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Begriffene Unwahrheit: Kopernikus, Kant und der methodische Atheismus der Naturwissenschaften PDF

171 Pages·2018·2.417 MB·German
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Gerd Kimmerle Begriff ene Unwahrheit Kopernikus, Kant und der methodische Atheismus der Naturwissenschaften ABHANDLUNGEN ZUR PHILOSOPHIE Abhandlungen zur Philosophie Gerd Kimmerle Begriffene Unwahrheit Kopernikus, Kant und der methodische Atheismus der Naturwissenschaften J. B. Metzler Verlag Der Autor Dr. Gerd Kimmerle, Philosoph und Historiker der Psychoanalyse, ist Gründer und Leiter des Verlages edition diskord. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-476-04621-5 ISBN 978-3-476-04622-2 (eBook) Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. J. B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist Teil von Springer Nature www.metzlerverlag.de [email protected] Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Satz: Dörlemann Satz, Lemförde J. B. Metzler, Stuttgart © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature, 2017 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII I. Kopernikanische Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Tatsachenfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 Kreisläufe der Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 3 Kirchlicher Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 4 Aufhebung der aristotelischen Blockade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 5 Das Ende der Kreisbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 6 Der Weg zur Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 7 Bändigung des Unendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 8 Ontologische Differenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Kant: die skeptische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1 Der transzendentale Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2 Primat der praktischen Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3 Das höchste Gut oder die Wiederkehr der Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Fiktion und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1 Gemischte Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2 Freiheit im Notwendigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3 Grenzen des Verstehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 IV. Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Vorwort Wissenschaftliche Revolutionen, sofern sie diesen Namen wirklich verdienen, sind nicht bloß innerwissenschaftliche Ereignisse. Das gilt auch für die kopernikanische Revolution. Gewiss: mit ihr beginnt eine neue Astronomie. Sie ist aber weit mehr als das. Im Übergang von der geozentrischen zur heliozentrischen Weltsicht findet nicht nur ein Wandel im Verständnis der Himmelsräume und der in ihnen verorteten Erde statt. Die Stellung des Menschen in der Welt ändert sich grundlegend. Der kopernikanische Kosmos ist eine endlich Welt mit einem orientierenden Mittelpunkt und einer umgrenzenden Fixsternsphäre. Das hat sich geändert. Im Übergang vom geschlossenen Kosmos zum unendlichen Universum verliert das neuzeitliche Denken seine kosmologische Verortung. Im Unendlichen gibt es kei- nen Mittelpunkt. Dementsprechend sind die Folgerungen, die aus der kosmischen Dezentrierung des Irdischen gezogen wurden, nicht dieselben geblieben. Die frü- hen Anhänger von Kopernikus, Galilei voran, loben seine Tat als einen Triumph der Vernunft und feiern die Rangerhöhung der Erde, die zu den Sternen erhoben wird und nicht mehr im gottfernen Mittelpunkt des aristotelischen Kosmos ruhen muss. Die altvertrauten Muster einer theozentrischen Weltdeutung wurden auf die heliozentrische Konstruktion einer verborgenen Ordnung in den Bewegungen am Himmel übertragen. Ihr leitendes Sinnbild ist der geschlossene Kreis, der sich in der Rückkehr in sich vollendet. Diese Metaphysik des Kreises beginnt nachkopernika- nisch zu zerbrechen. Mit der voranschreitenden Dezentrierung geht ein Wandel im Seinsverständnis, verbunden mit einer Umzeichnung des Menschenbildes einher. Was als kosmischer Aufstieg begrüßt wurde, erscheint zunehmend als ängstigende Einsamkeit des Menschen am Rand des Universums. In die Entzifferung der gött- lichen Weltordnung mischt sich das Erschrecken vor dem Schweigen der unend- lichen Räume (Pascal). Der Mensch, einst das Ebenbild Gottes, ist seit Darwin zum Tier geworden, das von anderen Tieren abstammt, und zuvor schon ist er, seit Ko- pernikus, auf eine schiefe Bahn geraten, auf der er immer schneller vom Mittelpunkt weg ins Nichts rollt (Nietzsche). Die Frage des Unendlichen ist kosmologisch bedeutsam, sie hat aber auch einen intelligiblen Aspekt, der sich im Dualismus von Sinnlichkeit und Vernunft philoso- phisch niederschlägt. Durch ihn wird der Wille gespalten und die ihm zugespro- chene Freiheit verschwindet im Notwendigen. Die naturalistische Aufwertung des irdisch Sinnlichen findet sich nicht nur mit dem Verlust jeder transzendenten Sinn- gebung des menschlichen Daseins ab, sie bejaht ihn als Befreiung aus dem Gefängnis des Jenseits und dem Versprechen der Überwindung des Todes, der als medialer Tod, als Durchgang von einer Daseinsweise in eine andere verstanden wird. Der Tod aber ist, wie Hegel sagt, die Macht des Negativen, die sich im Identitätsbegriff des Ichs, seinem vermeintlichen Gegensatz, spiegelt. Die zweckrationale Vernunft, die VIII Vorwort in das Sinnliche eingedacht ist, ist dem Todesprinzip der Selbsterhaltung verbunden. Daher bleibt das neue Naturvertrauen, das christlichen Erlösungsverheißungen ent- wächst, einverstanden mit seiner Erfahrung des Zeitlichen. Man könnte dies, was hier nicht geschehen soll, am Aufstieg des Interesses zum anthropologischen Grund- begriff belegen. Das metaphysische Erbe der religiösen Weltdeutung bietet in naturalistischer Verkleidung weiterhin Antworten auf alle philosophischen Fragen, auch nach der Moral. In religiösen Heilsversprechen waren Auskünfte über existentielle Fragen als beglaubigte Wahrheiten vorgetragen. Eingeforderte Glaubensgewissheiten werden aber brüchig. Keine Theodizee ist mehr glaubwürdig. Was als Rechtfertigung Gottes angesichts der Übel in der Welt angeboten wird, wird dennoch seinsfromm wieder- holt. Die christliche Sinngebung des Leidens (die Erzählung vom Sündenfall) wird ersetzt durch eine Fortschrittsgeschichte der zukünftigen Verbesserung des Men- schengeschlechts, in der Selbsterhaltung und Fürsorge für Andere sich normativ zusammenschließen. Die empiristische Aufwertung des Sinnlichen und das metaphysische Beharren auf einem vernunftzugänglichen Weltgrund trennt weniger, als ihr Widerstreit glau- ben machen möchte. Sie eint das Zutrauen in die Begreiflichkeit der Welt und das Schema der ausschließenden Notwendigkeit, die alle Zeitordnung zufallslos durch- herrscht. Der Streit, in den sie neuzeitlich geraten, hat keinen Sieger, weil, wie Kant zeigt, ihr Widerstreit nur vordergründig ist. In ihrer Fragestellung teilen sie das- selbe (verschwiegene) Vorurteil, das sich in entgegengesetzten Antworten spiegelt. Kants philosophische Leistung besteht nun darin, in seiner Kritik der dogmatischen Denkungsart den Weg aufgezeigt zu haben, aus der aporetischen Situation dieser Spiegelfechtereien wieder herauszufinden. Leider, so muss man hinzufügen, ist die Philosophie nach Kant erneut in den von ihm bekämpften Dogmatismus zurück- gefallen. Ein schlagendes Beispiel dafür ist die neuere Gehirnforschung. Die in ihr aufgestellte Behauptung, es gäbe keinen freien Willen, zehrt von Grenzüberschrei- tungen, deren Berechtigung fraglos vorausgesetzt wird. Kant ist eine Grenzscheide. Gewöhnlich wird ihm zugeschrieben, das metaphy- sische Denken zerstört zu haben, tatsächlich aber zielt er durch die Kritik seiner dogmatischen Form auf die Erneuerung der schon in Verruf geratenen Metaphysik. Geleitet von Hume und Rousseau hat Kant erkannt, dass dies nur durchführbar ist, wenn der Primat der praktischen Vernunft gesichert ist. Errichtet werden kann dieser aber nur, wenn der Nachweis gelingt, dass der Begriff der Freiheit nicht gegen naturwissenschaftliche Kausalerklärungen und ihren inhärenten Notwendigkeits- anspruch verstößt. Dazu scheint eine Entscheidung zwischen den gegensätzlichen Interpretationen der Naturwissenschaft verlangt zu werden, die Kant vorliegen. Er bemerkt nun, dass der Streit zwischen dem naturalistischen Empirismus und dem metaphysischen Rationalismus nicht beizulegen ist, weil sie sich wechselseitig wider- legen, es daher geboten ist, sich nicht in ihn einzumischen, sondern innezuhalten, und die verborgene Gemeinsamkeit in diesem Streit herauszufinden, der sie vereint in die Irre führt. Das Verfahren, das Kant anwendet, ist die skeptische Methode. Wissensbildung bewegt sich im dialogischen Rahmen von Fragen und Antworten. Geht man auf die Fragen zurück, die empiristisch oder rationalistisch beantwortet werden, ent- Vorwort IX hüllt sich eine unbedachte Voraussetzung in ihrer Fragestellung selbst, es ist die Un- terstellung eines erkenntnistranszendenten Gegenstandes als Maßstab der Wahr- heitsprüfung. Ihr Wahrheitskriterium der Übereinstimmung (Korrespondenz) von Erkenntnis und Erkenntnisgegenstand (eine Unmöglichkeit, weil ein dritter Stand- punkt dazu nötig wäre, um einen äußerlichen Vergleich beider anzustellen) ist der Kern eines jeglichen Dogmatismus. Ihn beiseite zu räumen und den Weg freizuma- chen für ein kritisches Denken, das sich nicht in der Antithetik von Freiheit und Notwendigkeit verfängt, ist die Aufgabe, die Kant sich stellt. Er ist davon überzeugt, damit eine neue Möglichkeit der Moralbegründung zu eröffnen, die weder von der Religion noch von der Natur abhängig ist. Er verfehlt jedoch sein Ziel. Die Anbin- dung der Moral an die Metaphysik wird von ihm nicht unterbunden, sondern nur auf eine neue Grundlage gestellt, die praktische Vernunft, der eine gesetzgebende Macht zugestanden wird. Durch die Kritik ihrer spekulativen Verirrungen hindurch bleibt diese willensbestimmende Vernunft aber metaphysisch ausgerichtet. Die alte Klage über die Nichtübereinstimmung von Glück und Tugend in dieser Welt dient dazu, die Fiktion des höchsten Gutes (der Einheit des wahrhaft glücklichen und moralisch guten Lebens) in den Postulaten der praktischen Vernunft zum Leitbild einer ersehnten Gerechtigkeit zu erheben, die auf Erden nicht zu erreichen ist. Darin werden die metaphysischen Fragen nach Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zu Hoff- nungsbildern gegen Leiden und Tod. Den Neigungen zum sinnlich Verlockenden und dem angeborenen Hang zum Bösen wird der Ausblick auf ein menschenwür- diges Leben in der moralischen Welt der tugendhaft Glücklichen entgegengestellt. Diese Imagination einer intelligiblen Welt der Vernunftwesen zeichnet das religiöse Bild des Gottesreiches nach. Durch die Zurückführung der Moral auf die gesetzgebende Vernunft wird der Wille mit einem Zweck versehen, gegen den er nicht verstoßen kann, ohne unfrei zu werden. Die Dreieinheit des guten, vernünftigen und freien Willens unterstellt die in ihm ermöglichte Moral einem Herrschaftsbegriff von Freiheit, der sich in der impe- rativischen Form bekundet, in die Kant sie kleidet. In seiner Moralisierung wird der Wille vernunfthörig. Das höchste Gut, in dem sie sich vollendet, bietet einen Ausweg aus dem irdisch Endlichen, weil die religiöse Hoffnung, dem Todesverhängnis zu entrinnen, in ihm aufgenommen ist. Nach Kant wird die Frage des guten Lebens immer einseitiger zur Frage nach dem erfolgreichen Überleben. Die Umkehrphilosophien von Schopenhauer und Nietzsche machen, angestoßen von Schelling, einen Vorrang des Willens vor der Vernunft geltend, der nur noch eine Dienstleistung der Vernunft für den blinden Drang des Willens zugesteht. Sie kommen aber nicht umhin, den blind drängenden Willen in einem immerwährend sich drehenden Weltrad, einer ewigen Wiederkehr des Immergleichen, zu verankern. Man mag dies verabscheuen oder begrüßen, in beiden Fällen bewegt man sich in den dogmatischen Seinslehren einer vorkritischen Mythologie. Für die moralische Einheit von Wille und Vernunft folgt daraus, dass nur ein instrumenteller Gebrauch der Vernunft zulässig ist. Sie ist nicht autonom, weder spekulativ noch praktisch ist sie selbstgesetzgebend. Bei diesem Urteil ist aber Vorsicht geboten. Die Vernunft wird in der zweckrationalen Logik des Überlebens nämlich in ihre schon verlorene Herrschaft wieder eingesetzt. Noch in den darwinis- tischen Naturgeschichten der Moral und der Kultur werden Überlebensnotwendig-

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