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Autorschaft als historische Konstruktion: Arnold Schönberg — Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten PDF

351 Pages·2001·37.71 MB·German
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Autorschaft als historische Konstruktion Autorschaft als historische Konstruktion Amold Schönberg - Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten Hrsg. im Auftrag des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz von Andreas Meyer und Ullrich Scheideier Verlag 1. B. Metzler Stuttgart. Weimar Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Autorschaft als historische Konstruktion: Arnold Schönberg : Vorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und Interpreten I hrsg. von Andreas Meyer im Auftr. des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. -Stuttgart; Weimar: Metzler, 2001 ISBN 978-3-476-01839-7 ISBN 978-3-476-01839-7 ISBN 978-3-476-02771-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-02771-9 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfliltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2001 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und earl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2001 www.metzlerverlag.de inf@metzlerverlag Inhalt ANDREAS MEYER/ULLRICH SCHEIDELER Einleitung 9 HANS-}OACHIM HINRICHSEN Schönberg, Bach und der Kontrapunkt Zur Konstruktion einer Legitimationsftgur 29 MATIHIAS SCHMIDT Klassiker? Mozart-Beethoven -Schönberg 65 CHRISTIAN MARTIN SCHMIDT Schönberg und Brahms 91 MATTHIAS SCHÄFERS ». .. daß dasjenige, das den Anstoß zur Entwicklung gegeben hat, auch das erste ist, das uns wieder abstößt ... « Arnold Schönberg und Richard Strauss 117 ULLRICH SCHEIDELER Einfall-Material-Geschichte Zur Bedeutung dieser Kategorien im Musikdenken Pfttzners und Schönbergs um 1910 159 FELIX WÖRNER »Nachahmung« und »Überbietung« durch Webern Aspekte einer komplexen Interaktion 189 ANSELM GERHARD Farben und Formen in einem »Totentanz der Prinzipien« Arnold Schönbergs Pierrot lunaire und das »Zerfließen« der Tradition 221 JOSEPH H. AUNER Schönberg und sein Publikum im Jahr 1930: Die Sechs Stücke für Männerchor a cappella op. 35 249 GIANMARlOBORIO Zwölftontechnik und Formenlehre Zu den Abhandlungen von Rene Leibowitz und J osef Rufer 287 INGEKovAcs Warum Schönberg sterben mußte ... Pierre Boulez' musikhistorische Selbstverortung um 1950 323 Verfasser der Beiträge 351 Andreas Meyer/Ullrich Scheideler Einleitung Komponisten, die mit dem Anspruch einer historischen Mission antre ten, sind selten geworden. Das eigene Werk als »Einlösung« manifester oder verborgener Tendenzen der Geschichte, als notwendige Antwort auf die For derungen des Tages, als »vorgetriebensten« Stand der Entwicklung hinzustel len, hat den Beigeschmack des Anachronismus. Das Mißtrauen gegenüber »großen« Erzählungen überhaupt, der Verdacht gar, daß Geschichte nur ein »Simulationsmodell«1 gewesen sei, berührt über die zeitgenössische Produk tion hinaus die Theorie und Historiographie der Musik. Daß, »wer sich nicht ausreden läßt, dass Kunst etwas bedeutet, [. .. ] um geschichts- und so zialphilosophische Spekulation nicht herum[kommt]«2, ist zu Beginn des neuen Jahrhunderts, nach dem Ende einer »Epoche erhitzten geschichtsphi losophischen Denkens«3, nichts weniger als selbstverständlich. Kein anderes Werk ist in der Musik des 20. Jahrhunderts mit der Frage nach Sinn oder Nicht-Sinn der Geschichte so eng verknüpft wie dasjenige Amold Schönbergs. Dieser Zusammenhang geht nur teilweise auf Schönberg selbst zurück, ist jedoch in seinem Selbstverständnis charakteristisch vorge prägt. Nach einer berühmten Anekdote wurde Schönberg beim Militär (im Ersten Weltkrieg) gefragt, ob er denn wirklich der bewußte Schönberg sei; er soll geantwortet haben: »Einer hat es sein müssen, keiner hat es sein wollen, so habe ich mich dazu hergegeben«.4 Die Vorstellung, einer historischen Notwendigkeit zu entsprechen - sich Problemen zu stellen, die eigentlich »das Denken aller zeitgenössischen Komponisten [hätten] beschäftigen müs sen«5 -, war auf der anderen Seite mit der Gewißheit verbunden, daß »die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts [. .. ] durch Überschätzung schlecht ma- Jean Baudrillard, »Pataphysik des Jahres 2000«, in: ders., Die Illusion des Endes oder Der Streik der Ereignisse, Berlin 1994 [frz. Orig. 1992], S. 9-22, hier S. 18. 2 Heinz-Klaus Merzger, »Unvollendete Komponisten. Ein Versuch zu Jean Barraque, Jean Pierre Guezec, Bill Hopkins (Fragment)«, in: 18. Musik-Biennale Berlin. Internationales Fest for zeitgenössische Musik (Programmbuch), Berlin 2001, S. 10-14, hier S. 11. 3 Gustav Seibt, .. Untergang, Aufstand, Verlust. Geschichtsphilosophien des 20. Jahrhun derts«, in: Berliner Zeitung, 18.2.2000. 4 So Schönbergs eigene Version im Dankesbrief an die Gratulanten zu seinem 75. Geburts tag, 16.9.1949, zit. nach Amold Schoenberg, Ausgewählte Brieft, hrsg. von Erwin Stein, Mainz 1958, S. 4 (dort als Faksimile). 5 Arnold Schönberg, .Rückblick« [1949], in: ders., Stil und Gedanke. Aufiätu zur Musik, hrsg. von Ivan Vojtech (Gesammelte Schriften 1), Frankfurt a.M. 1976, S. 397-408, hier S.403. 10 Andreas Meyer I Ullrich Scheideler chen« werde, »was die erste Hälfte durch Unterschätzung gut gelassen hat an mir.i Der Glaube an die historische Folgerichtigkeit des eigenen Handelns hat Schönberg in kritischen Phasen seiner Entwicklung entscheidenden Rückhalt gegeben. Dies gilt, um vorerst nur zwei markante Punkte zu nen nen, für den Übergang zur freien Atonalität um 1910 nicht weniger als für die Entwicklung der »Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen« Anfang der zwanziger Jahre. Die Atonalität - ein Begriff, den Schönberg ablehnte, weil er damit einen unvermittelten Traditionsbruch assoziierte - ist durch die »Emanzipation der Dissonanz« gerechtfertigt, also die »wachsende Fähigkeit des analysierenden Ohrs [. .. ], sich auch mit den fernliegenden Obertönen vertraut zu machen und damit den Begriff des kunstfähigen Wohlklanges [. .. ] zu erweiterni - ein Gedanke, dessen wesent liche Pointe darin liegt, daß Schönberg ihn historisch faßt. Demgegenüber ist die Zwölftonmethode von einer komplexeren Konstruktion getragen: der Vorstellung einer Synthese von »Horizontale« und »Vertikale« - Homopho nie und Polyphonie als Stellvertretern verschiedener »Zeitalter«8 - zur »Ein heit des musikalischen Raumes«.9 Denn der »Zwang der Entwicklung der Musik« gehe dahin, »den musikalischen Raum in allen seinen Dimensionen dermaßen auszunützen, daß im kleinsten Raum der größte und reichste Inhalt untergebracht wird.« 10 Schönbergs Sorge um seinen Platz in der Geschichte dokumentieren ne ben den zu Lebzeiten veröffentlichten bzw. zur Veröffentlichung vorgesehe nen Schriften eine kaum überschaubare Vielzahl von Fragmenten, Notaten und Marginalien im Nachlaß, die erst zum kleineren Teil gedruckt vorliegen. Beständig vergewisserte er sich der eigenen Innovationen, bemühte sich um deren Datierung, protokollierte Prioritätsansprüche und Illoyalitäten ver meintlicher Nachahmer im Freundes- und Schülerkreis. Das Material ist durchsetzt von Formulierungen wie »meines Wissens noch nie bemerkt«, »spätestens 1920«, »daß ich der erste war« etc. Schönberg hatte eine obsessive Angst, die Geschichtsschreibung könnte zu seinen Ungunsten ausfallen.ll In 6 Dankesbriefvom 16.9.1949 (wie Anm. 4); Schönberg zitiert hier einen eigenen Apho rismus von 1909. 7 Arnold Schönberg, Harmonielehre, Wien 1911, S. 19. 8 Arnold Schönberg, »Neue und veraltete Musik, oder Stil und Gedanke« [Fassung von 1933], in: ders., Stil und Gedanke (wie Anm. 5), S. 466-477, hier S. 467. 9 Arnold Schoenberg, »Composition with Twelve Tones« [1941], in: ders., Style and Idea, hrsg. von Leonard Stein, London 1975, S. 214-245, hier S. 223; deutsch: Arnold Schön berg, »Komposition mit zwölf Tönen«, in: ders., Stil und Gedanke (wie Anm. 5]' S. 72-96, hier S. 79. 10 Schönberg, »Neue Musik und veraltete Musik« (wie Anm. 8), S. 467. 11 Vgl. etwa das bei Hans Heinz Stuckenschrnidt, Schönberg. Leben-Umwelt-Werk, Mainz Einleitung 11 der breiteren Öffentlichkeit wurde dies etwa anläßlich der Auseinanderset zungen mit Josef Matthias Hauer und noch ein Vierteljahrhundert später mit Thomas Mann um die »Erfindung« der Zwölftonmethode sichtbar. Noch die zahlreichen Annotationen in seiner Bibliothek deuten auf ein leidenschaftli ches Verhältnis zur Nachwelt: Nicht selten erwecken sie den Eindruck, sie seien eigens geschrieben, um spätere Forscher über die Ansichten des Mei sters nicht im unklaren zu lassen. Die Physiognomie Schänbergs ist ohne ein bestimmtes Verhältnis zur Geschichte nicht denkbar - seine Autorschaft setzt historische Konstruktion voraus. In einer Situation, in welcher der »Monomythos« der Moderne in Frage steht, ist diese Ausgangslage von ebenso grundsätzlichem Interesse wie wir kungsgeschichtlich heikel. Schänbergs Anspruch, gleichsam in Stellvertre tung der Musikgeschichte zu agieren, behindert heute eine unvoreingenom mene Aufnahme des Werkes. Vor allem die US-amerikanische Musikwissen schaft hat seit den achtziger Jahren ein kritisches Verhältnis zu Innovation als leitender Kategorie der Geschichtsschreibung entwickelt. Die Einsicht in die grundlegende Konstruktivität historischer Erzählung macht Geschichtsbilder wie diejenigen Schänbergs zum dankbaren Gegenstand diskursanalytischer Kritik. Das musikhistorische Interesse hat sich - oft gerade dort, wo ein kul turtheoretischer Anspruch besteht - auf scheinbar randständige, vom »master narrative« vernachlässigte oder ausgeschlossene Phänomene verlagert, auf Querverbindungen zur Alltags- und populären Kultur, auf »andere Wege« der Modetne und Musikgeschichte abseits vermeintlicher Zentren.12 Diese Ansätze können sich in mancherlei Hinsicht auf Theodor W. Adorno berufen - entgegen der Annahme, der gegenwärtig vielgescholtene Adorno habe ein »einseitiges«, dogmatisches Fortschrittsideal verfochten. Die Philosophie der neuen Musik verhandelt den Antagonismus von Schänberg und Strawinsky bekanntlich unter dem Schema »Fortschritt« und »Reak tion«. Doch ist die Idee des Fortschritts bei Adorno - nach der in der Dia lektik der Aufklärung entwickelten Begrifflichkeit - zutiefst ambivalent: Die fortschreitende Materialbeherrschung, als deren Sinnbild die Zwälftontech nik erscheint, kehrt sich letztlich gegen die Freiheit des Subjekts, in deren Namen sie zunächst antrat (denn »keine Regel erweist sich als repressiver s. 1974, 502 f., aus dem Nachlaß abgedruckte Manuskript »Ein Text aus dem dritten Jahnausend«. 12 Vgl. aus methodologischer Perspektive Katherine Bergeron und Philip V. Bohlman (Hrsg.), Disciplining Music: Musicolog;; anti Its Canom, Chicago/London 1992; Lawrence Kramer, Classical Music and Postmodern Knowledge, Berkeley u.a. 1995; Marcia Citron, Gender and thc Musical Canon; zuletzt Anselm Gerhard, »>Kanon( in der Musik geschichtsSchreibung«, in: Archiv fitr Musikwissemchaft 57 (2000), S. 18-30. 12 Andreas Meyer I Ullrich Scheideler denn die selbstgesetzte«13). Darum ist die Schrift nur bedingt als eine Apolo gie Schönbergs anzusehen, wenngleich die Sympathien klar verteilt sind. Eine erstaunliche Passage in den Minima moralia wendet sich ausdrücklich gegen die »unselige Geradlinigkeit« historischer Erzählung und schließt zu stimmend an Walter Benjamins Feststellung an, die Geschichte sei »bislang vom Standpunkt des Siegers geschrieben worden und müsse von dem der Besiegten aus geschrieben werden«.14 Alle Aufmerksamkeit der Theorie ver diene das »Quere, Undurchsichtige, Unerfaßte«, das »der historischen Dy namik ein Schnäppchen« schlug. Einmal mehr nennt Adorno Beispiele aus der Kunst, darunter - als hätte ihm die »New Musicology« der neunziger Jahre die Feder geführt - die Klavierstücke Saties, in denen »Erfahrungen auf[blitzen], von denen die Konsequenz der Schönbergschule, hinter der alles Pathos der musikalischen Entwicklung steht, nichts sich träumen läßt«.15 In der postmodernen Kritik an der »Siegergeschichte« wirkt der seit Mitte der zwanziger Jahre mit wechselnder Intensität ausgefochtene Richtungsstreit zwischen Schönbergschule und Strawinsky-Lager mitunter nach. So schwingt in Richard Taruskins Polemik gegen eine Geschichtsschreibung, die sich Anton Weberns Bild vom »Weg zur neuen Musik« unkritisch zueigen ma chel6, unüberhörbar Bedauern darüber mit, daß der allgemeine Enthusias mus über die Reihentechnik nach 1945 auch vor Strawinsky - dem »kleinen Modernsky«17 der Schönbergschen Chorsatiren op. 28 - nicht halt machte. Seine Kritik, die zunächst auf die »akademische« Nachkriegsgeschichts schreibung abzielt und Komponisten wie Pierre Boulez und Milton Babbitt einschließt, macht zugleich deutlich, daß die Kritik an Schönberg heute zumeist auch die an seinen bekanntesten »Nachfolgern« und Exegeten ist: 13 Theodor w. Adorno, Philosophie der neuen Musik (Gesammelte Schriften 12), Frankfurt a.M. 21990, S. 69. 14 Theodor W. Adorno, Minima mora/ia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben (Gesam melte Schriften 4), Frankfurt a.M. 1980, S. 170 f. 15 Ebd. 16 Anton Webern, Weg zur neuen Musik, hrsg. von Willi Reich, Wien 1960; Taruskin spricht von einem »old sectarian viewpoint« (»Revising Revision«, in: Journal 01 the American Musicological Society 46 [1993], S. 114-138, hier S. 132), dessen Fortschrei bung er konkret Joseph N. Straus (Remaking the Past: Musical Modernism and the Influ ence ofthe Tonal Tradition, CambridgelLondon 1990) anlastet. 17 So Schönbergs boshafte Charakterisierung im Text der zweiten »Satire«: »Ja wer tommerlt denn da? Das ist ja der kleine Modernsky! Hat sich ein Bubizopf schneiden lassen; echt falsches Haar! Wie eine Perücke! Ganz (wie sich ihn der kleine Modernsky vorstellt), ganz der Papa Bach!«

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