FORSCHUNGSBERICHT DES LANDES NORDRHEIN -WESTF ALEN Nr. 2618/Fachgruppe Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Herausgegeben im Auftrage des Ministerprasidenten Heinz Kuhn yom Minister fUr Wissenschaft und Forschung Johannes Rau Dipl. -Volksw. Dr. Mechthild Brothun Institut fUr angewandte Sozialforschung an der Universitat zu Koln Direktoren: Prof. Dr. R. Mayntz Prof. Dr. E. K. Scheuch Bedeutung der Berufstiitigkeit von Frauen - Konfliktmanagement in komplexen Rollenkonfigurationen - WESTDEUTSCHER VERLAG 1977 © 1977 by Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Gesamtherstellung: Westdeutscher Verlag ISBN 978-3-531-02618-3 ISBN 978-3-322-88699-6 (eBook) DOl 10.1007/978-3-322-88699-6 - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 6 2. Berufstatigkeit als Rollenkonflikt ................. 16 2.1. Elemente der Rollentheorie .................... 17 2.2. Rollenkonfiguration verheirateter berufs- tatiger Frauen: Konflikt oder "overload" ...... 28 2.3. Modelle zur Losung von Rollenkonflikten ....... 33 3. Das commitment Konzept .........................•... 47 3.1. Diskussion unterschiedlicher Konzeptualisie- rungen von commitment ......................... 47 3.1.1. commitment als Motivationskonzept ...... 49 3.1.2. commitment als Attitudenkonzept ........ 58 3.2, Ansatze zu einer Theorie des work commitment .•.....•......•...•........•........ 71 3.2.1. Konzeptualisierung von work commitment ............................. 71 3.2.2. Dimensionen von work commitment ...•..•. 74 3.2.3. Entstehung von work commitment ...•..... 79 3.2.3.1. EinfluB der Primar- sozialisation ............•.... 80 3.2.3.1.1. Geschlechtsspezi fische Sozialisa- tion in der Familie 81 3.2.3.1.2. Sozialisation in peer groups und Schule ...••..•..... 83 3.2.3.2. EinfluB der Sekundar- sozialisation ................. 87 4. Rolleninterpretation als Konfliktlosungs- strategie ..........•...•••.•..........•.........•.. 92 4.1. work commitment und Rolleninterpretation ....•. 94 - 4 - Seite 4.2. Struktur von Berufs- und Familienrollen im Hinblick auf Moglichkeiten zur Uminterpretation ............................. 99 4.2.1. Uminterpretation der Familienrolle .... 99 4.2.2. Uminterpretation von Berufsrollen 103 4.3. Sozialer Kontext als intervenierende Variablen •..........................•........ 108 Exkurs: Stellung im Familienzyklus '" ........ 111 5. Anlage der Untersuchung ........................... 116 6. work commitment als abhangige Variable ............ 120 6.1. Operationalisierung von work commitment ...... 121 6.1.1. Daten und Faktorenanalyse ............. 121 6.1.2. Bildung der Variable "work commitment" 128 6.2. Entstehung von work commitment ............... 132 6.2.1. EinfluB der schulischen Sozialisation ......................... 133 6.2.2. EinfluB ausgewahlter Merkmale der Orientierungsfamilie: Berufstatigkeit der Mutter und beruflicher Status des Vaters ................................ 137 6.2.3. Auswirkungen von Strukturmerkmalen der Prokreationsfamilie: "Stellung im Fa milienzyklus" und "okonomische Situa- tion" ................................. 140 Exkurs: Operationalisierung von Fami lienzyklus und "okonomische Situation der Familie" ........ 141 6.2.4. Zusammenfassung ....................... 147 7. Auswirkungen unterschiedlicher Bedeutung der Berufstatigkeit auf Ausgestaltung der Familienrolle .................................•... 150 7.1. Wlinsche zur Uminterpretation der Familien- rolle ........................................ 154 - 5 - Seite 7.2. Uminterpretation der Familienrolle ..•......• 158 7.2.1. Reduktion von Rollenelementen •....••. 159 7.2.2. Familieninterne Umverteilung von Rollenelementen ................•..... 160 7.2.3. Delegation von Funktionen an Dritte .. 167 7.3. Ubernahme von AuBenbeziehungen .............• 174 7.4. Zusammenfassung ..............•.....••....... 178 8. Der EinfluB von work commitment auf Ausgestaltung der Berufsrolle 183 8.1. Die Wahl von Berufspositionen ............... 185 8.2. Ausgestaltung der Berufsrolle ..........••... 193 8.2.1. Berufliches Engagement ..........•..•. 193 8.2.2. ubernahme peripherer Rollenelemente 199 8.2.3. Vergleich zwischen Mannern und Frauen im Hinblick auf Art der BerufsrollenUbernahme 202 8.3. Berufliche Wertvorstellungen und Einstellung zur Berufstatigkeit von Frauen ....•..••....• 204 8.3.1. Berufliche Wertvorstellungen bei Mannern und Frauen ...........•....... 204 8.3.2. EinfluB von work co~~itment auf Einstellungen zur Berufstatigkeit von Frauen ...............•..•........ 209 8.4. Zusammenfassung ..........................•.. 216 9. Diskussion und Bewertung der Ergebnisse ......•... 221 Tabellenanhang ...............•...................... 231 Literaturverzeichnis .............•...........•...... 270 - 6 - 1. Einleitung Wenn Berufst~tigkeit von Frauen immer noch und insbesondere in jungerer Zeit im Vordergrund des Interesses steht, so liegt der Grund hierfUr nicht in der Tatsache, da~ Frauen arbeiten. Frauenarbeit ist kein Novumj vielmehr hat es Frau enarbeit in unterschiedlichen Formen zu allen Zeiten gege ben.1) Die GrUnde fUr die anhaltende Diskussion liegen auf einer anderen Ebene, und zwar zum einen in der - im Vergleich zu fruheren Zeiten - ver~nderten Art der Berufst~tigkeit von Frauen und zum anderen in der ver~nderten Struktur der weib lichen erwerbst~tigen Bevolkerung. Neu an der heutigen Berufst~tigkeit von Frauen ist, da~ Frauen aller sozialen Schichten als Einzelpersonen gegen Geldlohn au£erhalb des Hauses berufst~tig sind und neu ist auch der Anspruch auf qualifizierte Teilnahme an Berufen. Frauen sind nicht mehr ausschlie~lich als Arbeiterinnen und "mithelfende Familienangehorige" t~tig, sondern arbeiten auch in Berufszweigen, die vorher ausschlie~lich M~nnern vorbehalten waren. Diese allgemeine Entwicklung erreichte einen Hohepunkt w~hrend des letzten Krieges. Aufgrund der besonderen Situation (Abwesenheit der M~nner und damit volks wirtschaftliche Notwendigkeit) arbeiteten Frauen in allen Wirtschaftszweigen und auch in hoheren Positionen.2) Als wei teres Merkmal heutiger weiblicher Berufst~tigkeit ist die ver~nderte Struktur der weiblichen erwerbst~tigen Bevolkerung zu nennen. Aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach weiblichen Arbeitskr~ften, insbesondere im Dienst leistungsbereich, und vor allem aufgrund ver~nderter Be dingungen auf der Angebotsseite (erleichterter Zugang zu Bildungseinrichtungen und damit bessere Ausbildung der Frauen, verl~ngerte Lebenserwartung und sinkende Kinder- 1) siehe die vergleichende historische Analyse von SULLEROT 1972 2) siehe SULLEROT 1972, S.loo ff. Mit diesem Aspekt befas sen sich insbesondere Diskussionen urn Auswirkungen weib licher Berufst~tigkeit auf die Stellung von Frauen in der Gesellschaft. - 7 - zahlen) sind in zunehmendem MaBe auch verheiratete und ~ltere Frauen in den ArbeitsprozeB einbezogen worden.1) Die Eingliederung verheirateter Frauen und Frauen mit Kin dern in den ArbeitsprozeB aber steht in offenem Widerspruch zu dem, was jahrhundertelang - und groBenteils auch heute noch - als Leitbild und als die naturliche Bestimmung der Frau galt und mit allen Mitteln verfochten wurde: ihre aus schlieBliche Zust~ndigkeit fur und ihre Beschr~nkung auf Heim und Familie. Diese offene Diskrepanz zwischen Leitbild und Realit~t 2) ist nicht nur fur die betroffenen Frauen selbst von Be deutung. Sie beinhaltet zugleich auch ein theoretisches Problem, das in zahlreichen soziologischen Untersuchungen analysiert worden ist. Untersuchungen zum Problem weiblicher Berufst~tigkeit las sen sich vornehmlich nach drei unterschiedlichen Ans~tzen klassifizieren: Zum einen wird Berufst~tigkeit von Frauen unter einem Mi norit~tenaspekt analysiert, wobei der Hauptakzent auf der Unterprivilegierung von Frauen im beruflichen Bereich liegt.3) 1) Grunde fur diese Strukturver~nderungen werden in makro soziologischen Arbeiten analysiert, wobei der Akzent entweder auf dem EinfluB der Nachfrageseite (vgl. u.a. CAIN 1966) oder auf dem der Angebotsseite liegt. (vgl. u.a. BELLOC 1950, HABER 1973) Eine integrierte Analyse beider EinfluBfaktoren findet sich bei OPPENHEIMER 1967. 2) 47% aller Frauen im erwerbsf~higen Alter sind berufs t~tig, davon sind 57% verheiratet. vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT 1975 3) Die meisten Untersuchungen uber die Stellung von Frauen ·im beruflichen Bereich befassen sich vornehmlich mit dem Aspekt der Unterprivilegierung, ohne einen explizi ten Bezug zur Minorit~tentheorie herzustellen. vgl. u.a. EPSTEIN 1970, MENSCHIK 1971, PROSS 1973, OPPENHEIMER 1968, DAVIS 1969. MAYER HACKER (1951) versucht die An wendbarkeit der Minorit~tentheorie auf Frauen nachzu weisen. - 8 - Der zweite Ansatz nimmt die Familienrolle der Frau zum Aus gangspunkt und untersucht, inwieweit Berufst~tigkeit im fa milialen Bereich Probleme aufwirft. 1m Vordergrund stehen Auswirkungen hinsichtlich der Entwicklung der Kinder1) oder Auswirkungen auf Partnerbeziehungen in der Ehe.2) Dabei wird die Berufst~tigkeit von MUttern als wesentlicher Ein fluBfaktor fUr allgemeine Desorganisation der Familie ge sehen und auf ihre verheerenden EinflUsse hingewiesen (sie wurde z.B. im Zusammenhang mit steigender Jugenddelinquenz diskutiert). Andere Arbeiten zeigen positive Auswirkungen auf. Gemeinsam ist diesen frUheren Arbeiten, daB sie Berufst~tig keit von Frauen als einheitliches Ph~nomen betrachten und berufstatige Frauen als homogene Gruppe den nicht berufs tatigen gegenUberstellen. Die Ergebnisse dieser Untersuchun gen aber weisen deutlich die Schw~chen dieser Vorgehensweise auf: das bloBe Faktum der Berufstatigkeit zeigte - im Ver gleich zur Nichtberufst~tigkeit - kaum eindeutig interpre tierbare Auswirkungen. Dies war im Grunde auch nicht zu er warten, da - nimmt man einmal den Fall der Jugenddelinquenz - eine solche Vielzahl von psychischen und sozialen Faktoren auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen EinfluB nimmt, daB der eine Faktor "Berufst~tigkeit der Mutter" schlechterdings nicht monokausal mit der Art der Entwicklung der Kinder verbunden sein kann. Der dritte Ansatz, der den meisten neueren Untersuchungen zugrundeliegt, wurde haupts~chlich zur L6sung gerade dieser Probleme gewahlt. Berufst~tige Frauen werden nicht als ho mogene Gruppe analysiert; im Vordergrund steht vielmehr die Frage nach Variablen, anhand derer sich die Population "be rufst~tige Frauen" sinnvoll differenzieren l~Bt, urn auf 1) siehe u.a. BURCHINAL und ROSSMAN 1961; vgl. auch die zusammenfassenden Darstellungen bei MACCOBY 1960 und HOFFMAN 1965 b. 2) siehe BLOOD 1965; zum Aspekt der Machtverteilung siehe u.a. BLOOD und HAMBLIN 1960, HEER 1965, HOFFMAN 1965 a; zum Aspekt GlUck bzw. Konflikt in der Ehe siehe u.a. AXELSON 1963, NYE 1965, GOVER 1963. - 9 - diese Weise auch unterschiedliche Auswirkungen von Berufs t&tigkeit effizienter erfassen zu konnen. So konnte beispielsweise HOFFMAN (1965 c) jeweils unter schiedliche Auswirkungen auf die Kinder berufstatiger MUtter feststellen, je nachdem ob diese gern berufst&tig waren und Freude an ihrer Arbeit hatten oder nicht. ORDEN und BRADBURN (1969) und auch LUPRI (1969) differenzieren nach der Schicht zugehorigkeit der berufst&tigen Frauen (und steuen jeweils unterschiedliche Auswirkungen und Verhaltensweisen in den verschiedenen sozialen Schichten fest) sowie nach dem Grad der finanziellen Motivation zur Berufst&tigkeit. LEHR (1969) befa£t sich in ihrer Arbeit detailliert mit der - wie sie nachweist - &u£erst komplexen Motivationsstruktur berufsta tiger Frauen und kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem welche Motive - ob finanzielle oder personliche - fUr die Berufst&tigkeit im Vordergrund stehen. Berufliche bzw. familiale Orientierung der Frau wird von BAILYN (1970), Grad der Arbeitszufriedenheit bei RIDLEY (1973) als Diffe renzierungskriterium verwendet. Eine Gruppe von neueren UntersuchUngen1) arbeitet in diesem Zusammenhang mit dem Begriff des "work commitment", der "Bindung an den Beruf" als wesentliches Differenzierungs merkmal, wobei "Bindung an den Beruf" eine komplexe, mehr dimensionale Variable darstellt. Dabei gehen die Autoren von der uberlegung aus, da£ sich Frauen hinsichtlich des Grades ihres work commitment voneinander unterscheiden und da£ diese Differenzierung andere, eher formale Differenzie rungskriterien wie etwa Bildung und beruflicher Status zwar in etwa mit umfassen, andererseits aber darUber hinausgehen, indem mit work commitment eine komplexe subjektive Dimen sion angesprochen wird, die je unterschiedliche Verhaltens weisen erklaren kann. 1) vgl. insbesondere FOGARTY, RAPOPORT und RAPOPORT 1971, HALLER und ROSENMAYR 1971, HALLER 1973, SAFILIOS ROTH SCHILD 1970, 1971 - 10 - Diese drei Ans~tze stehen unverbunden nebeneinander, ohne da~ versucht worden w~re, 5ie ineinander zu UberfUhren und zu einem komplexen Analyseraster zu integrieren. DarUberhin aus wird bei den erstgenannten Forschungsans~tzen die zu grundeliegende Problematik nur sehr verkUrzt erfa~t, indem nicht angegeben bzw. berUcksichtigt wird, da~ sich aus den besonderen strukturellen Voraussetzungen fUr weibliche Be rufst~tigkeit gleichzeitig auch Zw~nge bestimmter Art er geben. Die oben angesprochene Diskrepanz zwischen Leitbild und Realit~t deutet auf einen strukturell angelegten Konflikt hin, der zumindest teilweise aus der Art der Arbeitsteilung in modernen Industriegesellschaften erkl~rbar ist, und der auf der anderen Seite Grundlage fUr die Besonderheit der Problematik der Berufst~tigkeit von Frauen im Vergleich zur Berufst~tigkeit von M~nnern ist. Die traditionelle,vorindustrielle Form der Arbeitsteilung1) erfolgte nach zugeschriebenen, nicht erwerbbaren Merkmalen von Menschen, insbesondere nach Altersklassen und Geschlecht, d.h. also nach Kriterien wie k5rperlichen Unterscheidungs merkmalen und - im Fall der Frauen - Merkmalen, die sich aus ihrer Stellung im Lebenszyklus (wie Reproduktion und Pflege von Kleinkindern) ergaben. "Diese Art der Arbeits teilung fUhrte zum einen dazu, da~ die Rollenmerkmale von Frauen sich vorwiegend auf Familie beziehen und zum anderen, da~ Frauen durchweg mit dem Vollzug von 'Innenbeziehungen' befa~t sind, w~hrend 'Au~enbeziehungen' zu den Aufgabenge bieten der M~nner gez~hlt werden." (TREINEN und BROTH UN 1973, S.253) In modernen Industriegesellschaften verl~uft die Arbeits teilung dagegen nach erwerbbaren Merkmalen und findet ihren Ausdruck in der Aufl5sung von komplexen Arbeitsbereichen in Einzelfunktionen. Die ErfUllung solcher Funktionen wird 1) zur Arbeitsteilung siehe DURKHEIM 1893