Ausländische Mädchen in der Bundesrepublik Alltag und Biografie von Mädchen Band 12 Herausgegeben von der Sachverständigenkommission Sechster Jugendbericht Helga Krüger, Gerhild Frasch, Elfriede Bode, Dieter Baacke, Renata v. Ungern, Gabriele Naundorf. Redaktion: Winfried Krüger, Carola Möller, Marianne Weg Rita Rosen/ Gerd Stüwe Ausländische Mädchen in der Bundesrepublik Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1985 Die Autoren: Rita Rosen, Jg. 1942, Sozialarheiterin, Dipl.-Soz.; ah 1976 wiss. Mitarheiterin heirn ISS (Bonn/Ffrn) irn Bereich Auslăndersozialarheit, zustăndig fiir auslăn dische Mădchen und Frauen. Seit 1982 Hochschullehrerin an der Fachhoch schule Wieshaden, FB Sozialarheit. Gerd Stiiwe, J g. 1943, Sozialarheiter, Dipl.-Păd., Dr. phil. nach Tătigkeit in einern Handlungsforschungsprojekt an der Fak. f. Păd. der Universităt Biele feld seit 1977 wiss. Mitarheiter heirn ISS (Bonn/Ffrn.) mit den Arheitsschwer punkten J ugendforschung, auslăndische J ugendliche, J ugendarheitslqsigkeit, arheitsweltorientierte Jugendarheit. Ah 1983 Leiter des Arheitshereiches Aus lăndersozialarheit des ISS. CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Alltag und Biografie von Mădchen / hrsg. von d. Sachverstăndigenkomm. Sechster Jugendbericht. Helga Kriiger ... - Opladen: Leske und Budrich NE: Krtiger, Helga (Hrsg.); Sachverstăndigen kommission Sechster Jugendbericht Bd. 12. Rosen, Rita: Ausliindische Miidchen in der Bundesrepublik.-1985 Rosen, Rita Auslăndische Miidchen in der Bundesrepublik / Rita Rosen; Gerd Stiiwe. - Opladen : Leske und Budrich, 1985 (Alltag und Biografie von Miidchen; Bd. 12) ISBN 978-3-8100-0481-9 ISBN 978-3-322-91633-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-91633-4 NE: Sttiwe, Gerd Vorbemerkung der Sachverständigenkommission Alltag und Biografie von Mädchen sind vielfältig und reichhaltig an gesell schaftlichen Erfahrungen und Widersprüchen; nur ist viel zu wenig davon be kannt. Die vorliegende Reihe veranschaulicht diesen Alltag, liefert Daten, ana lysiert den gesellschaftlichen Kontext und macht hierüber die Besonderheit weiblicher Existenz deutlich. Sie stellt den Lebenszusammenhang von Mädchen in den Mittelpunkt, um von hier aus eine angemessene Sichtweise der Probleme und neue Perspektiven für Mädchen uq.d Frauen zu entwickeln. In Forschung und wissenschaftlicher Literatur über Kinder- und Jugendfra gen kommen Mädchen wenig vor, da durchweg ohne Unterscheidung über die Lebenskonzepte, die Berufsorientierung, Ausbildungs-, Schul-oder Freizeitpro bleme, Familiensituation und Konfliktlagen "der Jugendlichen" oder der "Kin der" nachgedacht wird. Schon bei erstem Hinsehen zeigt sich: Es wird prak tisch nur von Jungen berichtet - Mädchen erscheinen subsumiert bzw. allen falls als eine (defizitäre) Untergruppe des "Normalfalis" der männlichen Jugend lichen. So bleiben die durch die geschlechtsspezifiSche Arbeitsteilung in der Ge sellschaft bedingten Merkmale ihrer Lebenssituation unsichtbar: die Interessen und Denkweisen von Mädchen, ihre Stärken und die ihnen zugemuteten Be nachteiligungen, ihre Probleme sind kein Thema. Es geht um "Schüler'', "Ar beiterjugendliche", "die Alternativszene"- aber nicht um Schülerinnen, Arbei termädchen, Mädchen in Alternativbewegungen .... Das Spektrum dieser Reihe umfaßt unter anderem: die Sichtweise des "weiblichen Sozialcharakters" in den Sozialisationstheorien; Mutter/Tochter und Vater/Tochter-Beziehungen in der Familie, den Sexismus in der Schule, im Kindergarten, in der Beratungspraxis und in Heimen, die Weiblichkeitsbilder in den Medien; Untersuchungen zur Lebenssituation von Mädchen ohne Ausbil dung, von behinderten Mädchen und Mädchen auf dem Lande; sexuelle Gewalt gegen Mädchen ist ebenso Thema wie die Diskriminierung von Mädchen im gel tenden Recht; Alternativen der Mädchenarbeit werden aufgezeigt sowie theore tische und praktische Ansätze einer kulturpolitischen Bildung für Mädchen und Frauen. Die Arbeiten sind als Expertisen zum 6. Jugendbericht entstanden, der das Thema "Verbesserung der Chancengleichheit von Mädchen" zum Gegenstand hat. Ihre Veröffentlichung in dieser Reihe wurde fmanziell vom Bundesmini- 5 sterium für Jugend, Familie und Gesundheit gefördert. Die Expertisen waren eine der Grundlagen für die Sachverständigenkommission, die zu Beginn ihrer Arbeit die erheblichen Informations- und Forschungslücken auf allen Gebieten feststellen mußte. Um sie zu schließen, wurden Wissenschaftler/innen und Prak tiker/innen mit den oben genannten Themen beauftragt. Ausländische Mädchen sind mehrfach diskriminiert: als Frauen, als Auslän derinnen, als Jugendliche ohne eigenständige Existenzmöglichkeiten. Mit die sen Problemen befaßt sich die Untersuchung von Rita Rosen und Gerd Stüwe. Ausländer, Frauen wie Männer, leben in der Bundesrepublik unter deut lichem existenziellem Druck, mit Zukunftsangst und in einem generellen Spannungsverhälnis zwischen sozialen und kulturellen Normen ihres Heimat landes einerseits, der neuen, vorübergehenden oder dauerhaft gedachten Situa tion in der Bundesrepublik andererseits. Die Widersprüchlichkeiten sind für ausländische Frauen durchweg noch belastender als für ausländische Männer, und in besonderem Maße für die Mädchen spürbar. Ihre Identitätsentwicklung, die Herausformung von Lebenskonzepten und die Bildung/ Ausbildung auf diese hin vollziehen sich durchweg konflikthaft, aufgrund der Diskrepanzen zwischen den kulturellen Wertsystemen und geschlechtsspezifischen Zuschrei bungen beider "Heimatländer", von denen keins eindeutig ist. In der Studie werden die typischen Situationsmerkmale ausländischer Mäd chen aus sechs Nationen beschrieben und aufihre Auswirkungen hin untersucht. Darüberhinaus werden ausgewählte Einrichtungen und Projekte, die sich speziell an ausländische Mädchen wenden, in ihrer Arbeitsweise und ihren Rahmenbe dingungen dargestellt und es werden Kriterien und Forderungen aufgestellt für eine sozialpädagogische Arbeit mit ausländischen Mädchen, die sich ausdrück lich an deren Problemen und Interessen orientieren. 6 Inhalt Vorbemerkung der Sachverständigenkommission. . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Vorbemerkungen ...................................... . 9 I. Ausländische Mädchen in der Bundesrepublik: Die politischen und sozialen Rahmenbedingungen . . . . . . 12 1. Ausländerrechtliche Bestimmungen determinieren die Lebenssituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Aufenthaltserlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2 Aufenthaltsberechtigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.3 Ausweisungsverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.4 Arbeitserlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Konsolidierung der Ausländerpolitik und stärkere Restriktionen. . . . 16 2.1 Zunächst nur an Arbeitskräften orientiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2 Soziale Leistungen nur zögernd gewährt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. Ausländer in der Bundesrepublik Deutsch1and: Datenlage und Einschätzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 111. Die Bildungssituation ausländischer Mädchen . . . . . . . . . . . 25 1. Die schulische Situation- Daten und Erwartungshaltungen. . . . . . . 25 1.1 Einschätzungen von beruflicher Bildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.2 Qualifikationsmaßnahmen für ausländische Jugendliche . . . . . . . . . 32 2. Zusammenfassende Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 IV. Bedingungen in den Heimatländern und ihre Auswirkungen auf das Leben in der Bundesrepublik Deutsch1and . . . . . . 39 1. Italienerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.1 Geschlechtsspezifische Erziehung im Heimatland. . . . . . . . . . . . . . 39 1.2 Emigration und ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation der Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland. . . . . . . . . . . . . . 42 2. Jugoslawinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.1 Geschlechtsspezifische Erziehung im Heimatland. . . . . . . . . . . . . . 4 7 2.2 Emigration und ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation der Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland. . . . . . . . . . . . . . 51 3. Portugiesinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3.1 Geschlechtsspezifische Erziehung im Heimatland. . . . . . . . . . . . . . 53 3.2 Emigration und ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation der Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland. :. . . . . . . . . . . . 56 4. Spanierinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.1 Geschlechtsspezifische Erziehung im Heimatland. . . . . . . . . . . . . . 58 7 4.2 Emigration und ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation der Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland. . . . . . . . . . . . . . 60 5. Griechinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . 61 5.1 Geschlechtsspezifische Erziehung im Heimatland. . . . . . . . . . . . . . 61 5.2 Emigration und ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation der Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland. . . . . . . . . . . . . . 64 6. Türkinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 6.1 Geschlechtsspezifische Erziehung im Heimatland. . . . . . . . . . . . . . 66 6.2 Emigration und ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation der Mädchen in der Bundesrepublik Deutschland. . . . . . . . . . . . . . 69 V. Sozialisationsmerkmale ausländischer Mädchen ....... . 73 1. Bikulturelle Sozialisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Fehlende Jugendphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Rigidegeschlechtsspezifische Erziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 6 4. Gesellungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5. Bildungs-und Ausbildungssituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 6. Mutter-Tochter-Beziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 VI. Beschreibung und Einschätzung von bestehenden Maß nahmen zur sozialen Integration ausländischer Mädchen 84 1. Beispiel: Projekt des Kolping-Bildungswerkes Diöszesanverband Augsburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1.1 Ausstattung und Lage des Projektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1.2 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Beispiel: Projekt der Arbeiterwohlfaht in Duisburg Hüttenheim . . . . 92 2.1 Ausstattung und Lage des Projektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.2 Zielgruppenorientierung und konzeptionelle Ausrichtung. . . . . . . . 93 2.3 Methodisches Vorgehen und Arbeitsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . 9 5 3. Beispiel: Projekt des Caritasverbandes Württemberg in Sindelfingen. . 98 3.1 Ausstattung und Lage des Projektes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.2 Methodisches Vorgehen und Arbeitsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Beispiel: Projekt des Caritasverbandes Hannover .............. 102 4.1 Ausstattung und Lage des Projektes ...................... 102 5. Beispiel: Projekt des Diakonischen Werkes Baden, Evangelischer Gemeindedienst in Wiesloch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 106 5.1 Ausstattung und Lage des Projektes ...................... 106 5.2 Methodisches Vorgehen und Arbeitsprinzipien ............... 106 6. Kriterien für eine sozialpädagogische Arbeit mit ausländischen Mädchen . .............................. 111 6.1 Rahmenbeelingungen für eine sozialpädagogische Arbeit mit ausländischen Mädchen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 6.2 Inhaltliche Angebotsstruktur ........................... 117 6.3 Aufarbeitung der Mutter-Tochter-Problematik ............... 119 7. Pädagogisch-politische Zielsetzung der Arbeit mit ausländischen Mädchen . .............................. 121 Literaturverzeichnis ..................................... 122 8 Vorbemerkung Die Lebenssituation ausländischer Mädchen und Frauen ist in Analysen und empirischen Untersuchungen zur "Gastarbeiterfrage" bisher kaum berücksich tigt worden. Im Blickfeld von wissenschaftlichen Fragestellungen und sozialpo litischen Forderungen stehen die Probleme der männlichen Arbeitnehmer. Le diglich als Familienmitglieder, die ihren Ehemännern und Vätern in die Emigra tion folgen, werden die Frauen und Mädchen wahrgenommen. Ihre spezifische Lebenssituation, die subjektiv erlebten Ursachen und Folgen der Emigration, werden nicht zur Kenntnis genommen. Dies hat zur Folge, das sozialpolitische Forderungen zur Verbesserung der Lebenssituation von Emigranten und sozial pädagogische Maßnahmen zur Integration in die Gesellschaft des Aufnahmelan des die Frauen unberücksichtigt lassen. Erst in letzter Zeit ist diesbezüglich ein Bewußtseinswandel zu verzeichnen. Mehr und mehr wird in der Literatur, und insbesondere in Diskussionen der Fachöffentlichkeit, auf die Situation der Frauen und Mädchen hingewiesen, und spezielle Unterstützungsmaßnahmen werden für sie gefordert. Dabei geht die Diskussion sowohl von deutschen Frauen/Fachfrauen aus, als auch von aus ländischen Frauen, die verstärkt in Selbsthilfeorganisationen beginnen, auf ihre Lage hinzuweisen und Forderungen aufzustellen. Wird in der Öffentlichkeit/ Fachöffentlichkeit zunehmend auf den Problemkreis ausländischer Frauen hin gewiesen, so kann dies in demselben Ausmaß nicht von den weiblichen Jugend lichen gesagt werden. Hier gibt es nur vereinzelte Analysen und Berichte, die aus der Arbeit mit den Mädchen entstanden sind. Ansonsten werden sie -wenn überhaupt - in allgemeinen Abhandlungen über ausländische Jugendliche oder die zweite Generation erwähnt. Es zeigt sich bei den wenigen Darstellungen, daß die Lebenssituation auslän discher Mädchen - global gesehen - Gemeinsamkeiten mit der der Frauen auf weist. Die Frauen und Mädchen leiden unter einer strukturell bedingten Be nachteiligung, einer Benachteiligung, die auch die Lebensbedingungen deut scher Frauen und Mädchen prägt. Jedoch sind graduelle Unterschiede der Be nachteiligung innerhalb der einzelnen Gruppen auszumachen; sie werden im Folgenden benannt, damit adäquate Maßnahmen der Beseitigung entwickelt werden können. Ausländische Frauen und Mädchen sind doppelt diskriminiert: Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht und einer anderen, fremden. 9
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