehenen den edlen Absichten entsprochen worden ist, die sie mit ihren Gaben verfolgt haben. Vor allem mögen aber auch- wie alle unsere Freunde und Gönner- unsere Allerhöchsten und Höchsten Protektoren und ihre Regierungen aus diesen Be richten die Überzeugung gewinnen, daß auch dieses Mal wieder die Vertreter der deutschen Vereinsorganisation vom Roten Kreuz von ihren Kreuzzügen nach fernen Ländern mit einer Summe von Erfahrungen und Kenntnissen zu rückgekehrt sind, die dem eigenen Lande, dem eigenen Heere für seine Rüstung zum Vorteil gereichen können. Aus allen Feldzügen der letzten beiden Jahr zehnte, in denen Abordnungen des Deutschen Roten Kreuzes mitgewirkt haben, sind wertvolle Mitteilungen über die zweckmäßigste Auswahl der Materialgaben, die beste Art ihrer Verpackung und Versendung, über die geeignetste Zusammen stellung des Personals, seine Ausstattung, Ausbildung, Verwendung uns zugegangen, die uns zum Wegweiser dienten für spätere ähnliche Aufgaben. Und nicht zuletzt haben die Kriegschirurgie und die Lehre von den Kriegsseuchen Bereicherungen erfahren, die in mehrfacher Hinsicht ihren Einfluß auf die wissenschaftlichen An schauungen der Jetztzeit ausübten. An die Schriften, die Küttner 1) und Hilde brandt 2) aus dem Burenkriege uns überliefert haben, und an die Beiträge zur Kriegsheilkunde von Brentano, Colmers, Schütze und Kimmle 3) aus dem 1) Dr. H. K ü t t n er, Kriegschirurgische Erfahrungen aus dem südafrikanischen Kriege l899fl900. Tübingen, Verlag der H. Lauppschen Buchhandlung, I!JOO. 2) Stabsarzt Bildebrand t, Die Verwundungen durch die modernen Kriegsfeuer waffen, ihre Prognose und Therapie im Felde. Berlin HlOO, Verlag von August Hirschwal<l. 3) Beiträge zur Kriegsheilkunde aus der Hilfstätigkeit der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz während des russisch-japanischen Krieges 1904/05. Heransgegeben vom Centralkomitee der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz. Verlag von Frierlrieh Engelmann, Leipzig 1908. Vorwort. IX mand::.;churischen Feld;"uge, die in einem stattlichen Bande zusammengofaßt sind, sei in dem Augenblick erinnert, in dem wir un::; anschicken, die nachstehenden Mitteilungen henuis;"ugchen, die von Ärzten unserer Expeditionen nach Tripolita nien (Ull2) und unserer .'\bordnungen nach dem Balkan (lßl2jl3) nach monate langer aufreibender und zum Teil sehr gefahrvoller Tätigkeit zusammengestellt worden sind. Auch sie werden in Verbindung mit den Erfahrungen, die in Berlin selbst hinsichtlich der Ausrü8tung des Personals, der Auswahl, Verpackung, Ver sendung des Materials und seiner Ergänzung sowie über mancherlei organisa toritc:che Fragen gctc:ammclt worden sind, gewiß nicht belanglos für die ärztliche Kunst und für ihre Anwendung in Krieg und Frieden sein. So fällt der Segen des Geleisteten auch auf die deutschen Geber zurück, die in ihrem Mitgefühl den fernen Nationen die helfende Hand geboten und indirekt dem eigenen Vaterlande einen unberechenbaren Dienst geleistet haben. \Ver von diesen, mehr egoistisch-praktischen Gesichtspunkten sich leiten lassen will, und wer in den Errungenschaften für dat-~ eigene Heer einen ausgleichen den Erfolg für dat-~ anzusehen geneigt ist, waH wir für ~~<'ernerstehende der Heimat entziehen, der mag sich in der Gewißheit beruhigen, daß bei allem, was geschieht, das Rote Kreuz dm.; \'aterlandet-: nicht vergißt. So t-:ehr aneh die Pflicht stetH hoch gehalten werden wird, für den schwergeprüften Nächt-~ten selbst in entlegenen Staaten sich einzusetzen, an ert-~ter Stelle ::-:teht dem Roten Kreuz doch stets das eigene Vaterland. Der Begriff einet-~ ,Jntcrnationalen !toten Kreu;"es" in dem Sinne, daß es "·ahllos für alle d<1 t-~ei, die in einem gegebenen Augenblick sich ::;elbst nicht zu helfen vermögen, wird nur zu oft irrtümlich aufgestellt und erwei8t sich als falsch, sobald man die Tato-:ache11 t-~ich näher ansieht. In erster Linie ist das Rote Kreuz national, und nie it-~t unter Verständigen der Versuch gemacht worden, diesen Charakter ihm zu nehmen. Im Gegenteil. Es gilt als selbstverständlich, daß zu allen Zeiten das zuerst geschieht, was dem eigenen Lande frommt und vonnöten ist, wenn freilich auch nicht darunter ver::;tanden werden soll, daß kein Schritt für andere geschehen darf, solange überhaupt noch die Entbehrung und Sorge im eigenen Gemeinwe~en eine Stätte hat. Nach diesem Grundsatz hat denn auch das Deut:--:che Rote Kreuz - wie alle gleichgerichteten Gesellschaften - zu allen Zeiten gehandelt, und die Gec;chichte mag - was unsere deutschen Verhältnisse anlangt - im Nachstehenden dafür einige Belege erbringen: Schon das Gründungsjahr 1864 sieht die Vereine zur Pflege im Felde er krankter und verwundeter Krieger, da,.; jetzige l~ote Kreuz, im vaterländischen Inter esse in voller Tätigkeit. Die jungen Landesvereine der Ham.;estädte wetteiferten mit dem Preußischen in dem Bemühen, durch Errichtung von Depots, Überweisung Yon ::\Iaterialien und Entsendung von Delegierten auf den Kriegsschauplatz den Be dürfnissen der Truppen, im be::-:onderen der Verwundeten und Kranken, gerecht zu werden. Hand in Hand ging ihre Arbeit mit der der Ritterorden, mit kirch lichen Genost-~enschaften und Privaten, die hier brüderlich zu einer geordneten, systematic;chen freiwilligen Krankenpflege sich einten. Im Feldzuge 1866 haben die Vereine in größerem Umfange ihre Kräfte ein gesetzt. Der Preußische Landesverein allein hatte in kurzer Zeit über eine halbe

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