B. J. M. Diehl Autogenes Training und gestufte Aktivhypnose Psychophysiologische Aspekte Ein Leitfaden fiir Arzte, Zahnarzte und Psychologen Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo Bernhard J. M. Diehl Buchenweg 39 6500 Mainz 1 Die Umschlagabbildungwurde entnommen aus der Arbeit "Objektivierung hynpnotischer Zustiinde", Polzien, P., Praxis Psychother. 6: 218-221 (1961) ISBN-13: 978-3-540-17896-5 e-ISBN-13: 978-3-642-72742-9 DOl: 10.1007/978-3-642-72742-9 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfiiltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfiiltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland yom 9. September 1965 in der Fassung yom 24. Juni 1985 zuliissig. Sie ist grundsiitzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmun gen des Urheberrechtsgesetzes. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1987 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Produkthaftung: Fiir Angaben iiber Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann yom Verlag keine Gewiihr iibernommen werden. Derartige Angaben miissen yom jeweiligen Anwen der im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit iiberpriift werden. 2119/3140/543210 Vorwort Seit mehreren Jahrzehnten ist das auto gene Training (AT) fester Bestandteil psycho therapeutischer Interventionen im ambulanten wie im klinischen Bereich, in Kurkli niken, Rehabilitationszentren und nicht zuletzt in der Gesundheitsvorsorge, wie sie in diesem Bereich durch Volkshochschulen, Volksbildungswerke und Privatinitiativen praktiziert wird. 1m Vorwort zur ersten Auflage seines Buches Das autogene Training schreibt sein Begriinder J. H. Schultz im Friihjahr 1932: "Ausdriicklich gewarnt seien Laienleser vor Selbst-oder Fremdversuchen ohne arztliche Kontrolle; nach innerem Wesen eine Hirnumschaltung erfordert das auto gene Training in jedem FaIle der arztlichen Aufsicht." 1m Herbst 1969, also 37 Jahre spater, schreibtJ. H. Schultz im Vorwort zur 13. Auflage desselben Buches - offensichtlich besorgt: "Mit dem allgemeineren Bekanntwerden des Verfahrens haben sich leider auch Kurpfuscher seiner bemach tigt ... "Mit dieser kritischen Bemerkung sind sicher nicht diejenigen gemeint, die sich um die wissenschaftlich gesicherte Weiterentwicklung des AT in Klinik und Praxis bemiiht haben, wie beispielsweise H. Binder, D. Langen, W. Luthe, D. MiiIler Hegemann, K. Thomas und E. Wiesenhiitter, um nur einige zu nennen, oder diejeni gen, welche sich insbesondere um die Entwicklung des AT fUr Kinder verdient gemacht haben, wie z. B. D. Diesing, G. Eberlein oder W. Kruse. Es sind der geisteswissenschaftliche Hintergrund des AT und die Urspriinge des Verfahrens (nach D. Langen bis in die archaische Exstase der Urvolker zuriickver folgbar), die Kontroversen, Ideologisierungen, Mystifizierungen und somit MiB brauch und Entartung Tiir und Tor offnen. Dies geschieht auf Kosten der Prazision der Unterweisung, der Sinnhaftigkeit der selektiven Anwendung und der Effizienz der therapeutischen Intervention. Hierunter leiden aber auch die klinischen und experimentellen Befunde, die - obgleich von wesentlicher praktischer Bedeutung allzu oft yom verbalen Nimbus pseudowissenschaftlicher Formulierungsakrobatik erstickt werden und so dem Interessierten verschlossen bleiben. Ich habe es mir deshalb zum Ziel gesetzt, die bisher vorhandene Literatur durch dieses Buch zu erweitern; ich habe hierzu eine Vielzahl von bisher unver6ffentlichten Befunden zusammengetragen, geordnet und so darzustellen versucht, daB auch - und gerade - der Nichtmediziner in der Lage ist, die praxisrelevanten Inhalte nachzuvoll ziehen und entsprechend umzusetzen. Dabei habe ich gleichzeitig darauf geachtet, daB die wissenschaftliche Prazision keinen Schaden leidet. Somit ist auch der nichtarztliche AT-Trainer angesprochen, im Interesse seiner Patienten bzw. Klienten alles Erdenkliche zu tun, was der Verwasserung des Verfah rens entgegenwirkt. Mainz, im Mai 1987 B. J. M. Diehl Inhaltsverzeichnis Thermometrische und thermoregulatorische Basisstudien ............. 1 Veriinderungen der Korpertemperatur durch zirkadiane Schwankungen und Thermalbader. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Beeinflussung der peripheren Warmetransportzahl durch Thermalbader. . . 7 Beeinflussung der zerebralen Durchblutung durch Thermalbader . . . . . . . 14 Physiologische Aspekte des autogenen Trainings . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 17 Beeinflussung der peripheren Warmetransportzahl durch autogenes Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 EinfluB von Biofeedback und autogenem Training auf die muskulare Entspannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Zirkadiane Schwankungen der Hauttemperatur und deren Veranderung wahrend des autogenen Trainings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 EinfluB von autogenem Training durch Bhastrika-PraJ;layama auf die Flimmerverschmelzungsfrequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 59 Beeinflussung der Atmung und des Herz-Kreislauf-Systems durch autogenes Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 64 Vergleich zwischen autosuggestiver und heterosuggestiver Vermittlung des autogenen Trainings bei Kindem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 66 Physiologische Aspekte der gestuften Aktivhypnose . . . . . . . . . . . . . . . .. 74 Geisteswissenschaftliche Hintergrunde der "zweigleisigen Psychotherapie" . 74 Methodik der gestuften Aktivhypnose ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 77 Vergleich der Warmetransportzahl wahrend autogenem Training und gestufter Aktivhypnose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 77 Verhalten der Warmetransportzahl wahrend autogenem Training bzw. Heterohypnose bei niedriger Umgebungstemperatur . . . . . . . . . . . . 81 Verhalten der Warmetransportzahl wahrend des Versenkungszustands im autogenen Training bzw. bei gestufter Aktivhypnose . . . . . . . . . . . . . .. 86 Veranderungen mehrerer physiologischer Parameter wahrend der gestuften Aktivhypnose. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 VII Psychologische und psychopathometrische Gesichtspunkte des autogenen Trainings und der Hypnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 98 Suggestibilitat und Eignung zum autogenen Training . . . . . . . . . . . . . . . 98 Suggestibilitat und Hypnotisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 100 Konstitutionelle Faktoren und die Erlembarkeit des autogenen Trainings .. 102 Bedeutung von 'Obertragungsphanomenen beim Erlemen des autogenen Trainings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 108 Bestimmende Faktoren fUr den Trainingserfolg in AT-Kursen . an Volkshochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109 Personlichkeitsspezifische Faktoren beim Erfolg im autogenen Training . .. 114 Pradiktoren und Indikatoren fUr das autogene Training. . . . . . . . . . . . .. 118 Schmerz-und Hypnosuggestivtherapie in der zahniirztlichen Praxis. . . . . . .. 127 "Psychosomatische Pramedikation" in der zahnarztlichen Praxis . . . . . . .. 127 Anwendung der Hypnosuggestivtherapie in der zahnarztlichen Praxis. . . .. 129 Effektivitat der Hypnosuggestivtherapie in der zahniirztlichen Praxis . . . .. 133 In memoriam Prof. Dr. med. Dietrich Langen (t 20. Miirz 1980) . . . . . . . . .. 138 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 141 VIII Thermometrische und thermoregulatorische Basisstudien Verinderungen der Korpertemperatur durch zirkadiane Schwankungen ond Thermalbader Unter der wissenschaftlichen Prokura von Dietrich Langen, dem ehemaligen Ordina rius der Klinik und Poliklinik fUr Psychotherapie der Johannes Gutenberg-Universi Hit Mainz, entstanden in den Jahren 1965-1980 eine Reihe interessanter Arbeiten, die einen wesentlichen Beitrag zum Verstiindnis des autogenen Trainings erbracht haben, wenngleich sie nur einem kleinen Teil wissenschaftlich Interessierter zugang lich geblieben sind. Die ersten Arbeiten entstanden zu einer Zeit, als Langen noch Oberarzt in der Eberhard Karl-Universitiit in Tiibingen war und demzufolge in seinen psychophysiologischen Denkansiitzen noch starke Priigung durch die Kretschmersche Typologie erfuhr. So befaBt sich die Untersuchung von Flaskamp (1965) nicht nur mit dem Tagesverlauf der Korpertemperatur organisch gesunder Patienten einer psychotherapeutischen Abteilung, sondem demonstriert zumindest in Ansiitzen Unterschiede dieser Tagesverlaufskurven in Anlehnung an die Kretsch mersche Typenlehre, die im wesentlichen einen leptosomen, einen athletischen und einen pyknischen Typ unterscheiden liillt. In Abb. 1 sind die Basisdaten der Rektaltemperatur von 20 Versuchspersonen (Vpn) iiber einen Beobachtungszeitraum von 24 h dargestellt; als MeBinstrument diente ein Sekundenthermometer mit einer 13 cm tief in der Ampulla recti liegenden Sonde, die wiihrend des gesamten Beobachtungszeitraurns liegen blieb. Die Messung erfolgte in einstiindigem Abstand; die Vpn befanden sich in Bettruhe und erhielten um 7.30 Uhr, urn 11.30 Uhr und um 18.00 Uhr ihre Nahrung. Die Abbildungen 2 a -c enthalten die Aufschliisselung beziiglich charakteristischer Typen, wobei deutlich wird (Abb. 2a), daB die zirkadianen Tagesschwankungen bei pyknischen Vpn nicht nur hOhere Maxima und tiefere Minima erkennen lassen, sondem auch gleichsinniger verlaufen als die zirkadianen Temperaturschwankungen vorwiegend athletischer oder leptosomer Vpn (Abb. 2b, c). Die unterschiedliche Reaktionsweise wird damit erkliirt, daB Pykniker neben einem stiirkeren Fettpolster auch einen stiirkeren Sympathotonus aufweisen, wiihrend Leptosome und Athleti ker, deren Fettpolster gering bis minimal sind, nach Meinung von I<retschmer (1967, 11940) eher vagoton, also parasympathisch eingestellt sind. So fiigt sich dieses physio logische Unterscheidungsmerkmal in die von Kretschmer formulierte Hypothese, nach der die Korperform nicht eine iiuBere Schale ist, sondem jedes einzelne kleinste 1 [·c] 8 10 12 14 16 18 20 22 24 I 2 4 8 9 [UhrJ Abb. 1. Zirkadiane Schwankungen der Rektaltemperatur; ...- -e. Mittel aus n = 20 (Reproduk tion) Formelement des Korpers eine Spiegelung oder den plastischen Ausdruck innerer Funktionen darstellt. 1m experimentellen Tell seiner Arbeit untersucht Flaskamp dann die Reaktion der Korpertemperatur in Ruhe und bei einer Raumtemperatur von 22 °e unter den Bedingungen eines Thermalbades, einmal bei der sog. Indifferenztemperatur des Wassers von 35,5 °e, dann bei einer Wassertemperatur von 38 °e (hyperthermes Bad) und bei einer solchen von 33 °e (hypothermes Bad); die Dauer des Bades betrug jeweils 30 min. In Abb. 3 sind die Befunde des Indifferenzbades der einzelnen Personen sowie das Mittel aus allen Einzeldaten dargestellt. Wahrend des 30 min dauernden Aufenthalts im Bad von 35,5 °e Wassertemperatur blieb die Rektaltemperatur bei 8 der 10 gemessenen Vpn unverandert, bei 2 Vpn war eine abfallende Tendenz von bis zu 0,3 °e zu erkennen. Nach dem Bad war bei allen Vpn eine geringfiigige Temperatur schwankung wahrend der Lageveranderung zu beobachten, welche sich allerdings nach 5 min auf dem Ruhebett wieder ausgeglichen hatte. In einem Zeitraum von 10-30 min nach dem Bad kam es bei 7 Vpn wahrend der· Liegedauer auf dem Ruhebett zu einem Temperaturanstieg von 0,05-0,25 °e, welcher nach einer Dauer von 10 min wieder zuriickging. Eine Abhangigkeit von der Tagesperiodik lieB sich nicht feststellen, da Kontrollversuche zu verschiedenen Tageszeiten durchweg einen gleichartigen Verlauf aufwiesen. In der vergleichenden Erorterung der vorhandenen Literatur weist der Verfasser darauf hin, daB sich das Indifferenzbad auf den Gesamt organismus im Sinne einer Stoffwechselsteigerung bei gleichzeitiger Verminderung der Luftfiillung der Lunge auswirkt. Es kommt auBerdem zu einer Anregung des 2 C"C] vorwiegend pyknischeYp a) 37 vorwiegend athletischeVp 8 b) 6 vorwiegend leptosome vp 37 c) Abb.2a-c. Zirkadiane Schwan kungen der Rektaltemperatur, typologische Einzelfalldarstel lungen (a-c) (Reproduktion) 10 12 11. 16 18 20 22 21. 2 I. 6 8 [Uh~ [oc] 2 37 8 6 4 2 36 Ruhebett Baa Ruhebett i i i iii i I I [min] 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 Abb.3. Anderung der Rektaltemperatur in Abhiingigkeit yom thermoindifferenten Bad (35,5 0C); • • Mittel aus n = 10 (Reproduktion) 3 Hypophysen-Nebennierenrinden-Systems und zu einer allgemeinen Stoffwechsel labilisierung. Da eine tagesrhythmische VariabilWit ausgeschlossen werden kann, schlieBt der Verfasser, daB der beobachtete Temperaturanstieg nach dem Bad Folge erscheinung einer Stoffwechselsteigerung und Stoffwechsellabilisierung durch das Thermalbad ist. Bei der hyperthermen Badetemperatur von 38°C wurde beobachtet, daB bei allen Vpn die Rektaltemperatur urn 0,6-0,8 °C wahrend des 30miniitigen Bades anstieg (Abb. 4). Es dauerte bis zu 2 h bei der vorgegebenen Raumtemperatur von 22°C, bis die Rektaltemperatur wieder ihren Ausgangswert erreicht hatte. Konstitutionelle Unterschiede konnten lediglich aus den subjektiven Angaben abgeleitet werden. Leptosome wiesen eine starke SchweiBbildung auf, welche sich unmittelbar nach dem Beginn des Bades bemerkbar machte. Nach kurzer Zeit wurden Beschwerden wie Schwindel, Kopfschmerzen und Tachykardie angegeben. Pykniker konnten die Was sertemperatur von 38°C wesentlich besser ertragen, fiihlten sich wohler und zeigten erst relativ spat, nach ca. 15 min Aufenthalt im Wasser, SchweiBbildung auf der Stirn. Ein Anstieg der Pulsfrequenz war bei allen Vpn nachweisbar. Die subjektiv angege benen starkeren Beschwerden der Leptosomen lassen sich darauf zuriickfiihren, daB die Warme unmittelbar auf den Gesamtorganismus und den Korperkern einwirkt, wahrend Menschen mit ausgepragten Fettpolstern, wie etwa die Pykniker, eine "gewisse Isolierschicht zwischengeschaltet" haben. Ungeklart bleibt zunachst die Frage, warum es bis zu 2 h nach Beendigung des Bades dauert, bis der Korper unter konstanten Umgebungsbedingungen die iiberschiissige Warme wieder abgegeben hat. Hierfiir werden 2 mogliche Erklarungen angeboten: [oc] 38 8 6 4 37 8 6 4 36 l ~uhebiett I Bad Ruhebett I i i iii i I 10 20 30 40 SO 60 70 80 90 100 110 120 [ min] Abb.4. Anderung der Rektaltemperatur in Abhiingigkeit vom hyperthermen Bad (38,0 0C); • • Mittel aus n = 10 (Reproduktion) 4