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Beitrag von Heidi Süß PDF

48 Pages·2017·1.69 MB·German
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68. Jahrgang, 9/2018, 26. Februar 2018 AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE Rap Marc Dietrich Heidi Süß RAP ALS SEX(ISMUS) OHNE GRUND? FORSCHUNGSGEGENSTAND ZUM ZUSAMMENHANG VON RAP UND GESCHLECHT Jeffrey O. G. Ogbar RAPKULTUR UND POLITIK. Fabian Wolbring EINE US-AMERIKANISCHE ZUM VERHÄLTNIS VON GESCHICHTE GANGSTA-RAP UND KRIMINALITÄT Martin Seeliger RAP UND GEGEN- Marcus Staiger IDENTITÄTEN IN DER ANTISEMITISMUS MIGRATIONSGESELLSCHAFT IM DEUTSCHEN RAP ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG Beilage zur Wochenzeitung Rap APuZ 9/2018 MARC DIETRICH HEIDI SÜẞ RAP ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND SEX(ISMUS) OHNE GRUND? HipHop ist seit Jahren die größte Jugendkultur. ZUM ZUSAMMENHANG VON RAP Nach anfänglicher Verzögerung hat sich in UND GESCHLECHT den Sozial- und Kulturwissenschaften eine Zu den häufigsten Vorwürfen gegenüber Rap zäh- thematisch und perspektivisch breit aufgestellte len Sexismus, Misogynie und Homophobie. Den HipHop-Forschung etabliert, deren wesentliche Zusammenhang von Rap und Geschlecht auf diese Linien in dem Beitrag dargestellt werden. teils zutreffenden Schilderungen zu reduzieren, Seite 04–10 wird der Komplexität und Diversität der Szene mit Blick auf Geschlecht jedoch nicht gerecht. Seite 27–33 JEFFREY O. G. OGBAR RAPKULTUR UND POLITIK. EINE US-AMERIKANISCHE GESCHICHTE FABIAN WOLBRING Seit seiner Entstehung in der New Yorker ZUM VERHÄLTNIS VON GANGSTA-RAP South Bronx in den 1970er Jahren war Rap als UND KRIMINALITÄT „schwarze Kunstform“ von Natur aus stark Der Artikel verhandelt an den Beispielen politisch aufgeladen. Die Willensbekundung und Bushido und Kollegah das ambivalente Verhält- Mobilisierung mithilfe von Rap hat im Laufe der nis von Authentizität und Fiktion im deutschen Zeit verschiedene Formen angenommen. Gangsta-Rap, indem er den genrespezifischen Seite 12–20 Authentizitätsanspruch skizziert und aktuelle Tendenzen im digitalen Medienzeitalter aufzeigt. Seite 34–39 MARTIN SEELIGER RAP UND GEGENIDENTITÄTEN IN DER MIGRATIONSGESELLSCHAFT MARCUS STAIGER Fremdheit und Migration sind zentrale Bezugs- ANTISEMITISMUS IM DEUTSCHEN RAP punkte deutscher Rapmusik. Woher kommt das? Die Diskussion über Rap und Antisemitismus ist Aufschlussreich sind neben den historischen verworren. Denn stets wird der Nahost-Konflikt Zusammenhängen die Wechselwirkungen mitverhandelt, an dem sich harte ideologische zwischen dem Integrationskrisendiskurs und Grenzen auftun, die meist nichts mehr mit dem den Inszenierungspraktiken im Gangsta-Rap. Nahost-Konflikt, sondern nur noch etwas mit Seite 21–26 dem eigenen Standpunkt zu tun haben. Seite 40–45 EDITORIAL Rap ist allgegenwärtig: sei es als Filmmusik, Werbemelodie, beim Einkaufen oder als Unterhaltungseinlage bei Sport- und anderen Großveranstaltungen; Rapalben werden in Feuilletons diskutiert, Rapper treten in Talkshows auf und sind Identifikationsfiguren für Kinder und Jugendliche, Bekleidungsketten machen mit Fanartikeln reißenden Absatz. Als Teildisziplin des HipHop, zu dem unter anderem auch Breakdancing und Graffiti-Writing zählen, gehört Rapmusik zur dominanten Kultur der Gegenwart. Von ihren Anfängen in den New Yorker Armutsvierteln der 1970er Jahre bis in den globalen Mainstream war es jedoch ein weiter Weg. Seit jeher hat die Kunstform polarisiert. Im Sinne des geflügelten Wortes von Rap als „black CNN“ sehen manche darin eine niedrigschwellige künstlerische Ausdrucksmöglichkeit für marginalisierte Gesellschaftsgruppen und begrüßen das Genre als politisches Sprachrohr der Unterdrückten mit erheblicher sub- versiver Kraft. Für andere sind die oft explizite Sprache, mit der Themen wie Sexualität, Kriminalität und sozialer Status in Raptexten verhandelt werden, sowie der unter Rappern verbreitete prahlerische Habitus Alarmsignale für einen kulturellen Verfall. Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus und Gewaltverherrlichung sind insbesondere mit Blick auf das Subgenre des Gangsta-Rap häufige Vorwürfe. Ungeachtet dieser Kontroversen hat sich Rap zu einem äußerst vielfältigen Genre mit einer großen Bandbreite an lyrischem, musikalischem und techni- schem Anspruch entwickelt, das weltweit Anknüpfungspunkte für sehr unter- schiedliche Hörerschaften bietet – mittlerweile auch zunehmend jenseits der traditionell heteronormativen und industriezentrierten Ausrichtung der Szene. So spiegeln sich in der Musikrichtung, ihren Erfolgsmustern und dem dazuge- hörigen Lifestyle stets auch gesellschaftliche Entwicklungen und Konfliktlinien wider. Es ist das darin liegende zeitdiagnostische Potenzial, das eine wissen- schaftliche Auseinandersetzung mit Rap so vielversprechend für die politische Bildung macht. Anne-Sophie Friedel 03 APuZ 9/2018 RAP ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND Marc Dietrich Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass tivisch breit aufgestellten HipHop-Forschung, HipHop in den vergangenen Jahrzehnten fast deren wesentliche Linien im Folgenden darge- jeden Teil von Popkultur „irgendwie“ berührt stellt werden sollen. hat: 01 Rap ist der Soundtrack zu populären Se- rien ebenso wie zu Blockbustern und Videospie- VERZÖGERTE len, läuft während der Superbowl-Pause, in Bou- FORSCHUNGSAUFNAHME tiquen und Supermarktketten, und manchmal wird ein Track sogar zur politischen Hymne in Die rein journalistische Beschäftigung mit und Konflikten. Die Relevanz von HipHop im ma- Dokumentation von HipHop ist fast so alt wie krosoziologischen Maßstab ist jedenfalls kaum ihr Gegenstand selbst und setzte in den späten bezweifelbar – nicht nur, weil sogar der Such- 1970er Jahren ein. Die wissenschaftliche Erfor- maschinenanbieter Google glaubte, den 11. Au- schung florierte in den Vereinigten Staaten bis gust 2017 zum „44. HipHop Anniversary“ er- auf wenige Ausnahmen jedoch erst ab den 1990er klären zu müssen, sondern auch, weil er längst Jahren. 05 Gründe für diese Verzögerung mögen in der Forschung angekommen ist. HipHop sei zum Teil öffentliche Wahrnehmungsweisen und „weltweit die mit Abstand größte Jugendkul- Mediendebatten gewesen sein, die die steigen- tur“, schrieb der Jugendforscher Klaus Farin be- de Relevanz und den zunehmendem Einfluss der reits vor Jahren. 02 black culture auf ein weißes Publikum mit Sorge Angesichts der Tatsache, dass in Deutsch- betrachteten und in einigen Fällen eindeutig ras- land mittlerweile nicht nur Wu-Tang-T-Shirts sistische Untertöne aufwiesen. 06 bei H&M verkauft werden, sondern auch eine Es dauerte, bis sich Rap, der lange Zeit über- HipHop-Partei gegründet wurde und Rapalben haupt nicht im Radio stattfand, medial durch- im Feuilleton neben Filmen von Jim Jarmusch setzen konnte. Den kulturellen Nährboden für und Dramen von Elfriede Jelinek besprochen die Akzeptanz afroamerikanisch dominierter werden, können Journalisten und Akademike- Popkultur bei einem breiteren weißen Publi- rinnen sogar zusätzlich darüber nachdenken, ob kum sehen die Journalisten Dan Charnas und HipHop nicht ein ganz wesentlicher Teil einer Bakari Kitwana durch eine Reihe von Akteuren alters- und generationsübergreifenden Main- und Formaten bereitet, 07 die zum Teil auch in stream kultur geworden ist. Denn „35 Jahre Rap Deutschland einflussreich waren: Eddie Mur- in Deutschland“ 03 haben ihre Spuren hinterlas- phy mit dem Film „Beverly Hills Cop“, Oprah sen – in der HipHop-Szene verkehren mittler- Winfrey mit ihrer gleichnamigen Fernsehshow weile Akteure aus den Anfangstagen mit Teen- oder Spike Lee, der als Autorenfilmer das so- agern, die erst neu dazustoßen. Diese starke genannte New Black Cinema mitkreierte, aber generationale Heterogenität zeigt, dass Hip- selbstverständlich auch die frühen HipHop- Hop jenseits des biologischen Jugendalters ge- Filme „Wild Style!“ und „Beat Street“. In den lebt wird, es also neben dem generellen kulturel- 1980er und frühen 1990er Jahren wurden also len „Impact“ auch um einen altersunabhängigen vornehmlich kulturelle Kämpfe um eine Eta- Lebensstil der „Juvenilität“ geht. 04 blierung und wenigstens partielle öffentliche Die Etablierung von HipHop in Medien- und Anerkennung ausgetragen, bevor HipHop als Bildungsinstitutionen hat insofern auch mit den akademischer Gegenstand in den USA Fuß fas- älteren HipHop-Fans zu tun, die ihre Kultur in sen konnte. die Redaktionen und Universitäten getragen ha- Noch etwas mehr Verzögerung gab es dies- ben. Letzteres führte in den Sozial- und Kultur- bezüglich in Deutschland, wo sich die ameri- wissenschaften zu einer thematisch und perspek- kanischstämmige Kultur zunächst verfestigen 04 Rap APuZ musste, um dann sukzessive zu einer eigenen kul- dienwissenschaftler Rainer Winter, Lothar Mi- turellen Identität zu gelangen. Die zeitversetz- kos und Udo Göttlich in den deutschsprachigen te Auseinandersetzung mit dem Forschungsge- Raum vermittelt, und Popkulturforschung wur- genstand HipHop hängt hier allerdings auch mit de „ salonfähiger“. 10 zwei weiteren Faktoren zusammen. Zum anderen musste HipHop zunächst ei- Zum einen musste in den Wissenschaften erst ner gehaltvollen theoretischen Gegenstandser- eine normative Perspektive überwunden wer- schließung zugeführt werden. Wenn sozial- und den, der ein elitäres Kultur- und Kunstverständ- kulturwissenschaftliche Disziplinen den For- nis zugrunde lag. Schließlich galt Popkultur lan- scherinnen und Forschern ohnehin zur Unter- ge als nicht untersuchenswert oder -würdig: suchung eines Gegenstands „Legitimationsstra- Der Blick auf Popkultur war über weite Stre- tegien“ abverlangen, dann musste auch im Falle cken durch kulturpessimistische Einschätzun- von HipHop eine kultur- und gesellschaftsthe- gen geprägt, die sich ideologisch nicht zuletzt oretische Einbettungsleistung erfolgen. Die- bei Theodor W. Adornos und Max Horkhei- se wurde im Wesentlichen erst 2003 durch eine mers einflussreicher Arbeit zur Kulturindust- soziologische Publikation zur Authentizität rie und weiteren Beiträgen zu pop(ulär)kultu- beziehungsweise realness im HipHop auf den rellen Themen wie Jazz und Film bedienten. 08 Weg gebracht. Gabriele Kleins und Malte Fried- Eine Perspektive, die Popkultur und damit auch richs Ausführungen in „Is this real? Die Kul- HipHop aufwertete und den vermeintlich ober- tur des HipHop“ wurden in der Folge vielfach flächlichen, „gleichschalterisch“ wirkenden Ausgangspunkt weiterführender Überlegun- Produkten auch subversiven Gehalt zuerkann- gen, 11 weil sie halfen, zwei basale kulturelle Eta- te, boten die britischen Cultural Studies. 09 Die- blierungs- und Transformationsdynamiken zu se machtkritische und auf Pop(ulär)kultur fo- modellieren. kussierte Disziplin wurde in den vergangenen Erstens zeigten sie in Anlehnung an die Ar- 20 Jahren besonders über die Arbeiten der Me- beiten zu Habitus, Feld und Kapitalsorten des 01 Im üblichen Sprachgebrauch wird selten unterschieden „gesellschaftlichen Geschmacksinstanzen“. Vgl. Benjamin Burkhart, zwischen „Rap“ beziehungsweise „HipHop“ im Sinne einer Deutscher Gangsta-Rap im Feuilleton, in: Martin Seeliger/Marc musikalischen Teildisziplin und „HipHop“ im Sinne einer mehrere Dietrich (Hrsg.), Deutscher Gangsta-Rap II. Popkultur als Kampf um Teildisziplinen umfassenden Kulturform. Der synonyme Gebrauch Anerkennung und Integration, Bielefeld 2017, S. 173–191; Marc ist vor allem durch die mediale Dauerpräsenz von Rap beziehungs- Dietrich, The Rap Up: Haftbefehls Einbruch in den Feuilleton- weise HipHop-Musik begründet, die andere HipHop-Disziplinen Olymp, 15. 12. 2014, http://allgood.de/meinung/kommentare/ wie Graffiti oder Breakdance marginalisiert, die eher als autonom haftbefehls-einbruch-in-den-feuilleton-olymp; Johann Voigt, Wer empfunden werden. „Rap“ ist daher in der öffentlichen Wahr- HipHop mag, der sollte Feuilletons lesen, 14. 11. 2017, http:// nehmung mittlerweile gleichbedeutend mit „HipHop“. In diesem allgood.de/meinung/kommentare/wer-hiphop-mag-der-sollte- Beitrag werden die Begriffe synonym als Bezeichnung für die Musik feuilletons-lesen. verwendet, wobei mit ihr ein gewisser „Lifestyle“ (Mode, Sprache 09 Vgl. Jürgen Straub, Gangsta-Rap als Popmusik, in: Marc Diet- etc.) untrennbar verbunden ist, wie er etwa durch Musikvideos rich/Martin Seeliger (Hrsg.), Deutscher Gangsta-Rap. Sozial- und vermittelt wird. kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen, Bielefeld 02 Klaus Farin, Jugendkulturen heute – Ein Essay, in: Psychologie 2012, S. 7–21. und Gesellschaftskritik 2/2011, S. 9–26, hier S. 16. 10 Vgl. Rainer Winter/Lothar Mikos/Udo Göttlich (Hrsg.), Die 03 Vgl. Hannes Loh/Sascha Verlan, 35 Jahre HipHop in Deutsch- Werkzeugkiste der Cultural Studies. Perspektiven, Anschlüsse und land, Höfen 2015. Interventionen, Bielefeld 2001; Rainer Winter/Eve Schiefer, Die 04 Vgl. Ronald Hitzler/Arne Niederbacher, Leben in Szenen. Politik der HipHop-Bewegung in Mali, in: Marc Dietrich (Hrsg.), Formen juveniler Vergemeinschaftung heute, Wiesbaden 2010. Rap im 21. Jahrhundert, Bielefeld 2016, S. 135–152; Lothar 05 Vgl. David Toop, Rap Attack. African Jive to New York HipHop, Mikos, Kulturelles Gedächtnis und Intertextualität im HipHop, in: London 1984. Janis Androutsopoulos (Hrsg.), Globale Kultur – lokale Praktiken, 06 Vgl. Dan Charnas, The Big Payback. The History of the Busi- Bielefeld 2003, S. 64–85; Roger Bromley/Udo Göttlich/Carsten ness of HipHop, New York 2010; Bakari Kitwana, Why White Kids Winter (Hrsg.), Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung, Love HipHop. Wankstas, Wiggers, Wannabes and the New Reality Lüneburg 1999. of Race in America, New York 2005. 11 Vgl. Sebastian Schröer, Implikationen und Paradoxien 07 Vgl. ebd. szeneorientierter (Selbst-)Inszenierung, in: Dietrich/Seeliger 08 Vgl. Theodor W. Adorno/Max Horkheimer, Dialektik der (Anm. 9), S. 65–84; Marc Dietrich, Rapresent What? Zur Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt/M. 1988. Inszenierung von Authentizität, Ethnizität und sozialer Differenz Die über weite Strecken popkulturskeptische Perspektive der im amerikanischen Rapvideo, Bochum–Berlin 2015; Jannis Kritischen Theorie hat sich lange auch im Feuilleton gehalten. Androutsopoulos, Lyrics und Lesarten, in: Dietrich (Anm. 10), Erst seit einigen Jahren ist HipHop regelmäßig Thema in den S. 171–200. 05 APuZ 9/2018 Soziologen Pierre Bourdieu, wie realness im sprachigen Jugendkultur- oder Szeneforschung, HipHop hervorgebracht und reproduziert wird: die unter anderem zu HipHop arbeitet, und Wenn realness für HipHop-Akteure bedeutet, einem interdisziplinären, stärker auf die In- glaubwürdig an gängige, häufig implizite Kon- tegration US-amerikanischer Publikationen zepte des Authentisch- und HipHop-Seins an- bedachten Diskursfeld, den sogenannten Hip- zuschließen, was vor allem über die Integration Hop-Studies. 13 Dabei sind die kategoriel- des modischen Stils, die Verwendung spezifi- len Zuordnungen vor allem von den theoreti- scher Codes und Körpersprache erfolgt, der schen Bezugspunkten der Beiträge abhängig. 14 Körper also eine wichtige Rolle spielt, kann die- Tendenziell lässt sich sagen, dass HipHop in ser Zusammenhang soziologisch gefasst werden. der Jugendkultur- und Szeneforschung in ein- Real ness ist dann das Ergebnis einer körperlichen schlägigen Sammelbänden, Monografien oder Leistung der Verinnerlichung von HipHop-Ori- Schwerpunktausgaben von Fachzeitschriften na- entierungen und -Werten, wie sie durch eine türlich eine wichtige Rolle spielt, 15 dabei aber HipHop-Sozialisation erfolgt. HipHopper ha- eher eine breitere HipHop-Betrachtung mit ben eine Habitualisierung durchlaufen, bei der Blick auf Kulturgeschichte, Mode, Geschlecht, kursierende Werte und Codes dermaßen inkor- wirtschaftliche Relevanz, politische Ausrichtung poriert wurden, dass sie in HipHop-Kontex- sowie Event- und Tanzpraxis erkennbar ist als in ten ohne größere Reflexionsleistungen „authen- den auf Einzelphänomene konzentrierten Hip- tisch“ agieren können und dieser „praktische Hop-Studies mit stärker kulturwissenschaftli- Sinn“ dafür sorgt, dass auch die Bewertung an- chem Einschlag. derer als authentisch erfolgen kann. Ungeachtet der skizzierten Unterschiede und Zweitens identifizierten die Autoren eine der Tatsache, dass HipHop in den Vereinigten weltweite Verbreitungs- und Etablierungslogik Staaten bereits seit den 1990er Jahren vermehrt der HipHop-Kultur in kritischer Abgrenzung untersucht wird und dies in Deutschland erst seit zum Konzept der McDonaldisierung des Sozio- etwa der Jahrtausendwende der Fall ist, 16 soll im logen George Ritzer zugunsten des Glokalisie- Folgenden die HipHop-Forschung übergreifend rungskonzepts seines Kollegen Roland Robert- im deutsch-amerikanischen Vergleich dargestellt son. 12 Demnach funktioniert Rap in den USA werden. als zunächst lokale Kultur, die sich über media- Die Herausgeber des bislang einzigen „Hip- le Produkte wie Tracks und Musikvideos insze- Hop-Studies Reader“ lehnen für die US-For- niert und dabei beispielsweise durch das Mu- sikfernsehen global Menschen erreicht. Jenseits 13 Vgl. Martin Seeliger/Marc Dietrich, Gangsta-Rap-Analyse als des Ursprungslandes werden die HipHop-Me- Gesellschaftsanalyse, in: dies. (Anm. 8), S. 7–36. diendarstellungen rezipiert und adaptiert. In ei- 14 Die sozialwissenschaftliche Jugendkultur- und Szeneforschung wird in den vergangenen Jahren vor allem durch die „modernisie- nem weiteren Prozess formt sich eine landesspe- rungstheoretische Jugendkulturanalyse“ bestimmt. Vgl. Heinz- zifische musikalische Identität aus, insofern die Hermann Krüger, Ein Überblick über die Entwicklung und aktuelle US-stämmigen Muster des Rappens und Perfor- Kartographie jugendkultureller Stile, in: ders./Birgit Richard (Hrsg.), mens vor dem Hintergrund lokaler Gegeben- Inter-Cool 3.0. Ein Kompendium zur aktuellen Jugendkulturfor- heiten neu kontextualisiert werden – so kombi- schung, München 2010, S. 14. Neben einem Fokus auf ethnogra- fische Zugänge liegen hier typischerweise hermeneutische und nierten Mitte der 1990er Jahre die Stieber Twins wissenssoziologische Bezüge vor. Vgl. etwa Paul Eisewicht/Micha- aus Heidelberg die New Yorker Beatästhetik mit ela Pfadenhauer, Subkulturen, Teilkulturen und Szenen, in: Renate kurpfälzischen Raps. Freericks/Dieter Brinkmann (Hrsg.), Drittes Handbuch Freizeitsozio- logie, Wiesbaden 2015, S. 489–512. HIPHOP-FORSCHUNG 15 Siehe etwa Krüger/Richard (Anm. 14); Diana Weis (Hrsg.), Cool aussehen: Mode und Jugendkulturen, Berlin 2012; Wilfried Ferchhoff, Jugend und Jugendkulturen im 21. Jahrhundert, Wies- Innerhalb der Forschung zu HipHop wird bis- baden 2011; Hitzler/Niederbacher (Anm. 4); Günter Mey (Hrsg.), weilen unterschieden zwischen einer deutsch- Jugend/kulturen, Psychologie und Gesellschaftskritik 2/2011; ders./Nicolle Pfaff (Hrsg.), Perspektiven der Jugendkulturfor- schung, Diskurs. Zeitschrift für Kindheits- und Jugendforschung 12 Vgl. George Ritzer, The McDonaldization of Society, Newbury 3/2015. Park 1993; Roland Robertson, Glokalisierung. Homogenität und 16 Vgl. Bell Hooks, Outlaw Culture: Resisting Representations, Heterogenität in Raum und Zeit, in: Ulrich Beck (Hrsg.), Perspekti- Middletown 1994; Tricia Rose, Black Noise. Rap Music and Black ven der Weltgesellschaft, Frank furt/M. 1998, S. 198–220. Culture in Contemporary America, Middletown 1994. 06 Rap APuZ schung eine disziplinspezifische Verortung ab. gen trotz unterschiedlicher Akzente thematische Als Gemeinsamkeit gegenwärtiger Positionen er- Überschneidungen ausmachen, die aufzeigen, un- kennen sie jedoch einen intersektionalen Ansatz, ter welchen inhaltlichen Vorzeichen Forschung also eine Perspektive, die Sozialphänomene nicht zu Rap vornehmlich erfolgt: race beziehungswei- länger eindimensional, sondern an der Schnitt- se Ethnizität, 23 Klasse sowie Authentizität und stelle mehrerer Kategorien wie Geschlecht und Gender. Klasse fokussiert. 17 Davon inspiriert zeichnen sich in den vergangenen Jahren auch viele deut- Race/Ethnizität sche Beiträge durch diese Zugangsweise aus. 18 In den Vereinigten Staaten werden Rap-Perfor- Typisch für beide Länder ist, dass die HipHop- mances traditionell mit Blick auf Ermächtigungs- Forschung nicht allein von Wissenschaftlerinnen potenziale für die afroamerikanische Community und Wissenschaftlern betrieben wird, sondern untersucht. Unter diesem Vorzeichen wird Rap auch journalistische Beiträge sowie Kulturakteu- in der US-Forschung nicht nur als Ergebnis und re sehr präsent sind. Ausdruck sozialer Missstände verhandelt, son- Ein Vergleich der US-amerikanischen und dern auch mit Blick auf seine Kommerzialisie- deutschen Forschungslandschaft zeigt aber auch rung kritisch reflektiert. 24 Teilweise wird auch die perspektiv- und zugangsbezogene Differenzen: Dominanz einer „weißen Kulturindustrie“ sowie In den Vereinigten Staaten ist die Rapdiskussi- die kulturelle Erschließung für weiße Akteure on stärker politisiert, sie wird an die US-Sozial- kritisiert. 25 Überwiegend jedoch betrachten US- geschichte und vor allem die Bürgerrechtsbewe- Beiträge Rap als Produkt eines gesellschaftlichen gung rückgebunden. 19 Es dominieren demnach Zusammenhangs von unterer Klassenzugehörig- Beiträge an der Schnittstelle von Journalismus keit, sozialer Benachteiligung und eben race, der und Wissenschaft mit zum Teil normativer Aus- sich trotz der Musikvermarktung artikuliere. richtung, die mitunter auch in Handlungsauffor- Deutscher HipHop wird in historisch orien- derungen münden. 20 Die Gründe dafür liegen in tierten Arbeiten als ethnisch diverses bis multi- der Publikumsorientierung der Autorinnen und kulturelles Projekt dargestellt, das sich vor allem Autoren, die ihre Beiträge oft vor dem Hinter- durch Medienaufmerksamkeit und selektive Be- grund eigener Marginalisierungserfahrungen in- richterstattung nationalisiert. Während frühere terventionistisch auslegen. 21 In Deutschland do- Forschungen die politischen Vereinnahmungs- minieren hingegen theoretische Abhandlungen versuche der deutschen Szene und die Polari- und empirische Studien, die Bezüge zur hiesigen sierungen der 1990er Jahre reflektierten, 26 wird Migrationsgeschichte herstellen. 22 die deutsche HipHop-Geschichte heute als Aus- Insgesamt lassen sich in US-amerikani- handlungsprozess kultureller Identität beschrie- schen wie deutschen HipHop-Forschungsbeiträ- ben, der maßgeblich mit der westdeutschen Migrationsgeschichte und Abarbeitungen an ras- sistischen Gesellschaftsdiskursen verbunden ist. 27 17 Vgl. Murray Forman/Mark Anthony Neal, General Introduc- tion, in: dies. (Hrsg.), That’s the Joint! The HipHop Studies Reader, New York 20122, S. 1–8. 18 Vgl. Malte Gossmann, Männlichkeit in Raptexten von Bushido 23 Die migrationshistorischen Unterschiede zwischen Deutschland und K. I. Z., in: Dietrich/Seeliger (Anm. 9), S. 85–108; ders., Der und den USA haben verschiedene Sprachkonventionen in den Israel-Palästina-Konflikt im deutschsprachigen Gangsta-Rap aus Wissenschaften hervorgebracht: Race als analytischer Begriff be- intersektionaler Perspektive, in: Dietrich (Anm. 10), S. 111–135. zieht sich auf eine andere historische Konstellation und ist anders 19 Siehe auch den Beitrag von Jeffrey O. G. Ogbar in dieser besetzt als „Rasse“ in Deutschland, weswegen die deutschsprachige Ausgabe (Anm. d. Red.). Intersektionalitätsforschung den Begriff durch „Ethnizität“ ersetzt. 20 Vgl. M. K. Asante Jr., It’s Bigger than HipHop. The Rise of Siehe dazu Matthias Bös, Rasse und Ethnizität. Zur Problemge- the Post-HipHop Generation, New York 2008; Todd Boyd/Yusuf schichte zweier Begriffe in der amerikanischen Soziologie, Wiesba- Nuruddin, Civil Rights vs. HipHop, in: Forman/Neal (Anm. 17), den 2005. S. 438–450. 24 Vgl. Kitwana (Anm. 6, 21); Rose (Anm. 16, 21), S. Craig Wat- 21 Vgl. Bakari Kitwana, The HipHop Generation. Young Blacks kins, Black Youth and the Ironies of Capitalism, in: Forman/Neal and the Crisis in African-American Culture, New York 2002; Tricia (Anm. 17), S. 690–714. Rose, The Wars of HipHop. What We Talk About When We Talk 25 Vgl. Kitwana (Anm. 6); Gilbert Rodman, Race … and Other about HipHop – and Why It Matters, New York 2008. Four-Letter Words: Eminem and the Cultural Politics of Authenticity, 22 Vgl. Hannes Loh/Murat Güngör, Fear of a Kanak Planet – in: ebd., S. 95–121. HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap, Höfen 2002; Loh/ 26 Vgl. etwa Loh/Güngör (Anm. 22). Verlan (Anm. 3). 27 Vgl. Loh/Verlan (Anm. 3). 07 APuZ 9/2018 Innerhalb dieser Perspektive wird Ethnizität bei oder Erfahrungen „auf der Straße“, „am Block“ der Analyse von Rapinszenierungen als Ressour- oder „in der Hood“, also in ethnisch segregier- ce interpretiert, die türkisch- und arabischstäm- ten und marginalisierten urbanen Quartieren mige Akteure zur Selbstermächtigung einsetzen, inszenieren, sondern auch weil bereits der Dis- ähnlich wie race im US-Diskurs. Besonders das kurs um die Inhalte und Performances ein klas- Subgenre des Gangsta-Rap wird als „Chancen- senbezogenes Deutungsmuster dokumentiert, raum“ für marginalisierte Gruppen gesehen. 28 das sozialwissenschaftlich reflexionsbedürftig Weitere Arbeiten, die nicht auf Gangsta-Rap erscheint. fokussiert sind und in denen es um Konstrukti- So wurde erst in den Vereinigten Staaten Ende onen von Ethnizität oder assoziierten Aspek- der 1980er Jahre und kurz nach der Jahrtausend- ten geht, untersuchen lokale Szenen, die im Sin- wende auch in Deutschland die Etablierung von ne von Klein und Friedrich als Resultat eines Gangsta- und Straßen-Rap von einem öffentli- selektiven Aneignens globaler HipHop-Kultur- chen Skandalisierungsdiskurs begleitet, dem sich muster verstanden werden. 29 Daraus ergebe sich in den USA auch sozialwissenschaftliche Arbei- eine Heterogenität der Selbstinszenierungen der ten und journalistische Beiträge widmeten. 33 Ins- HipHop-Akteure, die sich auch in der sprachli- besondere von 2007 bis 2009 kritisierten deutsche chen Selbstdarstellung äußere, die eben auf unter- Medien, dass das zumeist von Migrantinnen und schiedliche ethnische Bezüge verweise. 30 Zudem Migranten praktizierte Genre Gewalt- und kri- wird herausgearbeitet, wie Sprecherpositionen minelle Milieupraktiken glorifiziere. 34 oder Identitäten im Rap durch (pop)kulturelle, Dieser (Stigmatisierungs-)Diskurs, der Gangs- soziale und politische Bezugnahmen konstituiert ta-Rap als bedenkliches Produkt migrantisch- sind. 31 männlicher Parallelgesellschaften in Deutschland und deren devianter Praktiken betrachtete, wur- Klasse de forschungsseitig ebenfalls kritisch untersucht. In der deutschen Forschung wird speziell mi- Vor diesem Hintergrund wurden spätere Medi- grant i scher Rap als Ausdrucksform sozialer enberichte zum angeblichen Nexus von HipHop Ungleichheit betrachtet – teilweise im Sinne ei- und Islamismus als Stellvertreterdiskurs einge- nes Klassenkampfs. 32 Diesbezüglich aufschluss- ordnet und in den Zusammenhang eines in der reich ist wiederum das Genre des Gangsta-Rap, Bundesrepublik seit Langem etablierten Krisen- nicht nur weil die Lyrics häufig Beobachtungen diskurses um junge Männer mit Migrationshin- tergrund gerückt. 35 28 Vgl. Marc Dietrich, Herkunft als subkulturelles Kapital im Gangsta-Rap, in: Aladin El-Mafaalani/Sebastian Kurtbach (Hrsg.), Authentizität Auf die Adresse kommt es an … Segregierte Stadtteile als Pro- Gewissermaßen als Kulminationspunkt der dar- blem- und Möglichkeitsräume, Weinheim 2015, S. 227–253. Siehe gestellten Themen race/Ethnizität und Klas- auch Tim Böder/Aylin Karabulut, Gangsta-Rap als Intervention se lassen sich praktisch alle amerikanischen und in Repräsentationsverhältnisse, in: Seeliger/Dietrich (Anm. 8), S. 267–286; Ayla Güler Saied, Rap in Deutschland. Musik als deutschen Arbeiten betrachten, die sich dezi- Interaktionsmedium zwischen Partykultur und urbanen Anerken- diert Authentizitätskonzepten im Rap widmen: 36 nungskämpfen, Bielefeld 2012. 29 Vgl. Murat Güngör/Hannes Loh, Ein Blick auf die Frankfurter Szene, in: Androutsopoulos (Anm. 10), S. 43–62; ders., HipHop Repräsentation sozialer Ungleichheit, in: Dietrich/Seeliger (Anm. 9), und Sprache, in: ebd., S. 111–136; Karin Bock/Stefan Meier/ S. 165–186; ders., Deutscher Gangsta-Rap. Zwischen Affirmation Gunter Süß (Hrsg.), HipHop Meets Academia. Lokale Spuren eines und Empowerment, Berlin 2012. globalen Kulturphänomens, Bielefeld 2007; Gabriele Klein/Malte 33 Vgl. Charnas (Anm. 6). Siehe auch den Beitrag von Martin Friedrich, Is This Real? Die Kultur des HipHop, Frank furt/M. 2003; Seeliger in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). Saied (Anm. 28). 34 Zum Verhältnis von Gangsta-Rap und Kriminalität siehe auch 30 Vgl. Stefanie Menrath, Die Politik der Repräsentation im den Beitrag von Fabian Wolbring in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). HipHop, in: Androutsopoulos (Anm. 10), S. 218–243. 35 Vgl. Dietrich/Seeliger, Einleitung, in: dies. (Anm. 9), S. 21–41; 31 Vgl. Dietrich (Anm. 11); Murat Güngör/Hannes Loh, HipHop, dies., Sozial- und kulturwissenschaftliche Beobachtungen zum Dis- Migration und Empowerment, in: Seeliger/Dietrich (Anm. 8), kurs um Integrationsverweigerung und Fundamentalismus, in: Klaus S. 193–220. Spenlen (Hrsg.), Gehört der Islam zu Deutschland? Fakten und 32 Vgl. Albert Scharenberg, HipHop als Protest gegen materielle Analysen zu einem Meinungsstreit, Düsseldorf 2013, S. 253–275. und symbolische Gewalt, in: Anja Weiß et al. (Hrsg.), Klasse und 36 Das Forschungsthema „Authentizität“ lässt sich fast schon als Klassifikation. Die symbolische Dimension sozialer Ungleichheit, Topos beschreiben. Vgl. zur Diskussion ausführlich Forman/Neal Wiesbaden 2001, S. 243–269; Martin Seeliger, Kulturelle (Anm. 17), S. 69–223. 08 Rap APuZ Real ness gilt im US-Rap als Ergebnis einer Wech- oder schlicht bestehende Geschlechterordnun- selwirkung von race/Ethnizität und Klasse. Ent- gen reproduziert werden. 42 sprechend wird realness als Konstrukt gefasst, das vor allem durch Raptexte und zugehörige Perfor- FORSCHUNGSDESIDERATE mances hervorgebracht sowie durch die Anzeige UND -PERSPEKTIVEN eines being black und unterer Klassenzugehörig- keit inszeniert wird. Dabei bildet auch die Be- Entlang der skizzierten Kategorien unter- herrschung milieu- und szenespezifischer Sprach- sucht die HipHop-Forschung in den USA und spiele sowie von (Dress-)Codes einen wichtigen Deutschland HipHop-spezifische, soziokul- Rahmen der Authentifizierung. turell bedeutsame Konstruktionen und Aus- Im deutschen Rap entspricht dieser Konsti- handlungen und konzentriert sich dabei im- tutionslogik eine Selbstinszenierung, die häufig mer auch auf die kritische Kommentierung und einen arabischen oder türkischen Hinter grund Einordnung der Art und Weise, wie diese The- markiert und Straßenmilieus und (Brennpunkt-) men in gesellschaftlichen (Medien-)Debatten Räume referenziert, die als segregiert und/oder verhandelt werden. Damit ist die Analyse von gefährlich gelten. 37 HipHop, wo dieser nicht allein auf ästhetische Qualitäten befragt und innerhalb literarischer Gender Traditionen verortet wird, immer auch Gesell- Durchaus häufig mit den beschriebenen Real- schafts- und Kulturanalyse. Trotz mittlerweile ness-Analysen verbunden sind Studien zu Männ- jahrzehntelanger Forschung sind aber noch im- lichkeitskonstruktionen im HipHop und den mer Themen identifizierbar, die ungenügend er- damit verbundenen Weiblichkeitskonstruktio- forscht sind. nen, 38 insofern sie traditionell als Reaktivierun- Als ziemlich unterforscht kann beispiels- gen hegemonialer, oft reaktionärer Männlich- weise nach wie vor die HipHop-Musiki ndus- keitskonzepte herausgearbeitet werden. 39 Erst trie gelten. Eine HipHop-Kulturgeschichte un- seit einigen Jahren werden stärkere Distanzie- ter ökonomischen Vorzeichen zu schreiben, wie rungen von machistischen Männlichkeitsent- dies der Journalist Dan Charnas für den ameri- würfen diagnostiziert. 40 kanischen Raum geleistet hat, 45 böte die Chan- Aufbauend auf der These von Rap als ce, das wirtschaftliche Setting, in dem die Kul- männlich dominierter Praxis, die männliche tur sich entwickelt (hat), besser zu verstehen. Macht mithilfe von Sprachspielen stabilisiert, Ein umfassendes Verständnis der HipHop- werden insbesondere auch Performances von kulturellen Etablierung in Deutschland kann Rapperinnen, ihre Sprache und visuelle Selbst- nicht erfolgen, wenn ausschließlich soziale und präsentation diskutiert. Die grundsätzliche kulturelle Faktoren behandelt werden. So ist Frage lautet, ob dabei die Aneignung männli- der im HipHop stark verankerte Gedanke des cher Praktiken und Sprachspiele subversives Do-it-yourself auch wirtschaftlich konnotiert. oder gar emanzipatorisches Potenzial birgt 41 Denn die Idee, aus den eigenen Ressourcen he- raus Kunst, aber auch Geld zu machen, ist kein Spezifikum des US-amerikanischen HipHop, 37 Vgl. insbes. Dietrich (Anm. 28); Loh/Güngör (Anm. 22). bei dem die Selbstinszenierung von Anfang an 38 Vgl. Rose (Anm. 16); Judy R. A. T., On the Question of Nigga stark mit Entrepreneurship assoziiert war: Die Authenticity, in: Forman/Neal (Anm. 17), S. 102–116. 39 Vgl. Rose (Anm. 21); Anne Lenz/Laura Paetau, Von Gangsta- gesamte HipHop-Geschichte ist geprägt von Rappern, Orthopäden und anderen Provokateuren, in: Dietrich/ Seeliger (Anm. 9), S. 109–164. 40 Vgl. Gossmann 2012 (Anm. 18), in: ebd., S. 85–108; Ste- 42 Vgl. dazu Klein/Friedrich (Anm. 29), S. 186 ff.; Angelika phan Szillus, Weirdo-Rap, seine Wurzeln im analogen Untergrund Baier, Positionen von Frauen im deutschsprachigen Rap, in: Trans. und seine digitale Diffusion in den Mainstream, in: Dietrich Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 16/2016, www.inst.at/ (Anm. 10), S. 81–91; Anthony Obst, Drake als Vorbote einer trans/16Nr/05_8/baier16.htm. Zu dieser Frage siehe auch den inklusiven Männlichkeit im Rap des Internetzeitalters, in: ebd., Beitrag von Heidi Süß indieser Ausgabe (Anm. d. Red.). S. 55–80. 43 Vgl. Marc Dietrich, Rap im 21. Jahrhundert: Bestandsaufnah- 41 Vgl. Julia Reuter/Tina Bifulco, Schwesta Ewa. Eine Straßen- me und Entwicklungslinien, in: ders. (Anm. 10), S. 7–26. Rapperin und ehemalige Sexarbeiterin als Kämpferin für weibliche 44 Vgl. Kai Uwe Hugger (Hrsg.), Digitale Jugendkulturen, Wies- Unabhängigkeit und gegen soziale Diskriminierung?, in: Seeliger/ baden 2010. Dietrich (Anm. 8), S. 61–88. 45 Vgl. Charnas (Anm. 6). 09 APuZ 9/2018 der Figur des selbstständigen Unternehmers, wurzelt sind. Haus-, Bachelor- oder Masterar- die sich auch symbolisch in den Texten mittels beiten analysieren bereits HipHop-Diskurse im Figuren wie dem Hustler, dem Geschäftsmann Internet, haben bislang jedoch zu wenig Eingang oder auch dem Ticker beziehungsweise Dealer in wissenschaftliche Publikationen und damit artikuliert. breitere Diskussionszusammenhänge gefunden. Vor dem Hintergrund dieses Selbstverständ- Dass sich dies bald ändert, ist zu hoffen. Denn nisses der Rapperinnen und Rapper als autonom andernfalls droht die Forschung zusehends hin- und erfolgsorientiert hat in den vergangenen ter die HipHop-Entwicklung zurückzufallen Jahren auch die Etablierung von Social Me- und allein der journalistischen Kommentierung dia als Instrument der Online-Selbstvermark- das Feld zu überlassen. tung großen Einfluss entfaltet. 43 So wird in vie- len Fällen die „Promophase“, aber gerade auch die Zeit zwischen den Veröffentlichungen, zur Selbstinszenierung oder Verbreitung von Con- tent genutzt. Rapper verwenden dabei cross- mediale Strategien, indem sie zum Beispiel ein Musikvideo zur ersten Single nicht nur in ei- nem einschlägigen Portal hochladen, sondern es häufig auch mit einer Kommentierung ver- sehen, bei der unter anderem auf weitere Ka- näle verwiesen wird, auf denen der Musiker repräsentiert ist und die ihrerseits aufeinander verweisen. Eng verknüpft mit der sehr früh erfolgten Adaption von Social Media im HipHop ist das ebenfalls bislang unterforschte Themenfeld der digitalen Kultur. Bereits 2010 verwies der Band „Digitale Jugendkulturen“ auf die Notwendig- keit, das Internet als Ort der Vergemeinschaf- tung und Aushandlung von Jugendkulturen zu untersuchen, 44 HipHop-Forschung findet hier aber kaum statt. Bis heute dominieren in der Forschung vor allem ethnografische und/oder interviewbasierte Studien sowie Textinterpreta- tionen. Damit werden besonders Daten zu Be- reichen relevant gemacht, die auch schon vor der Etablierung von Internet und Social Media bestanden. Sowohl für die deutsche als auch für die US-amerikanische Forschung gilt, dass zwar Bereiche erforscht werden, die noch im- mer und zweifellos wichtig für die Formierung und den Wandel von HipHop-Phänomenen sind. Dies impliziert aber auch, dass wichtige Forschungen zu Szene(-Meta-)Diskursen im Internet, die insbesondere über Social Media MARC DIETRICH erfolgen und zu denen etwa auch szeneseitige ist promovierter Soziologe und wissenschaftlicher Kommentierungen von Musikvideos gehören, Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kommu- gänzlich fehlen. nikationswissenschaft der Alpen-Adria-Universität Diese Themen werden seit einigen Jahren im- Klagenfurt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in mer häufiger in Arbeiten von Nachwuchswissen- den Bereichen Popkultur, Szene- und Rassismusfo- schaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern schung, Medienanalyse und qualitative Methoden. verhandelt, die häufig selbst in der Szene ver- [email protected] 10

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The HipHop Studies Reader,. New York 20122, S. 1–8. 18 Vgl. Malte Gossmann, Männlichkeit in Raptexten von Bushido und K. I. Z., in: Dietrich/Seeliger (Anm. 9), S. 85–108; ders., Der. Israel-Palästina-Konflikt im deutschsprachigen Gangsta-Rap aus intersektionaler Perspektive, in: Dietrich (Anm
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