ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN NATUR-, INGENIEUR- UND GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN 157. SITZUNG AM 7. DEZEMBER 1966 IN DüSSELDORF ARBEITSGEMEINSCHAFT FÜR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN NATUR-, INGENIEUR- UND GESELLSCHAFTSWISSENSCHAFTEN HEFT 170 JOHN FLAVELL COALES Automation und Computer in der Industrie LUDWIG PACK Raumzuordnung und Raumform von Büro- und Fabrikgebäuden HERAUSGEGEBEN IM AUFTRAGE DES MINISTERPRÄSIDENTEN HEINZ KüHN VON STAATSSEKRETÄR PROFESSOR Dr. h. c. Dr. E. h. LEO BRANDT JOHN FLAVELL COALES Automation und Computer in der Industrie LUDWIG PACK Raumzuordnung und Raumform von Büro- und Fabrikgebäuden SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-663-00418-9 ISBN 978-3-663-02331-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-02331-9 © 1967 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen 1967 INHALT John Flave!l eoales, Cambridge (England) Automation und Computer in der Industrie 7 Diskussionsbeiträge Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt; Profes sor Dr. sc. pol., Dr. h. c. Walther G. Hoffmann; Professor Dr.-Ing., Dr. h. c. Herwart OpitZ; Dipl.-Ing. Wilhelm Reulecke; Staatsminister a. D. Dipl.-Ing. Gerhard Kienbaum; Professor Dr.-Ing. Wilhelm Fucks 35 Ludwig Pack, Münster (Westf.) Raumzuordnung und Raumform von Büro- und Fabrikgebäuden .. 45 Diskussionsbeiträge Staatsminister a. D. Dipl.-Ing. Gerhard Kienbaum; Professor Dr. rer. oec. Ludwig Pack; Dr. rer. pol. FranzPetzold; Hertltann-josefWerhahn; Professor Dr. rer. nato Günther Otto Schenck; Staatssekretär Professor Dr. h. c., Dr.-Ing. E. h. Leo Brandt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 67 Automation und Computer in der Industrie Von John Flazlell eoales, Cambridge (England) Zunächst darf ich Ihnen gegenüber zum Ausdruck bringen, daß ich es als eine große Ehre, die auch für mein Land gilt, ansehe, daß Sie mich heute hierher eingeladen haben, um zu Ihnen zu sprechen. Ich hoffe sehr, daß das, was ich Ihnen zu sagen habe, Ihr Interesse finden wird. Aber ich habe auch einige Bedenken, zu Ihnen zu sprechen, denn ich komme mir ein wenig so vor, als ob ich Kohlen nach Newcastle bringe. Ich bin sicher, daß Sie alle, die Sie hier versammelt sind, wesentlich mehr über Automation wissen als ich selber. Ich möchte mit einem Zitat aus dem Buch "Alice through the looking glass" beginnen, einem berühmten Buch, das in England von Lewis Carroll, einem Mathematiker, abgefaßt wurde, das aber als ein Kinderbuch gedacht ist: "Schnell, schnell!" rief die Königin, "schneller, noch schneller!" Es ging so schnell, daß Alice durch die Luft zu fliegen schien, ohne den Boden zu berühren, so daß sie, als sie sich schließlich ganz erschöpft auf dem Boden sitzend fand, völlig außer Atem und ganz schwindelig war. Die Königin lehnte sie gegen einen Baum und sagte sehr freundlich zu ihr: "Jetzt darfst du dich ein wenig ausruhen!" Alice sah sich um, war sehr überrascht und sagte dann: "Aber das ist doch unmöglich, ich habe den Eindruck, daß wir die ganze Zeit unter diesem Baum verbracht haben, alles ist genauso wie früher." "Selbstverständlich", sagte die Königin, "was hast du denn erwartet?" "In unserem Land", sagte Alice, die immer noch außer Atem war, "kommt man schließlich irgendwo anders an, wenn man sehr lange sehr schnell gelaufen ist, so wie wir es jetzt getan haben." "Das ist aber ein langsames Land", sagte die Königin, "denn in diesem Land, in dem du dich hier befindest, muß man so schnell laufen, wie man nur irgend kann, um am selben Ort zu bleiben; und wenn du woanders hinkommen willst, dann mußt du mindestens doppelt so schnell laufen, wie du jetzt eben gelaufen bist." Ich weiß nicht, wie das in Nordrhein-Westfalen ist. Aber in Groß britannien stehen wir im Augenblick unter dem Eindruck, den Sie aus dieser kurzen Geschichte gewinnen können. 8 John Flavell Coales Nun mächte ich Sie zurückführen in die Zeit vor etwa zehn Jahren, weil im Jahre 1955 die erste Konferenz über Automation in Großbritannien stattgefunden hat; sie hieß: "Automatische Fabrik - was bedeutet das?". 1955 träumten wir von vollautomatischen Fabriken, in denen alle Mühsal von Maschinen übernommen werden sollte, und die meisten von uns sich so reichlicher Freizeit erfreuen würden, daß wir nicht wüßten, was wir damit anfangen sollten. Heute, mehr als zehn Jahre später, scheinen wir immer noch mindestens zehn Jahre von der vollautomatischen Fabrik entfernt zu sein. Wir arbeiten im übrigen fast genauso viele Stunden in der Woche wie 1955 - einige von uns arbeiten anscheinend noch mehr als damals -, und aus unerklärlichen Gründen müssen wir, wie die Königin und Alice, sogar immer schneller laufen, um überhaupt mitzukommen. Manchmal hat man tatsächlich den Eindruck, daß alle Schwerarbeit von gestern dem vorzuziehen wäre. Obwohl unsere Träume von den Feldern Elysiums - umgeben von vollautomatisierten Fabriken - inzwischen zerbrochen sind, heißt das nicht, daß wir in diesen elf Jahren keine Fortschritte in Richtung auf das zu erwartende dritte Jahrtausend gemacht hätten. Was vielleicht noch wich tiger ist, ist die Tatsache, daß das Jahr 1965 ein sehr wichtiger Markstein auf diesem Wege war, weil wir zum erstenmal den Erfolg erlebten, daß ein Werk der Industrie, gesteuert von einem Computer, das Optimum seiner Leistung erreichte. 1955 gingen uns die dynamischen Faktoren der Ver fahren noch nicht viel an, sondern wir befaßten uns fast ausschließlich mit dem, was ich als festgelegte Verfahren bezeichne. Immerhin gilt als Maßstab für die in den letzten zehn Jahren gemachten Fortschritte, wenn wir es heute für fast selbstverständlich halten, daß jedes festgelegte Verfahren maschinell ausgeführt werden kann, sofern das wirtschaftlich gerechtfertigt ist. Wir sehen der Möglichkeit entgegen, unsere Maschinen und Prozesse so zu steuern, daß sie in der wirtschaftlichsten Weise funktionieren und automatisch so angepaßt sind, daß sie nicht nur dem Verschleiß und unkontrollierbaren Veränderungen im Rohmaterial Rechnung tragen, son dern auch - in Grenzen - dem Wechsel der Ansprüche, welche die Erfor dernisse des Marktes an das Produkt stellen. Das nenne ich optimierte Verfahren, die stets dynamische Steuerung einschließen, wogegen fest gelegte Verfahren im allgemeinen nur eine statische Steuerung enthalten - es sei denn, es handelt sich um einzelne Vorgänge, welche eine lokale Steuerung erfordern, um sie auf den festgelegten Werten konstant zu halten. Diese Konzeption von Optimierung hat die Grenzen unserer Vorstel lungen enorm ausgeweitet, und wir stellen uns nun eine automatische Automation und Computer in der Industrie 9 Unternehmensführung vor, die viele automatisierte Fabriken umfaßt, welche, wenn schon nicht dynamisch, zumindest doch so fest geplant gesteuert werden, daß sie so rentabel wie möglich sind. Bevor ich fortfahre, möchte ich noch erklären, was unter Automation zu verstehen ist, wobei ich eine restriktive Definition sorgsam vermeiden möchte. Das ist wichtig, weil es viele technologische Fortschritte gibt, die vorgeben, nichts mit Automation zu tun zu haben, die aber doch für eine fortschreitende Anwendung von Automation wesentlich sind oder in den Problemkreis hineingehören. Ein gutes Beispiel dafür ist das Fließglas verfahren, <:las Pilkington Bros. entwickelt hat, und das die für die Her stellung von Glasplatten erforderlichen Arbeitskräfte um 90 Prozent reduzierte. Ist das Automation, oder ist das keine? Das ist ganz gewiß Automation, eine spektakuläre Reduktion von Arbeitskräften war die Folge; jedoch handelt es sich hier um einen chemischen Prozeß, der von Glastechnologen entwickelt wurde. Andererseits sind die Auswirkungen auf die Industrie und die sich ergebende Problematik genau dieselben, wie sie sich aus offensichtlicher Anwendung von Automation ergeben; deshalb sollte man unter dem Gesichtspunkt der Wirkung solcher technischer Fort schritte innerhalb der betreffenden Industrien auch diese am besten unter dem Aspekt der Automation betrachten. Die Abb. 1 ist ein Versuch, aufzuzeigen, wie nach meiner Meinung ein Industrieunternehmen vorgehen sollte. Das ist natürlich sehr generell gemeint. Das Endziel industrieller Aktivität ist selbstverständlich der Vertrieb; doch obgleich in den letzten Jahren sehr rasche Entwicklungen im automatisierten Verkauf, in Verbindung mit automatisierter Lagerhal tung und automatisierter Verteilung stattgefunden haben - was natürlich zur Folge hatte, daß die Arbeitskräfte im Vertrieb wesentlich reduziert werden konnten -, kann man sich eine automatisierte Vertriebsförderung immer noch nicht vorstellen. Noch kann man sich Automation in den ver schiedenen Zweigen der Forschung vorstellen, die notwendig ist, bevor der Entwurf des Erzeugnisses und die Arbeit im Werk beginnen können; dennoch können Computer in der Forschung eine sehr große Rolle spielen, und sie tun es auch. Es folgt aber aus obigem, daß Automation hauptsäch lich die Tätigkeiten betrifft, die nach allgemeinen Begriffen als Fabrikations prozesse, allgemeine Verwaltung und Kontrolle bezeichnet werden. Zwischen Forschung und Fabrikation stehen immer Entwürfe des Pro duktes und der Fertigungseinrichtung als notwendige Aufgaben. Auf diesen Gebieten dürfen wir in den nächsten Jahren geradezu revolutionäre Veränderungen erwarten. Im Jahre 1955 hielt D. N. Williamson über die numerische Steuerung von Werkzeugmaschinen einen Vortrag. Elf Jahre 10 John Flavell Coales später ist die Zahl numerisch gesteuerter Werkzeugmaschinen in Groß britannien immer noch verhältnismäßig klein, und sie nimmt lächerlich langsam zu. Schätzungsweise wurden in Großbritannien nicht mehr als 700 Arbeitskräfte im Jahre 1965 durch numerische Steuerung ersetzt, obwohl es schon genügend Nachweise gegeben hat, daß etwa zehn Prozent der Arbeitskräfte - von 2,5 Millionen - an Maschinen durch numerische Steuerung ersetzt werden könnten, doch bei dem augenblicklichen Ver hältnis würde das 350 Jahre dauern. Die Technik steht jedoch nicht still, und zur Zeit werden rapide Fortschritte in der Anwendung von Computern aller Arten gemacht - für maschinelle Fertigung wie für den Entwurf von Produkten; es ist zu erwarten, daß es sich innerhalb der nächsten zehn Jahre als möglich erweisen wird, mit dem Computer ein Produkt derart zu entwerfen, daß die Teilstücke und die Montage in numerischer Form spezifiziert werden können, jeweils eingegeben in einen Komplex mitein ander verbundener automatischer Maschinen, wodurch der konventionelle Arbeitsprozeß völlig eliminiert wird. So erwarten wir, daß wir Entwurf wie Fabrikation werden automatisieren können. Es sei nicht vergessen, daß lineare Programmierung und moderne Optimierungstheorie sowohl auf den Entwurf der Anlage und die Fabri kationsprozesse als auch auf ihre Steuerung angewandt werden können, weshalb wir letzten Endes erwarten können, daß unsere Fabriken eines Tages sowohl optimal entworfen als auch optimal gesteuert sein werden. Außerdem werden die Computer selbstverständlich in immer steigendem Maße die Wirksamkeit aller Forschungszweige beschleunigen und erwei tern; mit diesem Aspekt ihrer Anwendung wollen wir uns in der heutigen Sitzung jedoch nicht befassen. Vielmehr möchte ich mich jetzt mit den Verfahren im Mittelfeld von Abb. 1 beschäftigen. In allen Industrien gibt es eine Anzahl klar umrissener Arbeitsgänge, die wie folgt klassifiziert werden können: 1. Bestellung und Ordnen von Rohmaterial; 2. Transport von Materialien, ferner von Teilstücken, Montageteilen und Endprodukten ; 3. Fabrikationsprozesse; 4. Zuschneideeinrichtungen ; 5. Montage der Teilstücke und Baugruppen; 6. Kontrolle und Prüfung von Rohmaterial, Teilstücken, Montageteilen und Endprodukten ; 7 . Verpackung und Verteilung; 8. Rechnungswesen;