WILHELM •• FURTWANGLER AUFZEICHNUNGEN 1924-1954 F. A.BROCKHAUS WIESBADEN WILHELM FURTWÄNGLER In-Fragestellen seiner Ge (1886 - 1954) ist in der danken, seiner Interpreta Welt unvergessen. Die tionen, seiner eigenen Aktualität seiner Interpre Werke. Ohne Überheb tationskunst zeigt sich lichkeit war er sich seiner heute immer wieder in den Größe bewußt, aber das zahlreichen Schallplatten Bewußtsein dieser Größe aufnahmen. Es ist ein Er ließ ihn demütig werden lebnis, die Wiedergabe ei vor der Verantwortung, die nes von Furtwängler diri er sich damit aufgetragen gierten Musikwerkes zu sah. Wenn es einen Begriff hören. Furtwängler hat gibt, der Furtwänglers Le aber auch eine Reihe von ben und Entscheidungen Aufzeichnungen hinter bestimmte und für uns ver lassen. Diesem Band lie ständlich macht, dann ist gen die Eintragungen in es der der Verantwortung. seinen Taschenkalendern Er wollte und konnte sich 1924 - 1954 zu Grunde. Es ihr nicht entziehen. Nur sind Aufsätze, aphoristi vor diesem Hintergrund sche Gedanken und N oti können seine Gedanken zen. Nahezu ausschließ verstanden werden. Nichts lich gelten diese Aufzeich kann den Menschen und nungen Fragen der Musik, Künstler Wilhelm Furt vor denen alles Persön wängler, sein Denken und liche zurücktrat. Gerade Handeln, so gültig erhellen darum aber erschließt sich wie sein eigenes Wort. dem Leser in diesem Buch Leben und Wirken des Dirigenten und Kompo nisten um so klarer. Bezeichnend für Furt wängler ist das immer neue F. A. BROCKHAUS · W1ESBADEN WILHELM FURTWÄNGLER AUFZEICHNUNGEN 1924 - 1954 Herausgegeben von Elisabeth Furtwängler und Günter Birkner F. A. BROCKHAUS · WIESBADEN · 1980 Umschlag und Einband nach Entwurf von Friedrich Papp! CIP-Kurztttelaufnahme der Deutschen Bibliothek. Furtwangler, Wilhelm: Aufzeichnungen: 1924-1954/Wilhelm Furtwangler. Hrsg. von Elisabeth Furtwängler u. Günter Birkner. Wiesbaden: Brockhaus, 1980. ISBN 3-7653-0316-X V. Nr. W 1477 ISBN 3-7653-0316-x © F. A. Brockhaus, Wiesbaden 1980 Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten Ohne ausdruckliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen (Photokopie, Mikrokopie) Satz: Fotosatz GmbH, Manfred Zeisler 6200 Wiesbaden Druck: Druckerei Hans Gorius 6551 Vendersheim Inhalt Bemerkungen zum Text . . . 7 Aufzeichnungen 1924-1954. 13 Wilhelm Furtwängler - Stationen seines Lebens 345 Anmerkungen 347 Register .... 349 Bemerkungen zum Text Grundlage der vorliegenden Ausgabe sind die Eintragun gen Wilhelm Furtwänglers in seinen Taschenkalendern, die nahezu vollständig seit 1924 bis zu seinem Tode im Jahr 1954 erhalten geblieben sind. Auf die Ebene der Zeitgeschichte übertragen, setzen diese Eintragungen also neun Jahre vor dem Ausbruch des Terrors und des Leidens in Deutschland ein und brechen neun Jahre nach seiner Beseitigung ab. Seit die Existenz dieser Notizen aus den einunddreißig letzten Lebensjahren Furtwänglers bekannt wurde, mögen sich daran Erwartungen geknüpft haben, die sicher bei manchem enttäuscht werden. Mit »Tage büchern« im üblichen Sinn, wie man sie noch aus neue sten Veröffentlichungen kennt, haben diese Eintragun gen wenig oder nichts zu tun. Von einigen Briefent würfen abgesehen, finden sich keinerlei Bemerkungen zum persönlichen, beruflichen oder gar politischen Tagesgeschehen. Die diesem Bereich nächsten Notizen betreffen Proben-und Aufführungsdaten, Reisetermine, Namen von Instrumentalisten und Sängern im Zusam menhang mit Besetzungslisten für Aufführungen und Programmentwürfe. Für die vorliegende Ausgabe blie ben diese Notizen ebenso unberücksichtigt wie gelegent liche Wiederholungen oder einzelne Abschnitte, die noch zu Lebzeiten Furtwänglers in seine zahlreichen Aufsätze oder Zeitungsartikel Aufnahme gefunden hatten oder nach seinem Tod in dem Band »Vermächt nis« (Wiesbaden 1956) veröffentlicht wurden. Nahezu 7 ausschließlich gelten die Aufzeichnungen den Fragen der Musik, vor denen für Furtwängler alles Persönliche zurücktrat. Aber gerade dies ist der Grund dafür, daß seine Gestalt um so klarer vor uns tritt und uns ein Leben sehen läßt, das völlig und makellos im Dienst an seiner Kunst aufgegangen ist. Ein auch nur kurzer Einblick in die Texte läßt erken nen, daß das Ganze dieser Eintragungen von Furtwängler selbst niemals in der hier vorliegenden Form veröffent licht worden wäre.Wenige Tage vor seinem Tod äußerte er zu Elisabeth Furtwängler, seiner Gattin: »Schau einmal die Agendenbüchlein durch, ich habe da immer etwas notiert, worüber ich Aufsätze schreiben wollte. Es wird nicht so viel Gescheites drinstehen, aber doch manches, worüber die Menschen nachdenken sollten«, -Ausdruck der unprätentiösen Bescheidenheit, die diesen großen Menschen auszeichnete. Vieles in seinen Bemerkungen ist emotionaler Niederschlag eines Augenblicks, das dann aber immer wieder aufgegriffen und umformuliert wurde. In diesem Prozeß - wir kennen ähnliches aus den Skizzen und verschiedenen Fassungen von Furtwänglers Kompositionen wie auch aus seinen Interpretationen - werden die Gedanken immer konziser, gewinnen klarere Form, werden mitunter so apodiktisch, daß sie zum Widerspruch reizen. Solcher Widerspruch sollte den Aussagen nicht abträglich sein, wenn er von derselben Kraft der Überzeugung und Verantwortung getragen ist, die hinter ihnen steht. Bezeichnend für Furtwängler ist das immer wieder neue In-Frage-Stellen seiner Gedan ken, seiner Interpretationen, seiner eigenen Werke, - man kann hinzufügen: auch seiner selbst. Ohne Über heblichkeit war er sich seiner Größe voll bewußt, aber das Bewußtsein dieser Größe ließ ihn demütig werden 8 vor der Verantwortung, die er sich damit aufgetragen sah. Wenn es einen Begriff gibt, der Furtwänglers Leben und Entscheidungen bestimmte und für uns verständlich macht, dann ist es der der Verantwortung. Er wollte und konnte sich ihr nicht entziehen, weil er sich durch seine Kunst, das heißt vor allem durch die deutsche Musik, mit seinem Volk und dessen wahrstem Geist in einer mysti schen, unlösbaren Weise verbunden wußte. Furtwänglers Wissen und wissendes Fühlen vom Wesen seiner Kunst steht hinter seinen Interpretationen wie hinter den im Wort formulierten Aussagen. Nur vor diesem Hinter grund können seine Gedanken verstanden werden. Ironie und geistreiches Wortspiel waren ihm nicht gege ben und ließen ihn hilflos, wo er ihnen oder gar gewoll tem Mißverstehen begegnete. Es ist nicht haltbar zu behaupten, er habe sich den Werken seiner »modernen« Zeitgenossen verschlossen. Die für ihn entscheidende Grenze lag dort, wo das musi kalische Schaffen einen bewußten Bruch mit der Vergan genheit vollzog, wo vorgängig intellektuelle theoretische Systeme geschaffen wurden, um danach und mit ihrer Hilfe etwas »Neues« hervorzubringen. Doch hatte dies nichts mit einem Generationenkonflikt zu tun. Das Neue um des Neuen willen, Musik für Musiker und applaudierende Presse hat Furtwängler zeit seines Lebens abgelehnt. Daß er auch an die Werke seiner zum Teil mit ihm befreundeten älteren Zeitgenossen wie Strauss, Pfitz ner, Reger, Strawinsky, Hindemith die kritischen Maß stäbe seiner künstlerischen Überzeugung anlegte, war bisher schon bekannt, wird hier aber in manchen Zügen noch deutlicher. Es wäre falsch, aus einer einzelnen zuge spitzten Formulierung auf eine generelle Ablehnung des betreffenden Komponisten zu schließen. 9 Furtwängler war von seinen ersten Anfängen an Kom ponist und dies bis in seine schöpferischen Interpretatio nen als Dirigent. Sein Streben galt der Schöpfung, nie mals aber dem Ziel, zum alles überragenden Sachwalter und Repräsentanten der deutschen Musik zu werden, wozu ihn das Schicksal ausersehen hatte. Er, für den Kunst nicht manipulierbar war, sah sich mit solcher Manipulation immer wieder konfrontiert, sei es im Hinblick auf die »ältere« Musik - die des 19. Jahrhun derts war darin mit eingeschlossen-, sei es in bezug auf eine »Modeme«, für die alles Ältere auf den Schrott haufen der Geschichte gehörte. Für ihn war jedes Kunst werk, welcher Zeit es auch angehören mochte, wirkende Gegenwart, es war eine Forderung, der man sich zu stellen, an der man seinen eigenen Ort zu finden hatte. Dies war für Furtwängler eine im tiefsten Sinne existen tielle Frage, existentiell für ihn, in höherem Maße für die Zukunft der Musik. Wer den hier wiedergegebenen Äußerungen Furt wänglers vorurteilslos entgegentritt, wird erkennen, daß es für ihn nur einen Sinn seines Wirkens gab: die Idee und das Wissen vom reinen Geist und hohen Wesen des Deutschen, das er beispielhaft verkörperte, lebendig zu halten und weiterzugeben. Günter Birkner 10