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Autonome Gesellschaft und Libertäre Demokratie PDF

359 Pages·1990·8.282 MB·German
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es I 573 edition suhrkamp Neue Folge Band 573 Der vorliegende Band macht eine Auswahl der wichtigsten Arbeiten von Cornelius Castoriadis, Marcel Gauchet und Claude Lefort zum Problem der Demokratie in deutscher Übersetzung zugänglich. Dabei wird in den ersten Beiträgen die geschichtliche Erfahrung des Totalitarismus als Aus gangspunkt für einen neuen Zugang zur Demokratietheorie thematisiert. In den folgenden Texten konzentriert sich die Argumentation auf die zen trale Bedeutung einer autonomen »civil society« und deren unaufhebbare Konflikthaftigkeit für die politische Formbestimmung der »civil society« als Demokratie. In einer dritten Gruppe von Beiträgen arbeitet Cornelius Castoriadis seine Vorstellung von der dezentralen und unmittelbaren Teil habe aller an der Macht in einer demokratisch verfaßten »civil society« her aus; Claude Lefort entwickelt seine zentrale These, daß im symbolischen Dispositiv der Demokratie die Stelle der Macht leer bleibt und demokrati sche Politik sich genuin als symbolische Praxis realisiert. Ulrich Rödel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialfor schung in Frankfurt!Main. Autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie Herausgegeben von Ulrich Rödel Aus dem Französischen von Kathrina M enke Suhrkamp edition suhrkamp 15 73 Neue Folge Band 573 Erste Auflage 1990 ©der deutschen ÜbersetzungSuhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1990 Deutsche Erstausgabe Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Drucknachweise am Ende dieses Bandes Satz: Leingärmer, Nahburg Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Umschlagentwurf: Willy Fleckhaus Printed in Germany I 2 3 4 5 6 - 95 94 93 92 91 90 Inhalt Ulrich Rödel Einleitung 7 I. Claude Lefort Vorwort zu Elements d'une critique de Ia bureaucratie 30 II. Cornelius Castoriadis Das Gebot der Revolution 54 III. Claude Lefort/Marcel Gauchet Über die Demokratie: Das Politische und die lnstituierung des Gesellschaftlichen 89 IV. Marcel Gauchet Tocqueville, Amerika und wir Über die Entstehung der demokratischen Gesellschaften I 2 3 V. Marcel Gauchet Die totalitäre Erfahrung und das Denken des Politischen 207 VI. Claude Lefort Menschenrechte und Politik 239 VII. Claude Lefort Die Frage der Demokratie 28 I VIII. Cornelius Castoriadis Die griechische polis und die Schaffung der Demokratie 298 IX. Cornelius Castoriadis Sozialismus und autonome Gesellschaft 329 Nachweise 358 Einleitung I. Die Diskussion um Theorie und Praxis der Demokratie ist in den letzten Jahren in Bewegung geraten. In dem bereits erschienenen Essay Die demokratische Frage1 haben wir diese Debatte aufge griffen und weiterzutreiben versucht. Die in diesem Band edier ten Texte sind auch als Ergänzung zu diesem Essay gedacht. Darüber hinaus sollen sie einen Zugang gerade zu den Autoren er möglichen, die in diesem Kontext hierzulande relativ unbekannt sind. Das gilt sicherlich nicht für das Buch von Harrnah Arendt Über die Revolution, das seit langem in deutscher Übersetzung verfügbar ist. 2 Auch nicht für Cornelius Castoriadis. 3 Die Namen von Claude Lefort und seines früheren Mitarbeiters Marcel Gauchet jedoch sind im deutschen Diskussionszusammenhang über Demokratie- und Totalitarismustheorie bislang unbekannt und unerwähnt geblieben. 4 Im angelsächsischen Sprachbereich haben alle drei Autoren dagegen als Kritiker des herrschenden französischen theoretischen und politischen Diskurses5 Beachtung gefunden. Die hier vorgelegte Auswahl von Texten kann natürlich nicht über das gesamte Spektrum der Arbeiten der drei Autoren einen Überblick verschaffen. Vielmehr will sie deren zentrale demokra tietheoretische Argumente präsentieren und so dem deutschen Le ser zugänglich machen. II. Die in der Bundesrepublik ausgebliebene Rezeption der politisch philosophischen und demokratietheoretischen Untersuchungen von Castoriadis, Gauchet und Lefort dürfte unter anderem mit der konstitutiven Bedeutung zusammenhängen, die diese Autoren einem spezifischen historisch-praktischen Erfahrungszusammen hang für die Entstehung und Ausarbeitung ihrer eigenen theore tischen Positionen explizit beimessen. Eine solche Aussage ist, soweit es sich nicht um den Bezugsrahmen kapitalistischer Produk- 7 tionsverhältnisse handelt, in den Augen bundesrepublikanischer Wissenschaftler und selbsternannter kritischer oder linker Intel lektueller das Eingeständnis von Relativismus und mangelnder Objektivität der in einem solchen Kontext gewonnenen Analy sen von Ideologien, politischen Institutionen, Herrschaftssyste men und gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen. Dabei bleibt bundesrepublikanischen Intellektuellen und Wissen schaftlern jedoch meist verborgen, daß ihre eigenen Analysen nur verdrängende Reflexe auf denselben historisch-praktischen Erfahrungszusammenhang sind, auf den Castoriadis, Gauchet und Lefort sich bewußt beziehen. Es ist die Entstehung des ge schichtlich Neuen der totalitären Herrschaftssysteme in Gestalt des Nationalsozialismus und Stalinismus und das Bewußtwer den der riskanten Instabilität der Demokratie, die in der Säkula risierung der Legitimitätsgrundlagen der Macht und des Rechts begründet ist. Sowohl Castoriadis als auch Lefort6 gehörten der trotzkisti schen Bewegung seit ihrer Jugend an. Im Frankreich der Nach kriegszeit waren sie einerseits mit den Bemühungen konfrontiert, ungeachtet der Kollaboration mit den Nationalsozialisten und der politischen Erfahrungen der Resistance, kapitalistische Produk tionsverhältnisse zu stabilisieren und überkommene republikani sche Institutionen zu restaurieren. Andererseits wurden sie Zeu gen, wie eine moskauhörige französische kommunistische Partei den gesellschaftlichen Widerstand gegen diese Restaurationsbe strebungen bürokratisch organisierte und so disziplinierte und jede kritische Diskussion über das sowjetische Herrschaftssystem, dessen angeblichen Vorbildcharakter und von dessen imperialisti scher Politik in Ost-und Mitteleuropa zu unterdrücken und den Monopolanspruch der kommunistischen Ideologie in der linken Öffentlichkeit durchzusetzen versuchte. 7 Den beiden jungen Ak tivisten der Vierten Internationale wurde jedoch in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre auch klar, daß die trotzkistischen Theo reme vom degenerierten Arbeiterstaat und vom bonapartistischen Charakter der Führung der kommunistischen Partei in der Sowjet union, daß die trotzkistische Verteidigung der vorgeblich revolutio nären Errungenschaften der Verstaatlichung der Produktionsmittel und der zentralen Planwirtschaft und des Führungsanspruchs der kommunistischen Partei auf denselben kritikwürdigen und unhaltbaren theoretischen Grundlagen beruhte wie die herr- 8 schaftslegitimierende Ideologie der sowjetischen Partei- und Staatsbürokratie und ihrer westeuropäischen Statthalter. So gerie ten Castoriadis und Lefort in den ersten Jahren nach Kriegsende in deutlichen Gegensatz zur Politik der Vierten Internationale. Ent sprechend ihren theoretischen Grundpositionen unterstützte diese die Machtergreifungen der kommunistischen Parteien in Ost europa und schlug sich in der sich herausbildenden Konstellation des Kalten Kriegs auf die Seite der kommunistischen Bürokratien in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten, also der Bürokra tien, die vermeintlich für die Verteidigung der genannten Errungen schaften standen. Diese Auseinandersetzung führte 1948 zum Austritt aus der Vierten Internationale und zur Gründung der Gruppe >>Socialisme ou Barbarie«, die im März 1949 die erste Nummer der Zeitschrift gleichen Namens herausgab. 8 Die Aufdeckung der terroristischen Herrschaftspraktiken in der Sowjetunion9, die Konsolidierung der Gewaltherrschaft der kom munistischen Parteien in Osteuropa nach sowjetischem Vorbild, der Koreakrieg, der Arbeiteraufstand in der DDR, der Ausbruch des Algerienkriegs, der 20. Parteitag, die Ereignisse in Polen im Jahre 1956 und die militärische Niederschlagung der Ungarischen Revolution im gleichen Jahr sowie die Haltung der französischen kommunistischen Partei und der Mehrzahl der progressiven Intel lektuellen zu diesen Ereignissen waren der geschichtliche Erfah rungshintergrund10 für die vor allem von Castoriadis und Le fort im Rahmen der Gruppe und ihrer Zeitschrift erarbeiteten theoretischen und politischen Positionen. 11 Aus der Kritik an der trotzkistischen Einschätzung der Sowjet union als einem degenerierten Arbeiterstaat wurde eine neue Kon zeption des Totalitarismus entwickelt. Dabei handelt es sich nicht nur um ein neues Herrschaftssystem, sondern tendenziell um eine neue Gesellschaftsformation, deren Funktionsweise und Krisen anfälligkeit von der politischen Form bürokratischer Herrschaft abhängt, wobei das Interesse der Partei- und Staatsbürokratie als Klasse durch die zentralisierte und staatlich monopolisierte Verfü gung über die Produktionsmittel bestimmt ist. 12 Die Entstehung einer solchen totalitären Gesellschaftsformation aus der terrori stischen Gewaltherrschaft der bürokratisierten proletarischen Avantgarde-Partei ließ für Castoriadis und Lefort die Vorstellung von der Möglichkeit einer gewaltsamen Revolution und der revo lutionären Rolle des Proletariats zweifelhaft erscheinen. Und die- 9

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