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Begegnung mit Nietzsche PDF

41 Pages·1948·1.908 MB·German
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Preview Begegnung mit Nietzsche

BEGEGNUNG MIT NIETZSCHE vpn Heinrich Scholz o. Professor der mathematischen Logik und Grundlagenforschung an der Universität Münster 1. W. FURCHE-VERLAG/ TOBINGEN G. M. Z. F. O. Visa No. 3998/L de Ja Direction de l'Education Publique Autorisation No. 4311 de Ja Direction de !'Information Alle Rechte vorbehalten Furche-Verlag Dr. Katzmann KG. Tübingen 1948 Druck: Banholzer & Co., Rottweil a. N. Vorrede Wer aus irgendeinem Grunde mit Nietzsche zusammen stößt, muß gefaßt sein auf einen zweiten Zusammenstoß. Auf einen Zusammenstoß mit denen, die ihn noch immer für eine Gestalt von der Unantastbarkeit eines Heiligen halten. Es ist nicht einmal notwendig, daß sie berauscht sind von ihm. Der Unantastbarkeitsglaube meldet sich auch in Verbindung mit einer Stellung zu Nietzsche, die von einer kritiklosen Bewunderung in jedem Falle verschieden sein will. In einer Fragmentenfolge «Zwischen den Zeiten», die nach unserem Zusammenbruch der Selbstbesinnung hat dienen sollen, bin ich mit Nietzsche zusammengestoßen. Ich habe ihn und erst recht seine unüberwachten Nachläufer mitverantwortlich gemacht für das Antichristentum, das sich in den Hitlerjahren hat austoben dürfen, und für die Niederlagen des deutschen Geistes, die wir in diesem Feld zug erlitten haben. Ich habe ihn auch mitverantwortlich gemacht für eine Heroisierung des Krieges, die zu allem fähig ist, auch zu einer heillosen Diffamierung der Gesin nungen und der Werke des Friedens. Es scheint mir auch jetzt noch, daß ich mich so ausge drückt habe, daß ich von meiner Kritik nichts zurück nehmen kann. In meinen Fragmenten ist folgendes gesagt: «Wie man auch zum Kriege stehe, es sollte nicht bestritten werden, daß auch der Krieg, wenn er einmal entfesselt ist, große Dinge hervorrufen kann. Heldentum ist Heldentum. Heldenmut ist Heldenmut. Jedes Volk, ob siegreich oder 3 besiegt, ist es seinen Tapferen schuldig, daß ihnen nichts von der Ehre entzogen wird, deren der Tapfere würdig ist, es sei denn, daß er sich selbst entehrt hat durch schänd liche Dinge, denen er nicht widerstanden hat. Aber nie wieder sollte es möglich sein, daß jemand unter uns sich ungestraft erdreistet, mit Nietzsche zu sagen, daß der Krieg mehr große Dinge getan hat als die Gottes-, die Menschen- und Nächstenliebe». Man braucht nicht ein Nietzschekenner zu sein, um den Text zu erraten, an den ich mich in den letzten Worten angelehnt habe. «Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt.» Auf diese Offenbarung folgt un mittelbar ein ungewöhnlicher Angriff auf die Nächsten liebe mit dem Rüstzeug des Krieges. «Der Krieg und der Mut haben mehr große Dinge getan als die Nächstenliebe. Nicht euer Mitleiden, sondern eure Tapferkeit rettete bisher die Verungückten.» Wie ist es verwirrend ausgedrückt! Wie kann man die Nächstenliebe so diffamieren, daß man sie, um sie erschlagen zu können, einem Mitleiden gleich stellt, das so eingeführt ist, daß niemand daran zweifeln kann, daß seine Aktivität sich darauf beschränkt, daß es die Tränendrüsen in Funktion setzt! Diese Art von Rhe torik ist ein Gedankengift. Als ob es nicht eine Tapferkeit gäbe, und eine Tapferkeit von der entschiedensten Art, auf dem Grunde der Nächstenliebe! Und nur auf diesem festen Grunde. Dies soll kein Nietzsche uns ausreden dürfen. Daß er es dennoch versucht hat, ist eine Herausforderung, für die er zur Rede gestellt werden soll. Wer es nicht weiß, dem sei es gesagt, daß diese Sprüche im «Zarathustra» stehen, im ersten Buch, in dem Teilstück «Vom Krieg und Kriegsvolke». Es ist dasselbe Stück, in dem ein paar Zeilen zuvor gesagt ist: «Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr als den langen.» Es ist dasselbe Stück, in dem ein 4 paar Zeilen später zu lesen ist: «Auflehnung- das ist die Vornehmheit am Sklaven. Eure Vornehmheit sei Gehor sam!» Es.liegt nicht an mir, wenn jemand die Stimme des Dritten Reiches zu hören glaubt. Aber ich habe zur Nächstenliebe die Gottes- und Men schenliebe hinzugefügt. Also ist Nietzsche entstellt wor den? Im deutschen Raum gibt es immer noch Stimmen, die eine solche Frage für angezeigt halten. Es wird mir erlaubt sein, die Gegenfrage zu stellen: Darf man die Got tes- und Menschenliebe übergehen, wenn man Nietzsche nicht nur zitieren, sondern ihn so zeigen will, daß er mit seiner Botschaft vor uns steht? Wie muß diese Botschaft verwirrend sein, wenn man seinen heillosen Kampf gegen die Gottes- und Menschenliebe jetzt um jeden Preis aus ihr herausnehmen will! Es stehe jeder zur Gottesfrage, wie er es vor sich selber verantworten kann. Ich habe niemandem etwas vorzu schreiben, am wenigsten in diesem Falle. Aber die Art, in der Zarathustra mit seiner Gottlosigkeit kokettiert, ist ein Hohn auf die Gottesliebe, gegen den man sich auflehnen darf, und erst recht nach den Greueln, in denen dieser Hohn sich unter dem Hitlertum ausgetobt hat. Es stehe jeder zur Menschenliebe, wie sein Herz es ihm vorschreibt oder sein Egoismus es ihm erlaubt. Aber Nietz sches Rezepte sind ein Hohn auf die Menschenliebe, der durch nichts zu entschuldigen ist. Es beklage sich niemand darüber, daß er zur Verantwortung gezogen wird, wenn er von diesen Rezepten Gebrauch macht. Und es rechne niemand damit, daß er gelinder beurteilt wird, als er be urteilt zu werden verdient. Was Nietzsche gegen die Men schenliebe gesagt hat, soll ihm nicht verziehen werden, und erst recht nicht, nachdem wir mit seinen Rezepten in die Abgründe des Hitlertums geraten sind. Man prüfe Nietz sches Ärzte-Moral, von der in die folgenden Fragmente ein Probestück eingeschaltet ist. Es ist nicht das einzige 5 Probestück. Zu dieser Moral hat er mehr als einmal die unverantwortlichsten Dinge gesagt. Also darf Nietzsche zur Rede gestellt werden? Es scheint mir, daß der Zeitpunkt gekommen ist, der uns dies ab fordert. Es scheint mir, daß es auf gar keine Art zu ver antworten ist, daß Nietzsche im deutschen Raum noch länger so hingenommen wird, wie er im allgemeinen Falle hingenommen worden ist, und bis zum Ende aller Dinge, die von ihm oder in seinem Namen hochgezüchtet worden sind. Nietzsche hat vor niemandem Halt gemacht. Nun wohl! Dann kann es nicht unerlaubt sein, daß auch vor ihm nicht Halt gemacht wird. Nietzsche hat den Mut auf den Leuchter gestellt. Nun wohl! Aber dann muß dieser Mut sich auch zeigen dürfen in einer Haltung und Art, die sich gegen ihn wendet, und mit der Entschiedenheit, die von jedem ge fordert wird, der als furchtlos gelten soll. Wie man auch zu Nietzsche stehe, in jedem Falle ist er ein Mensch gewesen, den man nicht über sich ergehen lassen kann, oder man ist eine Null, also von denen, die sich nicht beklagen dürfen, wenn sie nicht mitgezählt wer den. Es ist von dem Stärksten an Nietzsche, daß er dies erzwingt. H~rdurch ist er in jedem Falle in einem denk würdigen Sinne hervorgehoben und ausgezeichnet auf eine Art, die niemand antasten sollte. In den folgenden Blättern ist angedeutet, wie Nietzscl1e zur Rede gestellt werden kann. Es wird erreicht sein, was erreicht werden sollte, wenn anerkannt wird, daß es der Mühe wert ist, daß Nietzsche auf dieser Stufe zur Rede gestellt wird. Es soll niemand berechtigt sein, aus der Kritik des Nietzscheschen Antichristentums zu schließen, daß der Verfasser der Fragmente «Zwischen den Zeiten» kritiklos zu unseren Kirchen steht. Was unsere Kirchen, mit allen Vorbehalten, unter den schwersten Bedingungen im Wi- 6 derstehen geleistet haben, sollte in gar keinem Falle ver gessen werden, am wenigsten von denen, deren Anteil a.n diesen Kirchen sich in der Anteilslosigkeit oder in der Ent deckung von Schönheitsfehlern erschöpft. Aber die Frage der deutschen Kollektiv-Verantwortlichkeit in Bezug auf die Hitlerjahre! Man erlaube mir, daß ich hier wenigstens hindeute auf das, was ich zu diesem Problemknoten gesagt habe in .einer Betrachtung «Zur deutschen Kollektiv-Ver antwortlichkeit», die in den «Frankfurter Heften» (2, 194.7, 357-373) erschienen ist; denn diese Frage ist schon das erste Thema meiner zwischenzeitlichen Fragmente gewe sen. Es scheint mir, daß meine Auffassung in dieser neuen Gestalt auf eine Form gebracht worden ist, von der man Kenntnis nehmen sollte auch dann, wenn man mir nicht folgen kann. Ich habe nicht hindern können, daß in dieser Betrachtung auch über die Haltung unserer Kirchen einiges gesagt ist, was auf eine erkennbare Art von einer kritik losen Bewunderung verschieden ist. Es ist mir schwer genug geworden; aber wir sind nicht gefragt, wie schwer es uns wird, wenn wir vor Wahrheitsfragen gestellt sind. Ich werde noch etwas hinzufügen dürfen, was nicht un gesagt bleiben soll. In einem ehrlich gemeinten erbaulichen Schrüttum stößt man immer wieder einmal auf den Satz, daß wir nur zu den Kirchenvätern zurückzukehren brau chen, um uns zu integrieren, und ein für allemal. Man Roll niemandem seinen Glauben nehmen, wenn es ein kindlicher Glaube ist. Man scheue sich nicht, sich ehrlich zu fragen, ob man, mit der Gesinnung, die sich in diesem Glauben aus drückt, nicht immer noch etwas besser beraten ist als mit den Dionysos-Phantasien des späten Nietzsche. Wer zwi schen diesen beiden Möglichkeiten zu wählen hat, sollte sich vor niemandem entschuldigen müssen, wenn er sich für die Kirchenväter entscheidet. Es ist viel mehr aus ihnen herauszuholen, als denen bekannt ist, die sie nie in den Händen gehabt, folglich erst recht nie gelesen haben. 7 Aber das Kindliche soll man «kindlich» nennen, und nie mandem zu Liebe sollte man zulassen, daß es das Maß aller Dinge wird. Wir werden überhaupt nicht an eine Welt leitung glauben oder an eine Weltleitung, die in gar keinem Falle ihre Hand nur bei den Kindern und den Kirchen vätern im Spiel gehabt hat. Das vorausgesetzte Dilemma ist ein Phantom. Was uns abgefordert wird, ist ein «Neues Leben», also etwas, was sich gar nicht vergleichen läßt mit irgend einem Resultat, das durch irgend eine Rückkehr oder Heimkehr erzielt werden kann. Aber in gar keinem Falle werden die dionysischen Zustände des späten Nietzsche - und an ihnen entscheidet sich alles - in dieses neue Leben eingehen dürfen in irgend einer Gestalt, sondern dieses Leben wird uns versagt sein, oder es wird erkämpft werden in einer Kampfstellung gegen diesen Nietzsche, die sich durch niemanden einschüchtern und durch nichts verwirren läßt. · Es ist noch niemand dadurch zu Schaden gekommen, daß er seine Existenz unter den Schutz des heiligen Geistes gestellt hat. Nun wohl! Aber was ist der heilige Geist? Karl Barth, der theologische Führer, der bei weitem nicht nur den Theologen etwas zu sagen hat, ist nicht müde geworden, uns einzuschärfen, daß der heilige Geist ein Geist der unverdrossenen Nüchternheit ist, also ein Todfeind jeder unüberwachten Romantik, und ein Geist, der überall da gegenwärtig ist, wo man, ohne an sich selbst zu ersticken, bereit ist, Irrwege als Irrwege anzuerkennen und umzukehren, bevor es zu spät ist. Es scheint mir, daß man nicht einmal wissen muß, was der standfeste Mann auf der Lehrkanzel in Basel Gutes getan hat für uns, um ihn für einen von unsern besten Freunden zu halten. An seiner Auslegung des heiligen Geistes sollte es für jeden erkenn bar sein. Der Glaube an diesen heiligen Geist, mit allem, was er uns auferlegt, sollte das Rüstzeug sein, das uns verbindet mit allen, die guten Willens sind. 8 Die folgenden Blätter sind schon im Frühjahr dieses Jahres eingereicht worden. Es ist eine Folge der Bedin gungen, mit denen wir zu rechnen haben, daß sie erst jetzt erscheinen können. Münster i. W., im Dezember 1947. Der Verfasser. 9

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